6.4 Verletzungen im Kindes- und Jugendalter. Klinik. Diagnostik. Ätiopathogenese und Epidemiologie

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Transkript:

.4 Verletzungen im Kindes- und Jugendalter Sprachraum durch Lehmann bereits 1934 (veröffentlicht 1937) und im deutschsprachigen Raum durch Meyer- Burgdorf 193 beschrieben wurde, ist von Matta 1989 wieder zur Versorgung auch bei Sacrumfrakturen aufgegriffen und durch standardisierte Verfahrensabläufe zunehmend sicherer und präziser in der Anwendung worden. Auch die bereits 1988 von Mears beschriebene ilioiliakal überbrückende Plattenosteosynthese (bekannt als Doppel-Cobra-Platte ), die seinerzeit wegen ihres voluminösen Auftragens eher Weichteilprobleme denn Vorteile hatte, kam durch Verwendung einer schmaleren, winkelstabilen Platte (locking compression plate, LCP) zu neu entdeckten Anwendungen (Kobbe et al. 2012). Die Montage eines Fixateur interne zur Überleitung der Kraft von der unteren Wirbelsäule direkt in das Becken unter Umgehung des verletzen Sacrums wurde sowohl als einseitige als auch beidseitige Fixateur-Montage von LW 4/5 in das Ilium beschrieben (Schildhauer et al. 1998, König et al. 2012). Die Verwendung einer einseitigen Fixateur-Abstützung von LW 4/5 auf das Ilium mit entsprechend langen Iliumschrauben wird dabei auch in Kombination mit der trans iliosacralen Schraubenosteosynthese beschrieben. KeyPoints Sacrumfrakturen können isoliert oder in Kombination mit Sacroiliakalgelenkverletzungen auftreten. Sacrumfrakturen sind häufig mit Nervenverletzungen oder Blutungen assoziiert. In höherem Lebensalter treten Sacruminsuffizienzfrakturen auch ohne hohe Gewalteinwirkung auf. Operatives Ziel muss die Wiederherstellung der Beckenringstabilität sein. Aktuell werden als operative Verfahren häufig perkutane trans iliosacrale Schraubenosteosynthesen, aber auch dorsale Platten oder Fixateur-interne-Montagen verwendet..4 Verletzungen im Kindes- und Jugendalter Christian Knop Ätiopathogenese und Epidemiologie Wirbelsäulenverletzungen von Kindern und Jugendlichen sind sehr selten. Die Angaben zur Häufigkeitsverteilung dieser Verletzungen schwanken in der Literatur beträchtlich. Die Häufigkeit einer Wirbelfraktur unter allen kindlichen Frakturen wurde mit 0,2 % beziffert. Bezogen auf die Gesamtanzahl der Wirbelsäulenverletzungen sollen Kinder und Jugendliche in 0, 3 % der Fälle betroffen sein. Zu beachten ist für diese Angaben in der Literatur, dass es sich überwiegend um Erhebungen aus der Ära vor breiter Anwendung der Schnittbilddiagnostik handelt. Außerdem wird für diese Altersgruppe auf eine hohe Dunkelziffer 211 durch flüchtige Beschwerden bei leichten Verletzungen hingewiesen, die zu keiner Bildgebung führen. In der Regel kommt es bei Kindern unter zehn Jahren nur durch ein Hochrasanz-Trauma zu einer Wirbelsäulenverletzung. Die HWS scheint dabei durch das relativ höhere Kopfgewicht bei noch nicht voll ausgebildeter Hals- und Nackenmuskulatur besonders gefährdet zu sein. Beim Dezelerationstrauma im Rahmen eines PKW-Unfalls drohen HWS-Verletzungen durch den in einem Rückhaltesystem (Kindersitz oder Sicherheitsgurt) fixierten Rumpf bei mobilem Kopf. Bei diesem Verletzungsmechanismus kommt es zu hochgradig instabilen discoligamentären Verletzungen der HWS. An der Rumpfwirbelsäule treten in etwa 90 % der Fälle Kompressionsverletzungen ein. Hochgradig instabile B- und C-Verletzungen werden nur mit einem Anteil von 10 % angegeben (Kathrein et al. 1999). Bei der Beurteilung von kindlichen Verletzungen im Säuglingsund Kleinkindalter muss leider daran erinnert werden, dass auch Wirbelsäulen- und Rückenmarkverletzungen infolge von Kindesmisshandlung möglich sind. Klinik Die Klinik ist altersabhängig und erlaubt erst mit zunehmendem Alter der Patienten differenzierte Rückschlüsse. Besteht ein Verdacht auf eine Verletzung der Wirbelsäule, dann ist dieser mit bildgebender Diagnostik auszuräumen. Diagnostik Bei steh- und gehfähigen Kindern ohne Anhalt für ein neurologisches Defizit hat die konventionelle Röntgendiagnostik unverändert ihren Stellenwert. Die Standardprojektionen sind HWS, BWS, thorakolumbaler Übergang oder LWS in zwei Ebenen. Die Röntgendiagnostik an der HWS ist durch eine transorale a.-p. Projektion des Dens zu ergänzen. Bei Hochrasanz-Trauma und Verdacht auf Polytrauma sollte auch im Kindesalter die schnelle Schockraum-CT- Diagnostik mit angepassten Untersuchungsprotokollen erfolgen. Sofern die Möglichkeit besteht und die Situation das Vorgehen zulässt, ist die MRT-Diagnostik zur Vermeidung der Strahlenbelastung vorzuziehen. Da es sich um außerordentlich seltene Verletzungen handelt, ist die Erfahrung des Einzelnen mit Verletzungen der Wirbelsäule im Kindes- und Jugendalter begrenzt. Hinzu kommt die besondere und unterschiedliche Anatomie in den altersabhängigen Entwicklungsstufen. Die korrekte Interpretation der bildgebenden Diagnostik und damit die Analyse der Verletzung stellt eine besondere Herausforderung dar.

212 Im Zweifelsfall sollten Zentren mit breiterer Erfahrung in die Behandlung eingebunden werden, um Unsicherheiten oder Fehlinterpretationen zu vermeiden. Für die Abgrenzung der kindlichen von der erwachsenen Wirbelsäule kann als Faustregel eine Altersgrenze von etwa zehn Jahren angenommen werden: Jenseits dieser Grenze unterscheidet sich die Wirbelsäule der jungen Patienten anatomisch und biomechanisch allenfalls geringfügig von der des Erwachsenen. Besondere Aufmerksamkeit sollte nach Kathrein und Blauth folgenden radiologischen Besonderheiten geschenkt werden (Kathrein u. Blauth 200): Der Knochenkern der Densspitze ist ab dem. Lebensmonat bis zum 12. Lebensjahr sichtbar. Ein atlanto-dentaler Abstand von 5 mm kann bis zum 7. Lebensjahr noch normal sein (Obergrenze beim Erwachsenen: 3 mm). Eine Pseudosubluxation des Atlas gegenüber dem 2. Halswirbel in Extension kann bis zum 7. Lebensjahr beobachtet werden. Die neurozentralen Synchondrosen am Atlas können bis zum 7. Lebensjahr sichtbar sein. Die subdentale Synchondrose am 2. Halswirbel kann bis zum 11. Lebensjahr sichtbar sein. Die neurozentralen Synchondrosen am 2. Halswirbel können eine traumatische Spondylolyse vortäuschen. An der unteren HWS werden bis zum 7. Lebensjahr häufig Pseudosubluxationen beobachtet, insbesondere an den Segmenten HW 2/3 und HW 3/4. Angeborene Fehlbildungen können als posttraumatische Veränderungen fehlinterpretiert werden. Als Beispiel seien Spina bifida, Halbwirbelbildung oder Bogenaplasien genannt. Die Wirbelkörperform kann altersabhängig und individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Die Abgrenzung zu Kompressionsfrakturen im konventionellen Röntgenbild kann im Einzelfall unmöglich sein. Verletzungen Mit Verfügbarkeit hochauflösender MRT-Diagnostik wird die Verwendung der Diagnose SCIWORA abgelehnt, sobald ein pathologischer Befund in der MRT nachweisbar ist. Yucesoy und Yuksel schlugen 2008 die folgende strenge Eingrenzung für die Diagnose SCIWORA vor: In our opinion, if any pathology is detected on MRI with or without radiographic abnormality, the patients should not be classed, as SCIWORA and real-sciwora should be determined as Spinal Cord Injury Without Neuroimaging Abnormality in cases with normal MRI. Damit sind von der Diagnose SCIWORA auch diejenigen Entitäten bei Erwachsenen abzugrenzen, bei denen nach Traumaanamnese ein neurologisches Defizit ohne Nachweis einer traumatischen Instabilität vorliegt, jedoch pathologische Veränderungen in der Bildgebung nachweisbar sind, wie degenerative Veränderung mit vorbestehender Spinalkanalenge (Como et al. 2012). Klassifikationen für SCIWORA, die pathologische Veränderungen der Wirbelsäule in die Definition von SCIWORA einschließen, die in der MRT nachweisbar sind, erscheinen daher fragwürdig (Boese et al. 2013; Boese et al. 2015). Es ist festzustellen, dass in den dargestellten Patientenkollektiven vereinzelt eine operative Behandlung bei SCI- WORA erfolgte. Auch dies legt nahe, dass deutlich unterschiedliche Entitäten unter dem Begriff zusammengefasst wurden. Die möglichst rasche Bildgebung mit hochauflösender MRT bleibt daher essenziell für die Diagnose SCIWORA und vor allem zum Ausschluss einer okkulten Instabilität oder vorbestehenden pathologischen Veränderung der Wirbelsäule, die einer differenzierten Therapie zugeführt werden muss. Der bildgebende Befund am Rückenmark in der MRT reicht von einem unauffälligen Normalbefund über Ödembildung bis hin zu Einblutungen, struktureller Schädigung oder gar einer Kontinuitätsunterbrechung des Myelons. SCIWORA Es besteht aus heutiger Sicht eine erhebliche Unschärfe bezüglich der sinnvollen Bedeutung und Verwendung der Diagnose SCIWORA. Die historische Definition spinal cord injury without radiographic abnormality von 1982 entstand in einer Ära vor Einführung der MRT (Pang u. Wilberger 1982). Sie wurde eingeführt, um diejenigen Verletzungen zu fassen, bei denen die Patienten ein neurologisches Defizit bis hin zur Querschnittlähmung aufwiesen, die verfügbare Bildgebung jedoch keinen Hinweis auf Verletzungsfolgen erbrachte. Diese Entität wurde verständlicherweise häufiger gesehen, da der bildgebende Nachweis beispielsweise einer discoligamentären Instabilität ohne Dislokation oder Fehlstellung sowie von Myelonschädigungen damals nicht möglich war. Abb. -35 11-jähriger Junge mit Fraktur des vorderen und hinteren Atlasbogens ( Jefferson-Fraktur ) nach Kopfsprung in ein zu flaches Schwimmbecken; keine Neurologie. a e Röntgen- und CT-Diagnostik nach Unfall. d Bemerkenswert ist der gut sichtbare knöcherne Ausriss des Lig. transversum links. e Behandlung mit harter Cervicalstütze für sechs Wochen. In der CT vier Monate nach Unfall ist der vordere Atlasbogen knöchern ausgeheilt. f h Die Röntgenkontrolle elf Monate nach dem Unfall zeigt stabile Verhältnisse in den Funktionsaufnahmen bei verbliebener Verbreiterung des Atlas. i l Vollkommen beschwerdefreier Patient elf Monate nach dem Unfall, sportlich aktiv, minimale Verminderung in der Rotation feststellbar.

.4 Verletzungen im Kindes- und Jugendalter 213 b a c d e f g i h j l k

214 Die Häufigkeit eines SCIWORA nimmt in craniocaudaler Richtung ab: Am häufigsten wird die Läsion an der HWS beobachtet, gefolgt von der oberen BWS. Als Pathogenese wird eine Zerrung des Myelons aufgrund der sehr hohen Flexibilität und Dehnbarkeit der Wirbelsäule bei Kindern und jungen Erwachsenen angesehen. Diskutiert werden auch vaskuläre Ereignisse als Unfallfolge mit lokaler Ischämie am Rückenmark. Als Therapie der Wahl wird die Immobilisation für drei Monate und die Vermeidung einer möglichen Überlastung durch z. B. sportliche Aktivität für einen Zeitraum von sechs Monaten empfohlen. Die Prognose korreliert erwartungsgemäß mit dem Ausmaß der Myelonschädigung in der MRT. Der klinische Verlauf entscheidet über bildgebende Verlaufskontrollen und ergänzende elektrophysiologische Untersuchungen. Spezielle Verletzungsformen Durch die Beteiligung der Wachstumszonen werden an der kindlichen Wirbelsäule Sonderformen der Verletzungen beobachtet, wie: Synchondrosenlösung, Lösung der Epiphysenplatte, Randleistenfraktur des Wirbelkörpers, metaphysäre Wirbelkörperfraktur. Synchondrosenlösung Die subdentale Synchondrose des Axis verknöchert ab dem. Lebensjahr. Bei den Densfrakturen im Kleinkindalter handelt es sich um Lösungen dieser Synchondrose. Ihr Verlauf entspricht am ehesten einer Typ-III-Verletzung nach Anderson und d Alonzo. Verletzungen An der Rumpfwirbelsäule können Synchondrosenlösungen des Wirbelbogens ( Pedikelfrakturen ) als begleitende knöcherne Pathologie bei hochgradig instabilen Typ-B- und -C-Verletzungen beobachtet werden. Lösung der Epiphysenplatte Dabei liegt eine Typ-I-Läsion nach Salter-Harris vor, d. h. ein Abriss der knorpeligen Endplatte vom Wirbelkörper ohne begleitende Fraktur. Es handelt sich um eine hochgradig instabile discoligamentäre Verletzung. Randleistenfraktur des Wirbelkörpers Zwischen dem 8. und 12. Lebensjahr entstehen sekundäre Ossifikationszonen an den Endplatten der Wirbelkörper: die apophysären Randleisten. Sie sind im Röntgenbild gut abgrenzbar und können bis in das junge Erwachsenenalter sichtbar bleiben. Für diese Altersgruppe sind daher Randleistenfrakturen beschrieben. Diese Abrisse der knöchernen Randleisten bedürfen einer sorgfältigen Abklärung mittels MRT, da sie nur der röntgenologisch sichtbare Hinweis auf eine discoligamentäre Verletzung mit vollständigem Abriss der Bandscheibe sein können. Metaphysäre Wirbelkörperfraktur Die Kompressionsverletzungen im Kindes- und Jugendalter sind häufig im Zentrum des Wirbels lokalisiert. Im Röntgen- oder CT- Bild imponieren die Verletzungen als horizontale Verdichtung der Spongiosa mit Verwerfung an der Wirbelkörpervorderwand in der Mitte des Wirbelkörpers in seiner craniocaudalen Ausdehnung. Im Gegensatz zur typischen Wirbelkörperkompression beim Erwachsenen bleiben die Deck- und Grundplatte mit den angrenzenden Bandscheiben bei diesen Verletzungen intakt. b a Abb. -3 10-jähriges Mädchen mit traumatischer Spondylolisthesis (Hangman-Verletzung, Typ 2 nach Effendi) nach Sturz von einer Schaukel; inkompletter Querschnitt ASIA D mit armbetonter motorischer Schwäche. a, b CT-Diagnostik mit gut sichtbarer Fraktur der Interartikularportion beidseits. c c Discoligamentäre Zerreißung zwischen HW 2 und HW 3; gut sichtbares Myelonödem auf Höhe der Verletzung. d Ventrale interkorporelle Fusion mit Beckenkammspan und monosegmentaler Platte; vollständige neurologische Erholung im postoperativen Verlauf. d

.4 Verletzungen im Kindes- und Jugendalter Halswirbelsäule Bei den sehr seltenen Halswirbelsäulenverletzungen bei Kindern unter zehn Jahren stehen hochgradig instabile, discoligamentäre Verletzungen im Vordergrund. Es handelt sich häufig um Kinder mit schweren Begleitverletzungen oder polytraumatisierte Patienten. Die Verletzungen können begleitet sein von Rückenmark- oder Hirnstammverletzungen, Hirnnervenläsionen an der oberen HWS und/oder Verletzungen der Halsgefäße. Die Einteilung der Verletzungen entspricht denen der Erwachsenen mit ihren Instabilitätskriterien ( Kap..2). Wird eine Halswirbelsäulenverletzung erkannt, ist die rasche und vollständige bildgebende Abklärung mit Schnittbilddiagnostik entscheidend ( Abb. -35). Dislozierte Verletzungen sollten möglichst schnell reponiert werden. Für die Retention von Verletzungen stehen Halo-Fixateur, Minerva-Gipsverband oder eine harte Cervicalstütze zur Verfügung. Die Reposition und sichere Retention sollte mittels Röntgendiagnostik kontrolliert und eine sekundäre Dislokation in der Ruhigstellung ausgeschlossen werden. Für die operative Stabilisierung stehen die Verfahren und Implantate der Erwachsenenmedizin zur Verfügung und 215 sind bei hochgradig instabilen Verletzungen als Therapieoption zu prüfen ( Abb. -3). Bei Verletzungen, die mit konservativen Verfahren nicht zu retinieren sind, besteht eine klare Indikation für ein operatives Vorgehen. Auf die ergänzende Fusion bei stabilisierenden Verfahren kann bei Kindern verzichtet werden (Kathrein u. Blauth 200). Im eigenen Vorgehen wird im Rahmen einer Stabilisierung kindlicher Verletzungen keine ergänzende Fusion vorgenommen. Brust- und Lendenwirbelsäule Bei Kindern unter zehn Jahren treten in der Regel Keilkompressionsfrakturen oder die o. g. metaphysären Impaktionsbrüche auf. Typisch sind dabei serielle Verletzungen mehrerer aufeinander folgender Wirbelkörper ( Abb. -37). Es existieren keine Angaben in der Literatur zu akzeptablen Fehlstellungen. Nachgewiesen ist jedoch, dass bis zu einer Altersgrenze von etwa zwölf Jahren ein erhebliches Potenzial für einen Höhengewinn der verletzten Wirbelkörper im Zuge des Wachstums besteht. Dieses remodeling kann im Kindesalter traumatische Kyphosen korrigieren (Pouliquen a b c d e Abb. -37 11-jähriger Junge mit Serienverletzung der BWS nach einem Unfall. a, b Kompressionsfrakturen von BW 4 9. c Begleitende Sternumfraktur im Manubrium sterni mit Knickbildung ohne wesentliche Dislokation. Die Kyphosierung im Moment des Unfalls muss demnach so ausgeprägt gewesen sein, dass die Sternumfraktur eingetreten ist beim Erwachsenen ist ein solcher Befund nur bei Flexions-Distraktions-Verletzungen zu beobachten. d Eine sichere Abgrenzung von verletzten und nicht verletzten Wirbeln ist auch in der CT kaum möglich. Es sind mindestens sechs Wirbelkörper an der Verletzung beteiligt. e Die Röntgen-Stehendaufnahme nach Mobilisation ergibt keinen Hinweis auf eine höhergradige Instabilität durch eine Flexions-Distraktions-Verletzung. Es erfolgt eine funktionelle Therapie.

21 Verletzungen c d a b h i j k e f l m g Abb. -38 13-jähriges Mädchen mit direktem Anprall im Rücken bei Kollision mit einer Liftstütze beim Skifahren; kompletter Querschnitt unterhalb Th 8. a, b Röntgenaufnahmen nach Unfall. c g Die axialen und sagittalen Rekonstruktionen zeigen das Ausmaß der Verletzung. h k Eine anatomische Reposition gelingt geschlossen auf dem OP-Tisch nicht; eine akzeptable Reposition ist erst über einen langstreckigen Fixateur möglich. Es erfolgt die Dekompression des Spinalkanals. Der Duralsack ist intakt, das Myelon auf Höhe der Verletzung abgeschert. l, m Postoperative CT mit physiologischem Alignment. Ein seitlicher Versatz auf Höhe der Verletzung ist verblieben, jedoch ist eine spontane Fusion in dieser Stellung zu erwarten.