TU Chemnitz Philosophische Fakultät Pädagogik und Philosophie Allgemeine Erziehungswissenschaft Die geisteswissenschaftliche Pädagogik Beantwortung der Fragestellungen zum Seinar Konzepte der Erziehungswissenschaft von Andreas Neubert von Diana Neubert Katharina Schnabel Jacqueline Leithold Lars Böttger Chemnitz, 03.05.2008 1
DILTHEY zeigte die Rückständigkeit der Pädagogik des 17. und 18. Jhd. auf und plädiert deshalb für eine neue pädagogische Wissenschaft. Man ging im 17. Jhd. von einer allgemeingültigen Didaktik und deren natürlichen Gang der Ausbildung unserer Intelligenz durch den Unterricht (DILTHEY 1888, 57) aus. Im 18. Jhd. wurde diese Betrachtung nun auf die gesamte Erziehung ausgebreitet. Die Pädagogik dieser Zeit sollte allgemeingültig und auf alle Gesellschaften und zu jeder Zeit anwendbar sein. Ihre Grundlage war die Natur und die natürliche Entwicklung des Kindes. Eine Pädagogik, die diesem Anspruch auf Allgemeingültigkeit gerecht werden will, muss sich jedoch der Ethik und der Psychologie bedienen. Die Ethik verleiht der Pädagogik ihr Ziel. Da jedoch laut DILTHEY nur aus dem Ziel des Lebens [ ] das der Erziehung abgeleitet werden [ ] (ebd.) kann und die Ethik das Ziel des Lebens nicht allgemeingültig zu definieren vermag, waren die Allgemeingültigkeitsansprüche der damaligen Pädagogik nicht mehr haltbar. Der Psychologie, die die Erkenntnis über die Einzelvorgänge des Seelenlebens erbringen und somit als Grundlage der Pädagogik dienen sollte, mangelte es zu dieser Zeit noch am wissenschaftlichen Zugang psychoanalytische Grundlagen waren noch nicht vorhanden. DILTHEY forderte eine Pädagogik, die sich auf Geschichte, vor allem aber auf gegenwärtige Gesellschaften bezieht, denn es existieren zu einer Zeit, an einem bestimmten Ort, in einer bestimmten Gesellschaft/Kultur immer bestimmte Regeln und Normen. Der Forschungsgegenstand DILTHEYS ist das Verhältnis von Trieb und Gefühl, also das Seelenleben eines Zöglings, das sich zielgerichtet entwickelt, um ein Gleichgewicht herzustellen. Die Erziehung und deren Regeln dienen nun der Entfaltung des Seelenlebens. Die Vollkommenheit des Seelenlebens ist der Zweck und das Ziel der Entwicklung und die angestrebte Norm der Erziehung. Der erste Teil der wissenschaftlichen Pädagogik DILTHEYS untersucht den Ursprung der Erziehung und die Beziehungen der Erziehung zwischen Schulen und den der äußeren Organisation der Gesellschaft (Familie, Gemeinde, Staat, Kirche). DILTHEY plädiert für eine einheitliche Schulgesetzgebung. Der Erzieher muss ein gewisses pädagogisches Talent und Empathie besitzen, Philantroph sein, der Zögling muss Bildsamkeit besitzen. Die Erziehung erfolgt dann vom Zögling ausgehend in einem Prinzip der Steigerung. Die Entwicklung des Zöglings soll gefördert, Hemmungen beseitigt, das Seelenleben vorangetrieben und der Vollkommenheit entgegengeführt werden. 2
Der zweite Teil der wissenschaftlichen Pädagogik umfasst die analytische Darstellung der einzelnen Vorgänge und die Ableitung allgemeingültiger Normen. Die unterste Stufe wird durch das Spielen erreicht, höhere Stufen, also das intellektuelle Leben, durch den Anschauungsunterricht. Um etwas zu verstehen und in Erfahrung zu bringen, bedarf es Interesse und Aufmerksamkeit. Neben der Aufmerksamkeit sind noch das Gedächtnis und das logische Denken von Bedeutung. Ziel DILTHEYS ist es die psychologische/psychoanalytische Forschung voranzutreiben, ein interdisziplinäres Wechselspiel zwischen der Psychologie und der Pädagogik herzustellen und eben die Vollkommenheit der Kinderseele auszubilden, bzw. zur Vollkommenheit zu führen. Die Aufgabe für den Pädagogen/die Pädagogik ist also, das Seelenleben des Kindes und dessen Vorgänge durch Hilfe der Psychoanalyse/Psychologie zu analysieren, zu erkennen und die Entwicklung der Kinderseele in die richtige Richtung zu führen. Der Erkenntnisgewinn erfolgt durch die psychoanalytische Betrachtung des Kindes. BOLLNOW zählt zu den wichtigsten Vertretern DILTHEY, NOHL, SPRANGER, FRISCHEISEN-KÖHLER, LITT, FLITNER und WENIGER. Seine geisteswissenschaftliche Strömung ist dadurch gekennzeichnet, dass alle Vertreter der geisteswissenschaftlichen Pädagogik von dem Menschen als Ganzes ausgehen. Zwei Grundbegriffe stehen dabei im Vordergrund: Verstehen + Leben. Leben ist das Ursprüngliche und Lebendige, wobei Verstehen der methodische Grundbegriff der Geisteswissenschaften ist. Das bedeutet, dass Zusammenhänge erfasst werden. Die Erziehung selbst, geht nicht vom einzelnen Menschen, sondern von der Gesellschaft aus. Sie ist immer in die Kultur der jeweiligen Gesellschaft eingelagert. Die Erziehungswirklichkeit ist der Rahmen von Vorgängen, die man im engeren Sinne als Erziehung bezeichnet: Verfahrensweisen, die sich herausgebildet haben und Vorstellungen und Einrichtungen, in denen Erziehung geschieht. Geht man von dieser Erziehungswirklichkeit aus, so ergibt sich daraus ein Verhältnis zur erzieherischen Praxis. Die Praxis der Erziehung ist älter als die Theorie. Das Bedürfnis nach einer Theorie ist erst entstanden, als in der Praxis Schwierigkeiten auftraten, die es zu bewältigen gab. Daraus entstanden nun Stufen der Erziehung: 1. Die Lebenshilfe. Sie betrachtet Erziehung aus biologischer Perspektive. 3
2. Die Überlieferung des Kulturguts. Hier geht es um die Weitergabe des Kulturguts von Älteren zu Jüngeren. Es ist die Befähigung zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. 3. Die geistige Verlebendigung der kulturellen Überlieferung. Sie ist Mittel, sich lebendig zu fühlen und sich neu zu verlebendigen. 4. Erweckung des Gewissens. Dies ist der ist personelle/sittliche Bereich, der neben Tradition zu Verantwortung erziehen soll. Er wird als eigentlicher Kern der Erziehung gesehen. Das Gewissen lässt sich nicht vorsätzlich hervorbringen, es kann nur erweckt werden. Daraus ergibt sich ein neuer Begriff in der Pädagogik: die Erweckung (religiöser Hintergrund wird deutlich). Im Vergleich der beiden Texte wird der Rückbezug auf die Überlegungen DILTHEYS an verschiedener Stelle deutlich. Die pädagogische Reformbewegung und die wissenschaftliche Begründung der Pädagogik durch DILTHEY, dienten als Grundlage für die Entwicklung einer geisteswissenschaftlichen Pädagogik. Die Grundhaltungen der einzelnen Vertreter stimmten zwar überein, jedoch divergierten die unterschiedlichen Herangehensweisen zum Teil sehr stark. Der gemeinsame Ansatzpunkt der Vertreter, ist die von DILTHEY entfaltete Methode mit den beiden aufeinander bezogenen Grundbegriffen des Lebens und des Verstehens. (BOLLNOW 1989, 2) In der geisteswissenschaftlichen Pädagogik wurde der Terminus Verstehen zum methodischen Grundbegriff und da DILTHEY eine explizite Definition des Begriffes schuldig blieb, zeigt BOLLNOW auf, wie SPRANGER ihn näher definierte. An anderer Stelle greift BOLLNOW den Ansatz DILTHEYS auf, dass nicht der Mensch als Einzelnes, sondern das gesellschaftliche Ganze erzogen werden soll. Die ausführlichen Ausführungen Diltheys zum Aufbau des Seelenlebens und der mangelnden Wissenschaftlichkeit der Psychologie finden in BOLLNOWS Aufsatz keine Betrachtung. Dennoch wird deutlich, wie die einzelnen Vertreter die wichtigsten Grundgedanken Diltheys aufgreifen und weiterentwickeln. Ein direkter Bezug der beiden Aufsätze ist schwer herzustellen, da sich DILTHEYS Aufsatz für die späteren Vertreter wenig zur Anknüpfung [eignete], weil nach der [ ] Auffassung seiner Schüler die darin vertretene Forderung der Allgemeingültigkeit (wenigstens eines Teils der Pädagogik ) nicht mehr den Einsichten seiner Spätphilosophie entsprach und durch diese als überholt gelten konnte. (BOLLNOW unveröffentlichtes Manuskript, 2) 4
LITERATURANGABEN: BOLLNOW, O. F.: Die geisteswissenschaftliche Pädagogik. In: RÖHRS, H./SCHEUERL, H. (HG.), Richtungsstreit in der Erziehungswissenschaft und pädagogische Verständigung. Wilhelm Flitner zur Vollendung seines 100. Lebensjahres am 20. August 1989 gewidmet. Frankfurt/M. [u. a.] 1989, S. 53 70. DILTHEY, W.: Über die Möglichkeit einer allgemeingültigen pädagogischen Wissenschaft. In: DERS., Die geistige Welt. Einleitung in die Philosophie des Lebens. Stuttgart 1924, S. 56 82. http://www.otto-friedrich-bollnow.de/doc/nohlspranger.pdf. 03.05.2008. 5