Habitus und Feld. Ariane Basler und Andrea Jaberg

Ähnliche Dokumente
Sozialisation und Identität

Bilder der Organisation. Sichtweisen auf und Methaphern von Organisation

Attraktion Unternehmenskultur. Ihre Bedeutung für die Bindung von Mitarbeitern

Bildungssoziologie. Geschichte, Themen, Klassiker

Bedeutung und Veränderung individuellen Handelns für einen nachhaltigen Energiekonsum"

Formalia und Semesterprogramm

VORLESUNG SOZIOLOGISCHE GRUNDBEGRIFFE SoSe 09. Prof. Dr. Anna Schwarz Dienstag, 16:15 17:45 Uhr Raum: GD 203

Qualitätssicherung. Einführungen Stadt Landschaft Planung. I Qualitätssicherung im Wiener Wohnbau - Konzept

Womit beschäftigt sich Soziologie? (1) Verschiedene Antworten:

Heidemarie Hanekop Neue Möglichkeiten für collective action mit vielen weltweit verteilten Akteuren: Vergemeinschaftung?

Um zu einer sinnerfüllten Existenz zu gelangen bedarf es der Erfüllung von drei vorangehenden Bedingungen (Grundmotivationen 1 )

Informationsmaterial zum Modul-Nr. 1.1: Nutzung von Bildungsnetzwerken initiieren. (Schwerpunkt: Entwicklung förderlicher Schulbedingungen)

Dr. Elke Prestin (Bielefeld) Tagung der Fachgruppe Psychiatrie im VKD, 20. September 2012

Beispielvorlage zum Essay

Post-strukturale Habitus- Hermeneutik der Institutionalisierung.

W I R T S C H A F T S W I S S E N S C H A F T E N W S

VII. Wohlfahrtsstaat und Wohlfahrtskultur Ansätze zur Erklärung von Wohlfahrtsstaatlichkeit:

Eine Studienpionierin

Übersicht der Module des Studienfaches: Sozialwissenschaften (A-Fach: 80 AP/50 SWS) Anlage 2

Beitrag der Wissenschaften zur Nachhaltigen Entwicklung - Leistung und Potenzial der Umweltpsychologie

Interkulturelles Management als Aufgabe der Altenpflege. Interkulturelles Pflegemanagement

SIMENTA Sicherheitsmentalitäten im ländlichen Raum

Ausbildung zum/zur Meditationslehrer/in Meditationsleiter/in 2013

Herzlich Willkommen!

Prosoziales Verhalten

CSR und Transformation

Seminar: Systemische Beratung

FAMILIENRITUALE DRANG, ZWANG, EINKLANG

Abschlussbericht des Projektes Erzieherinnen an die Uni (gefördert vom Büro der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an der Hochschule Vechta)

CoachingKompetenzen. Modularer Aufbau. Systemische Weiterbildung. für Führungskräfte Inhouse Seminar für Unternehmen

Konfliktmanagement in den internationalen Beziehungen Die Karibik-Krise von 1962

Latein an der Bettinaschule

Aktuell zu vergebende Themen für Abschlussarbeiten (Bachelor, Master und Diplom)

Arbeitszeit. Flexibilisierung, Intensivierung und Entgrenzung. Thomas Schlingmann

Martin Abraham, Günter Büschges: Einführung in die Organisationssoziologie. Stuttgart: Teubner 1997, hier: S

freie Software Peer production in der Praxis

WER IST EIGENTLICH SCHULD AN SCHLECHTER WERBUNG?

Wissenschaftstheorie

Theorie und Praxis des Handelns Moral, Handlung, Werte und Normen: Grundlagen der Ethik 9

9. Sozialwissenschaften

komkog Seminare/Coaching Qualitätssicherung

DISSERTATION. Titel der Dissertation: Zur Rezeption moderner portugiesischer Erzählprosa. im deutschsprachigen Raum ( ).

Paradigmenwechsel in der Markenführung? - Der Beitrag der Service-Dominant Logic

Freiformulierter Erfahrungsbericht

Ich kann mich nicht nicht verhalten Ich kann nicht nicht kommunizieren

Dr. Alexander Lenger. Seminar: Einführung in die Wirtschaftssoziologie. Semester: Sommersemester Termin: Montags 10:15 11:45

Rolle der Pflege für die Aufgabe der Patientensicherheit

Gebrauch der Metapheranalyse für die Fertigkeit Wortschatz im FSU

Interkulturelle Sensibilisierung

EMPLOYABILITY GESUNDHEIT- ERFOLG. JOACHIM HOFFMANN, LEITER STRATEGISCHE PERSONALENTWICKLUNG UND CHANGE MANAGEMENT BERATUNG.

Akteureinstellungen: grundlegende Basis von Schul- und Unterrichtsentwicklung

Koproduktion bei Demenz

Wie Wissen entsteht. Versus Zürich. Jacqueline Holzer Jean-Paul Thommen Patricia Wolf

Buddhismus und westliche Philosophie im Dialog

Social Media, Partizipation, Nachhaltige Entwicklung. Daniel Schulz Entscheidungen mit Umweltfolgen zwischen Freiheit und Zwang

Politische Mediation. Ein Überblick

Empowerment. und Mediation. Umgang mit Macht in der Mediation. Sophie Thomas BA (SoWi) Studentin der Empowermentstudies MA an der FH Düsseldorf

SCHULPRAKTISCHE STUDIEN C O A C H I N G

Annette Kirschenbauer. Hochqualifiziert, jung, flexibel und männlich? Eine genderorientierte Analyse des Berufsfeldes IT-Consulting

Führung durch Motivation

Transformatives Führen

Informationsveranstaltung. Grundlagen der Psychologie für Nichtpsychologen. B.Sc. Sinja Hondong

B.A. Sozialwissenschaften. Reiseführer durch das Pflichtmodul 5: Methoden der empirischen Sozialforschung

Wissensbasierte Visionsentwicklung in Unternehmen und Systemen

Lektion 1 Nicht nur Dichter sind kreativ

Neurosystemisches Coaching

Der empirische Ansatz der Demenzpflege

Weiterbildung Volksschule. Vortragswerkstatt. Schule mehr als Kompetenzvermittlung. weiterbilden.

International werden Ärzte und Forscher immer mehr darauf aufmerksam, dass viele Menschen mit Fragilem-X-Syndrom auch Symptome von Autismus

Das Verlusttrauma und seine Folgen

Dossier: Funktionales Übersetzen

Inklusion erfordert Kooperation. Ernst Berger

Schon als Tier hat der Mensch Sprache.

20 Internationale Unternehmenskulturen und Interkulturalität

GRUNDBEGRIFFE DER SOZIOLOGIE. Markus Paulus. Radboud University Nijmegen DIPL.-PSYCH. (UNIV.), M.A.

Unternehmenskulturanalyse. Corporate Culture Due Diligence

Implizites Lernen. Hauptseminar Pädagogische Psychologie: Einführung in die Lernpsychologie (Dr(

Fragestellungen und Disziplinen der SE

Was Kindern gut tut! Erlebnisorientierte Entspannung. Sonja Quante (Diplom Pädagogin):

"Ihr könnt es Euch nicht vorstellen, weil Ihr es selbst nicht erlebt habt

Professionelles Handeln im Kontext Migration Herausforderungen für Aus- und Weiterbildung

1. Einführung: Zum allgemeinen Verhältnis von Medizin und Selbsttötung

Prof. Dr. Bernhard Nauck

Geplanter Wandel in Unternehmen als Herausforderung für das Personalmanagement

Uhr. Online-Betreuung. Wie betreut und moderiert man einen Online-Kurs? Webinar. Stephan Clemenz. Dr.

Zwischen Wert und Werten: Wie hilft die wertorientierte Unternehmensführung?

Berufliche Orientierung im Konzept der Lebensspanne

Bewegung als Schutz vor Burnout und Depression

Sinus Studie über Migranten Milieus in Deutschland 2008

Lernhürden und Lösungen in interkulturellen Trainings Gesprächsarbeit als Trainingsmethodik Dr. Kirsten Nazarkiewicz


Das Mitarbeitergespräch in der Personalentwicklung

Übertragung und Gegenübertragung im systemischen Rahmen

Sensitive Empowerment Coaching Ausbildung

Hans-Ulrich Derlien Doris Böhme Markus Heindl. Bürokratietheorie. Einführung in einejheorie der Verwaltung VS VERLAG

Ruth Hinderling. Klassische Homöopathie. Astrologische Beratung

PUBLICATIONS DR. KRISTINA ENGELHARD

SELBSTREFLEXION. Selbstreflexion

Transkript:

Habitus und Ariane Basler und Andrea Jaberg

Ablauf Habitustheorie im Allgemeinen Entwicklung des Begriffs Habitus Was ist unter Habitus zu verstehen? Wie entsteht der Habitus? Worin zeigt sich der Habitus? Interaktion von und Habitus Welche Bedeutung hat die Habitustheorie für die Soziologie? Diskussion

Habitustheorie im Allgemeinen Habitustheorie als Folge empirischer Untersuchungen Habitustheorie = Theorie des Erzeugungsmodus der Praxisformen; wie kommt soziale Praxis zustande? Vermittlung zwischen Objektivismus und Subjektivismus praxeologische Erkenntnisweise Objektivismus - mechanistische Auffassung: Handeln = Folge äusserer Ursachen mechanischer Determinismus Subjektivismus - finalistische Auffassung: Akteure handeln frei, bewusst und mit vollem Verständnis intellektueller Determinismus

Entwicklung des Begriffs Habitus Antike: Hexis Hexis = Haltung = relativ dauerhafte Eigenschaften Mittelalter: Hexis zu Habitus (lat.) Habitus = etwas Gehabtes, Gewohnheit, Disposition Neuzeit: Habitus = Grundlage für Regelmässigkeit, mit welcher menschliches Handeln stattfindet (David Hume) Hochkonjunktur im 20. Jhdt. Weber, Schütz, Elias, Goffman, Panofsky u.a.m.

Elias: Habitus = unbewusste Selbstkontrolle Bourdieu bezieht sich auf Panofsky und Goffman Panofsky: Habitus = Verbindungsglied der künstlerischen Ausdrucksformen zu ihrem sozialen und historischen Kontext Goffman: Habitus zeigt sich in den Strategien, die gewählt werden bzw. den Rollen, die eingenommen werden

Was ist unter Habitus zu verstehen? Der Habitus ist ein System von Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsschemata, über welches jeder Akteur verfügt und welches auf vergangenen Erfahrungen beruht etwas Erworbenes, ein Haben, ein Kapital, eine gleichsam haltungsmässige Disposition eines aktiv handelnden Akteurs ein dynamisches System nicht angeboren, sondern beruht auf Erfahrungen

Drei analytische Aspekte des Habitus (Schwingel) 1. Wahrnehmungsschemata: strukturiert die Wahrnehmung des Alltags 2. Denkschemata: Alltagstheorien, Klassifikationsmuster, Normen, Beurteilungen, Geschmack 3. Handlungsschemata: Hervorbringung von Praktiken Habitus ist der praktische Sinn. Er konstruiert die Welt und ist im Körper einverleibt.

Utilitarismus versus inkorporiertes Handeln Wem die Strukturen der Welt einverleibt sind, der ist hier unmittelbar, spontan zu Hause und schafft, was zu schaffen ist, ohne überhaupt nachdenken zu müssen, was und wie; er bringt Handlungsprogramme hervor, die sich als situationsgemäss und dringlich objektiv abzeichnen und an denen sein Handeln sich ausrichtet, ohne dass sie durch und für das Bewusstsein oder den Willen klar zu expliziten Normen oder Verboten erhoben worden wären (Bourdieu 2001; 183).

Habitus = implizites Einverständnis zwischen allen Akteuren, die das Produkt ähnlicher Bedingungen sind Homogenität der Habitusformen führt zu gegenseitigem Verständnis Verständnis benötigt einen gemeinsamen Code

Wie entsteht der Habitus? Habitus = Produkt der Geschichte und Erziehung Primärerfahrung von Zwängen Habitualisierung Habitus sedimentiert Handlungsweisen, die positive Sanktionen erfahren haben Habitualisierung vollzieht sich ohne pädagogischen Apparat durch die Praxis (Nachahmung von Handlungen) Habitus wird durch die Gesellschaft geformt, nicht der Akteur Sozialisierung Habitualisierung

Position im sozialen Raum formt den Habitus modus operandi Art und Weise der Praxisausführungen Beispiel: Kleinbürgertum Habitus als System von Grenzen

Worin zeigt sich der Habitus? Individuelle und kollektive Praktiken Produkt Spiel-Sinn Bsp. Fussballspieler Die Zukunft liegt im inkorporierten Habitus Als einverleibte, zur Natur gewordene und damit als solche vergessene Geschichte ist der Habitus wirkende Präsenz der gesamten Vergangenheit, die ihn erzeugt hat. Deswegen macht gerade er die Praktiken relativ unabhängig von den äusseren Determiniertheiten der unmittelbaren Gegenwart (Bourdieu 1993: 105). Reizwahrnehmung und Reaktion

Überblick Habitus Lebensbedingungen (als strukturierende Struktur) Habitus als strukturierende Struktur System der Erzeugungsschemata von klassifizierbaren Praktiken System der Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata (Geschmack) Klassifizierbare Praktiken Lebensstil als System von klassifizierten und klassifizierenden Praktiken (Geschmacksrichtungen) Quelle: In Anlehnung an Bourdieu 1987

Gesamtgesellschaftlich betrachtet ist soziales Handeln uneinheitlich Gesellschaft unterteilt sich in relativ unabhängige er (Spiel-Räume) verfügt über eine eigene Logik eigene Spielregeln eigenes Ziel eigene Einsätze Akteure und ihr Habitus und Kapital sind Bestandteil des es

Akteure stehen in einem Kräfteverhältnis zueinander definiert durch Struktur der Machtverteilung Kurz: theorie = Konzeptualisierung des Dingcharakters gesellschaftlicher Verhältnisse

Interaktion von und Habitus Habitus gegenseitige Beeinflussung Strukturen (Spielregeln) des es begrenzen Handlungsmöglichkeiten des Akteurs existiert seinerseits nur aufgrund der Ausführung von individuellen und kollektiven Praktiken. Habitus Gesellschaftliche Strukturen Tendenz des Habitus, die objektiven Bedingungen, deren Produkt er selbst ist, zu reproduzieren

Politik Milieu Wirtschaft Habitus Bildung Religion Kunst

Politik Milieu Habitus Wirtschaft Politik Habitus Bildung Wirtschaft Bildung Religion Kunst Religion Kunst

Politik Habitus Wirtschaft Bildung Religion Kunst

Wirtschaft Politik Habitus Bildung Bildung Habitus Religion Kunst

Welche Bedeutung hat die Habitustheorie für die Soziologie? Ziel der Soziologie sollte sein: a) Analyse der Strukturen innerhalb eines es b) Analyse der gesellschaftlichen Praxisformen Dadurch wird ersichtlich, was an Individuen in ihrer Eigenschaft als soziale Akteure soziologisch relevant ist!

Diskussion Welches sind die Bedingungen, dass die Habitusübernahme von den Eltern gelingt? Kann der Habitus überhaupt vererbt werden? Gibt es Situationen, die mit dem Habitus nicht bewältigt werden können? Was hat das für Folgen? Wie stark kann sich ein Habitus im Leben verändern? Ist es möglich von einem Habitus der untersten Klasse in einen Habitus der herrschenden Klasse zu wechseln (vgl. Grenzen des Habitus)? Können - in Bezug auf die vorhergehende Frage - Interessen angeeignet werden? Kann eine Person durch eine andere in neue Interessen eingeführt und so eine Veränderung des Habitus bewirkt werden? Suchen Individuen Partner, die einen ähnlichen Habitus aufweisen?

Literatur Eva Barlösius, 2006: Pierre Bourdieu. Frankfurt: Campus. Pierre Bourdieu, 1985: Ist interessefreies Handeln möglich? In: Pierre Bourdieu: Praktische Vernunft. Frankfurt: Suhrkamp. Pierre Bourdieu, 1987: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt: Suhrkamp. Pierre Bourdieu, 1993: Sozialer Sinn (Strukturen, Habitusformen, Praktiken). Frankfurt: Suhrkamp. Pierre Bourdieu, 1997: Zur Genese der Begriffe Habitus und, in: Pierre Bourdieu: Der Tote packt den Lebenden. Hamburg. Pierre Bourdieu, 2001: Habitus und Einverleibung. In: Pierre Bourdieu: Meditationen. Frankfurt: Suhrkamp. Markus Schwingel, 2009: Pierre Bourdieu zur Einführung. Hamburg: Junius. Gerhard Fröhlich et al. (hrsg), 2009: Bourdieu-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung. Stuttgart : Metzler.