Erasmus-Erfahrungsbericht WiSe 2014/15 Bahçeşehir University Istanbul BA Kommunikations- und Medienwissenschaften / Kulturwissenschaften im 5. Fachsemester 1. Vorbereitung Bereits vor Beginn meines Studiums habe ich als Freiwilligendienstleistender ein Jahr im europäischen Ausland verbracht und dort großartige Erfahrungen gemacht. In dem Bewusstsein dass die Teilnahme am Erasmusprogramm eine weitere Chance für einen solchen Aufenthalt bedeutet, war für mich die Entscheidung im Ausland zu studieren schnell gefällt. Während sich einige andere Studierende bereits im dritten Semester auf den Weg gemacht haben, erschien mir der Beginn meines dritten Studienjahrs als geeigneter Zeitpunkt. Das liegt vor allem daran, dass sich die Wahlmöglichkeiten gegen Ende des Bachelors erweitern und statt Pflichtveranstaltungen vermehrt eigene Forschungsinteressen in den Fokus gerückt werden können. Diese Wahlfreiheit wollte ich mir im Hinblick auf das Angebot an der ausländischen Uni auf jeden Fall bewahren. Um den Entscheidungsprozess zu erleichtern habe ich mich bereits ein Jahr vorher über mögliche Partnerunis informiert. Nach einem Blick auf die Liste war mir sofort klar, dass ich in die Türkei gehen möchte. Allem voran stand hier der Wunsch, Westeuropa zumindest ein Stückweit zu verlassen und das Leben in einer der größten Städte der Welt kennenzulernen. Um mich meiner Entscheidung zu vergewissern und gleichzeitig meine Chancen auf einen positiven Bewerbungsverlauf zu erhöhen, habe ich zeitgleich einen Türkischsprachkurs im Fremdsprachenzentrum der Uni Bremen belegt. Hier stand für mich der Spaß am Entdecken einer neuen Sprache aber auch der Austausch mit anderen zukünftigen Erasmusstudierenden im Vordergrund. Über die nötigen Formalitäten habe ich mich dann im Laufe des Semesters informiert und alle nötigen Dokumente zusammengetragen. Besondere Probleme gab es dabei nicht, da im Zweifelsfall alle Fragen mit den zuständigen Personen geklärt werden können. Als Hilfreich haben sich auch die Erfahrungsberichte von anderen Studierenden herausgestellt, deren meist positive Erlebnisse nicht nur Lust auf den Aufenthalt gemacht haben, sondern auch immer wieder kleinere praktische Fragen rund um Wohnen, Geld und Freizeit beantwortet haben. Gleichzeitig habe ich schon vor der Zusage durch die Universität einen Antrag auf Auslands BAföG gestellt, den man überraschenderweise beim Studentenwerk der Uni Bremen
sondern bei der zuständigen Uni Tübingen stellt. Mein Geld wurde dann zum Glück passend zu Semesterbeginn ausgezahlt. Des Weiteren habe ich mich noch für eine private Auslandsversicherung bei der HanseMerkur entschieden, die mit 1 pro Tag jegliche Kosten und einige Extras wie Rücktransport nach Deutschland übernimmt. 2. Formalitäten Während vorherige Erasmusstudierende das Visum für die Türkei bereits in Deutschland beantragen sollten, gab es für unsere Kohorte einige Neuerungen. Diese haben den Prozess für mich und einige andere leider etwas umständlicher gemacht. Erst nach einigen Besuchen im türkischen Konsulat in Hannover stellte sich heraus dass ein Visum nach der neuen Regelung direkt in Istanbul beantragt werden muss. Aus diesem Grund konnte ich zunächst bequem mit meinem Reisepass in die Türkei einreisen. In meiner Orientierungswoche wurde dann zusammen mit unseren Erasmus- Buddys ein Onlinetermin bei der Polizei für die Beantragung des Visums vereinbart. Der Prozess ist, sofern das Onlinesystem der Polizei nicht streikt, relativ unkompliziert. Allerdings sahen die Gesetzesänderungen auch neue Regelungen für die Krankenversicherung vor, welche man für die Beantragung eines Visums benötigt. Hier war die Verwirrung groß, da von Seiten der Uni nur selten klar kommuniziert werden konnte, was länderabhängig für eine Versicherung benötigt wird. Als Mitglied einer deutschen Krankenkasse stellt sich der Prozess jedoch einfach dar: mit einem sogenannten T11 Formular fährt man zu dem Büro einer türkischen Versicherung und lässt sich dort eine Bescheinigung geben, dass die deutsche Versicherung anerkannt wird. Auch wenn in diesem Fall die Kommunikation von Seiten der Uni häufig nicht so gut organisiert war, muss ich vor allem das Engagement meines Buddys hervorheben. Trotz der langen Fahrtzeiten und des hohen bürokratischen Aufwands hat sie uns bei allen Fragen zur Seite gestanden und auch den etwas müßigen Gang zur Polizeistation mehr als nur einmal angetreten. Überhaupt war es eine super Möglichkeit, im Zweifelsfall immer noch einen Rat bei jemandem erfahrenen einholen zu können. 3. Unterkunft Die Suche nach einer passenden Unterkunft habe ich aus Neugierde für das Angebot und die Preise für Wohnungen circa eine Woche vor meiner Abreise über das Internet begonnen.
Für Erasmusstudierende hat sich Craigslist als schwarzes Brett für Wohnungsanzeigen etabliert, allerdings sind auch entsprechende Facebookgruppen beliebt. Dort habe ich meine eigenen Gesuche gepostet und darauf viele Nachichrichten und sogar Freundesanfragen bekommen, was mich im Vergleich zu der Wohnungssuche in Deutschland etwas verwundert hat. So konnte ich schon mal ein Gefühl für Preise und beliebte Stadtteile bekommen. Angesichts des großen Angebots war dann klar, dass ich mir meine Wohnung selbst vor Ort suchen und anschauen kann. Um in Ruhe entscheiden zu können, habe ich die ersten paar Tage bei einer Bekannten in direkter Nähe zum Taksimplatz verbracht. So konnte ich mir auch durch die gute Verkehrsanbindung selbst ein Bild von den einzelnen Wohnungen und Stadtteilen machen. Freunde von mir haben es ähnlich gehandhabt und sind zunächst in den sehr günstigen Hostels oder Airbnb-Wohnungen untergekommen. In diesem Fall kann sicherlich auch ein Aufenthalt über Couchsurfing interessant sein. Bereits am zweiten Tag habe ich dann über Craigslist eine passende Wohnung gefunden die ich bereits zum Ende der Woche beziehen konnte. Hier zeigt sich die Dynamik der Wohnungssuche in Istanbul: Verträge gibt es selten und Zimmer werden auch für kürzere Zeiträume vermietet. Für diesen Zweck lohnt sich erneut ein Blick auf Airbnb, da dort auch bezahlbare Wohnungen für mehrere Monate zu finden sind. Entschieden habe ich mich am Ende für ein 8 qm Zimmer im historischen Stadtteil Galata. Die Wohnung hat inklusive aller Nebenkosten 750TL gekostet, im Winter kamen noch einmal 50TL extra gegen die Kälte hinzu. Die meiste Zeit hatte ich jeweils zwei Mitbewohnerinnen und Mitbewohner die alle in der Türkei aufgewachsen sind. Darunter waren auch zwei Studierende, wobei die noch einem Nebenjob nachgegangen sind. Das WG Leben war wie erwartet sehr entspannt und konfliktfrei, allerdings hätte ich manchmal gerne mehr Zeit mit meinen MitbewohnerInnen verbracht, die ich nach ihrer Arbeit häufig erst spät abends oder am Wochenende gesehen habe. Neben gemeinsamen Kochabenden haben wir aber auch die eine oder andere Kneipe besucht und uns gegenseitig zu anderen Veranstaltungen mitgenommen. Als großer Vorteil hat sich die Nähe zum Mediencampus der Bahcesehir University herausgestellt. Während der Hauptcampus in Besiktas je nach Tageszeit in 20 bis 40 Minuten erreichbar ist, war ich in 5 Minuten an meinem Campus, der sich im angrenzenden Stadtteil Karaköy befindet. Beide Stadtteile befinden sich in einer mehr oder weniger heißen Gentrifizierungsphase, sodass eine Aufwertung und damit auch Steigerung der Mieten schon zu vernehmen ist.
Auf der anderen Seite war meine Wohnung in direkter Nähe zum Einkaufs-, Kultur- und Ausgehviertel Beyoglu. Die große Istiklal Caddesi zieht sich von Galata bis zum berühmten Taksimplatz. Dadurch habe ich es genoßen auch ganz spontan noch rauszugehen und später zu Fuß wieder nach Hause kommen zu können. Supermärkte, gemütliche Cafés, preiswerte Restaurants und Bars geben sich hier (noch) die Klinke in die Hand, was ich wirklich geschätzt habe. Um dieses Angebot voll nutzen zu können, war für mich eine Wohnung auf der europäischen Seite Istanbuls immer sehr attraktiv. Hier lassen sich jedoch auch die Quartiere Besiktas und in Teilen auch Tarlabasi empfehlen. Erster ist mit vielen attraktiven Wohnungen, Restaurants und Bars wie für Studenten gemacht und beherbergt auch den Hauptcampus der Bahcesehir Unviersity. Die Mieten sind jedoch nicht unbedingt günstiger als in Beyoglu. Preiswerter kann eine Wohnung in Tarlabasi werden, ein Stadtteil der seit jeher von sozialer wie ethnischer Diversität geprägt ist und ebenfalls einer großen Umstrukturierung ausgesetzt ist. Insgesamt lohnt es sich in meinen Augen in eine gute Lage der Wohnung zu investieren, weil so wertvolle Lebenszeit im berüchtigten Istanbuler Stau oder in überfüllten U-Bahnen vermieden werden kann. Das zahlreiche Angebot an Bussen und Minibussen wie auch Sammeltaxen (Dolmus) ist gerade im Zentrum um Taksim herum sehr gut weshalb man schnell andere Stadtteile erreichen kann. 4. Die akademische Seite Die Bahcesehir University ist eine der zahlreichen Privatunis in Istanbul und mit seinen ca. 15,000 Studenten vielen Istanbulern ein Begriff. Wie bereits erwähnt befindet sich der Hauptcampus in Besiktas, inklusive einer wirklich wunderschönen Aussicht direkt am Bosporus. Abgesehen von einigen Einführungskurse und kleineren Erledigungen war ich dort jedoch selten, weshalb ich näher auf den Campus und den Unterricht am Mediencampus Galata eingehen werde. Hier habe ich fünf Kurse belegt um insgesamt 30CP zu erreichen. In der Türkei fällt die Durchschnittslänge eines Seminars mit 2 3 Stunden länger aus als in Deutschland, was mir aber häufig gefallen hat. Gerade im Medienbereich können so Filme am Stück geschaut werden und Themen länger bearbeitet werden. Da ich quasi das ganze Semester über einen privaten Sprachkurs bei der empfehlenswerten Schule Dilmer besucht habe (3x3 Stunden in der Woche) war der Workload in der Uni nicht zu unterschätzen.
Was den Lehrstil angeht, finde ich dass der Unterricht mehr auf den Dozenten zentriert ist als in Deutschland, wenngleich Präsentationen als Einzelperson oder in der Gruppe sehr übliche Prüfungsleistungen sind. Dass ich mir aber in Seminare häufiger mehr wie in einer klassischen Vorlesung vorkam, lag gefühlt oft an der fehlenden Diskussionsbereitschaft der Studierenden. Ein Grund kann die Sprachbarriere sein: auch wenn die Uni offiziell auf Englisch lehrt, fällt es einem merklichen Anteil türkischer Studenten schwer sich zu beteiligen, sei es weil sie sich nicht trauen oder weil sie sich nicht ausdrücken können. In Ausnahmefällen haben selbst die Dozenten den Erasmusstudenten gegenüber kommuniziert, in andere Seminare zu wechseln, da sie ihre Veranstaltung lieber auf Türkisch unterrichten wollten. Für mich hat sich so schnell herausgestellt, dass ich meinen Fokus lieber auf praxisorientierte und damit weniger sprachzentrierte Angebote setze. Das fiel mir leicht, weil es einige Kurse zu Fotografie und Film zu belegen gab. Ein großes Lob geht an dieser Stelle an meine Dozenten, die oft durch eine eigene Ausbildung im Ausland fließend Englisch sprechen konnten und sich auch engagiert um ihre (ausländischen) Studierenden gekümmert haben. Diese Form der engen Betreuung hat mir im Kontrast zum manchmal etwas anonymen Studium in Deutschland sehr gut gefallen. Als Unterschied lässt sich ebenfalls die Durchführung von Mid-Term Exams festhalten, da so alle Prüfungsleistungen mehr oder weniger gleichmäßig über das Semester verteilt werden. Insbesondere meine schriftlichen Prüfungen haben mir jedoch keine Probleme bereitet. So blieb mir mehr Zeit mich mit den meinen eigenen, praktisch orientierten Projekten zu beschäftigen. Zwischen den Seminaren habe ich viele nette und interessante Bekanntschaften machen können. Durch die Präsenz von vielen ausländischen Studierenden habe ich mich eigentlich immer als regulärer Teil des Lehrbetriebs gefühlt. Über die Anerkennung der Studienleistungen kann ich zu diesem Zeitpunkt noch nichts sagen. Seitens meiner Betreuerin wurde mir aber mitgeteilt, dass es keine Probleme geben sollte, weil sich letztendlich alle meine Seminare im Bereich der Kommunikations- und Medienwissenschaften bewegt haben.
5. Fazit Es fällt schwer Istanbul und die Erfahrungen die man machen kann in wenigen Worten zusammenzufassen. Das ist ganz klar der schieren Größe der Stadt wie auch den Unmengen an absolut verschiedenen Menschen zu verdanken. Für mich hat es aber gerade den Reiz ausgemacht, sich dem Chaos hinzugeben und Stück für Stück herauszufinden wie man den Alltag in der Stadt meistern kann. Für mich stand am Ende der Wunsch selbst ein kleiner Teil des Alltags zu werden. Dann rennt man waghalsig zwischen den Autos her, holt sich schnell noch einen Sesamkringel beim Straßenverkäufer, schaut den Fischern auf der Galatabrücke zu, folgt oder ignoriert die unzähligen Angebote der Restaurant- und Ladenbesitzern, stolpert über die Bauarbeiter an allen Ecken oder geht mit einem Kloß im Hals an bettelnden Familien vorbei. Fließend wechselt man dabei zwischen der sich entwickelnden Alltagsroutine und der Möglichkeit genau wie die unzähligen Touristen staunend durch die Straßen zu laufen. Letztendlich habe ich mich durch die Stadt immer dazu aufgefordert gefühlt, offen für das Neue und Unerwartete zu bleiben. Istanbul ist das Zuhause von Menschen aus allen Ecken der Welt, die man im Zuge neuer Bekanntschaften ebenfalls kennenlernen kann. Die Faszination für diesen Austausch hat mich bis zum Ende nicht losgelassen und würde meine Entscheidung jedes Mal wieder auf Istanbul fallen lassen.