NEWSBOX Wirtschafts- und Steuerrecht Ausgabe 084, Datum

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Transkript:

Ausschlussfristen müssen Mindestlohn ausnehmen Verfasser Prof. Dr. Tim Jesgarzewski FOM Hochschule für Oekonomie & Management Bremen KCW KompetenzCentrum für Wirtschaftsrecht Hamburg Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte Lange Str. 3, 27711 Osterholz-Scharmbeck Tel. 04791 96590-10 Fax 04791 96590-11 tim.jesgarzewski@drjesgarzewski.de Klassifizierung Rechtsprechung Arbeitsrecht Stichworte Arbeitsrecht Mindestlohn Ausschlussfristen AGB-Kontrolle Abstrakt Eine vom Arbeitgeber als Allgemeine Geschäftsbedingung gestellte arbeitsvertragliche Ausschlussfristenregelung, die auch den Anspruch auf das Mindestentgelt nach 2 der am 1. August 2010 in Kraft getretenen Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (PflegeArbbV) erfasst, verstößt im Anwendungsbereich dieser Verordnung gegen 9 Satz 3 in Verbindung mit 13 AentG (Arbeitnehmer-Entsendegesetz). 084/2017 Ausschlussfristen müssen Mindestlohn ausnehmen Seite 1

I. Sachverhalt Zahlreiche Arbeitsverträge enthalten Verfallklauseln. Darin sind Ausschlussfristen geregelt, die wechselseitige Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis an bestimmte Fristen knüpfen. Wird eine solche Frist versäumt, ist der gegenständliche Anspruch verfallen. Eine solche Klausel ist in der Praxis etwa wie folgt formuliert: Beide Vertragsparteien können Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nur schriftlich innerhalb einer Ausschlussfrist von 3 Monaten ab Fälligkeit geltend machen. Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Frist geltend gemacht werden, sind ausgeschlossen, es sei denn, dass der Anspruchsberechtigte trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, diese Frist einzuhalten. Lehnt die andere Vertragspartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von 2 Wochen nach Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von 3 Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird. Damit wird in der Vertragspraxis das Ziel der Rechtssicherheit verfolgt. Beide Seiten wollen sicher gehen, dass der jeweilige Vertragspartner nicht nach sehr langer Zeit noch Ansprüche geltend macht. Tatsächlich wendet sich der Inhalt der Ausschlussfristen in den allermeisten gegen den Arbeitnehmer. Dieser unterlässt es im laufenden Arbeitsverhältnis, seine Ansprüche fristgemäß geltend zu machen, um das Arbeitsverhältnis nicht zu belasten. Tritt eine Störung im Arbeitsverhältnis ein oder wird dieses beendet, gibt der Arbeitnehmer jedoch vielfach seine zuvor geübte Zurückhaltung auf und beruft sich auf seine Ansprüche. Zu diesem Zeitpunkt kann oftmals bereits eine Verfristung eingetreten sein. Fraglich ist deshalb, ob bzw. wie Verfallklauseln überhaupt wirksam vereinbart werden können. 084/2017 Ausschlussfristen müssen Mindestlohn ausnehmen Seite 2

II. Sachstand Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung ist das Einhalten einer Mindestfrist von drei Monaten für die außergerichtliche und anschließend gerichtliche Geltendmachung höchstrichterlich für hinreichend erachtet worden war (siehe grundlegend BAG, 25.05.2005-5 AZR 572/04). Auf diese Vorgaben hatte die Vertragspraxis sich bereits eingestellt. Durch das Inkrafttreten der mindestlohnrechtlichen Regelungen zum 01.01.2015 kommt jedoch ein zusätzlicher Gesichtspunkt in die Bewertung der Wirksamkeit solcher Klauseln. Der Gesetzgeber hat nicht nur einen Mindestlohn flächendeckend normiert, sondern auch der Gestaltung der Arbeitsvertragsparteien vollständig entzogen. Mit anderen Worten: Der Mindestlohn gilt absolut und ist nach 3 MiLoG (Mindestlohngesetz) auch unverzichtbar. Das gleiche gilt nach 9 AentG für die dort gegenständlichen (tariflichen) Mindestlohnansprüche, wonach Ausschlussfristen ausschließlich tarifvertraglich vereinbart werden dürfen. Arbeitsvertragliche Ausschlussfristen unterliegen der Kontrolle der 305ff. BGB, soweit sie nicht bereits gegen ein gesetzliches Verbot nach 134 BGB verstoßen. Letzteres dürfte nach 3 S. 1 MiLoG bereits der Fall sein, da der Mindestlohn als absolut, zwingend und unabdingbar ausgestaltet ist Fraglich ist aber die Rechtsfolge. Die Verfallklausel könnte vollständig und ersatzlos wegfallen oder nur hinsichtlich der Mindestlohnansprüche unanwendbar sein. Insoweit ist auf die Maßstäbe der AGB- Kontrolle abzustellen und insbesondere nach 307 I S. 2 BGB zu prüfen, ob die Klausel klar und verständlich ist. Läge ein Verstoß gegen das Transparenzgebot vor, wäre die Rechtsfolge grundsätzlich die Unwirksamkeit der Klausel im Ganzen. Dies würde folglich nicht nur Ansprüche auf den Mindestlohn, sondern auch alle anderen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis betreffen. Die Verfallklausel würde dann ersatzlos wegfallen. 084/2017 Ausschlussfristen müssen Mindestlohn ausnehmen Seite 3

III. Aktuelle Entscheidung Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil v. 24.08.2016 5 AZR 703/15) hatte vor diesem Hintergrund über den folgenden Sachverhalt zu entscheiden: Der Kläger war bei dem Beklagten als Pflegekraft beschäftigt. Er begehrt von dem Beklagten die Zahlung von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aus dem inzwischen beendeten Arbeitsverhältnis. Der Arbeitsvertrag enthielt als Allgemeine Geschäftsbedingung eine zweistufige Verfallklausel. Nach deren Inhalt verfallen alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden. Bei Ablehnung oder Nichtäußerung der Gegenpartei binnen zwei Wochen nach der Geltendmachung sollte darüber hinaus dann der Verfall eintreten, wenn der Anspruch nicht innerhalb von drei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird. Die Klägerin war im laufenden Arbeitsverhältnis für einen bestimmten Zeitraum arbeitsunfähig krankgeschrieben. Der Beklagte hat die vorgelegte ärztliche Bescheinigung angezweifelt und die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall abgelehnt. Mehr als drei Monate nach der Ablehnung durch den Beklagten hat die Klägerin daraufhin die Zahlung von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gerichtlich geltend gemacht. Der Beklagte hat die Zahlung unter Berufung auf die arbeitsvertragliche Ausschlussklausel abgelehnt. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben (LAG Niedersachen, Urteil vom 17. September 2015 6 Sa 1328/14). Das Bundesarbeitsgericht hat die Ausschlussklausel für unwirksam erklärt und folgerichtig das Berufungsurteil bestätigt. Der fünfte Senat hat in der Klausel sowohl einen Verstoß gegen 9 Satz 3 AentG, als auch gegen das Transparenzgebot des 307 I S. 2 BGB erkannt. In Ermangelung einer wirksam vereinbarten Ausschlussklausel habe die Klägerin für den durch die Arbeitsunfähigkeit bedingten Arbeitsausfall nach 3 Abs. 1 EFZG (Entgeltfortzahlungsgesetz) den begehrten Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. 084/2017 Ausschlussfristen müssen Mindestlohn ausnehmen Seite 4

Die nach Inkrafttreten der PflegeArbbV in 2010 vom Beklagten gestellte Klausel verstoße zunächst gegen 9 Satz 3 AEntG, so dass der Anspruch auf das Mindestentgelt nach 2 PflegeArbbV nicht wegen Versäumung der vertraglichen Ausschlussfrist erlischt. Dies folge aus der Unverzichtbarkeit auf den Anspruch auf das Mindestentgelt. Soweit der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall dem Mindestentgelt entspreche, sei dieser folglich genauso unverzichtbar wie der Mindestentgeltanspruch selbst. Für darüber hinaus gehende Ansprüche könne die Klausel gleichfalls nicht aufrechterhalten werden, weil sie gegen das Transparenzgebot des 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verstoße IV. Fazit/Ausblick (Beurteilung und Auswirkungen auf die Praxis) Die Problematik der wirksamen Vereinbarung einer Ausschlussklausel beschäftigt die Gestaltungspraxis fortlaufend. Das vorliegende Urteil bringt nicht nur einen zusätzlichen Aspekt ins Spiel, sondern stellt die Vertragspraxis vor erhebliche Probleme. Die Entscheidung ist über den gegenständlichen Pflegebereich hinaus von hoher Praxisrelevanz. Zwar wird in der Inhaltskontrolle vorliegend auf die Kontrolle von vertraglichen Ausschlussklauseln im Anwendungsbereich der PflegeArbbV abgestellt, die eine spezialgesetzliche Mindestlohnregelung enthält. Die Rechtswirkung des Urteils dürfte jedoch auch alle sonstigen vertraglichen Ausschlussklauseln betreffen, deren Arbeitsverhältnisse im Geltungsbereich des allgemeinen Mindestlohnes nach 1 MiLoG liegen. Der gesetzliche Regelungsgehalt zum tariflichen Mindestentgelt in der Pflege ist mit den allgemeinen Regeln des MiLoG vergleichbar, so dass sich eine Übertragung der Entscheidungsgründe auf den Bereich des MiLoG geradezu aufdrängt. Eine Kurzanalyse des Urteils führt daher zu gravierenden Auswirkungen auf die Betriebspraxis. Das BAG erklärt die gegenständliche zweistufige Ausschlussklausel für insgesamt unwirksam. Die Unwirksamkeit sei umfassend und würde folglich sowohl Ansprüche auf Mindestentgelte, als auch alle darüber hinausgehenden Ansprüche betreffen. 084/2017 Ausschlussfristen müssen Mindestlohn ausnehmen Seite 5

Damit setzt das BAG die mindestlohnrechtlichen Bestimmungen im Hinblick auf die Anforderungen an vertragliche Ausschlussklauseln um. Danach sind Verfallklauseln dann unwirksam, wenn sie auch Ansprüche auf den Mindestlohn umfassen. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der auf den Mindestlohn entsprechenden (Teil-)Vergütung, sondern absolut. Umfassende Verfallklauseln verstoßen jedenfalls gegen 307 I S. 2 BGB, da ihr Regelungsgehalt nicht klar und verständlich ist. In Ermangelung einer ausdrücklichen Herausnahme unverzichtbarer Ansprüche aus dem Klauselinhalt kann nicht hinreichend transparent erkannt werden, welche Rechtsfolgen die gegenständliche Ausschlussklausel nach sich zieht. Die Entscheidung kann daher auch nicht überraschen. Sie fußt direkt auf der gesetzgeberischen Wertung des MiLoG und der weiteren Mindestlohnregelungen, die den Anspruch auf Mindestlohn für unverzichtbar erklären. Ein ebensolcher Verzicht läge aber in einer Verfallklausel, der eine entsprechende Individualvereinbarung zugrunde liegen würde. Für die Gestaltungspraxis bedeutet dies, dass Verfallklauseln Ansprüche auf Mindestlohn ausdrücklich ausnehmen müssen. Hierzu gibt es bereits seit einiger Zeit eine entsprechende Diskussion in der Literatur, die auch zu zahlreichen Formulierungsvorschlägen geführt hat. Diese Formulierungsvorschläge sind nunmehr schnellstmöglich umzusetzen, soweit dies noch nicht geschehen ist. Die gestalterische Schwierigkeit dürfte jedoch weniger im Abschluss neuer Arbeitsverträge, als in der Frage der Bewältigung der insoweit unwirksamen Bestandsverträge liegen. Für neue Verträge können die vorgenannten Anforderungen problemlos umgesetzt werden. Die Musterlösung für bereits bestehende Arbeitsverträge fehlt selbstredend wie in allen anderen Fällen unwirksamer Klauseln. Der einzelne Arbeitgeber und dessen Rechtsberater werden sorgfältig abwägen müssen, ob die Neufassung bestehender Klauseln oder Verträge zielführend ist oder nicht. Die praktische Frage der Durchsetzbarkeit von Vertragsänderungswünschen dürfte dabei ein entscheidendes Moment sein. Soweit in der Praxis versucht werden sollte, aus den hier gegenständlichen Urteilsgründen eine Art Bestandsschutz für Klauseln abzuleiten, die vor 2010 (PflegeArbbV) oder 2015 (MiLoG) vereinbart wurden, dürfte dies nicht erfolgreich sein. Zwar urteilt das BAG vorliegend ausdrücklich für eine Verwendung der Ausschlussklausel nach 2010, aber ein AGB-rechtlicher Bestandsschutz ist den 305ff. BGB grundsätzlich genauso fremd wie eine geltungserhaltende Reduktion. Eine AGB-rechtlich zu prüfende Klausel muss sich am jeweils aktuellen Recht messen lassen. Wie aufgezeigt, scheitert die bisher üblicherweise verwendete Klausel an 307 I S. 2 BGB, da sie Mindestentgelte nicht von ihrem Anwendungsbereich ausnimmt. Sie fällt daher ersatzlos weg. 084/2017 Ausschlussfristen müssen Mindestlohn ausnehmen Seite 6