Fall 35: "Kratzbürste in der Waschstraße" Wirksame Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen; Inhaltskontrolle eines Haftungsausschlusses Fall 35: "Kratzbürste in der Waschstraße" N betreibt eine vollautomatische Autowaschstraße. Am Eingang des Betriebsgeländes befinden sich mehrere Automaten, die nach Einwurf eines bestimmten Betrags - je nach gewünschter Wagenwäsche - eine kodierte Karte auswerfen. Mit dieser Karte kann der Autobesitzer an der gut 30 Meter entfernten Waschstraße die Autowäsche in Gang setzen. An den Automaten ist jeweils eine große ins Auge fallende Tafel angebracht, die den Text entfällt: "Die Wagenwäsche erfolgt nur zu den unten stehenden allgemeinen Geschäftsbedingungen". Unter diesem Text sind in Schreibmaschinenschrift die "Vertragsbedingungen" angeheftet. Darin heißt es unter anderem: " 7 (Haftungsbeschränkung): Der Betreiber haftet nicht für Lackschäden sowie für die Beschädigung der außen an der Karosserie angebrachten Teile, es sei denn, daß eine Haftung aus Vorsatz vorliegt." W läßt seinen Wagen in der Waschstraße des N waschen. Als W sein Fahrzeug anschließend besichtigt, stellt er Lackschäden fest. Sie haben ihren Grund darin, daß B, einer der Angestellten des N - der sorgfältig ausgewählt und ständig überwacht worden ist - leicht fahrlässig den Anpressdruck der Rotationsbrüsten zu hoch eingestellt hatte. Die Kosten für die Reparatur des Wagens betragen DM 450,- Kann W von N Ersatz der Reparaturkosten verlangen? Abwandlung Von Berufs wegen mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen befaßt - W ist Richter -, schaut sich W, nachdem er zuvor die Karte aus dem Automaten gezogen hatte, direkt an der Waschstraße nach Hinweisen auf Geschäftsbedingungen um. Unachtsam hatte er das Schild am Automaten übersehen. Da W keine Allgemeinen Geschäftsbedingungen entdecken kann, freut es ihn, ohne Geltung von "Kleingedrucktem" seinen Wagen waschen lassen zu können. Denn wenn er den Hinweis des N gesehen hätte, wäre er nicht in die Anlage hineingefahren, sondern hätte selbst seinen Wagen gewaschen. Als N jeden Ersatz für die Lackschäden des W unter Hinweis auf 7 der Vertragsbedingungen ablehnt, erklärt W, er wolle diese Bedingungen insgesamt nicht gelten lassen, weil er das Hinweisschild am Automaten übersehen und deshalb geglaubt habe, daß sein Fahrzeug nach den gesetzlichen Vorschriften und deshalb ordnungsgemäß gewaschen werde. Für die Abwandlung ist von einer Fassung des 7 auszugehen, wonach eine Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt ist. Ist das Ersatzbegehren des W rechtlich anders zu beurteilen als im Ausgangsfall? (Hinweis: Eventuelle Gegenansprüche des N sind nicht zu prüfen) A) Ausgangsfall I. Anspruch des W gegen N aus 635 BGB 1. Zustandekommen eines wirksamen Werkvertrages gem. 631 ff. BGB zwischen W und N 2. Herstellung eines mangelhaften Werkes? Lackschäden sind ein Begleitschaden, der kein Mangel der Werkleistung i.s.d. 633 BGB ist bzw. nicht auf einem Mangel der Werkleistung beruht. (pvv eines Werkvertrages im Falle der schuldhaften Verletzung einer Nebenpflicht durch den Hersteller, ohne dass dies zu einem Mangel des Werkes führt). => kein Anspruch aus 635 BGB II. Anspruch des W gegen N aus pvv eines zwischen W und N bestehenden Werkvertrags 1. Anwendbarkeit der pvv: Hier: kein Eingreifen werkvertraglicher Regeln (s.o.) 2. Schuldverhältnis zwischen W und N Hier: Werkvertrag gem. 631 ff. BGB
3. Pflichtverletzung des N? Vertragliche Nebenpflicht des N, Rechtsgüter seine Vertragspartner nicht zu beeinträchtigen oder zu gefährden Hier: Lackschäden infolge der Autowäsche => Verletzung einer vertragliche Nebenpflicht (mögliche Argumentation: keine Pflichtverletzung durch N selbst, aber dem N entsprechend 278 BGB zurechenbare Pflichtverletzung des B) 4. Verschulden, 276 BGB a) Kein Verschulden des N selbst b) Zurechnung eines Verschuldens des B? aa) Verschulden des B: falsche Einstellung des Anpressdrucks durch B infolge leichter Fahrlässigkeit bb) B ist Erfüllungsgehilfe des N gem. 278 BGB => Zurechnung des Verschulden des B 5. Vertraglicher Haftungsausschluss gem. 7 der Vertragsbedingungen des N a) Anwendbarkeit des AGBG gem. 1 AGBG Begrifflich muss eine AGB i.s.d. 1 AGBG vorliegen, d. h. AGB sind alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Der Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrages stellt 7 stellt eine AGB i.s.d. 1 AGBG dar. F.: Was bedeutet, dass die AGB vom Verwender gestellt werden? A.: Sie müssen einseitig vom Verwender auferlegt werden Keine AGB, wenn beide Parteien die AGB wünschen oder ein unbeteiligter Dritter (Notar) die Verwendung vorschlägt, und gem. 1 II, wenn ausgehandelt aber: die Verwendung gegenüber Verbrauchern gelten AGB vom Unternehmer als gestellt, 24 a Nr. 1: AGB F.: Reicht auch eine Vertragsbedingung aus, die zur einmaligen Verwendung gestellt wird? A.: Grds. nein, 1 AGBG, Ausnahme bei Verwendung gegenüber Verbrauchern: 224 a Nr. 2 AGBG, jedenfalls einzelne Vorschriften finden Anwendung Soweit die begriffliche Anwendbarkeit. Anwendungsbereich des AGBG ist auch sachlich eingeschränkt durch 23 AGBG: bestimmte Vertragstypen sind vom Anwendungsbereich entweder insgesamt ausgeschlossen ( 23 I) oder bestimmte Vorschriften ( 23 II) sind nicht anwendbar. Darüber hinaus Einschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs gem. 24 AGBG: Bestimmte Vorschriften sind gegenüber Unternehmern nicht anzuwenden. (wichtig) b) Einbeziehung der Vertragsbedingungen in den Vertrag, 2-4 AGBG Voraussetzungen: aa) Einbeziehung gem. 2 AGBG (1) Hinweis des Verwenders auf die AGB, 2 I Nr. 1 AGBG Hier: kein ausdrücklicher Hinweis
Deutlich sichtbarer Aushang gem. 2 I Nr. 1, 2. Alt. AGBG ausreichend, wenn ein ausdrücklicher Hinweis nur "unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten möglich ist". Hier: "automatisierter Vertragsschluss" ohne persönlichen Kontakt zwischen Vertragsparteien => gut sichtbarer Aushang ausreichend (2) Möglichkeit zumutbarer Kenntnisverschaffung, 2 I Nr. 2 AGBG Aushang enthielt auch Wortlaut der AGB => N hatte dem W die Möglichkeit verschafft, in zumutbarer Weise von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen. (3) Einverständnis des Vertragspartners mit der Geltung der AGB, 2 I, 2. Hs. AGBG Kein ausdrückliches Einverständnis des W Konkludentes Einverständnis des W? Ausreichend: Im Falle eines ausdrücklichen Hinweises auf die AGB durch den Verwender widerspruchslose Annahme der angebotenen Leistung durch den Kunden (Erman/Hefermehl, 2 AGBG Rn. 19) Hier: konkludentes Einverständnis des W infolge der Benutzung der Waschanlage bb) Keine überraschende Klausel, 3 AGBG Voraussetzung: Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt der Klausel
Hier: (-) Hinweis: Auch wenn Klausel überraschend ist, kann Verwender durch entsprechenden Hinweis der Klausel den Überrumpelungs- und Übertölpelungseffekt nehmen. cc) Keine vorrangige Individualabrede, 4 AGBG Hier: (-) => Vertragsbedingungen des N, insbesondere 7 AGBG, Bestandteil des zwischen ihm und W zustande gekommenen Werkvertrags c) Auslegung des 7 der Vertragsbedingungen Ausschluss der Haftung des Betreibers für fahrlässig verursachte Lackschäden durch 7 => Ausschluss auch der Haftung des N für fahrlässiges Verhalten seiner Erfüllungsgehilfen => Nach Wortlaut des 7: Ausschluss der Haftung des N für Lackschäden am Pkw des W (Hinweis: Zweifel bei der Auslegung gehen gem. 5 AGBG zu Lasten des Verwenders.) Was heißt das? Bei Inhaltskontrolle wird die kundenfeindlichste Auslegung herangezogen Ist die Klausel wirksam, so ist Unklarheitenregel nun i. S. e. kundenfreundlichsten Auslegung zu verstehen d) Inhaltskontrolle gem. gem. 8 ff. AGBG Hier: Wirksamkeit des 7 der Vertragsbedingungen? aa) Anwendbarkeit der Inhaltskontrolle gem. 8 AGBG Inhaltskontrolle nur im Falle der Abweichung einer AGB von Rechtsvorschriften bzw. Ergänzung von Rechtsvorschriften durch AGB Zweck: Verhinderung der Inhaltskontrolle von Preisabsprachen und Leistungsgegenstand insbesondere soll das Preis/Leistungsverhältnis nicht gerichtlich überprüft werden, sondern dem Wettbewerb überlassen werden Hier: 7 enthält eine von den Rechtsvorschriften der 276, 278 BGB abweichende Haftung. Prüfungsreihenfolge: 11, 10, 9 AGBG Worin liegt der Unterschied zwischen 11 und 10? Katalog des 10 enthält Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit, d. h.. allein Erfüllung eines Tatbestandes führt zur Unwirksamkeit, vielmehr ist im Rahmen einer Wertung festzustellen, ob Klausel angemessen ist oder nicht (etwa 10 Nr. 1 AGBG). Anders Katalog des 11 enthalt Verbote ohne Wertungsmöglichkeit, d. h. bei Tb-Erfüllung ist die Klausel unwirksam. bb) Unwirksamkeit gem. 11 Nr. 7 AGBG Unwirksamkeit von Haftungsausschlüssen und -begrenzungen für Schäden, die auf einer grob fahrlässigen Vertragsverletzung des Verwenders oder auf einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Vertragsverletzung eines Erfüllungsgehilfen des Verwenders beruhen. Hier: Ausschluss der Haftung für jede Fahrlässigkeit und damit auch der Haftung für grobe Fahrlässigkeit des N und seiner Erfüllungsgehilfen gem. 7 der Vertragsbedingungen => Unwirksamkeit des 7 der Vertragsbedingungen gem. 11 Nr. 7 AGBG Woran könnte man aber denken? cc) Aufrechterhaltung einer verbotswidrigen Klausel durch "Reduktion" auf das gesetzlich zulässige Maß (Zulässigkeit einer sog. geltungserhaltenden Reduktion?)
Ganz h.m.: Verbot der geltungserhaltende Reduktion (BGHZ 84, 109; BGH NJW 1989, 1796, 1798) Argumente: Wortlaut der 9-11 AGBG (Klausel ist "unwirksam, wenn" ; nicht bloß "soweit unwirksam"); Zulässigkeit einer geltungserhaltenden Reduktion würde Verwender den Anreiz nehmen, bei der Aufstellung ihrer AGB strikt auf einen zulässigen Inhalt zu achten; unvereinbar mit dem Transparenzgebot => Unwirksamkeit des 7 der Vertragsbedingungen des N gem. 11 Nr. 7 AGBG (Hinweis: grundsätzliche Unwirksamkeit der gesamten Klausel. Ausnahme: im Falle der Teilbarkeit einer Klausel. Voraussetzung: Vorliegen einer sprachlich und inhaltlich klar teilbaren Regelung) Teilbar wäre etwa: die Festlegung von Fristlänge und Fristbeginn (=> keine Unwirksamkeit des gesamten Vertrages gem. 6 AGBG) => kein Ausschluss bzw. Einschränkung der Haftung des N weitere Voraussetzungen der pvv: 6. Kausaler und zurechenbarer Schaden Hier: Lackschaden i.h.v. DM 450,- => Schadensersatzanspruch des W gegen N i.h.v. DM 450,- aus pvv III. Schadensersatzanspruch des W gegen N aus 831 I 1, 823 I BGB B ist zwar Verrichtungsgehilfe des N und hat eine tatbestandsmäßige unerlaubte Handlung gegenüber W vorgenommen, aber N hat gem. 831 I 2 BGB bei der Auswahl des B die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet und kann sich deshalb exkulpieren. B) Abwandlung Ausschluss der Haftung des N aus pvv aufgrund von 7 der Vertragsbedingungen des N? I. Einbeziehung dieser Vertragsbedingungen in den Vertrag gem. 2 AGBG? 1. Hinweis des Verwenders auf die AGB, 2 I Nr. 1 AGBG Hier: gut sichtbare Aushang ausreichend, s.o. 2. Möglichkeit zumutbarer Kenntnisverschaffung, 2 I Nr. 2 AGBG Hier: Aushang enthielt auch Wortlaut der AGB, s.o. 3. Einverständnis des Vertragspartners mit der Geltung der AGB, 2 I, 2. Hs. AGBG a) Bedenken: W wollte keine AGB des N gelten lassen. Einverständnis i.s.d. 2 I, 2. Hs. AGBG: empfangsbedürftige Willenserklärung, die aus obj. Empfängerhorizont gem. 133, 157 BGB auszulegen ist. Benutzung der Waschstraße durch W ist aus Sicht des N als Einverständnis mit der Geltung der Vertragsbedingungen zu verstehen. Woran könnte man aber denken? b) Unwirksamkeit des Einverständnisses des W gem. 142, 119 I BGB? aa) Anfechtbarkeit der Einbeziehungsvereinbarung i.s.d. 2 AGBG? (1) Einverständnis des W i.s.d. 2 I, 2. Hs. AGBG ist als Willenserklärung grundsätzlich anfechtbar. (2) Bedenken: Zulässigkeit einer bloßen Teilanfechtung? Zulässigkeit einer bloßen Teilanfechtung, wenn das Geschäft teilbar ist und der nach Wegfall des angefochtenen Teils verbleibende Teil noch ein vollständiges in sich geschlossenes Rechtsgeschäft darstellt (Erman/Brox, 139 Rn. 26 m.w.n.).
Hier: keine Bedenken (3) Verdrängung der Irrtumsanfechtung durch im AGBG enthaltene Sonderwertungen? Teilweise vertretene Ansicht: ausreichender Schutz des Kunden durch 2, 3, 9 ff. AGBG (vgl. etwa Roth-Helmke, JuS 1977, 247) Heute h.m.: AGBG soll Rechtsstellung des Vertragspartners stärken und nicht vorhandene Gestaltungsrechte einschränken (vgl. Loewenheim, AcP 180 [1980], 433, 450; Locher, BB 1981, 818 ff.; Erman/Hefermehl, 2 AGBG Rn. 21) => Anfechtbarkeit der Einverständniserklärung gem. 2 AGBG bb) Anfechtungsgrund, 119 I, 1. Alt. BGB: Inhaltsirrtum Hier: konkrete Vorstellung des W, Werkvertrag ohne Geltung von AGB; objektiv hat W aber Einverständnis zur Geltung der AGB erklärt. Kausalität des Irrtums des N: hier hätte N den Wagen, selbst gewaschen.. cc) Anfechtungserklärung des N, 143 I BGB Hier: Erklärung des N, er wolle wegen seines Irrtums die Bedingungen nicht gelten lassen. => wirksame Anfechtung der Einbeziehungsvereinbarung durch W => AGB des N kein Vertragsinhalt => kein Ausschluss der Haftung des N aufgrund 7 seiner AGB II. Inhaltskontrolle des 7 der Vertragsbedingungen kann somit dahinstehen (Hinweis: Keine Unwirksamkeit gem. 11 Nr. 7 AGBG Unwirksamkeit gem. 9 II Nr. 2 AGBG? Unterschiedliche Beurteilung eines auf leichte Fahrlässigkeit begrenzten Haftungsausschlusses eine Betreibers einer Autowaschanlage [vgl. Erman/Hefermehl, 9 Rn. 124 m.w.n.] (generell wird angenommen, dass auch ein Haftungsausschluss für leichte Fahrlässigkeit gem. 9 II Nr. 2 AGBG unwirksam ist, wenn hiervon auch sog. Kardinalpflichten erfasst werden) und das Fahrzeug vor Schäden zu schützen ist sicherlich eine Kardinalpflicht III. Ergebnis: Anspruch des W gegen N auf Zahlung eines Betrages i.h.v. DM 450,- aus pvv des Werkvertrages (Gegenanspruch des N wonach nicht gefragt war aus 122 BGB Anspruch auf den Schaden der dadurch entstanden ist, dass N auf Einverständnis des W vertraut hat