Fallbesprechungen zum Grundkurs Öffentliches Recht II (Teil 2) Fall 2 Lösung

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Transkript:

Institut für Öffentliches Recht Wintersemester 2006/07 Universität Augsburg Fallbesprechungen zum Grundkurs Öffentliches Recht II (Teil 2) Fall 2 Lösung Sachthema: 1. Definition Der Gesetzgeber verwendet in Normtexten häufig unterschiedlich präzise formulierte Elemente, bei denen den Rechtsanwendern die Auslegung und damit die inhaltliche Festlegung des genauen Begriffsinhaltes obliegt. Es handelt sich dabei um Begriffe, für deren Auslegung typischerweise eine Wertung oder eine Prognose erforderlich ist. Im juristischen Sprachgebrauch hat sich hierfür der terminus technicus der unbestimmten Rechtsbegriffe eingebürgert. Diese finden sich vor allem auf der Tatbestandsseite einer Norm, können aber auch auf der Rechtsfolgenseite auftreten (nach a. A. können sie nur auf der Tatbestandsseite auftreten). Ermessen betrifft dagegen ausschließlich die Rechtsfolgenseite einer Norm. Es ist gegeben, wenn der Verwaltung bei Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbestandes eine Entscheidungsmöglichkeit eingeräumt ist, ob und wie sie von der Rechtsfolge einer Norm Gebrauch macht. Man unterscheidet dementsprechend zwischen dem Entschließungsermessen (die Behörde hat einen Entscheidungsspielraum, ob sie überhaupt eine bestimmte Maßnahme treffen will) und dem Auswahlermessen (der Behörde stehen mehrere Handlungsalternativen zur Auswahl). Der Gesetzgeber räumt der Verwaltung deshalb Ermessensspielräume ein, um ihr eigenverantwortliche und individuelle Entscheidungen zu ermöglichen. Hintergrund des Ermessens ist damit sowohl die Einzelfallgerechtigkeit als auch die größere Bandbreite zweckmäßigen Verwaltungshandelns. 2. Gerichtliche Überprüfbarkeit Unbestimmte Rechtsbegriffe sind nach h. M. grundsätzlich voll gerichtlich überprüfbar; nach a. A. 1, die jedoch im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG bedenklich ist, hat die Verwaltung bei ihrer Anwendung dagegen grundsätzlich einen Beurteilungsspielraum. Folgt man der insbesondere auch von den Gerichten 2 vertretenen h. M., so kann es an sich immer nur eine rechtmäßige Entscheidung geben (so z. B. im Bereich des Gewerberechts, wo jemand entweder zuverlässig ist oder eben unzuverlässig ist). Dabei ist aber auch grundsätzlich zuzugestehen, dass diese eine richtige Entscheidung mitunter nur schwierig eindeutig zu ermitteln ist. Nach h. M. besteht ein Beurteilungsspielraum der Verwaltung nur in Ausnahmefällen, etwa bei Prüfungs- oder prüfungsähnlichen Entscheidungen, bei Prognose- und Risikobewertungen im Bereich des Umwelt- und Wirtschaftsrechts oder bei Entscheidungen von unabhängigen, pluralistisch besetzten Sachverständigengremien. Ermessensentscheidungen sind dagegen gerichtlich nur eingeschränkt, d. h. darauf überprüfbar, ob die Behörde ihre rechtlichen Bindungen gewahrt und damit keinen Ermessenfehler begangen hat (vgl. Art. 40 BayVwVfG, 114 VwGO). Die Zweckmäßigkeit einer Ermessensentscheidung wird dagegen nur im Rahmen des Widerspruchsverfahrens ( 68 Abs. 1 S. 1 VwGO) von der Behörde selbst überprüft. 1 2 Vgl. die Nachweise bei Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2004, 7 Rn. 31 ff.; Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl. 2004, Rn. 74. Vgl. BVerwGE 64, 261, 279; BGHZ 72, 211; OVG Lüneburg, DVBl. 1975, 952 ff.; VGH BaWü, NJW 1987, 1440; weitere Nachweise bei Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, 7 Rn. 35 f. ÖR II/2 Fall 2 Lösung WS 2006/2007 Seite 1 von 5

3. Beispiele Ermessen wird etwa durch Formulierungen wie darf, kann oder ist befugt eingeräumt. Beispiele für unbestimmte Rechtsbegriffe sind etwa öffentliches Interesse, Wohl der Allgemeinheit oder Zuverlässigkeit. Fall: Zulässigkeit des Widerspruchs Der Widerspruch des A ist dann zulässig, wenn alle notwendigen Voraussetzungen für eine Entscheidung in der Sache vorliegen. I. Streitigkeit, für die der Verwaltungsrechtsweg eröffnet wäre, 68, 40 Abs. 1 S. 1 VwGO analog Der Widerspruch ist gemäß 40 Abs. 1 S. 1 VwGO analog nur zulässig, wenn es sich um eine Streitigkeit handelt, für die in einer sich gegebenenfalls anschließenden Klage der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet wäre. Dies folgt aus 68 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 VwGO, die in der (erfolglosen) Durchführung eines Widerspruchsverfahrens eine Zulässigkeitsvoraussetzung für bestimmte verwaltungsgerichtliche Klagen sehen. Da sich 40 VwGO lediglich auf diese Klagen bezieht, ist er auf den vorgeschalteten Rechtsbehelf Widerspruch nur analog anzuwenden. 3 Es ist also zu prüfen, ob der nachfolgende Prozess eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art wäre, soweit diese nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen ist. 1. Öffentlich-rechtliche Streitigkeit a) Subordinationstheorie: Eine Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich, wenn ihr eine Regelung zugrunde liegt, die zwischen Behörde und Bürger ein Über- und Unterordnungsverhältnis schafft. Vorliegend bilden die Normen des Schulrechts den landesgesetzlichen Rahmen der Eingriffsverwaltung und begründen gleichzeitig gegenüber dem Bürger ein Über- und Unterordnungsverhältnis, in dem sich hier die Schulbehörde als Teil der Staatsgewalt und der A als Bürger gegenüber stehen. b) Sonderrechtstheorie/modifizierte Subjektstheorie: Eine Streitigkeit ist öffentlichrechtlich, wenn ihr eine Regelung zugrunde liegt, die ausschließlich einen Träger hoheitlicher Gewalt berechtigt oder verpflichtet. Vorliegend wendet sich A gegen die in seinem Zeugnis aufgeführte Englischnote. Diese Zeugnisnote stellt eine Maßnahme auf der Grundlage des Schulrechts dar, das allein die Schulbehörde als Träger hoheitlicher Gewalt berechtigt und verpflichtet. Schulrecht stellt damit Sonderrecht des Staates dar. Nach beiden Theorien liegt somit eine öffentlichrechtliche Streitigkeit vor. 2. Nichtverfassungsrechtlicher Art Eine verfassungsrechtliche Streitigkeit liegt nur dann vor, wenn beide Parteien unmittelbar am Verfassungsleben beteiligte Rechtsträger sind und im Kern um Verfassungsrecht streiten (sog. doppelte Verfassungsunmittelbarkeit). Dies ist hier nicht der Fall. 3. Keine anderweitige Rechtswegzuweisung Auch eine anderweitige Rechtswegzuweisung ist nicht gegeben. Damit ist für die dem Widerspruchsverfahren zu Grunde liegende Streitigkeit der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. II. Statthaftigkeit eines Widerspruchs, 68 Abs. 2, Abs. 1 VwGO Die Statthaftigkeit des Widerspruchs richtet sich nach der anschließenden Klageart. Gemäß 68 VwGO ist ein Widerspruchsverfahren nämlich nur dann statthaft, wenn in der Hauptsache eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage zu erheben ist, d.h. wenn ein VA Klagegegenstand ist. 3 Dies folgt hier freilich nur deklaratorisch auch aus 79 VwVfG bzw. Art. 79 BayVwVfG. ÖR II/2 Fall 2 Lösung WS 2006/2007 Seite 2 von 5

Um festzulegen, ob hier eine Anfechtungs- oder eine Verpflichtungssituation vorliegt, ist das Begehren des A näher auszulegen (vgl. 88 VwGO). Ginge man davon aus, dass A gegen die Nennung seiner Note im Fach Englisch im Abschlusszeugnis vorgehen möchte, so wäre dies eine Anfechtungssituation. Dies würde im vorliegenden Fall jedoch zu kurz greifen, da dann das Fach Englisch im Abschlusszeugnis gar nicht erwähnt würde. Vielmehr begehrt der A mit seinem Widerspruch die Aufhebung der Note mangelhaft und die Neubewertung seiner Leistungen in diesem Fach. Damit liegt hier grundsätzlich eine Verpflichtungssituation vor, wobei wegen des Beurteilungsspielraums der Schule bei Prüfungsentscheidungen in der Hauptsache von einer auf ein Bescheidungsurteil i. S. d. 113 Abs. 5 2 VwGO zielenden Verpflichtungsklage auszugehen ist. Voraussetzung für die Statthaftigkeit eines Verpflichtungswiderspruchs ist es jedoch, dass die im Abschlusszeugnis angeführte Einzelnote des A im Fach Englisch selbst einen VA i. S. d. Art. 35 S. 1 BayVwVfG darstellt. 1. Hoheitliche Maßnahme Die Benotung der Englischkenntnisse des A ist eine hoheitliche Maßnahme, da sie unabhängig vom Einverständnis des A und damit einseitig erfolgt. 2. Behörde Das bayerische Berufskolleg nimmt Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr (vgl. Art. 133, 139 BV) und ist deshalb Behörde i. S. d. Art. 1 Abs. 2 BayVwVfG. 3. Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts (s. o. I.1) 4. Regelung Die Regelung ist das Ziel der hoheitlichen Maßnahme. Sie setzt eine verbindliche Rechtsfolge, indem Rechte und/oder Pflichten begründet, geändert und aufgehoben sowie Rechte und/oder Pflichten und/oder rechtserhebliche Tatsachen verbindlich festgestellt werden. Zu prüfen ist, ob die Einzelnote im Fach Englisch auch Regelungscharakter besitzt. a) Einzelnoten eines Abschlusszeugnisses sind regelmäßig keine VA, sondern nur unselbständige, die Gesamtbewertung des Zeugnisses (Bestehen oder Nichtbestehen der Jahrgangsstufe/der Ausbildung) vorbereitende Teilakte. Hier allerdings fließt die Einzelnote im Fach Englisch nicht in die Gesamtbewertung ein, sondern wird im Abschlusszeugnis nur erwähnt. Dies spricht gegen einen nur vorbereitenden Teilakt und für eine selbständige Stellung der Einzelnote. b) Um die Regelungswirkung dieses selbständigen Akts zu ermitteln, muss in verfassungskonformer Auslegung darauf abgestellt werden, inwieweit die Einzelnote im Fach Englisch für die weitere schulische oder berufliche Laufbahn erheblich ist, und ob sich ohne weiteres Zutun der Behörde die Rechtsstellung des A ändert. Denn auch tatsächliche Auswirkungen auf die Berufswahl oder -ausübung berühren den Schutzbereich der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG. Im vorliegenden Fall enthält die Einzelnote im Fach Englisch eine verbindliche Aussage über die Fremdsprachenqualifikation des A, die geeignet ist, seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt gegenüber Kandidaten zu verschlechtern, die in Englisch besser abgeschnitten haben, auch wenn sie ansonsten dasselbe Abschlussergebnis erreicht haben. Damit kann hier eine Regelungswirkung bejaht werden. 5. Einzelfall Weiterhin enthält die Note im Fach Englisch auch eine Einzelfallregelung, da sie nur eine Aussage über die Kenntnisse des A in der englischen Sprache trifft. Die Regelung bezieht sich folglich auf einen konkret-individuellen Sachverhalt. 6. Unmittelbare Rechtswirkung nach außen Eine unmittelbare Außenwirkung liegt vor, wenn die hoheitliche Maßnahme die Rechtsposition des Bürgers ohne weitere Maßnahmen erweitert, einschränkt oder in sonstiger Weise verändert. Die Schulnote hat unmittelbare Wirkung auf die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten des A. Sie schränkt so dessen Berufsfreiheit ein (Art. 12 Abs. 1 GG). Damit kommt der Einzel- ÖR II/2 Fall 2 Lösung WS 2006/2007 Seite 3 von 5

note auch unmittelbare Rechtswirkung nach außen zu (anders als etwa bei beamtenrechtlichen Beurteilungen). 7. Zwischenergebnis Da die Einzelnote im Fach Englisch einen VA i. S. d. Art. 35 S. 1 BayVwVfG darstellt, ist gegen sie ein Verpflichtungswiderspruch nach 68 Abs. 2, Abs. 1 VwGO statthafter Rechtsbehelf. Die Statthaftigkeit dieses Rechtsbehelfs entfällt auch nicht nach 68 Abs. 2, Abs. 1 S. 2 VwGO. III. IV. Widerspruchsbefugnis, 42 Abs. 2 VwGO analog Um widerspruchsbefugt zu sein, müßte A gemäß 42 Abs. 2 VwGO analog geltend machen, ohne die Neubewertung im Fach Englisch möglicherweise in seinen Rechten verletzt zu sein (Möglichkeitstheorie). Vorliegend kann die Klagebefugnis nicht nach der Adressatentheorie auch ohne substantiierten Vortrag unterstellt werden, da hier keine Anfechtungs-, sondern eine Verpflichtungssituation vorliegt. Die Note mangelhaft im Fach Englisch ist für A mit nachteiligen Wirkungen verbunden. Es ist nicht rechtlich oder tatsächlich schlechthin ausgeschlossen, daß A in seiner Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG bzw. subsidiär seiner allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG, mithin in subjektiven öffentlichen Rechten verletzt ist. Folglich ist A gemäß 42 Abs. 2 VwGO widerspruchsbefugt. Form, 70 Abs. 1 VwGO Anders als ein VA, der grundsätzlich formfrei erlassen werden kann (vgl. Art. 37 Abs. 2 S. 1 BayVwVfG), bedarf der Widerspruch nach 70 Abs. 1 S. 1 VwGO der Schriftform. Schriftlichkeit bedeutet, dass das entsprechende Schriftstück eigenhändig zu unterschreiben ist, um die Urheberschaft und den Willen des Unterzeichneten, das Schriftstück in den Verkehr zu bringen, zu verbürgen. Vorliegend hat A seinen Widerspruch per Email an die Behörde gesandt. Fraglich ist, ob er damit dem in 70 Abs. 1 S. 1 VwGO normierten Formerfordernis der Schriftlichkeit genügt. Dies ist gemäß Art. 3a Abs. 2 BayVwVfG, der wegen Art. 79 HS. 2 BayVwVfG auch auf die Vorschriften über das Widerspruchsverfahren der VwGO einwirkt, unter folgenden Voraussetzungen der Fall: Anmerkung: Sofern man das Widerspruchsverfahren nicht als Verwaltungsverfahren (Art. 79 HS. 2 BayVwVfG subsidiäre Anwendung des BayVwVfG), sondern als der Klage vorgeschalteten Rechtsbehelf begreift ( 173 VwGO subsidiäre Anwendung von GVG und ZPO), kommt man gemäß 173 VwGO, 130a ZPO zu einer ähnlichen Prüfung. Jedoch sprechen insbesondere die Mehrstufigkeit des Widerspruchsverfahrens ( 72, 73 VwGO), die Subsumierbarkeit des Widerspruchsverfahrens unter Art. 9 BayVwVfG sowie letztlich die grundrechtliche Kompetenzverteilung der Art. 30, 83, 84 Abs. 1 GG für die Einordnung des Widerspruchsverfahrens als Verwaltungsverfahren. 1. Die Email muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen sein (Art. 3a Abs. 2 S. 2 BayVwVfG). Dies ist hier laut Sachverhalt der Fall. 2. Ferner müsste die zuständige Behörde einen Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente eröffnet haben (Art. 3a Abs. 1 BayVwVfG). Der Begriff Zugang stellt auf die objektiv vorhandene technische Kommunikationseinrichtung ab, also beispielsweise auf die Verfügbarkeit eines elektronischen Postfachs. Aufgrund der Verbreitung der elektronischen Kommunikation im allgemeinen Rechts- und Geschäftsverkehr kann die öffentliche Bekanntgabe einer Email-Adresse als Zugangseröffnung angesehen werden. Ausweislich des Sachverhalts ist auch diese Voraussetzung erfüllt. 3. Im Ergebnis wahrt der via Email erhobene Widerspruch des A die Form des 70 Abs. 1 VwGO. V. Widerspruchsfrist, 70 VwGO 1. Bekanntgabe des VA an den A als Voraussetzung der Frist Der VA (Aufnahme der Note mangelhaft im Fach Englisch in das Abschlusszeugnis) wurde dem A am 2.11.2005 übergeben und damit gemäß Art. 41 Abs. 1 BayVwVfG bekannt- ÖR II/2 Fall 2 Lösung WS 2006/2007 Seite 4 von 5

gegeben. Das normale Zeugnis des Vorjahres, in dem die Englischnote ebenfalls aufgeführt war, ist hier dagegen nicht Gegenstand des Widerspruchsverfahrens. 2. Fristbeginn 3.11.2005, 0.00 Uhr, sowohl nach 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB (verwaltungsprozessuale Lösung) als auch nach Art. 79, 31 Abs. 1 BayVwVfG, 187 Abs. 1 BGB (verwaltungsverfahrensrechtliche Lösung). 3. Fristdauer Fraglich ist jedoch, welche Frist am 3.11.2005 zu laufen beginnt. a) Die Monatsfrist des 70 Abs. 1 VwGO beginnt mangels ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung gemäß 70 Abs. 2, 58 Abs. 1 VwGO nicht zu laufen. b) Statt dessen beginnt am 3.11.2005 die Jahresfrist nach 70 Abs. 2, 58 Abs. 2 VwGO zu laufen. 4. Zwischenergebnis Der Widerspruch des A wurde am 18.11.2005 und damit in jedem Fall fristwahrend erhoben. Die Berechnung des Fristendes ist deshalb obsolet und kann hier dahingestellt bleiben. VI. Beteiligten- und Handlungsfähigkeit, Art. 11, 12 BayVwVfG Als natürliche, nach bürgerlichem Recht geschäftsfähige Person ist A sowohl beteiligtenals auch handlungsfähig nach Art. 79, 11 Nr. 1, 12 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG. VII. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis fehlt nur dann, wenn der Widerspruchsführer den angestrebten Erfolg auch auf einfachere Art und Weise erreichen kann. In diesem Fall wäre nämlich die Inanspruchnahme eines Rechtsbehelfs rechtsmißbräuchlich. Dies ist hier aber nicht der Fall. VIII. Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde, 73 Abs. 1 Nr. 1 VwGO Der Widerspruch wurde laut Sachverhalt auch an die zuständige Behörde gesendet. IX. Ergebnis Der Widerspruch des A ist zulässig. ÖR II/2 Fall 2 Lösung WS 2006/2007 Seite 5 von 5