Kapitel 1.2. Semantik der Aussagenlogik. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 1 / 60

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Transkript:

Kapitel 1.2 Semantik der Aussagenlogik Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 1 / 60

Übersicht 1.2.1 Interpretationen der al. Formeln 1.2.2 Zentrale semantische Begriffe 1.2.3 Der semantische Folgerungsbegriff 1.2.4 Al. Formeln als Darstellungen Boolescher Funktionen Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 2 / 60

Vorgehensweise Wir interpretieren nun Formeln als (zusammengesetzte) Aussagen. Dabei werden die Aussagenvariablen als atomare Aussagen aufgefasst und die Junktoren als die durch diese bezeichneten Verknüpfungen interpretiert. Hierbei gehen wir davon aus, dass jede der atomaren Aussagen entweder wahr oder falsch ist ( tertium non datur ). Wir zeigen dann, wie sich der Wahrheitswert einer al. Formel ϕ aus den Wahrheitswerten der in der Formel vorkommenden Aussagenvariablen eindeutig bestimmen lässt (Kapitel 1.2.1). Hierzu führen wir zunächst (Variablen-)Belegungen B ein, die den Aussagenvariablen Wahrheitswerte (genauer: die entsprechenden Bits) zuordnen. Dann definieren wir induktiv nach dem Formelaufbau korrespondierende Bewertungen ˆB der al. Formeln, wobei wir - wie bereits gesagt - die Junktoren durch die bereits in Kapitel 1.0 eingeführten zugehörigen Wahrheitsfunktionen interpretieren. Auf diese Weise ordnet jede Belegung B, die allen Variablen in einer Formel ϕ einen Wahrheitswert zuordnet, der Formel ϕ einen eindeutig bestimmten Wahrheitwert - nämlich ˆB(ϕ) - zu, wobei dieser Wert nur von der Belegung der in ϕ vorkommenden Variablen abhängt (Koinzidenzlemma). Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 3 / 60

Vorgehensweise Wir führen dann die zentralen semantischen Begriffe der Logik ein wie Allgemeingültigkeit und Erfüllbarkeit von Formeln sowie den (semantischen) Folgerungs- und Äquivalenzbegriff für Formeln (Kapitel 1.2.2) und erweitern diese Begriffe auf Formelmengen (Kapitel 1.2.3). Schließlich beobachten wir, dass man al. Formeln als Darstellungen Boolescher Funktionen auffassen kann (Kapitel 1.2.4). (In Kapitel 1.3 werden wir dann zeigen, dass sich jede Boolesche Funktion derart darstellen lässt.) Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 4 / 60

1.2.1 Interpretationen der al. Formeln Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 5 / 60

Belegungen der Aussagenvariablen Sei im Folgenden V eine nichtleere (endliche oder unendliche) Menge von Aussagenvariablen und sei F (V ) = {ϕ : V (ϕ) V } die Menge der al. Formeln, die nur Variablen aus V enthalten. DEFINITION. Eine Belegung B der Variablenmenge V ist eine Abbildung B : V {0, 1} (wobei wir die Bits 0 und 1 als die Wahrheitswerte F und W interpretieren). Wir fassen also Aussagenvariablen A als atomare Aussagen auf, und Belegungen ordnen den atomaren Aussagen einer gegebenen Menge solcher Aussagen jeweils einen eindeutig bestimmten Wahrheitswert zu. Mit B(V ) bezeichnen wir die Menge aller Belegungen der Variablenmenge V. NB: Für endliches V gibt es 2 V verschiedene Variablenbelegungen (wobei V die Mächtigkeit von V - d.h. die Anzahl der Elemente von V - ist): B(V ) = 2 V Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 6 / 60

Bewertungen der al. Formeln Jede Belegung B einer Variablenmenge V induziert eine zugehörige Bewertung ˆB der al. Formeln in F (V ). DEFINITION. Die zu der Belegung B : V {0, 1} gehörende Bewertung ˆB der aussagenlogischen Formeln in F (V ) ist induktiv wie folgt definiert (Ind(ϕ)): 1. ϕ A: ˆB(A) := B(A) 2. ϕ ψ: ˆB( ψ) := f (ˆB(ψ)) 3. ϕ (ϕ 1 ϕ 2 ): ˆB(ϕ 1 ϕ 2 ) := f (ˆB(ϕ 1 ), ˆB(ϕ 2 )) Hierbei ist f die Boolesche Funktion, die den Junktor interpretiert (s. Kapitel 1.0). Es gilt also: ˆB( ψ) = 1 ˆB(ψ) ˆB(ϕ 1 ϕ 2 ) = max(ˆb(ϕ 1 ), ˆB(ϕ 2 )) ˆB(ϕ 1 ϕ 2 ) = min(ˆb(ϕ 1 ), ˆB(ϕ 2 )) ˆB(ϕ 1 ϕ 2 ) = 1 ˆB(ϕ 1 ) ˆB(ϕ 2 ) ˆB(ϕ 1 ϕ 2 ) = 1 ˆB(ϕ 1 ) = ˆB(ϕ 2 ) Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 7 / 60

Bewertungen der al. Formeln: Notationen und Beispiel NOTATION. Im Folgenden bezeichnen wir die von einer Belegung B induzierte Bewertung ˆB häufig einfachheitshalber ebenfalls mit B. Wir sagen, dass die Belegung B die Formel ϕ wahr macht (falsch macht), falls B(ϕ) = 1 (B(ϕ) = 0) gilt. BEISPIEL. Sei V = {A, B, C, D} und sei die Belegung B : V {0, 1} durch B(A) = B(B) = B(D) = 1 & B(C) = 0 gegeben und sei ϕ die Formel ϕ (A C) D. Dann gilt: B(ϕ) = 0. Man kann dies zeigen, indem man induktiv die Wahrheitswerte der Teilformeln ψ von ϕ bezüglich B bestimmt: ψ A B C D (A C) D (A C) ϕ B(ψ) 1 1 0 1 0 0 1 0 Dies entspricht gerade dem Vorgehen, dass man den Knoten im Strukturbaum (die für die entsprechenden Teilformeln stehen) von den Blättern aus rekursiv Wahrheitswerte zuordnet, wobei ein mit A markiertes Blatt den Wert B(A) erhält und ein mit (bzw. ) markierter innerer Knoten, dessen Sohn den Wert i hat (bzw. dessen Söhne die Werte i 0 und i 1 haben) der Wert f (i) (bzw. f (i 0, i 1 )) zugeordnet wird. Der Wert der Wurzel ist dann gerade B(ϕ). Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 8 / 60

Koinzidenzlemma Betrachten wir die Bewertung B(ϕ) einer Formel ϕ bzgl. einer Belegung B : V {0, 1}, wobei V (ϕ) echt in V enthalten ist, so hängt der Wert von B(ϕ) nur von der Belegung B(A) der in ϕ vorkommenden Variablen A ab: KOINZIDENZLEMMA. Seien B i : V i {0, 1} (i = 0, 1) Belegungen, sei ϕ eine al. Formel deren Aussagenvariablen in V 0 und V 1 liegen, und stimmen B 0 und B 1 auf den in ϕ vorkommenden Variablen überein (d.h. V (ϕ) V 0 V 1 und B 0 V (ϕ) = B 1 V (ϕ)). Dann gilt ˆB 0 (ϕ) = ˆB 1 (ϕ). Beweis durch Ind(ϕ): 1. ϕ A: Dann gilt wegen A V (ϕ) nach Annahme B 0 (A) = B 1 (A). Also: ˆB 0 (ϕ) = ˆB 0 (A) = B 0 (A) = B 1 (A) = ˆB 1 (A) = ˆB 1 (ϕ) 2. ϕ ψ: Dann gilt nach I.V. ˆB 0 (ψ) = ˆB 1 (ψ). Also: ˆB 0 (ϕ) = 1 ˆB 0 (ψ) = 1 ˆB 1 (ψ) = ˆB 1 (ϕ) 3. ϕ ϕ 1 ϕ 2 : Folgt analog aus der I.V. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 9 / 60

1.2.2 Zentrale semantische Begriffe Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 10 / 60

Zentrale semantische Begriffe: Überblick Jede Belegung B der Variablen einer al. Formel ϕ führt zu einer Bewertung B(ϕ) von ϕ, gibt also eine mögliche Interpretation von ϕ. Wir führen hierauf nun die Begriffe der Allgemeingültigkeit, Erfüllbarkeit und Widersprüchlichkeit von al. Formeln zurück: Die Formel ϕ ist allgemeingültig, wenn alle Belegungen ihrer Variablen die Formel wahrmachen. Die Formel ϕ ist erfüllbar, wenn zumindest eine der Belegungen ihrer Variablen die Formel wahrmacht. Die Formel ϕ ist widerspüchlich, wenn keine Belegung ihrer Variablen die Formel wahrmacht. Weiter definieren wir die (semantische) Implikation (Folgerung) und Äquivalenz für Formelpaare. Dabei impliziert eine Formel ϕ eine Formel ψ (oder: folgt ψ aus ϕ), wenn jede Belegung, die ϕ wahrmacht auch ψ wahrmacht, und ϕ und ψ sind äquivalent, wenn sie von denselben Belegungen wahrgemacht werden, also bzgl. aller Interpretationen denselben Wahrheitswert haben. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 11 / 60

Zentrale semantische Begriffe: Überblick (Forts.) Wir werden dann ausführlich auf grundlegende Eigenschaften dieser Konzepte eingehen und wichtige Beispiele geben. In Kapitel 1.2.3 werden wir die Begriffe der Erfüllbarkeit und der semantischen Folgerung (d.h. Implikation) dann noch auf Formelmengen ausdehnen. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 12 / 60

Definition erster zentraler semantischer Konzepte der AL DEFINITION 1. Sei ϕ eine al. Formel. (i) ϕ ist allgemeingültig (oder logisch wahr oder eine Tautologie; kurz: ag[ϕ]), falls jede Belegung der Variablen in ϕ die Formel ϕ wahrmacht, d.h. falls gilt. Für alle Belegungen B : V (ϕ) {0, 1} gilt B(ϕ) = 1. (ii) ϕ ist erfüllbar (kurz: erfb[ϕ]), falls es zumindest eine Belegung der Variablen in ϕ gibt, die die Formel ϕ wahrmacht, d.h. falls gilt. Es gibt (zumindest) eine Belegung B : V (ϕ) {0, 1} mit B(ϕ) = 1. (iii) ϕ ist kontradiktorisch(oder widersprüchlich; kurz: kd[ϕ]), falls es keine Belegung der Variablen in ϕ gibt, die die Formel ϕ wahrmacht, d.h. falls gilt. Für alle Belegungen B : V (ϕ) {0, 1} gilt B(ϕ) = 0. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 13 / 60

Definition erster zentraler semantischer Konzepte der AL Anschaulich: Die durch eine allgemeingültige Formel ϕ dargestellten Aussagen sind immer wahr - egal welche ihrer atomaren Aussagen wahr oder falsch sind. Entsprechend sind die durch eine kontradiktorische Formel ϕ dargestellten Aussagen immer falsch - egal welche ihrer atomaren Aussagen wahr oder falsch sind. Ist eine Formel ϕ erfüllbar, so ist zumindest eine der dargestellten Aussagen, deren atomare Aussagen geeignet gewählt sind, wahr. Es ist aber möglich, dass bei anderer Wahl der vorkommenden atomaren Aussagen die Aussage falsch wird. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 14 / 60

Beispiele von Tautologien Wir geben nun eine Reihe von Tautologien an, die häufig verwendeten logischen Gesetzen entsprechen: LEMMA 1. Die folgenden al. Formeln sind Tautologien: (i) A A (Tertium non datur) (ii) A A (Selbstimplikation) (iii) A A B (Hintere Abschwächung) (iv) A B A (Vordere Abschwächung) (v) (A B) (B C) (A C) (Kettenregel) (vi) (A B) (A C) (B C) C (Gesetz der Fallunterscheidung) (vii) (A B) ( B A) (Kontraposition) NB: Die hier zusammengefassten logischen Prinzipien führen zu entsprechenden Beweistechniken (z.b. indirekte Beweise (i), Beweise durch Fallunterscheidung (vi) und Kontrapositions-Beweise (vii)). Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 15 / 60

Beispiele von Tautologien: Beweis von Lemma 1 Zum Nachweis, dass eine Formel ϕ eine Tautologie ist, zeigt man, dass jede Belegung B von V (ϕ) die Formel ϕ wahrmacht. Hierzu berechnet man induktiv die Werte B(ψ) für alle (oder für geeignete) Teilformeln ψ von ϕ (wobei für die vorkommenden Variablen A der Wert von B(A) gerade durch die Belegung festgelegt ist). Wir führen dies für die Formel ϕ (A B) (B C) (A C) aus Teil (v) exemplarisch aus, wobei in der folgenden Tabelle die einzelnen Zeilen den möglichen Variablenbelegungen entsprechen und wir ψ : (A B) (B C) setzen: B(A) B(B) B(C) B(A B) B(B C) B(A C) B(ψ) B(ϕ) 0 0 0 1 1 1 1 1 0 0 1 1 1 1 1 1 0 1 0 1 0 1 0 1 1 0 0 0 1 0 0 1 0 1 1 1 1 1 1 1 1 0 1 0 1 1 0 1 1 1 0 1 0 0 0 1 1 1 1 1 1 1 1 1 Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 16 / 60

Zusammenhänge zwischen ag, erfb und kd Die Begriffe der Allgemeingültigkeit, der Erfüllbarkeit und der Widersprüchlichkeit hängen wie folgt zusammen: LEMMA 2. (i) Ist ϕ allgemeingültig, so ist ϕ auch erfüllbar: Die Umkehrung gilt jedoch i.a. nicht. ag[ϕ] erfb[ϕ] (ii) ϕ ist genau dann allgemeingültig, wenn ϕ kontradiktorisch ist: ag[ϕ] kd[ ϕ] (iii) ϕ ist genau dann erfüllbar, wenn ϕ nicht kontradiktorisch ist: erfb[ϕ] nicht kd[ϕ] Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 17 / 60

Zusammenhänge zwischen ag, erfb und kd: Beweis von Lemma 2 Der positive Teil der Aussage (i) und die Aussage (iii) folgen direkt aus Definition 1. Dass in (i) die Umkehrung nicht gilt, zeigt das Beispiel der atomaren Formel ϕ A. Diese ist erfüllbar, da es die Belegung B(A) = 1 gibt, die ϕ wahrmacht. ϕ ist aber nicht allgemeingültig, da die Belegung B (A) = 0 die Formel ϕ falsch macht. Behauptung (ii) folgt unmittelbar aus Definition 1 und der Definition der Bewertungen: Wegen V (ϕ) = V ( ϕ) genügt es zu beobachten, dass B(ϕ) = 1 B( ϕ) = 0 für jede Belegung B : V (ϕ) {0, 1} gilt. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 18 / 60

Allgemeingültigkeit und Erfüllbarkeit von Disjunktionen und Konjunktionen LEMMA 3. (i) Eine Konjunktion ϕ ψ ist genau dann allgemeingültig, wenn die beiden Konjunktionsglieder ϕ und ψ allgemeingültig sind: ag[ϕ ψ] ag[ϕ] und ag[ψ] (ii) Ist zumindest eine der Formeln ϕ und ψ allgemeingültig, so auch deren Disjunktion ϕ ψ: ag[ϕ] oder ag[ψ] ag[ϕ ψ] Die Umkehrung gilt jedoch i.a. nicht. (iii) Eine Disjunktion ϕ ψ ist genau dann erfüllbar, wenn zumindest eines der Disjunktionsglieder ϕ und ψ erfüllbar ist: erfb[ϕ ψ] erfb[ϕ] oder erfb[ψ] (iv) Ist die Konjunktion ϕ ψ erfüllbar, so sind auch deren Konjuktionsglieder ϕ und ψ erfüllbar: erfb[ϕ ψ] erfb[ϕ] und erfb[ψ] Die Umkehrung gilt jedoch i.a. nicht. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 19 / 60

Allgemeingültigkeit und Erfüllbarkeit von Disjunktionen und Konjunktionen: Beweis von Lemma 3 Da die Beweise der einzelnen Teile sehr ähnlich sind, beweisen wir nur Teil (ii): ag[ϕ] oder ag[ψ] Für alle B : V (ϕ) {0, 1} gilt B(ϕ) = 1 oder Für alle B : V (ψ) {0, 1} gilt B(ψ) = 1 (Definition von ag) Für alle B : V (ϕ ψ) {0, 1} gilt B(ϕ) = 1 oder Für alle B : V (ϕ ψ) {0, 1} gilt B(ψ) = 1 (Koinzidenzlemma) Für alle B : V (ϕ ψ) {0, 1} gilt B(ϕ) = 1 oder B(ψ) = 1 (Trivial) (Weiter auf der nächsten Folie) Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 20 / 60

Allgemeingültigkeit und Erfüllbarkeit von Disjunktionen und Konjunktionen: Beweis von Lemma 2 (Forts.) Für alle B : V (ϕ ψ) {0, 1} gilt B(ϕ ψ) = 1 (Induktive Definition der Bewertungen) ag[ϕ ψ] (Definition von ag) In der obigen Folgerungskette lassen sich alle Implikationen bis auf die rot markierte umkehren. Dass die Umkehrung i.a. nicht korrekt ist, zeigt folgendes Beispiel: Setzt man ϕ : A und ψ : A, so ist ϕ ψ A A allgemeingültig, da für jede Belegung B von V (ϕ ψ) = {A} entweder B(A) = 1 oder B( A) = 1 gilt, also B(ϕ ψ) = B(A A) = max(b(a), B( A)) = 1. Wie wir bereits gesehen haben, ist aber weder A noch A allgemeingültig. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 21 / 60

Definition weiterer zentraler semantischer Konzepte der AL DEFINITION 2. Seien ϕ und ψ al. Formeln. (i) ϕ und ψ sind äquivalent (kurz: ϕ äq ψ), falls Für alle Belegungen B : V (ϕ) V (ψ) {0, 1} gilt B(ϕ) = B(ψ). gilt. (ii) ϕ impliziert ψ oder ψ folgt aus ϕ (kurz: ϕ impl ψ), falls Für alle Belegungen B : V (ϕ) V (ψ) {0, 1} gilt: B(ϕ) = 1 B(ψ) = 1. gilt. Anschaulich: Bei gleicher Interpretation der vorkommenden atomaren Aussagen haben also durch äquivalente Formeln ϕ und ψ dargestellte Aussagen denselben Wahrheitswert, wogegen für Formeln ϕ und ψ, wobei ψ aus ϕ folgt, jede Interpretation der atomaren Formeln, die die ϕ entsprechende Aussage wahrmacht, auch die ψ entsprechende Aussage wahrmacht. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 22 / 60

Implikation und Äquivalenz: Syntax vs. Semantik In der vorhergehenden Definition haben wir die (semantische) Implikation und Äquivalenz eingeführt. Auf der syntaktischen Ebene entsprechen diesen die gleichnamigen Junktoren und. Mit Hilfe des (semantischen) Begriffs der Allgemeingültigkeit lassen sich semantische Implikation und Äquivalenz auf den Implikations- bzw. Äquivalenz-Junktor zurückführen (und umgekehrt): LEMMA 4. Seien ϕ und ψ al. Formeln. (i) ϕ impliziert ψ genau dann, wenn die Formel ϕ ψ allgemeingültig ist: ϕ impl ψ ag[ϕ ψ] (ii) ϕ und ψ sind genau dann äquivalent, wenn die Formel ϕ ψ allgemeingültig ist: ϕ äq ψ ag[ϕ ψ] NB: Diese Zusammenhänge benutzt man, wenn man aus den in Lemma 1 angegebenen Tautologien die Korrektheit der entsprechenden Beweistechniken ableitet (s. Bemerkung dort). Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 23 / 60

Implikation und Äquivalenz: Beweis von Lemma 4 Wir beweisen den ersten Teil des Lemmas (Beweis des zweiten Teils: Übung). Dabei sei B die Menge aller Belegungen von V (ϕ) V (ψ). ϕ impl ψ B B : B(ϕ) B(ψ) (Nach Definition von impl und dem Koinzidenzlemma) B B : B(ϕ ψ) = 1 (Nach Definition der Bewertungen B und dem Koinzidenzlemma) ag[ϕ ψ] (Nach Definition von ag und dem Koinzidenzlemma) Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 24 / 60

Implikation und Äquivalenz: Einfache Eigenschaften (1) Als Nächstes beschreiben wir den Zusammenhang zwischen Implikation und Äquivalenz und zeigen, dass beide Relationen reflexiv und transitiv sind und die Äquivalenz zusätzlich symmetrisch ist. Die Implikation ist also eine Präordnung auf den al. Formeln und die Äquivalenz eine Äquivalenzrelation. Hierbei gilt für eine 2-stellige Relation R (in Infixschreibweise): R ist reflexiv, falls xrx für alle x gilt. R ist transitiv, falls für alle x, x, z mit xry und yrz auch xrz gilt. R ist symmetrisch, falls für alle x, y mit xry auch yrx gilt. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 25 / 60

Implikation und Äquivalenz: Einfache Eigenschaften (2) LEMMA 5. (i) A impl A und A äq A (ii) A impl B und B impl C A impl C A äq B und B äq C A äq C (iii) A impl B und B impl A A äq B (iv) A äq B B äq A und BEWEIS: Dies ergibt sich direkt aus den Definitionen durch Berechnung der von den möglichen Belegungen erzeugten Bewertungen (Übung). Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 26 / 60

Boolesche Gesetze Eine weitere einfache Beobachtung über die Äquivalenz ist, dass diese die Booleschen Gesetze (= Axiome der Booleschen Algebren) erfüllt. Wir formulieren diese Gesetze zunächst für die Mengenlehre. Hierbei sei V eine beliebige nichtleere Grundmenge, A, B, C Teilmengen von V und A das Komplement von A (relativ zu V ; d.h. A = {x V : x A}). Wie üblich bezeichnen und Vereinigung und Durchschnitt und die leere Menge. A B = B A und A B = B A Kommutativgesetze A (B C) = (A B) C Assoziativgesetze A (B C) = (A B) C A A = A = A A Idempotenzgesetze A (B C) = (A B) (A C) Distributivgesetze A (B C) = (A B) (A C) A (B A) = A = A (A B) Absorptionsgesetze A A = V und A A = Komplementgesetze A = A und = V und V = (A B) = A B De Morgansche Gesetze (A B) = A B Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 27 / 60

Boolesche Gesetze (Forts.) Die Booleschen Gesetze übertragen sich von der Mengenlehre auf die Aussagenlogik, wenn wir folgende Ersetzungen vornehmen (wobei wir anschaulich eine Menge durch die Eigenschaft ersetzen, die diese charakterisiert): Mengenlehre Aussagenlogik Es gilt also: Teilmenge A von V Aussagenvariable A = äq A A A B A B A B A B A A V A A Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 28 / 60

Boolesche Gesetze (Forts.) LEMMA 6 (Boolesche Gesetze). Die folgenden Formeln sind allgemeingültig: A B äq B A und A B äq B A A (B C) äq (A B) C A (B C) äq (A B) C A A äq A und A A äq A A (B C) äq (A B) (A C) A (B C) äq (A B) (A C) A (B A) äq A und A (A B) äq A A A äq A A und A A äq A A A äq A (A A) äq A A und (A A) äq A A (A B) äq A B (A B) äq A B Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 29 / 60

Boolesche Gesetze - Beweis von Lemma 6 Die Booleschen Gesetze für die AL in Lemma 6 lassen sich entweder leicht direkt nachweisen oder - was wir hier tun werden - aus den entsprechenden Booleschen Gesetzen der Mengenlehre mit Hilfe der folgenden (Rück-)Übersetzung ableiten: Da in den betrachteten Formeln ϕ nur die Variablen A, B und C vorkommen, also V (ϕ) {A, B, C} gilt, genügt es Belegungen dieser Variablen zu betrachten. Wählen wir die Menge V als die Menge aller dieser Belegungen und ordnen wir einer Formel ϕ die Menge ˆϕ := {B V : B(ϕ) = 1} der Belegungen zu, die ϕ wahrmachen, so gilt nach Definition der Äquivalenz (mit dem Koinzidenzlemma): (1) ϕ äq ψ ˆϕ = ˆψ Weiter gilt nach Definition der Bewertungen (2) ϕ ψ = ˆϕ ˆψ und ϕ ψ = ˆϕ ˆψ und ϕ = ˆϕ sowie (3) A A = V und A A =. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 30 / 60

Boolesche Gesetze - Beweis von Lemma 6 (Fortsetzung) Dass sich mit Hilfe dieser Definitionen und Beobachtungen die Booleschen Gesetze für AL direkt aus den korrespondierenden Booleschen Gesetzen der Mengenlehre ergeben, illustrieren wir am Beispiel des 1. Distributivgesetzes: A (B C) äq (A B) (A C) A (B C) = (A B) (A C) (nach (1)) (Ende Beweis Lemma 6) Â (ˆB Ĉ) = (Â ˆB) (Â Ĉ) (nach (2)) Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 31 / 60

Einige weitere Äquivalenzen Die in Lemma 6 aufgelisteten Booleschen Gesetze fassen die wichtigsten semantischen Äquivalenzen von mit Hilfe der Junktoren, und gebildeten Formeln zusammen. Von den Gesetzen für die anderen Junktoren und betrachten wir hier noch die Distributivgesetze für und bzw. und : LEMMA 7. (i) A B C äq (A B) (A C) (ii) A B C äq (A B) (A C) (iii) A B C äq (A C) (B C) (iv) A B C äq (A C) (B C) Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 32 / 60

Beweis von Lemma 7 Wir beweisen nur Teil (iii) des Lemmas und überlassen die anderen ähnlich einfachen Beweise als Übung. Es genügt für eine gegebene Belegung B der vorkommenden Variablen zu zeigen, dass B(A B C) = 1 B((A C) (B C)) = 1 gilt. Dies zeigt man wie folgt: B(A B C) = 1 B(A B) B(C) nach Definition der Bewertungen max(b(a), B(B)) B(C) nach Definition der Bewertungen B(A) B(C) und B(B) B(C) B(A C) = 1 und B(B C) = 1 nach Definition der Bewertungen B(A C) (B C) = 1 nach Definition der Bewertungen Alternativ kann man Lemma 7 auf die Booleschen Gesetze in Lemma 6 zurückführen, indem man die Äquivalenz ϕ ψ äq ϕ ψ verwendet. Wir werden hierauf in Abschnitt 1.3 genauer eingehen. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 33 / 60

Die Einsetzungsregel Die vorangehenden Lemmata 1 und 5-7 hätten wir schärfer formulieren können, indem wir die dort vorkommenden Aussagenvariablen A, B, C durch beliebige al. Formeln ϕ 1, ϕ 2, ϕ 3 ersetzt hätten. Dass dies generell möglich ist, besagt die folgende Einsetzungsregel: LEMMA 8 (EINSETZUNGSREGEL). Ist die al. Formel ϕ allgemeingültig, so ist auch die al. Formel ϕ[ψ/a] allgemeingültig, die aus ϕ durch (simultanes) Ersetzen aller Vorkommen der Variablen A in ϕ durch die Formel ψ entsteht. BEISPIEL FÜR EINE EINSETZUNG: (A B A)[ A A/A] ( A A) B ( A A) BEMERKUNG: Formal lässt sich ϕ[ψ/a] durch Ind(ϕ) definieren: ϕ A n: ϕ ϕ 1 : ϕ[ψ/a] { ψ ϕ ( A n) ϕ[ψ/a] ϕ 1 [ψ/a] falls A n A falls A n A ϕ ϕ 1 ϕ 2 : ϕ[ψ/a] ϕ 1 [ψ/a] ϕ 2 [ψ/a] Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 34 / 60

Die Einsetzungsregel: Beweis Annahme: ϕ sei allgemeingültig und B : V (ϕ[ψ/a]) {0, 1} sei eine beliebige gegebene Belegung der Variablen in ϕ[ψ/a]. Zu zeigen: ( ) B(ϕ[ψ/A]) = 1 Kommt die Variable A in ϕ nicht vor, so gilt ϕ[ψ/a] ϕ. Wegen der Allgemeingültigkeit von ϕ ist ( ) also trivialerweise erfüllt. Im Folgenden dürfen wir daher annehmen, dass A in ϕ vorkommt. Sei also V (ϕ) = {A, B 1,..., B n } und V (ψ) = {C 1,..., C m } und daher V (ϕ[ψ/a]) = {B 1,..., B n, C 1,..., C m }. Definiere die Belegung B : V (ϕ) {0, 1} durch B (A) := B(ψ) und B (B i ) = B(B i ) Wegen ag[ϕ] gilt B (ϕ) = 1. Zum Nachweis von ( ) genügt es also zu zeigen. ( ) B (ϕ) = B(ϕ[ψ/A]) Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 35 / 60

Die Einsetzungsregel: Beweis (Fortsetzung) Wir beweisen ( ) B (ϕ) = B(ϕ[ψ/A]) durch Ind(ϕ): ϕ ist eine AV: Dann muss ϕ A (also ϕ[ψ/a] ψ) gelten und daher: B (ϕ) = B (A) wegen ϕ A = B(ψ) nach Definition von B = B(ϕ[ψ/A]) wegen ϕ[ψ/a] ψ ϕ ϕ 1 : Dann gilt ϕ[ψ/a] ϕ 1 [ψ/a], wobei nach I.V. B (ϕ 1 ) = B(ϕ 1 [ψ/a]). Also: B (ϕ) = B ( ϕ 1 ) wegen ϕ ϕ 1 = 1 B (ϕ 1 ) nach Definition der Bewertungen = 1 B(ϕ 1 [ψ/a]) nach I.V. = B( ϕ 1 [ψ/a]) nach Definition der Bewertungen = B(ϕ[ψ/A]) wegen ϕ[ψ/a] ϕ 1 [ψ/a] Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 36 / 60

Die Einsetzungsregel: Beweis (Ende) Wir beweisen ( ) B (ϕ) = B(ϕ[ψ/A]) durch Ind(ϕ) (Fortsetzung): ϕ ϕ 1 ϕ 2 : Diesen Fall führt man im Wesentlichen ebenfalls auf die I.V. zurück: Es gilt ϕ[ψ/a] ϕ 1 [ψ/a] ϕ 2 [ψ/a], wobei B (ϕ i ) = B(ϕ i [ψ/a]) nach I.V. gilt, falls A in ϕ i vorkommt. Kommt A in ϕ i nicht vor, so gilt jedoch B (ϕ i ) = B(ϕ i [ψ/a]) ebenfalls. In diesem Fall gilt nämlich V (ϕ i ) {B 1,..., B n } und ϕ i ϕ i [ψ/a]. Da B und B auf den Variablen B i übereinstimmen, gilt also B (ϕ i ) = B(ϕ i ) nach dem Koinzidenzlemma und damit (wegen ϕ i ϕ i [ψ/a]) B (ϕ i ) = B(ϕ i [ψ/a]). Also: B (ϕ) = B (ϕ 1 ϕ 2 ) wegen ϕ ϕ 1 ϕ 2 = f (B (ϕ 1 ), B (ϕ 2 )) nach Definition der Bewertungen = f (B(ϕ 1 [ψ/a]), B(ϕ 2 [ψ/a])) s.o. = B(ϕ 1 [ψ/a] ϕ 1 [ψ/a]) nach Definition der Bewertungen = B(ϕ[ψ/A]) wegen ϕ[ψ/a] ϕ 1 [ψ/a] ϕ 2 [ψ/a] Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 37 / 60

Die Ersetzungsregel Zum Abschluss betrachten wir noch die Ersetzungsregel. Diese besagt, dass wir durch Ersetzen von Teilformeln einer Formel χ durch äquivalente Formeln eine zu χ äquivalente Formel erhalten: LEMMA 9 (ERSETZUNGSREGEL). Sei ϕ ψ allgemeingültig. Dann ist auch χ χ(ψ/ϕ) allgemeingültig. Hierbei bezeichnet χ(ψ/ϕ) eine (i.a. nicht eindeutig bestimmte) Formel χ, die aus χ durch Ersetzen einiger (von keinem bis allen) Vorkommen der Teilformel ϕ durch ψ entsteht. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 38 / 60

Die Ersetzungsregel: Beispiel zur Definition von χ(ψ/ϕ) Seien χ : (A A) ( A A) und ϕ : A und ψ : A Dann tritt ϕ an 2 Stellen als Teilformel von χ auf: χ (A A) ( A A) Die Formel χ(ψ/ϕ) hat also eine der folgenden 4 möglichen Gestalten (kein Vorkommen ersetzt, erstes Vorkommen ersetzt, zweites Vorkommen ersetzt, beide Vorkommen ersetzt): (A A) ( A A) (A A) ( A A) (A A) ( A A) (A A) ( A A) Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 39 / 60

Die Ersetzungsregel: Formale Definition von χ(ψ/ϕ) und Beweisidee Formal definiert man die Menge Sub(χ, ϕ, ψ) aller Varianten χ(ψ/ϕ) von χ durch Ind(χ), wobei wir die folgenden beiden Fälle unterscheiden: Ist ϕ χ, so gilt Sub(χ, ϕ, ψ) = {χ, ψ}. Andernfalls gilt: χ A: χ χ 1 : Sub(χ, ϕ, ψ) = {χ} (NB: In diesem Fall ist ϕ keine Teilformel von χ) Sub(χ, ϕ, ψ) = { χ 1 : χ 1 Sub(χ 1, ϕ, ψ)} χ χ 1 χ 2 : Sub(χ, ϕ, ψ) = {χ 1 χ 2 : χ i Sub(χ i, ϕ, ψ)} Mit dieser formalen induktiven Beschreibung der möglichen Gestalten von χ(ψ/ϕ) lässt sich das Ersetzungslemma leicht durch Ind(χ) zeigen: s. Übungen. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 40 / 60

1.2.3 Der semantische Folgerungsbegriff Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 41 / 60

Vorbemerkungen In der Untersuchung einer mathematischen Theorie gehen wir in der Regel von einer (möglicherweise unendlichen) Menge von Axiomen (den Grundsätzen der Theorie) aus und betrachten die Aussagen, die aus diesen logisch folgen (die Theoreme oder (Lehr-)Sätze der Theorie). Um den hierbei verwendeten semantischen Folgerungsbegriff zu definieren, müssen wir den bereits eingeführten Folgerungsbegriff ϕ impl ψ (d.h. ψ folgt aus ϕ) von einer Formel ϕ auf eine Menge T von Formeln verallgemeinern. (Wobei wir in diesem Kapitel natürlich nur aussagenlogische Folgerungen betrachten.) Gleichzeitig verallgemeinern wir den Erfüllbarkeitsbegriff von Formeln ϕ auf Formelmengen T und zeigen, dass sich der Folgerungsbegriff auf den Erfüllbarkeitsbegriff zurückführen lässt. Hierbei nennen wir eine Formelmenge T erfüllbar, wenn es eine Belegung gibt, die alle Formeln in T wahrmacht. Im Folgenden sei T stets eine (möglicherweise unendliche) Menge von al. Formeln und V (T ) sei die Menge aller Variablen, die in den Formeln aus T vorkommen, d.h. V (T ) = V (ϕ) ϕ T Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 42 / 60

Erfüllbarkeit von Formelmengen: Definition Wir betrachten zunächst den verallgemeinerten Erfüllbarkeitsbegriff für (nichtleere) Formelmengen: DEFINITION 1. Sei T eine nichtleere Menge al. Formeln mit Variablenmenge V (T ). (i) Eine Belegung B : V (T ) {0, 1} macht die Formelmenge T wahr (kurz: B T ), falls B alle Formeln ϕ in T wahrmacht, d.h. wenn gilt: ϕ T : B(ϕ) = 1 (ii) Die Formelmenge T is erfüllbar (kurz: erfb[t ]), wenn es eine Belegung B von V (T ) gibt, die T wahrmacht. Es gilt also: erfb[t ] B B(V (T )) : B T B B(V (T )) ϕ T : B(ϕ) = 1 Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 43 / 60

Erfüllbarkeit von Formelmengen: Bemerkungen BEMERKUNG 1. Enthält T nur eine Formel ϕ (d.h. T = {ϕ}), so macht B die Formelmenge T genau dann wahr, wenn B die Formel ϕ wahrmacht. Schreiben wir statt B {ϕ} kurz B ϕ, so gilt also B {ϕ} B ϕ B(ϕ) = 1 Es folgt, dass die Formelmenge T = {ϕ} genau dann erfüllbar ist, wenn die Formel ϕ erfüllbar ist. Die Erfüllbarkeit für Formelmengen verallgemeinert daher die Erfüllbarkeit für Formeln. BEMERKUNG 2. Ist T erfüllbar, so ist offensichtlich jede Formel ϕ T erfüllbar. Die Umkehrung gilt jedoch i.a. nicht, da die Erfüllbarkeit von T verlangt, dass es eine Belegung gibt, die gleichzeitig alle ϕ in T wahrmacht. Z.B. ist T = {A, A} nicht erfüllbar, da es keine Belegung B von V (T ) = {A} gibt, die A und A wahrmacht (da B(A) = 1 g.d.w. B( A) = 0). Die beiden Formeln A und A in T sind aber beide erfüllbar (nämlich A wird von der Belgung B(A) = 1 wahrgemacht und A wird von der Belegung B (A) = 0 wahrgemacht). Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 44 / 60

Erfüllbarkeit von Formelmengen: Bemerkungen (Forts.) BEMERKUNG 3. Für endliche, nichtleere Formelmengen lässt sich die Erfüllbarkeit auf die Erfüllbarkeit von Formeln zurückführen: Für T = {ϕ 1,..., ϕ n } gilt: erfb[t ] erfb[ϕ 1 ϕ n ] Dies ergibt sich unmittelbar aus der Definition, da nach Definition der Bewertungen B(ϕ 1 ϕ n ) = 1 genau dann gilt, wenn B(ϕ 1 ) = = B(ϕ n ) = 1 gilt. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 45 / 60

Der semantische Folgerungsbegriff DEFINITION 2. Eine al. Formel ϕ folgt aus einer (möglicherweise leeren oder unendlichen) Menge T von al. Formeln (kurz: T ϕ), falls jede Belegung B von V (T ) V (ϕ), die T wahrmacht, auch ϕ wahrmacht, d.h., falls gilt: B B(V (T ) V (ϕ)) [B T B ϕ] BEISPIELE. Es gilt {A} A und {A} A B aber {A} A und {A} A B. (Hierbei bezeichnet T ϕ, dass ϕ nicht aus T folgt.) Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 46 / 60

Der semantische Folgerungsbegriff: einfache Beobachtungen BEMERKUNG 4. Ist T die leere Menge, so macht (trivialerweise) jede Belegung jede Formel in T wahr (da es keine Formeln in T gibt). Also: ϕ ag[ϕ] Dies zeigt, dass der Folgerungsbegriff eine Verallgemeinerung des Allgemeingültigkeitsbegriffs ist. In Zukunft schreiben wir statt ϕ kurz ϕ. Es gilt also ϕ ag[ϕ] Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 47 / 60

Der semantische Folgerungsbegriff: einfache Beobachtungen (Forts.) BEMERKUNG 5. Für 1-elementiges T = {ϕ} stimmt der semantische Folgerungsbegriff mit der semantischen Implikation überein: {ϕ} ψ ϕ impl ψ Schreiben wir statt {ϕ 1,..., ϕ n } ψ kurz ϕ 1,..., ϕ n ψ, so gilt allgemeiner für endliches nichtleeres T : ϕ 1,..., ϕ n ψ ϕ 1 ϕ n ψ ϕ 1 ϕ n impl ψ Hiermit lässt sich die Beobachtung aus dem letzten Abschnitt, dass sich die semantische Implikation mit Hilfe des Junktors der Implikation und der Allgemeingültigkeit darstellen lässt, nämlich ϕ impl ψ ag[ϕ ψ] auf endliche Formelmengen T verallgemeinern: Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 48 / 60

Der semantische Folgerungsbegriff: einfache Beobachtungen (Forts.) LEMMA 1. Es gilt ϕ 1,..., ϕ n ψ ag[ϕ 1 ϕ n ψ] ( ϕ 1 ϕ n ψ) BEWEIS. Es gilt ϕ 1,..., ϕ n ψ ϕ 1 ϕ n ψ (Bemerkung 5) ϕ 1 ϕ n impl ψ (Bemerkung 5) ag[ϕ 1 ϕ n ψ] (Lemma 4 in Abschnitt 1.2.2) Schließlich beobachten wir noch, dass der Folgerungsbegriff monoton ist: BEMERKUNG 6. Der semantische Folgerunsgbegriff ist monoton. D.h. es gilt T T & T ϕ T ϕ (Dies folgt unmittelbar aus der Definition.) Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 49 / 60

Semantische Folgerung vs. Erfüllbarkeit Wie wir gezeigt haben, lässt sich für endliches T der Folgerungsbegriff auf den Allgemeingültigkeitsbegriff zurückführen. Wie wir nun noch zeigen werden, lassen sich für beliebiges (möglicherweise unendliches) T Folgerungsbegriff und Erfüllbarkeit wechselseitig aufeinander zurückführen: LEMMA 2 (Folgerung vs. Erfüllbarkeit). (i) T ϕ nicht erfb[t { ϕ}] (ii) T ϕ erfb[t { ϕ}] Da (ii) die Kontraposition von (i) ist (modulo doppelter Verneinung), genügt es (i) zu beweisen: Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 50 / 60

Semantische Folgerung vs. Erfüllbarkeit BEWEIS VON LEMMA 2 (i). T ϕ B B(V (T ) V (ϕ)) [B T B ϕ] (Definition von ) B B(V (T ) V (ϕ)) [B T & B ϕ] (klar) B B(V (T ) V (ϕ)) [B T & B ϕ] (Definition der Bewertungen) B B(V (T ) V (ϕ)) [B T { ϕ}] (klar) nicht erfb [T { ϕ}] (Definition von erfb) Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 51 / 60

Semantische Folgerung vs. Erfüllbarkeit Umgekehrt lässt sich für nichtleeres T die Erfüllbarkeit von T auf den Folgerungsbegriff zurückführen: LEMMA 3 (Erfüllbarkeit vs. Semantische Folgerung). Für T sind folgende Aussagen äquivalent: (i) erfb[t ] (ii) ϕ [T ϕ und T ϕ] (iii) ϕ [T ϕ] Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 52 / 60

Semantische Folgerung vs. Erfüllbarkeit BEWEIS VON LEMMA 3. (i) (ii). Dies zeigt man durch Kontraposition: Annahme: Es gäbe eine Formel ϕ mit T ϕ und T ϕ. Nach Definition bedeutet dies, dass jede Belegung B, die T wahrmacht auch ϕ und ϕ wahrmacht. Da es keine Belegung gibt, die sowohl eine Formel als auch deren Negation wahr macht, folgt, dass keine Belegung T wahrmacht. Also: T ist nicht erfüllbar. (ii) (iii). Nach Annahme (ii) gilt T A oder T A für jede Variable A. Also gilt (iii) für ϕ : A oder ϕ : A. (iii) (i). Gelte T ϕ. Nach Definition gibt es dann eine Belegung B, die zwar T wahrmacht nicht aber ϕ. Aus Ersterem folgt aber direkt, dass T erfüllbar ist. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 53 / 60

1.2.4 Al. Formeln als Darstellungen Boolescher Funktionen Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 54 / 60

Die von al. Formeln dargestellten Booleschen Funktionen Al. Formeln kann man als Darstellungen Boolescher Funktionen auffassen: DEFINITION 1. Sei ϕ eine al. Formel mit V (ϕ) {A 0,..., A n 1 }. Die von ϕ dargestellte (definierte) n-stellige Boolesche Funktion f ϕ,n ist definiert durch f ϕ,n (i 0,..., i n 1 ) = ˆB i0,...,i n 1 (ϕ) wobei die Belegung B i0,...,i n 1 : {A 0,..., A n 1 } {0, 1} durch gegeben ist. B i0,...,i n 1 (A j ) = i j (j = 0,..., n 1) Gilt V (ϕ) = {A 0,..., A n 1 }, so schreiben wir statt f ϕ,n auch einfach f ϕ. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 55 / 60

Bemerkungen (1) BEMERKUNG 1: Die Boolesche Funktion f ϕ,n gibt also gerade die Wahrheitswerte von ϕ bzgl. der möglichen Belegungen der Variablen A 0,..., A n 1 an. Dabei erhält man f ϕ,n (i 0,..., i n 1 ) indem man die Variablen A j mit den Wahrheitswerten i j (für j = 0,..., n 1) belegt und dann ϕ bzgl. dieser Belegung auswertet. Für eine Belegung B der Variablen A 0,..., A n 1 gilt also: f ϕ,n (B(A 0 ),..., B(A n 1 )) = B(ϕ) Die schon früher angegebene Bewertungstabelle einer Formel ϕ (siehe z.b. die Tabelle im Beweis von Lemma 1 in Abschnitt 1.2.2) ist also gerade die Wertetabelle der Funktion f ϕ,n. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 56 / 60

Bemerkungen (2) BEMERKUNG 2. Durch Umbenennen der Variablen in einer Formel ϕ kann man immer V (ϕ) = {A 0,..., A n 1 } erreichen, wobei n die Anzahl der in ϕ vorkommenden Variablen ist. Modulo dieser Umbenennung stellt also jede al. Formel ϕ mit n Variablen eine eindeutig bestimmte n-stellige Boolesche Funktion dar. BEMERKUNG 3. Die von einer Formel ϕ mit V (ϕ) {A 0,..., A n 1 } dargestellte n-st. Boolesche Funktion f ϕ,n lässt sich alternativ wie folgt durch Induktion nach dem Aufbau von ϕ definieren (wobei x = (x 0,..., x n 1 ) {0, 1} n ): (f1) ϕ A i : f Ai,n( x) = x i (f2) ϕ ψ: f ψ,n ( x) = f (f ψ,n ( x)) (f3) ϕ ψ 0 ψ 1 : f ψ0 ψ 1,n( x) = f (f ψ0,n( x), f ψ1,n( x)) (Die Äquivalenz der beiden Definitionen zeigt man leicht durch Ind(ϕ).) Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 57 / 60

Beispiele Für die Formeln ϕ 1 A 0, ϕ 2 A 0 A 1, ϕ 3 A 0 A 1, ϕ 4 A 0 A 1 und ϕ 5 A 0 A 1 gilt gerade f ϕ1 = f ϕ1,1 = f, f ϕ2 = f ϕ2,2 = f, f ϕ3 = f ϕ3,2 = f, f ϕ4 = f ϕ4,2 = f und f ϕ5 = f ϕ5,2 = f. Die Formeln ψ 0 (A 0 A 0 ) und ψ 1 (A 0 A 0 ) stellen die konstanten Booleschen Funktionen mit Wert 0 bzw. 1 dar: f ψi,n(i 0,..., i n 1 ) = i (für n 1 und i, i 0,..., i n 1 1) Die Formel ϕ (A 0 A 1 ) ( A 0 A 1 ) stellt die EXOR-Funktion (exklusives oder) dar. D.h. f ϕ = f EXOR : x 0 x 1 f EXOR (x 0, x 1 ) 0 0 0 0 1 1 1 0 1 1 1 0 Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 58 / 60

Die von einer Formel dargestellte Boolesche Funktion und die zentralen semantischen Begriffe Die in Abschnitt 1.2.2 eingeführten zentralen semantischen Begriffe lassen sich mit Hilfe der von den al. Formeln dargestellten Funktionen wie folgt beschreiben: SATZ 1. Seien ϕ und ψ al. Formeln, in denen höchstens die Variablen A 0,..., A n 1 vorkommen. Dann gilt: 1 erfb[ϕ] x {0, 1} n : f ϕ,n ( x) = 1 2 ag[ϕ] x {0, 1} n : f ϕ,n ( x) = 1 3 kd[ϕ] x {0, 1} n : f ϕ,n ( x) = 0 4 ϕ impl ψ x {0, 1} n : f ϕ,n ( x) f ψ,n ( x) (d.h.: x {0, 1} n : f ϕ,n ( x) = 1 f ψ,n ( x) = 1) 5 ϕ äq ψ x {0, 1} n : f ϕ,n ( x) = f ψ,n ( x) (d.h.: x {0, 1} n : f ϕ,n ( x) = 1 f ψ,n ( x) = 1) BEWEIS. Dies folgt unmittelbar aus der Definition von f ϕ,n bzw. f ψ,n. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 59 / 60

Abschließende Bemerkungen Nach dem vorhergehenden Satz stellen äquivalente Formeln dieselben Booleschen Funktionen dar. Die Darstellung einer Booleschen Funktion durch eine al. Formel ist also nicht eindeutig, sondern zu jeder Booleschen Funktion f, die sich durch eine Formel ϕ darstellen lässt (d.h. f = f ϕ ), gibt es unendlich viele Formeln, die f darstellen (z.b. die zu ϕ äquivalenten Formeln ϕ ϕ, ϕ ϕ ϕ,... ). Im nächsten Abschnitt werden wir zeigen, dass sich jede Boolesche Funktion durch eine al. Formel darstellen lässt. Dabei genügt es sogar sog. Boolesche Formeln zu betrachten, d.h. al. Formeln, in denen die Junktoren und nicht vorkommen. Mathematische Logik (WS 2013/14) Kapitel 1.2: Semantik der Aussagenlogik 60 / 60