Die Selbstbeurteilung als Methode zur Erfassung der Kommunikationsfähigkeit bei Aphasie

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Transkript:

Die Selbstbeurteilung als Methode zur Erfassung der Kommunikationsfähigkeit bei Aphasie Aktuelle Situation in der Aphasiediagnostik Verfahren beurteilen meist die Störungsebene; Bereiche Aktivität und Partizipation finden kaum Berücksichtigung (Schneider et al. 2012) Beurteilung erfolgt aus der Perspektive der Professionellen, nicht aus der Perspektive des Betroffenen (Swinburn et al. 2006) 1

Gründe für die Selbstbeurteilung Betroffener als Experte seiner Lebenssituation und seiner Kommunikationsfähigkeit (Rautakowski et al. 2008) Ermöglicht Einbindung des Klienten in die Zielfindung (Chue et al. 2010) patientenzentriertes Arbeiten (ICF) Bestehende Verfahren zur Selbstbeurteilung ALQI: Aachener Lebensqualitätsinventar (Hütter & Gilsbach 1995) COAST : Communication Outcome after Stroke (Long et al. 2008) SAQOL-39: Stroke and Aphasia Quality of Life Scale-39 (Hilari & Byng 2001) CDP: Communication Disability Profile (Swinburn & Byng 2006) 2

CDP - Communication Disability Profile Vorteile Schwerpunkt Kommunikationsfähigkeit Zielgruppe: schwerer Betroffene Schrift- und Bildunterstützung Reliabilitätsstudie zeigt insgesamt gute Kennwerte (Chue et al. 2010) CDP - Communication Disability Profile 3

Zwischenfazit zu den Verfahren Angloamerikanischer Raum Fokus der Verfahren liegt meist auf der Lebensqualität Eher für leicht Betroffene konzipiert Deutschsprachiger Raum Mangel an Verfahren zur Selbstbeurteilung: derzeit kein Verfahren in deutscher Sprache, das veröffentlicht und gleichzeitig psychometrisch abgesichert ist Handlungsbedarf Pilotstudie an der LMU (Masterstudiengang Sprachtherapie, Leitung Dr. Sandra Schütz): Entwicklung des Verfahrens Kommunikationsorientierte Selbstbeurteilung bei Aphasie (KOSA) 4

Ziele der Studie Beschreibung der Entwicklung des Verfahrens KOSA Evaluation des Bildmaterials durch Sprachgesunde Erprobung des Verfahrens an einem aphasischen Probanden und Vergleich der Testergebnisse KOSA mit den Ergebnissen des AAT Befragung des Probanden zum Verfahren und zum Bildmaterial Methodik: Entwicklung Kommunikationsorientierte Selbstbeurteilung bei Aphasie (KOSA) Entwickelt in Anlehnung an den CDP, was Struktur und Inhalt betrifft Erweiterungen und Veränderungen vor dem Hintergrund einer Reliabilitätsstudie (Chue et al. 2010) keine Adaption, sondern Modifikation 5

Methodik: Entwicklung KOSA (1) Aufbau und Inhalt 1. Einführung Wie gut können Sie einen Artikel lesen? 2. Sich Mitteilen 3. Verstehen 4. Lesen 5. Schreiben 6. Alltag 7. Hilfen Insgesamt 36 Items Methodik: Entwicklung KOSA (2) Durchführung Fragen zur kommunikativen Leistung (Kommunikationspunkte) Fragen zur Relevanz der Leistung (Relevanzpunkte) Standardisierung durch Hinweise zur Durchführung im Manual, vorgegebene Formulierungen im Protokollbogen Oberstes Ziel: Verständnissicherung des Patienten, Hilfestellungen erlaubt 6

Methodik: Entwicklung KOSA (3) Bewertung Durch den Betroffenen selbst 5-stufige Ratingskala Auswertung Quantitativ: KOSA- Wert (in %) Qualitativ: Relevanz der Einzelitems zur Findung der Therapieziele Methodik: Entwicklung KOSA (4) Aphasiefreundliche Materialien Bildmaterial Wie gut geht das Reisen? Identifikationsfigur Einsatz von Farbe Ablenkungsarme Zeichnungen Schrift Vereinfachte Syntax Große Schrift Schlüsselwörter fett gedruckt Beginn der Fragen stets mit ähnlichem Wortlaut 7

Methodik: Evaluation des Bildmaterials durch Sprachgesunde Quantitativ Befragung von zehn sprachgesunden Personen hinsichtlich der Erkennbarkeit des Bildmaterials Ziel: Nennen vorher festgelegter Schlüsselwörter oder Synonyme Qualitativ Bei Nicht-erkennen: Frage nach Verbesserungsvorschlägen Methodik: Testung und Befragung des aphasischen Probanden Testung AAT Testung KOSA Feedback des Probanden zum Verfahren Feedback des Probanden zum Bildmaterial 8

Methodik: Vergleich der Ergebnisse AAT und KOSA Ziel: In Bezug setzen der Ergebnisse der KOSA mit den Ergebnissen eines bereits normierten Verfahrens (AAT) Vergleich: Wie beurteilt sich der Proband in den Modalitäten selbst und wie wird er in den Testteilen Kommunikationsverhalten, Sprachverständnis, Lesesinnverständnis und Schriftsprache durch den AAT bewertet? Ergebnisse: Evaluation Bildmaterial durch Sprachgesunde Quantitative Ergebnisse 66% der 31 Items richtig erkannt 12 Items von weniger als 50% erkannt Erkennbarkeit der Items in Prozent: 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 M1 M2 M3 V1 V2 V3 L1 L2 L3 L4 S1 S2 S3 S4 A1 A2 A3 A4 A5 A6 A7 A8 A9 A10 A11 H1 H2 H3 H4 H5 H6 9

Ergebnisse: Evaluation Bildmaterial durch Sprachgesunde Qualitative Ergebnisse Beispiel: Wie gut können Sie öffentliche Verkehrsmittel benutzen? Anregung: Der Mann sollte gerade in den Bus einsteigen Ergebnisse: Vergleich der Ergebnisse AAT und KOSA Selbstbeurteilung in den Modalitäten bis zu 20% besser Durchschnittliche Abweichung 17% 10

Ergebnisse: Befragung des aphasischen Probanden Feedback zum Verfahren Insgesamt sehr gute bis gute Bewertung des Verfahrens in den Kategorien Anweisungen, Bilder, Schrift, Bewertungsskala, Durchführung Schlechtere Bewertung bei: Wichtigkeit der Situationen für Alltag und Skala als Mittel zur Bewertung Anmerkungen: Verfahren gut verständlich, aber eher für schwerer Betroffene geeignet Ergebnisse: Befragung des aphasischen Probanden Feedback zum Bildmaterial Bsp.: Karten spielen bei Parese kaum möglich 11

Diskussion: Evaluation Bildmaterial Quantitativ Herausforderung für Sprachgesunde: Benennleistung gefragt (produktiv), während Patienten Bilder erkennen müssen (perzeptiv) Trotzdem wurden viele Items erkannt Qualitativ Wertvolles Feedback der Sprachgesunden und aus der Sicht des aphasischen Probanden Diskussion: Vergleich AAT und KOSA Mögliche Gründe für Abweichungen AAT: Einschränkungen in der Messgenauigkeit im Bereich sehr leichter Störungen Tests messen nicht exakt die gleichen kommunikativen bzw. sprachlichen Leistungen Mögliche Gründe für bessere Einschätzung des Probanden in den Modalitäten Proband kommuniziert besser als er spricht Proband hat sehr gute Kompensationsstrategien 12

Fazit Durch KOSA wertvolle Erkenntnisse, wie der Patient selbst seine Fähigkeiten einschätzt Einblick in das Störungsbewusstsein Fragen nach der Relevanz erleichtern gemeinsame Zielfindung in der Therapie KOSA durch Schrift- und Bildunterstützung auch für schwer Betroffene geeignet Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit 13