Schulische Inklusion Versuch der Schärfung eines Begriffs

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Transkript:

Schulische Inklusion Versuch der Schärfung eines Begriffs Prof. Dr. Tanja Sturm Vortrag im Rahmen des 2. internationalen Fachgesprächs zu Inklusion der Arbeitsstelle Diversität und Unterrichtsentwicklung Frankfurt, 30. November 2017 Institut für Erziehungswissenschaft

Inklusion in der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft - zentraler Begriff der aktuellen schul- und sonderpädagogischen Diskussion - auch Kritik am Inklusionsbegriff, aber (bisher) Festhalten an der Begrifflichkeit: Reflexion gesellschaftlicher Ungleichheit und Exklusion - Inklusion in Relation zu Behinderung: medizinisches und soziales Modell von Behinderung (z.b. Sturm 2016) Prof. Dr. Tanja Sturm 2

Inklusion im Kontext von Schule und Unterricht - enges und weites Verständnis von Inklusion (Budde/Hummrich 2013) - technisches versus kulturelles Verständnis (Slee/Weiner 2011) - Strukturen und Praxen erkennen, die Benachteiligung und Behinderung in Schule und Unterricht hervorbringen (Sturm 2016) - Inklusion in Relation zu gesellschaftlicher Exklusion/Marginalisierung (Kronauer 2010) Prof. Dr. Tanja Sturm 3

Formaler Rahmen schulischer Inklusion KMK-Empfehlungen (1994, 2011) UN-BRK (2006; 2008), ratifiziert D: 2009 orientiert an egalitärer Differenz nach Leistung gegliedertes Schulsystem Kategorisierung nach Bildungsgängen und spf stufen- und bildungsgangbezogene Lehramtsstudiengänge orientiert an hierarchischer Unterscheidung: besser/schlechter Prof. Dr. Tanja Sturm 4

Beispiel 1: Kontrolle individueller schulischer Leistung Prof. Dr. Tanja Sturm 5

Beispiel 1: Kontrolle individueller schulischer Leistung Prof. Dr. Tanja Sturm 6

Beispiel 1: Kontrolle individueller schulischer Leistung Prof. Dr. Tanja Sturm 7

Diskussion der Ergebnisse - zentrale Bezugspunkte der unterrichtlichen Praxis: - Ergebnisse der SuS kontrollieren zu können, die Idee der Freiarbeit wird dem nachgeordnet - individuelle Unterscheidung der SuS entlang ihrer Arbeitsleistung/Arbeitsmoral (besser/schlechter) - formale Erwartung an die LP: Bewertung von SuS-Leistungen rahmt die pädagogisch-unterrichtlichen Möglichkeiten und unterstützt die Unterscheidung in besser/schlechter (Sturm 2014) Prof. Dr. Tanja Sturm 8

Resümee - schulische Inklusion, die den Anspruch erhebt, Behinderungen und Benachteiligungen zu erkennen und zu überwinden, reflektiert - den gesellschaftlichen Rahmen mit seinen formalen Regeln und sozialen Ungleichheiten - die widersprüchlichen, formalen Erwartungen der Organisation Schule - wie Menschen mit unterschiedlichen sozialen und biografischen Erfahrungen Partizipations- und Gestaltungsmöglichkeiten erfahren können Prof. Dr. Tanja Sturm 9

Literatur Ainscow, Mel & Sandill, Abha (2010): Developing inclusive education systems: the role of organizational cultures and leadership. International Journal of Inclusive Education, 14(4), S. 401-416. Budde, Jürgen & Hummrich, Merle (2013). Reflexive Inklusion. Zeitschrift für Inklusion, 4-2013(4). http://www.inklusiononline.net/index.php/inklusion-online/article/view/193/199 Hazibar, Kerstin & Mecheril, Paul (2013): Es gibt keine richtige Pädagogik in falschen gesellschaftlichen Verhältnissen. Widerspruch als Grundkategorie einer Behinderungspädagogik. Inklusion online(1). Katzenbach, Dieter (2015): Zu den Theoriefundamenten der Inklusion - Eine Einladung zum Diskurs aus der Perspektive der kritischen Theorie. In: Schnell, Irmtraud (Hrsg.), Herausforderung Inklusion. Theoriebildung und Praxis (S. 19-32). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. KMK (1994). Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland. Zugriff: http://www.kmk.org/fileadmin/dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/ 1994/1994_05_06-Empfehl-Sonderpaedagogische-Foerderung.pdf.KMK (2011). Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen. Zugriff: http://www.kmk.org/ fileadmin/dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2011/2011_10_20-inklusive-bildung.pdf. Kronauer, Martin (2010). Exklusion. Die Gefährdung des Sozialen im hoch entwickelten Kapitalismus (2. aktual. und erw. Aufl.). Frankfurt/New York: Campus Verlag. Prof. Dr. Tanja Sturm 10

Literatur Slee, Roger & Weiner, Gaby (2011): Education Reform and Reconstruction as a Challenge to Research Genres: Reconsidering School Effectiveness Research and Inclusive Schooling. School Effectiveness and School Improvement: An International Journal of Research, Policy and Practice, 12(1), 83-98. Söderfeldt, Ylva (2013). From Pathology to Public Sphere. The German Deaf Movement 1848-1914. Bielefeld: transcript. Sturm, Tanja (2014): Unterrichtliche Praktiken der (Re-)Produktion von Differenz in der Freiarbeit. In: Lichtblau, Michael; Blömer, Daniel; Jüttner, Ann-Kathrin; Koch, Katja; Krüger, Michaela & Werning, Rolf (Hrsg.), Gemeinsamen Jahrestagung der DGfE Kommission Grundschulforschung und Didaktik der Primarstufe und der DGfE Sektion Sonderpädagogik. Forschungsorientierter Band. (S. 275-288). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Sturm, Tanja (2016). Lehrbuch: Heterogenität in der Schule (2. überarbeitete Aufl.). München, Basel: Reinhardt Verlag, UTB. Tervooren, Anja (2000): Differenz anders gesehen: Studien zu Behinderung. Vierteljahreszeitschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete, 69(3), 316-319. UN (2006; 2008). Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. (dreisprachige Fassung im Bundesgesetzblatt Teil II Nr. 35 vom 31.12.2008). (Manuskriptdruck). Zugriff: http://www.un.org/depts/german/uebereinkommen/ar61106- dbgbl.pdf. Prof. Dr. Tanja Sturm 11

Vielen Dank für Ihr Interesse! tanja.sturm@uni-muenster.de Institut für Erziehungswissenschaft