SYSTEMTHEORIE. Prof. Dr.-Ing. Michael Schnell Prof. Dr. August Reiner Dipl. Ing. Manfred Schneider

Ähnliche Dokumente
Nachrichtentechnik [NAT] Kapitel 3: Zeitkontinuierliche Systeme. Dipl.-Ing. Udo Ahlvers HAW Hamburg, FB Medientechnik

Einführung in die Systemtheorie

Einstieg in die Regelungstechnik

Labor RT Versuch RT1-1. Versuchsvorbereitung. Prof. Dr.-Ing. Gernot Freitag. FB: EuI, FH Darmstadt. Darmstadt, den

Regelungstechnik 1. Systemtheoretische Gmndlagen, Analyse und Entwurf einschleifiger Regelungen. Jan Lunze. 8., neu bearbeitete Auflage

Fourierreihen periodischer Funktionen

Übungsaufgaben zur Vorlesung Regelungssysteme (Grundlagen)

Grundlagen der Regelungstechnik I (Prof. Dr.-Ing. habil. Jörg Grabow Fachgebiet Mechatronik FH Jena

Regelungstechnik 1. Systemtheoretische Grundlagen, Analyse und Entwurf einschleifiger Regelungen

UNIVERSITÄT DUISBURG - ESSEN Fakultät für Ingenieurwissenschaften, Abt. Maschinenbau, Professur für Steuerung, Regelung und Systemdynamik

Regelungstechnik I. Heinz JUnbehauen. Klassische Verfahren zur Analyse und Synthese linearer kontinuierlicher Regelsysteme. 3., durchgesehene Auflage

Autonome Mobile Systeme

Regelungstechnik und Simulationstechnik mit Scilab und Modelica

ÜBUNG 2 ZUR VORLESUNG PROZESSSTEUERUNG (ERSATZLEHRVERANSTALTUNG FÜR SYSTEMORIENTIERTE INFORMATIK )

5. Fourier-Transformation

Beschreibung linearer Systeme im Frequenzbereich

Institut für Elektrotechnik und Informationstechnik. Aufgabensammlung zur. Systemtheorie

Grundlagen der Regelungstechnik

Das wissen Sie: 6. Welche Möglichkeiten zur Darstellung periodischer Funktionen (Signalen) kennen Sie?

Regelungstechnik für Ingenieure

^ Springer Vieweg. Regelungstechnik 1. Systemtheoretische Grundlagen, Analyse. und Entwurf einschleifiger Regelungen. 10., aktualisierte Auflage

x 1 + u y 2 = 2 0 x 2 + 4u 2.

Transformationen Übungen 1. 1 Signale und Systeme. 1.1 Gegeben ist die Funktion f(t). Skizzieren Sie folgende Funktionen: a) f(t - 3) b) f(2 t) f(t)

Die regelungstechnischen Grundfunktionen P, I, D, Totzeit und PT1. 1. Methoden zur Untersuchung von Regelstrecken

Institut für Elektrotechnik und Informationstechnik. Aufgabensammlung zur. Regelungstechnik B. Prof. Dr. techn. F. Gausch Dipl.-Ing. C.

Einführung in die Regelungstechnik

Übung 5 zur Vorlesung SYSTEMORIENTIERTE INFORMATIK HW-, SW-CODESIGN

Betrachtetes Systemmodell

Einleitung Einführung in die Aufgabenstellung der Regelungstechnik Beispiel einer Wasserstandsregelung 5

Moderne Regelungssysteme

Grundlagen der Regelungstechnik

Elektrotechnik für Informatiker

Systemtheorie für Informatiker

Grundkurs der Regelungstechnik

PRAKTIKUM REGELUNGSTECHNIK 2

Zeitfunktionen. Kapitel Elementarfunktionen

Signale und Systeme. Martin Werner

Übung 8 zur Vorlesung SYSTEMORIENTIERTE INFORMATIK HW-, SW-CODESIGN

Einführung in die Regelungstechnik

Übung 1 zur Vorlesung GEBÄUDESYSTEMTECHNIK

Regelungstechnik für Ingenieure

Elementare Regelungstechnik

Elementare Regelungstechnik

,Faltung. Heavisidefunktion σ (t), Diracimpuls δ (t) Anwendungen. 1) Rechteckimpuls. 2) Sprungfunktionen. 3) Schaltvorgänge

Die Beschreibung von Signalen und Systemen kann in verschiedenen Bereichen erfolgen:

Elementare Regelungstechnik

Elementare Regelungstechnik

x 1 + u y 2 = 2 0 x 2 + 4u 2.

Schriftliche Prüfung aus Control Systems 1 am

Frequenzganganalyse, Teil 2: P-, I- und D - Glieder

Zulassungsprüfung für den Master-Studiengang in Elektrotechnik und Informationstechnik an der Leibniz Universität Hannover

Grundlagen der Regelungstechnik Theorie, elektronische Regelungen, digitale Regeleinrichtungen, Fuzzy-Regelung

Grundlagen der Elektrotechnik 3. Übungsaufgaben

INSTITUT FÜR REGELUNGSTECHNIK

Prozessidentifikation mit Sprungantworten

Vorlesung Regelungstechnik SoSe 2018 PO2008, PO2015, weitere. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dirk Söffker. Ort: MD 162/MC 122 Zeit: Freitag,

Vorwort. I Einführung 1. 1 Einleitung Signale Systeme Signalverarbeitung Struktur des Buches 9. 2 Mathematische Grundlagen 11

1. Laborpraktikum. Abbildung 1: Gleichstrommotor Quanser QET

Regelungs-und Steuerungstechnik

a) Beschreiben Sie den Unterschied zwischen einer Regelung und einer Steuerung an Hand eines Blockschaltbildes.

Regelungs-und Steuerungstechnik

R. Oldenbourg Verlag München Wien 1997

Zulassungsprüfung für den Master-Studiengang in Elektrotechnik und Informationstechnik an der Leibniz Universität Hannover

Regelungstechnik für Ingenieure

Regelungstechnik für Ingenieure

Eigenschaften und Anwendung zeitdiskreter Systeme

Arbeitsbereich Technische Aspekte Multimodaler Systeme (TAMS) Praktikum der Technischen Informatik T2 2. Kapazität. Wechselspannung. Name:...

LTI-Systeme in Frequenzbereich und Zeitbereich

2. Praktikum. Die Abgabe der Vorbereitungsaufgaben erfolgt einzeln, im Praktikum kann dann wieder in 2er-Gruppen abgegeben werden.

Vordiplomprüfung Grundlagen der Elektrotechnik III

Kapitel 2. Signaldarstellung. Automatisierungstechnik in der Wasserwirtschaft

Schriftliche Prüfung aus Nichtlineare elektrische Systeme Teil: Dourdoumas am

Einstieg in die Regelungstechnik

Vorlesung 6. Übertragungsfunktion der linearen Regelkreisglieder Textuell: FederPendel. DGL: als Sprungantwort

DIFFERENTIALGLEICHUNGEN (DGL)

Fahrzeugmechatronik Masterstudiengang M 3.2 Sensoren und Aktoren Labor für Automatisierung und Dynamik AuD FB 03MB

Lange Nacht der Systemtheorie. - Einschaltverhalten eines Lautsprechers - Manfred Strohrmann

Prüfung im Modul Grundlagen der Regelungstechnik Studiengänge Medizintechnik / Elektrotechnik

Vorlesung 3. Struktur Ofensystem

Einführung in Signale und Systeme

Ergänzung zur Regelungstechnik

Übertragungsverhalten

Technische Universität Wien Institut für Automatisierungs- und Regelungstechnik. SCHRIFTLICHE PRÜFUNG zur VU Automatisierungstechnik am

Laplace-Transformation

Mathematik Q1 - Analysis INTEGRALRECHNUNG

Skriptum zur 2. Laborübung. Transiente Vorgänge und Frequenzverhalten

Einführung in die Regelungstechnik

1 Einleitung. 2 Regelung. 2. Praktikum. Die Vorbereitungsaufgaben sind vor dem Praktikumstermin zu lösen! Maximal drei Personen in jeder Gruppe

Klausur im Fach: Regelungs- und Systemtechnik 1

Regelungstechnik 1. Oldenbourg Verlag München Wien

Optimale Regelung mechatronischer Systeme, Übungen SS 2017 Hausaufgabe

Technische Universität Wien Institut für Automatisierungs- und Regelungstechnik. SCHRIFTLICHE PRÜFUNG zur VU Automatisierungstechnik am

MusterModulprüfung. Anteil Transformationen

Mechatronik Grundlagen

Informationen zur Grundlagenausbildung Elektrotechnik

Studienbrief Systemtheorie und regelungstechnik

2. Übung zur Vorlesung Steuer- und Regelungstechnik

Seminarübungen: Dozent: PD Dr. Gunther Reißig Ort: 33/1201 Zeit: Mo Uhr (Beginn )

Moderne Regelungssysteme

Technische Universität Wien Institut für Automatisierungs- und Regelungstechnik. SCHRIFTLICHE PRÜFUNG zur VU Automatisierungstechnik am

Transkript:

SYSTEMTHEORIE Prof. Dr.-Ing. Michael Schnell Prof. Dr. August Reiner Dipl. Ing. Manfred Schneider Hochschule Darmstadt University of applied Science Stand: 17.11.2016

Prof. Dr.-Ing. Michael Schnell Professor für Dynamische Systeme im Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik der Hochschule Darmstadt. Schwerpunkte in Lehre und Forschung: - Systemtheorie und Regelungstechnik, - Automatisierungstechnik, - Robotik, - Modellbasierte Echtzeitsimulation, - Adaptive Systeme Der vorliegende Studienbrief ist eine grundlegend überarbeitete und teilweise neu erstellte Ausgabe der von Herrn Prof. Dr.-Ing. August Reiner unter Mitarbeit von Herrn Dipl.-Ing. Manfred Schneider erstellten Vorgängerversion aus dem Jahr 2010. Eine Vielzahl von Abbildungen und Diagrammen konnten von den Autoren der Erstausgabe übernommen werden. Im Einzelnen sind das die folgenden Abbildungen: Bild 1.2, Bild 1.3, Bild 1.7, Bild 2.3, Bild 2.4, Bild 2.11, Bild 2.13, Bild 2.16, Bild 2.19, Bild 2.21, Bild 2.22, Bild 2.23, Bild 2.27, Bild 2.28, Bild 2.29, Bild 4.2, Bild 5.12, Bild 5.19, Bild 6.9, Bild 6.12, Bild 6.17, Bild 6.23, Bild 6.24, Bild 6.33, Bild 6.37, Bild 6.40, Bild 6.42, Bild 6.46, Bild 6.49, Bild 6.50, Bild 6.54, Bild 6.56, Bild 6.60, Bild 6.61, Bild 6.64, Bild 7.6, Bild 7.7 und Bild 7.8. Hinweis zu Größen und Einheiten: Im Studienbrief wurden weitgehend alle dimensionsbehafteten Größen auf ihre jeweilige Einheit normiert sind, so dass dimensionslos gerechnet werden konnte. Wenn nichts anderes angegeben ist, beziehen sich die im Studienbrief angegebenen Größen auf SI-Einheiten. Eine Ausnahme bildet die Dimension Zeit : Für die Zeit t in Sekunden wird das Formelzeichen sec an Stelle von s verwendet, um bei der Laplace-Transformation (siehe Kapitel 5.1) keine Verwechslungsgefahr mit der Variablen s zu erzeugen.

Einleitung Einleitung In den Ingenieurwissenschaften, speziell in der Elektrotechnik und in der Informationstechnik spielen Signale eine herausragende Rolle, da mit ihnen Informationen übertragen und dargestellt werden. Im Rahmen dieses Studienbriefs wollen wir uns daher zunächst damit befassen, wie für die Elektrotechnik und Informationstechnik bedeutsame Signale mathematisch modelliert und dargestellt werden können. Diese Kenntnisse stellen die Basis dar, um moderne Verfahren zur Verarbeitung und Übertragung von Signalen zu verstehen. Aktuelle Beispiele aus dem Alltag sind Kompressions-Algorithmen in der Audio- und Video-Verarbeitung, die ohne die moderne Signaltheorie nicht denkbar wären. Im weiteren Verlauf des Studienbriefs werden dann mathematische Beschreibungsformen für einfache lineare Systeme, wie z. B. elektrische Schwingkreise, eingeführt. Verfahren zur Berechnung der Antworten dieser Systeme auf spezielle Testsignale wie Impuls, Sprung, Rampe oder Sinus, aber auch auf beliebige Signalformen werden danach vorgestellt. Die Verknüpfung von Systemen sowie die Eigenschaften und charakteristischen Kennwerte elementarer Übertragungsglieder werden im weiteren Verlauf des Studienbriefs behandelt. Zusammenfassend werden somit in diesem Studienbrief die Grundlagen und Methoden behandelt, die benötigt werden, wenn man Signale und Systeme speziell aus dem Bereich der elektrischen Netzwerke, der Regelungstechnik und der Nachrichtentechnik analysieren und entwerfen möchte. An Vorkenntnissen werden vorausgesetzt: Grundlagen der Mathematik, Differenzial- und Integralrechnung, Komplexe Zahlen und Funktionen, Lösungsmethoden für gewöhnliche lineare Differenzialgleichungen mit konstanten Koeffizienten Grundlagen der Elektrotechnik (Gleichstrom- und Wechselstromrechnung). Die Berechnungen im Studienbrief werden z. T. mit dem Programmiersystem MAT- LAB vorgenommen. Grundkenntnisse in der Anwendung dieses Softwaresystems sind daher vorteilhaft. Eine Einführung in das Softwaresystem MATLAB finden Sie in (1). Der Studienbrief enthält neben durchgerechneten Beispielen auch viele Übungsaufgaben. Es wird nachdrücklich empfohlen, diese Aufgaben selbständig zu lösen. Die Endergebnisse der Übungsaufgaben werden in geeigneter Weise zur Verfügung gestellt. I

Lernziele Lernziele Nach erfolgreicher Bearbeitung dieses Studienbriefes sind die Studierenden in der Lage, verschiedene Signaltypen und -modelle mathematisch zu beschreiben. das Ausgangssignal bei gegebenem Eingangssignal und bekanntem Übertragungssystem zu bestimmen. lineare und zeitinvariante Systeme im Zeit- und Bildbereich mathematisch zu beschreiben und zu analysieren. das statische und dynamische Verhalten linearer zeitinvarianter Systeme bei verschiedenartigen Eingangssignalen zu berechnen, zu analysieren und zu interpretieren. charakteristische Eigenschaften und Kennwerte der elementaren dynamischen Systeme zu beherrschen. mit den vermittelten Methoden regelungs- und nachrichtentechnische Probleme zu lösen. ausgehend von den beschriebenen Basisdarstellungen auch komplexere Signalformen und Übertragungsglieder mathematisch zu beschreiben. rechnergestützte Hilfsmittel für die Simulation und Analyse von dynamischen Systemen einzusetzen. III

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Einleitung... I Lernziele... III Inhaltsverzeichnis... 5 1. Einführung... 1 2. Signale... 7 2.1. Signaldarstellung... 12 2.2. Testsignale... 13 2.2.1. Einheitsimpuls... 14 2.2.2. Sprungfunktion... 17 2.2.3. Rampenfunktion... 19 2.2.4. Harmonische Schwingung... 19 2.3. Fourieranalyse... 21 2.3.1. Fourieranalyse periodischer Signale... 21 2.3.2. Fourieranalyse nichtperiodischer Signale... 29 3. Systeme... 35 3.1. Systemdefinition... 36 3.2. Dynamische Systeme... 37 3.3. Lineare zeitinvariante Systeme... 38 4. Mathematische Beschreibung von Systemen im Zeitbereich... 39 4.1. Differenzialgleichung... 39 4.2. Faltung im Zeitbereich... 45 5. Mathematische Beschreibung von Systemen im Frequenzbereich... 49 5.1. Laplace-Transformation... 49 5.1.1. Einführung Laplace Transformation... 49 5.1.2. Laplace Transformation von Zeitfunktionen... 50 5.1.3. Eigenschaften der Laplace-Transformation... 56 5.1.4. Lösung einer Differenzialgleichung mittels Laplace Transformation... 61 5.2. Übertragungsfunktion... 66 5.2.1. Einführung Übertragungsfunktion... 66 5.2.2. Pol- und Nullstellen einer Übertragungsfunktion... 75 5.2.3. Faltung im Laplace-Bereich... 79 5.2.4. Stabilität linearer Systeme... 83 5.3. Frequenzgang... 88 5.3.1. Einführung Frequenzgang... 88 5.3.2. Ortskurve des Frequenzgangs... 94 5.3.3. Bode-Diagramm... 96 V

6. Beschreibung wichtiger Übertragungsglieder... 99 6.1. Übertragungsglieder mit P-Verhalten... 99 6.1.1. Proportionalglied ohne Verzögerung (P-Glied)... 99 6.1.2. Proportionalglied mit Zeitverzögerung 1. Ordnung (PT 1 -Glied) 101 6.1.3. Proportionalglied mit Zeitverzögerung 2. Ordnung (PT 2 -Glied) 105 6.2. Übertragungsglieder mit I-Verhalten... 116 6.2.1. Integrierglied (I-Glied)... 116 6.2.2. Integrierglied mit Zeitverzögerung 1.Ordnung (IT 1 -Glied)... 121 6.3. Übertragungsglieder mit D-Verhalten... 123 6.3.1. Differenzierglied (D-Glied)... 123 6.3.2. Differenzierglied mit Zeitverzögerung 1.Ordnung (DT 1 -Glied).. 126 6.4. Besondere Übertragungsglieder... 131 6.4.1. Minimalphasensystem und Allpass... 131 6.4.2. Totzeitglied (T t -Glied)... 136 7. Verknüpfung von Übertragungsgliedern... 141 7.1. Wirkungsplan... 141 7.2. Reihenschaltung... 142 7.3. Parallelschaltung... 147 7.4. Rückkopplung... 149 8. Anwendungen... 153 8.1. Elektrische Netzwerke... 153 8.2. Regelungstechnik... 156 8.3. Nachrichtentechnik... 158 VI

Einführung 1. Einführung Die Systemtheorie, wie sie in den Ingenieurwissenschaften verwendet wird, wurde um 1920 konzipiert. Einen entscheidenden Beitrag lieferte die Arbeit von K. Küpfmüller, die unter dem Titel Die Systemtheorie der elektrischen Nachrichtentechnik, 1952 veröffentlicht wurde. Der Begriff Allgemeine Systemtheorie geht auf den Biologen Ludwig von Bertalanffy zurück. Seine Arbeiten bilden zusammen mit der Kybernetik (Norbert Wiener, William Ross Ashby) und der Informationstheorie (Claude Shannon, Warren Weaver) die grundlegenden Überlegungen dieses Wissenschaftszweiges. In den Ingenieurwissenschaften, speziell in der Elektrotechnik und in der Informationstechnik spielen Signale und Systeme eine herausragende Rolle, da mit ihnen Informationen übertragen und dargestellt werden. Die Begriffe Signal und System werden vielfach und meist ganz unterschiedlich genutzt. Im Allgemeinen stellt ein System eine Anordnung dar, welche auf äußere Anregungen oder Einflüsse in bestimmter Weise reagiert. So antwortet beispielsweise das System Schiff auf Anregungen wie Ruderausschläge oder Drehzahl der Schiffsschraube, sowie auf äußere Einflüsse oder Störungen wie Wellengang und Wind mit einem zeitabhängigen Orts- und Geschwindigkeitsverlauf. Das System Elektrisches Netzwerk überträgt eine am Eingang anliegende elektrische Spannung in bestimmter Weise auf den Ausgang. Der Verlauf der Spannung am Ausgang kann in Form eines zeitlichen Verlaufs dargestellt werden. Ein System Digitales Filter reagiert auf eine Eingangszahlenfolge mit einer Ausgangszahlenfolge. Die Systemtheorie beschäftigt sich mit der mathematischen Beschreibung von Systemen. Dazu werden Anregungen und die entsprechenden Reaktionen des Systems mathematisch als Funktionen unabhängiger Variablen, meist der Zeit oder des Ortes beschrieben. Die Anregungen oder andere Einflüsse werden als Eingangssignale, die Reaktionen als Ausgangssignale bezeichnet. Das System wird als mathematisches Modell, als Differenzialgleichung im Zeitbereich oder Übertragungsfunktion im Frequenzbereich, beschrieben. Komplexe Systeme, wie z. B. ein Schiff sind im Allgemeinen nur mit einem hohen Aufwand und meist nur näherungsweise im Rahmen einer Modellbildung zu beschreiben. Im Rahmen dieses Studienbriefs beschränken wir die Modellbildung auf einfache Systeme, wie z. B. elektrische Netzwerke. 1

Eine technische Anlage besteht in der Regel aus verschiedenen Teilsystemen. Die Teilsysteme sind über Signale miteinander verknüpft. Ein Beispiel zeigt die in Bild 1.1 dargestellte Anlage 3-Tank-System, bei der das Flüssigkeitsniveau h(t) in dem linken Behälter auf einem bestimmten Niveau gehalten werden soll. Bild 1.1: 3-Tank-Anlage Im folgenden Bild ist ein stark vereinfachtes Prozessfunktionsbild einer Niveauregelung (in einem einzelnen Tank bzw. Behälter) dargestellt: h M (t) h soll (t) Regler Ventil y(t) q zu (t) Messglied h(t) q ab (t) Bild 1.2: Prozessfunktionsbild Niveauregelung Das gemessene Flüssigkeitsniveau h M (t) im Behälter soll ausreichend genau mit dem gewünschten Sollwert h soll (t) übereinstimmen. Der Regler hat die Aufgabe, das Ventil so einzustellen, dass der Flüssigkeitszufluss q zu (t) bei beliebigem positivem von Null verschiedenem Flüssigkeitsabfluss q ab (t) diese Aufgabe löst. In der Technik stellt man Anlagen vereinfachend mit Blockschaltbildern dar. Bild 1.3 ist das zu Bild 1.2 zugehörige Blockschaltbild. 2

Amplitude y Amplitude x Einführung Bild 1.3: Blockschaltbild der Niveauregelung Die Blöcke werden allgemein als Systeme oder Übertragungsglieder bezeichnet. Im Blockschaltbild erkennt man als Übertragungsglieder oder Teilsysteme der Anlage die Blöcke Reglerfunktion, Ventil, Behälter, und Messglied. Die Signale sind im Blockschaltbild als Pfeile dargestellt: das Niveau h(t), der Sollwert h soll (t), der gemessene Istwert h M (t), die Stellgröße y(t), der Zufluss q zu (t) und der Abfluss q ab (t). Weiterhin erkennt man in diesem Blockschaltbild zwei Summationspunkte (offene Kreise), an denen jeweils zwei Signale subtrahiert werden. Zusammenfassung: Die Systemtheorie beschäftigt sich mit den Eigenschaften von Signalen und Systemen. Ein Übertragungsglied hat im einfachsten Fall ein Eingangssignal und ein Ausgangssignal (siehe Bild 1.4). Die Eigenschaften des Systems bestimmen bei vorgegebenem Eingangssignal den Verlauf des Ausgangssignals. Eingang y(t) System (Übertragungsglied) Ausgang x(t) Eingang y(t) Ausgang x(t) 1.2 1.2 1 1 0.8 0.8 0.6 0.6 0.4 0.4 0.2 0.2 0 0-0.2 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Zeit t/sec -0.2 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Zeit t/sec Bild 1.4: Beispiel für ein Übertragungsglied 3

Beispiel 1.1: Behälter Bei diesem Beispiel wird das Übertragungsglied Behälter von Bild 1.3 genauer betrachtet. Eingang q(t)=q zu (t)-q ab (t) Behälter Ausgang h(t) Bild 1.5: System Behälter Als Eingangsgröße q(t) wird Differenz q t q t q t als Ausgangsgröße die Füllstandshöhe h(t) festgelegt (Bild 1.5). aus Zu- und Abfluss und zu ab Im Folgenden wird das mathematische Verhalten des Behälters beschrieben: In der differenziellen Zeit dt verändert sich im Behälter das Flüssigkeitsvolumen um den Wert: dv( t) q t dt Das Flüssigkeitsvolumen dv(t) verändert das Flüssigkeitsniveau im Behälter um den Wert dh(t): dv( t) A dh t Damit gilt: dv( t) A dh t q t dt Umgeformt ergibt sich: dh( t) 1 h( t) q( t) dt A Integriert man die Beziehung, so erhält man t 1 h( t) q( ) d h(0) A 0 Gl. (1.1) h(0) ist der Anfangswert, also die Flüssigkeitshöhe im Behälter zum Zeitpunkt Null. Die Integration startet zum Zeitpunkt Null und erstreckt sich bis zum Zeitpunkt t. Eingangsgröße q(t) und Ausgangsgröße h(t) sind über eine Integration miteinander verknüpft. Man bezeichnet deshalb den Behälter auch als ein Integrierglied (Siehe Kapitel 6.2.1 Integrierglied (I-Glied)). Die obige Beziehung (Gl. (1.1)) gilt nur innerhalb bestimmter Grenzen und zwar zwischen h = 0 und h = h max. Hat z.b. bei positivem q(t) die Füllstandshöhe h(t) den maximalen Wert h max erreicht, dann kann der Füllstand h(t) nicht weiter ansteigen. Der Behälter wird dann überlaufen und die Höhe konstant bei h(t) = h max bleiben. 4

q(t)/liter/min Einführung Für die folgende Eingangsfunktion q(t) soll die Ausgangsfunktion h(t) berechnet werden. Differenzzufluss q(t) 3 2.5 2 1.5 1 0.5 0 0 2 4 6 8 10 Zeit t/min Bild 1.6: Verlauf des Differenzzuflusses q(t) Parameter des Behälters: Die Behälterfläche A ist unabhängig von h konstant A = 0,08 m 2 ; die Behälterhöhe h max ist konstant h max = 0,5 m. Parameter: A = 0,08 m², h ma x = 0,5 m, h(0) = 0 m; 1 Liter = 10-3 m³; L/min = Liter/min Der Zufluss q(t) nimmt in den ersten 10 min von 0 L/min bis 3 L/min zu. Ab dem Zeitpunkt 10min ist der Zufluss Null. Damit gilt im Zeitbereich 0min < t < 10min 3 3 L 1 3L 3 10 m q( t) 3 t t t. min 10min 2 2 10min 10min Setzt man q(t) in die Beziehung Gl. (1.1) zur Berechnung von h(t) ein, dann folgt t 3 3 4 2 t 1 1 t 3 10 m 3 10 m h( t) q( ) d h(0) d A 2 2 2 0 0.08m 0 10min 0,08 min 2 0 mm 2 Lösung: h( t) 1.875 t für 0min t 10min. 2 min Für t > 10min bleibt h(t) konstant auf dem Wert für t = 10min. Endwert: h(t=10min) = 187,5mm. 5

h/m Übungsaufgabe 1.1 Der Behälter (Beispiel 1.1) soll mit Flüssigkeit gefüllt werden. Die Flüssigkeitshöhe h(t) soll der folgenden Funktion genügen: 0.4 Niveau Flüssigkeitsspiegel 0.35 0.3 0.25 0.2 0.15 0.1 0.05 0 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 t/min Bild 1.7: Vorgegebene Funktion der Füllhöhe über der Zeit Zu Beginn ist der Behälter leer: h(t=0) = 0 a.) b.) c.) Nach welcher Zeit hat h(t) 50% des Endwertes erreicht? Berechnen Sie den Zufluss q(t) für den gewünschten Verlauf von h(t). Zeichnen Sie die Funktion q(t). Verwenden Sie zur Lösung der Aufgabe das Programm Matlab (1). 6