Rechtsextremismus Was tun? Klaus Dörre Friedrich-Schiller-Universität Jena Ort: Saarbrücken, 02.02.09
These 1: Es gibt einen neuen Rechtspopulismus in Europa, dessen Massenwirksamkeit darauf beruht, dass er die soziale Frage reaktiv thematisiert und besetzt. These 2: In der Bundesrepublik hat sich der neue Rechtspopulismus noch nicht als eigenständige politische Formation durchsetzen können. Es existiert jedoch eine rechtspopulistische Unterströmung in demokratischen Parteien und Gewerkschaften.
These 3: Beim Rechtspopulismus handelt es sich um eine politische Formation, die ein Scharnier zwischen Konservatismus und organisiertem Rechtsextremismus darstellt. Allgemeine Merkmale sind: (1) ein ethnisch oder nationalistisch begründeter Kollektivismus, gepaart mit aggressiver Fremdenfeindlichkeit (2) gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen, die soziale Ungleichheit naturalisieren
(4) obrigkeitsstaatliches Denken und autoritäre Wertorientierungen (5) die Ablehnung von Parteiendemokratie, Meinungsfreiheit und Pluralismus; (5) eine Neigung zu verschwörungstheoretischen Deutungen von Geschichte und Politik. Im Unterschied etwa zum Neonazismus fehlt die offene Gewaltakzeptanz.
These 4: Bei rechtspopulistischen Formationen muss unterschieden werden zwischen a) einem Ideensystem, das den wissenschaftlichen Theorietyp zumindest nachahmt (Rassismus ohne Rassen) b) der politisch-sozialen Formation (Pim Fortuyn: Verteidigung der Werte von 68 gegen die islamische Einwanderung) c) Übergängen im Alltagsbewusstsein (Ressentiments)
These 5: In Deutschland sind menschenfeindliche Orientierungen überdurchschnittlich in der Mitte der Gesellschaft verbreitet. Es gibt einen Zusammenhang zwischen menschenfeindlichen Orientierungen, Ohnmachtsgefühlen und Desintegrationserfahrungen.
These 6: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Umbrüchen in der Arbeitswelt, neuer sozialer Frage, und Rechtspopulismus. These 7: Gegenwärtig erleben wir eine Prekarisierung der Arbeitsgesellschaft, die zum Nährboden eines neuen Rechtspopulismus werden kann.
Schaubild 1: (Des-)integrationspotentiale von Erwerbsarbeit eine Typologie Zone der Integration 1. Gesicherte Integration ( Die Gesicherten ) 2. Atypische Integration ( Die Unkonventionellen oder Selbstmanager ) 3. Unsichere Integration ( Die Verunsicherten ) 4. Gefährdete Integration ( Die Abstiegsbedrohten ) Zone der Prekarität 5. Prekäre Beschäftigung als Chance / temporäre Integration ( Die Hoffenden ) 6. Prekäre Beschäftigung als dauerhaftes Arrangement ( Die Realistischen ) 7. Entschärfte Prekarität ( Die Zufriedenen ) Zone der Entkoppelung 8. Überwindbare Ausgrenzung: ( Die Veränderungswilligen ) 9. Kontrollierte Ausgrenzung / inszenierte Integration ( Die Abgehängten )
Schaubild 2: Quantifizierung der Typologie auf der Datenbasis einer repräsentativen INIFES- Untersuchung, Berechnungen von Tatjana Fuchs 2005 (Des-) Integrationspotentiale von Erwerbsarbeit -eine Typologie Basis: Rund 70 halbstrukturierte Interviews (Klaus Dörre, Klaus Krämer, Frederic Speidel, 2005) Zone der Integration 1. Gesicherte Integration ( Die Gesicherten ) 2. Atypische Integration ( Die Unkonventionellen / Selbstmanager ) Verbreitung von (Des-) integrationspotentialen in der Erwerbsarbeit Basis: Repräsentative Befragung Was ist gute Arbeit? Anforderungen aus der Sicht von Erwerbstätigen (Tatjana Fuchs) Unbefristet Beschäftigte (VZ/TZ); Bruttomonatseinkommen 2.000 und mehr; kaum belastende Beschäftigungsunsicherheit Atypisch Beschäftigte; Bruttomonatseinkommen 2.000 und mehr; Positives Arbeitserleben, Einfluss- /Entwicklungsmöglichkeiten bei der Arbeit. %) 31,5 3,1
3. Unsichere Integration ( Die Verunsicherten ) 4. Gefährdete Integration ( Die Abstiegsbedrohten ) Zone der Prekarität 5. Prekäre Beschäftigung als Chance / temporäre Integration ( Die Hoffenden ) 6. Prekäre Beschäftigung als dauerhaftes Arrangement ( Die Realistischen ) 7. Entschärfte Prekarität ( Die Zufriedenen ) Unbefristet Beschäftigte (VZ/TZ); Bruttomonatseinkommen 2.000 und mehr; stark. belastende Beschäftigungsunsicherheit; Atypisch Beschäftigte; Bruttomonatseinkommen 2.000 und mehr; stark belastende Beschäftigungsunsicherheit, Positives Arbeitserleben, Einfluss- /Entwicklungsmöglichkeiten bei der Arbeit. Unbefristet Beschäftigte (VZ/TZ); Bruttomonatseinkommen bis 2.000 Atypisch Beschäftigte; Bruttomonatseinkommen bis 2.000 ; positives Arbeitserleben, keine anhaltenden Frustrationsgefühle. Atypisch Beschäftigte; Bruttomonatseinkommen bis 2.000 ; längere Arbeitslosigkeitsphasen oder/und Phasen prekärerer Beschäftigung, Frustrationsgefühle Atypisch Beschäftigte; Bruttomonatseinkommen bis 2.000 ; hauptsächliche Statusbeschreibung: Hausfrau/mann, in Erziehungsurlaub, Rentner/in; positives Arbeitserleben, keine anhaltenden Frustrationsgefühle 12,9 33,1 3,1 4,8 5,9
Zone der Entkoppelung 8. Überwindbare Ausgrenzung: ( Die Veränderungswilligen ) 9. Kontrollierte Ausgrenzung / inszenierte Integration ( Die Abgehängten ) Erwerbstätige, längere Arbeitslosigkeitsphasen oder/und Phasen prekärerer Beschäftigung, hauptsächliche Statusbeschreibung: arbeitslos Nicht zuzuordnen (fehlende Angaben) 3,9 Alle Erwerbstätige ohne Azubis und ohne Selbständige mit weiteren Beschäftigten) 1,7 100,0 Erläuterungen: Die Zuordnung zu den einzelnen Typen folgt (so weit dies möglich war) der inhaltlichen Typenkonstruktion von Dörre, K.; u.a. (vgl. linke Seite der Übersicht); Die Fragebogen- Erhebung beruht auf einer geschichteten, zufällig ausgewählten Stichprobe (n=5.388).. Die Ergebnisse wurden nach den Mikrozensusangaben zur Beschäftigtenstruktur gewichtet.
These 8: Quer durch alle Zonen existiert eine einsozialisierte rechts-populistische Axiomatik, die sich der Arbeitserfahrungen bemächtigt. Charakteristische Topoi sind: (1) Zuwanderung zerstört die deutsche Kultur und muss gestoppt werden (2) Ausländer nehmen den Deutschen die Arbeitsplätze weg
(3) Wenn gespart werden muss, dann bei den Sozialschmarotzern (4) Die deutsche Geschichte darf nicht länger Ballast sein (5) Wir wollen stolz auf Deutschland sein, können es aber nicht (6) Politiker sind Gangster, das gesamte System muss verändert werden (7) Ein bisschen weniger Demokratie kann nicht schaden (8) Rechte Parteien sind zu extrem, aber sie sprechen die richtigen Themen an
These 9: Die Diskrepanz zwischen eigenen Arbeitserfahrungen und offiziellem Flexibilisierungsdiskurs ist eine Quelle für rechts-populistische Orientierungen (Repräsentationsproblematik).
G5: Also, wir sind sehr flexibel, ohne Ende, muss ich mal so sagen. Das Gerede von Flexibilität, das gibt es bei unseren Monteuren nicht, das gibt es bei mir nicht, wenn die Firma sagt, du musst jetzt dorthin gehen, dann gehen wir dorthin, fertig. Da wird nicht diskutiert. Sicherlich gibt es die eine oder andere Ausnahme, wenn zu Hause irgendwelche Probleme sind,..., das ist aber ein Einzelfall. Aber hier in der Firma, für die Leute, für die ich verantwortlich bin, da gibt es das nicht. Unsere Leute fahren bis nach Antwerpen, bis nach Italien, die fahren in die westlichen Bundesländer, also flexibel ohne Ende muss ich sagen (Meister im Baugewerbe, G5, 19)
Ich weiß nicht, warum das immer auf dem Rücken der Kleinen ausgetragen werden muss. Ich habe ja selbst eine Frau zu Hause, eine Lebensgemeinschaft, wenn die dann 300 Euro kriegen soll, wer sich so was ausdenkt, der gehört an die Wand gestellt, ehrlich. Das kann nicht sein. Die stoßen die Menschen in einen Abgrund. I.: Also, das empfinden sie als menschenunwürdig? Das Können nur die sich ausdenken, die in Saus und Braus leben (G5, 19).
These 10: Entweiblichung und Zwangsfeminisierung nähren den Wunsch nach positiven, eindeutigen Identifikationsangeboten. Das können rechtspopulistische Formationen nutzen. Soll ich Ihnen was sagen, ich finde manche Sachen zum Kotzen. Zum Beispiel ich bin nicht ausländerfeindlich, verstehen Sie mich jetzt nicht falsch aber ich kriege einen Anfall: die haben ihre sechs, sieben Kinder. Können beide mit dem Arsch zu Hause bleiben. Ich Arme muss arbeiten gehen. Die kriegen genug Gelder von uns. Das sind Sachen, da kriege ich echt einen Hals (K2, 11).
These 11: Die Stillstellung fremdenfeindlicher, rassistisch motivierter Konflikte im Betrieb kann zur Zementierung menschenfeindlicher Orientierungen führen.
Es darf keine Probleme machen... Das schreibt die Firma vor. Wenn ich jetzt mal sage: Du dummer Russe! oder so, ist der Arbeitsplatz weg. Wenn der Russe sagt Du dummer Deutsche!, dann ist das okay... Ich hab schon Leute gehört, die deswegen gekündigt wurden, was sich so in der Gruppe erzählt wird (B2, 11). Im Prinzip entsteht das ja nur durch Neid, diese Sache, weil der hat hier feste Arbeit, der hat ein schönes Leben hier. Dadurch kommt das ja eigentlich, dass man sich so ein bisschen minderwertig fühlt. Eigentlich ist das nur Neid. Das, was der andere hat, und was wir nicht haben.
Diese Problematik wird jedoch im Unternehmen nicht thematisiert. Auf die Frage, ob man sich dadurch in seiner Ehre verletzt fühle, antwortet der Produktionsarbeiter: Ja sehr, wenn es zu was kommt. Das wäre dann fast schon wieder ein potentieller NPD- Wähler... Wenn sich die ausländischen Festen anders verhalten würden, wäre das Thema nicht so groß. Denn viele sind jetzt der Meinung, sie sind jetzt fest und können nen großen Mund haben.
These 12: Marktdruck und Überanpassung fördern ausgrenzende Integrationsvorstellungen. Man sollte in Deutschland ein bisschen mehr Wert darauf legen, dass (Ausländer, d. A.) sich einordnen... Sie sollten das, was wir hier haben, mehr akzeptieren. Im Moment können sie überall auf Konfrontation gehen und kriegen nur noch Recht. Und ich denke, dass der große Zulauf (zur) extremen Rechten darin begründet ist.
These 13: Eine wirkungsvolle Strategie gegen den neuen Rechtspopulismus muss erst noch entwickelt werden. Elemente können sein: (1) ein reflektierter Umgang mit der Problematik, der die Augen vor den internen rechtspopulistischen Potentialen nicht verschließt (2) eine inklusive Politik der Entprekarisierung (Mindestlohn, Beteiligung, Interessenpolitik für Outsider )
(3) ein demokratisches Integrationskonzept, das auch auf der Anerkennung von Differenz beruhen muss (4) eine Bildungsarbeit, die die Mobilisierungsthemen der Rechten demokratisch bearbeitet (5) eine Sensibilisierung für die Begrenztheit von Standortpolitiken (6) ein neues Leitbild für einen demokratischen und zugleich flexiblen Sozialstaat