KAP-Tagung 2016, Bern

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Transkript:

KAP-Tagung 2016, Bern Die Bedeutung sozialer Ressourcen für die Gesundheit: Wirkung, Verletzlichkeiten und Fördermöglichkeiten. Dr. phil. Nicole Bachmann Institut für Soziale Arbeit und Gesundheit Fachhochschule Nordwestschweiz

1. Einleitung 2. Empirisch nachgewiesene Wirkung sozialer Ressourcen 3. Wie entstehen soziale Ressourcen? 4. Welche Bevölkerungsgruppen sind von Einsamkeit und mangelnder Unterstützung betroffen? 5. Welche Interventionsmöglichkeiten gibt es? 2

Einleitung Der Mensch als soziale Spezies. Vielfältige und starke Effekte zwischen sozialen Kontakten und der psychischen und physischen Gesundheit. Je genauer man das Phänomen betrachtet, umso komplexer, aber auch faszinierender wird es. 3

Einleitung Soziale Ressourcen Soziale Integration: Teilhabe am sozialen Lebensraum Soziales Kapital: gemeinsam geteilte Normen und Beziehungen innerhalb einer sozialen Struktur Soziales Netz: Gesamtheit von Beziehungen Soziale Unterstützung: Vermittlung hilfreicher Transaktionen 4

Wirkung Prospektivstudien Population Beobachtungszeitraum Kalifornien Erwachsene N=6 928 9 Jahre Schweden 29 74 J. N=17 433 6 Jahre Outcome Sterblichkeit insgesamt Sterblichkeit an kardiovaskulären Krankheiten Gute versus schlechte soziale Integration 1 : 2,3 (Männer) 1 : 2,8 (Frauen) Quelle Berkman & Syme, 1979 1 : 3,7 Orth-Gomer & Johnson, 1987 5

Wirkung «The age-adjusted relative risk ratios ( ) are stronger than the relative risks for all cause mortality that has been observed for smoking» (House et al., 1988, p.543) Die schützende Wirkung einer guten sozialen Integration auf die Gesundheit einer Person ist einer der stärksten Effekte, der in der Epidemiologie beobachtet werden konnte. 6

Wirkung Empirische Evidenz für einen schützenden Effekt sozialer Ressourcen u.a. auf: Sterblichkeitsrisiko Chronische Krankheiten wie Herz-/Kreislauferkrankungen, Diabetes Typ II, Rheumatoide Arthritis perinatale Risiken für Mutter und Kind Depressionen Subjektives Wohlbefinden, Lebensqualität (auch chronisch Kranke) 7

Wirkung Über welche Pfade können sich soziale Kontakte auf die Gesundheit auswirken? 1. Einfluss auf das Gesundheits- und Risikoverhalten 2. Einfluss auf psychologische Prozesse (Selbstwirksamkeit, Emotionen, Bewertung, Copingstrategien) 3. Einfluss auf biologische Prozesse (kardiovaskuläre, neuroendokrine, immunologische Prozesse; «immune-mediated inflammation» (Uchino, 2006) 8

Wirkung Sozialpsychologisches Experiment 1: «Händchen halten, wirkt!» Der Kontakt mit einer nahestehenden oder auch einer fremden Person, die in einer bedrohlichen Situation die Hand hält, reduziert die negativen Wirkungen von Stress auf den Organismus (Coan, Schaefer & Davidson, 2006). 9

Wirkung Sozialpsychologisches Experiment 2: «Sozialer Ausschluss verletzt» Teilnahme an einer Studie zur Hirnaktivität: Versuchsperson wird aus einem Spiel ausgeschlossen (Studien von Williams, 2001; Eisenberger, Lieberman & Williams, 2003): Sozialer Ausschluss führt zur selben Reaktion des Hirns, der bei einem körperlichen Schmerz entsteht. 10

Entstehung SR Soziale Ressourcen sind in der Bevölkerung ungleich verteilt. Soziale Integration fällt nicht einfach vom Himmel; Unterstützung ist nicht einfach da, wenn man sie braucht. 11

Verletzliche Gruppen. Wer ist am ehesten von Einsamkeit betroffen oder erhält wenig Unterstützung? Ältere Menschen, insbesondere betagte Frauen Personen mit tiefer Schulbildung und Armutsbetroffene Personen, die alleine in einem Haushalt leben Migrantinnen und Migranten Alleinerziehende Personen mit stigmatisierenden Krankheiten. Quelle: Bachmann, 2014 12

Entstehung SR Soziale Ressourcen entstehen aus einer Transaktion von Individuum und Umwelt. Individuum mit seinen Eigenschaften Umwelt Natürliche, gebaute Umwelt Kultur, Gesetze Integration Soziales Netz und Unterstützung Modell der Entstehung sozialer Ressourcen (Bachmann, 2014) 13

Entstehung SR Eigenschaften des Individuums, die sich förderlich oder hemmend auswirken: Alter Geschlecht Fähigkeit zur Empathie Soziale Kompetenz und Selbstwert soziale Lage (Armut, Bildung, berufliche Stellung) Körperliche und psychische Gesundheit 14

Entstehung SR Eigenschaften der Umwelt und des Kontextes (u.a.): Semi-private Wohnumgebung Öffentlicher Raum (Nachbarschaft, Quartier): Objektive und subjektive Sicherheit, «Walkability», sich Aufhalten und Begegnen (Sub-) kulturelle Werte (Bsp. soziale Rollen) Gesellschaftliche Bedingungen (Bsp. Armutsbekämpfung, Ressourcenzuteilung, etc.) 15

Verletzliche Gruppen. (Quelle: Bachmann, 2014; Daten: Volkszählung, BFS) 16

Quelle: Bachmann, 2014; Daten: Volkszählung, BFS) 17

Verletzliche Gruppen. (Quelle: Bachmann, 2014) 18

Verletzliche Gruppen. (Quelle: Bachmann, 2014) 19

Verletzliche Gruppen. Mangelnde Unterstützung in der Krise: warum? Schamgefühl Angst, die Selbstbestimmung zu verlieren Hilfe annehmen können, kann schwierig sein Bedürfnis / Zwang zur Reziprozität Rückzug des sozialen Netzes Überforderung, mangelnde Kompetenz Angst vor «Ansteckung» 20

Interventionen Ebene Makro: Gesellschaftliche Strukturen Meso: Organisationen, Quartier Mikro: Individuen, Familien Prävention nach Zielgruppe Themen (u.a.) universell Armutsprävention; Migrationspolitik Ressourcen für Gemeinwesenarbeit Stadtentwicklung universell und selektiv Sozialraumbezogenes Empowerment Vernetzung unter Betroffenen / Peers indiziert Aufsuchende Hilfe für Hoch-Risikogruppen Netzwerkarbeit 21

Interventionen Beispiele für Interventionen zur Förderung sozialer Ressourcen: «Mit den Augen betagter Frauen (MABF)» (Bachmann et al., 2015) 22

Interventionen Beispiele für Interventionen zur Förderung sozialer Ressourcen: «femmestische» Vernetzungsangebot für Migrantinnen in der Schweiz Jährlich 9 000 Teilnehmerinnen Diskussion über Erziehung, Lebensalltag und Gesundheit Bildnachweis: femmestische.ch 23

Interventionen Beispiele für Interventionen zur Förderung sozialer Ressourcen: «Integrierende Schulen in der Schweiz» Schule mit integrierendem Angebot für fremdsprachige Eltern: Neben dem Förderunterricht für fremdsprachige Schüler bietet diese Schule in der Romandie auch Sprachunterricht für deren Eltern an. 24

Interventionen Beispiele für Interventionen zur Förderung sozialer Ressourcen: «Selbsthilfefreundliche Krankenhäuser» (Trojan, 2010) Eingangsbereich Inselspital, Bern http://www.insel.ch/de/patientenbesucher/spitalaufenthalt/ 25

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen einen inspirierenden Tag mit vielen sozialen Kontakten! 26