Einfluss der Viskoelastizität auf die Bauteileigenschaften Theorie und Praxis

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Transkript:

Fachseminar Einfluss der Viskoelastizität auf die Bauteileigenschaften Theorie und Praxis Mario Studer Wissenschaftlicher Mitarbeiter Rapperswil, 09. Februar 2012 Inhalt Seite 2 Einführung Polymerstruktur, Bindungen, Folgerungen und Auswirkungen auf das mechanische Verhalten Linear-viskoelastisches Deformationsverhalten Das Superpositionsprinzip nach Boltzmann Das Korrespondenzprinzip Materialfunktionen und ihre Beschreibungen Das Zeit-Temperatur-Verschiebungsprinzip (ZTV) Anwendung der ZTV zur Berechnung der Wärmespannungen Fazit und Ausblick Fragen 1

Einführung Seite 3 Polymerstruktur Polymere sind makromolekulare Stoffe der organischen Chemie und werden durch ihre Struktur und die Molekulargewichtsverteilung charakterisiert. Die Makromoleküle sind Polymerketten mit 10 4 bis 10 6 Atomen in meist komplexer räumlicher Anordnung: amorph teilkristallin vernetzt [KUJ] Herstellungsbedingt unterliegen die Polymerwerkstoffe einer Molekulargewichtsverteilung, wodurch keine einheitlichen Kettenlängen vorliegen. Einführung Seite 4 Bindungen Die Zusammenhaltekräfte im Polymerwerkstoff ergeben sich aus der Gesamtwirkung der Valenzbindungen: Hauptvalenzbindungen: intramolekulare Kräfte Nebenvalenzbindungen: intermolekulare Kräfte (Zusammenhalt der Molekülketten) Die intermolekularen Kräfte sind gegenüber den intramolekularen deutlich geringer, weisen aber eine starke Abhängigkeit vom Molekülabstand auf: Bindung Bindungsenergie Vergleichswert Einfluss des Abstandes Hauptvalenzen 1 Nebenvalenzen Dispersionskräfte 10-3 r -6 Dipol-Dipol-Kräfte 10-2 r -3 Induktionskräfte 10-2 r -3 Wasserstoffbrücken 10-2 r -3 Ionenbindungen 10-1 r-1 [KUJ] 2

Einführung Seite 5 Folgerung und Auswirkung auf das mechanische Verhalten Die für den Zusammenhalt verantwortlichen Nebenvalenzbindungen bestimmen weitgehend die Eigenschaften der im Fokus liegenden thermoplastischen Polymerwerkstoffe. Die variierenden Kettenlängen und die unterschiedlichen Stärke dieser Kräfte führen zu einer entsprechenden Bandbreite in den mech. Eigenschaften. Deren vergleichsweise geringe Stärke und der ausgeprägte Einfluss des Molekülabstandes bewirken eine hohe Temperatursensitivität und ermöglichen Relaxationsvorgänge: Abbau der inneren Energie durch zeitlich verzögerte Umlagerungen der Ketten Bsp.: Crankshaft-Relaxation in amorphen Bereichen [RHB] Einführung Seite 6 Folgerung und Auswirkung auf das mechanische Verhalten Temperatursensitivität am Beispiel des Schub-Speichermoduls und des mechanischen Verlustfaktors für einen amorphen Thermoplasten: [SCFR] 3

Einführung Seite 7 Definition der Viskoelastizität Unter Viskoelastizität versteht man eine zeitabhängige Elastizität, welche aufgrund zeitlich verzögerter Umlagerungsvorgänge der Moleküle auftritt. Folglich variieren die mechanischen Eigenschaften mit der Zeit und es treten folgende Phänomene auf: Kriechen Relaxation Dämpfung Linear-viskoelastisches Deformationsverhalten Seite 8 Einleitung Beschreibung des Deformationsverhaltens aller Polymere und der einschränkenden Voraussetzung kleiner Deformationen und niedriger Spannungen. Linearitätsgrenzen nach Menges, siehe Referat von Prof. J. Kunz Die Theorie liefert einen Zusammenhang zwischen dem dreidimensionalen Spannungszustand und einem dreidimensionalen Verformungszustand. Drei Prinzipien stellen die Basis dar, um das linear-viskoelastische Verhalten zu Beschreiben: Das Superpositionsprinzip nach Boltzmann und daraus abgeleitet das Korrespondenzprinzip Das Zeit-Temperatur-Verschiebungsprinzip 4

Linear-viskoelastisches Deformationsverhalten Seite 9 Das Superpositionsprinzip nach Boltzmann [BZM] Es sei σ 1 (t) eine beliebige von der Zeit abhängige Spannung, die an der Probe die zeitabhängige Deformation ε 1 (t) hervorruft und σ 2 (t) eine an der gleichen Probe wirkende Spannung, die an der gleichen Probe die Deformation ε 2 (t) erzeugt, so gilt nach dem Superpositionsprinzip: Wenn: σ 1 (t) ε 1 (t) und σ 2 (t) ε 2 (t) dann: σ 1 (t) + σ 2 (t) ε 1 (t) + ε 2 (t) Wenn: ε 1 (t) σ 1 (t) und ε 2 (t) σ 2 (t) dann: ε 1 (t) + ε 2 (t) σ 1 (t) + σ 2 (t) Grafische Interpretation: [KUJ] Linear-viskoelastisches Deformationsverhalten Seite 10 Das Superpositionsprinzip nach Boltzmann Mathematische Formulierung im eindimensionalen Fall (Relaxation) : Spannungsanteile: Summation: Der infinitesimale Übergang ergibt das «Gedächtnisintegral»: 5

Linear-viskoelastisches Deformationsverhalten Seite 11 Das Superpositionsprinzip nach Boltzmann Beispiel: Einfluss der Verformungseinleitung auf den zeitlichen Spannungsverlauf Spannungsantwort Material 1 (langes Gedächtnis) Verformungseinleitung Spannungsantwort Material 2 (kurzes Gedächtnis) Analoges Vorgehen ergibt das «Gedächtnisintegral» für die Berechnung der zeitlichen Verformung bei beliebiger Spannungsgeschichte: Linear-viskoelastisches Deformationsverhalten Seite 12 Das Superpositionsprinzip nach Boltzmann Verallgemeinerung: Konstitutive Gleichung bei Isotropie und Isothermie: (Für FEM-Simulation) Kompressions- Relaxationsmodul Schub-Relaxationsmodul Analogie zur Elastizitätstheorie: Es werden zwei unabhängige Stoffwerte benötigt Diese Stoffwerte sind bei viskoelastischen Stoffen keine Konstanten, sondern im Allgemeinen Funktionen der Zeit und wie später noch folgt, Funktionen der Beanspruchung (Temperatur und Spannung/Verformung) 6

Linear-viskoelastisches Deformationsverhalten Seite 13 Das Korrespondenzprinzip Transformierte Stoffgleichungen der linearen Viskoelastizitätstheorie: Laplace-Transformation: mit folgt: analog: Das Laplace-transformierte Stoffgesetz der linearen Viskoelastizitätstheorie reduziert sich auf jenes der linearen Elastizität mit den Ersatzmoduln: Für Zugbeanspruchung: Für Schubbeanspruchung: Linear-viskoelastisches Deformationsverhalten Seite 14 Das Korrespondenzprinzip Aussage: Jedem linear viskoelastischen Problem entspricht ein lineares Laplacetransformiertes Problem mit den Ersatzmoduln für Relaxieren und für Kriechen Anwendung: Bsp.: Kriechen eines einseitig eingespannten Balkens Gesucht: zeitliche Durchbiegung an der Stelle l Lösung: a) Laplace-Transformation: mit: b) Rück-Transformation: 7

Linear-viskoelastisches Deformationsverhalten Seite 15 Das Korrespondenzprinzip Relationen zwischen den Materialfunktionen: Einfache Zusammenhänge bei linear-elastischem Materialverhalten: Komplexe Zusammenhänge bei linear-viskoelastischem Materialverhalten: Bsp.: Linear-viskoelastisches Deformationsverhalten Seite 16 Das Korrespondenzprinzip Relationen zwischen den Materialfunktionen: Vereinfachung der komplexen Zusammenhänge für den praktischen Gebrauch: (1) Komplexe Beziehung Fazit: Fehler der Vereinfachung < 1.2% (1), (2) (2) Vereinfachte Beziehung Verwendung der vereinfachten Beziehungen möglich: 8

Linear-viskoelastisches Deformationsverhalten Seite 17 Materialfunktionen und ihre Beschreibungen In den beiden Gedächtnisintegralen kommen die beiden Materialfunktionen zum Einsatz: Relaxationsfunktion: Formel Charakteristischer Verlauf Eigenschaften Nachgiebigkeitsfunktion: Formel Char. Verlauf Eigenschaften Linear-viskoelastisches Deformationsverhalten Seite 18 Materialfunktionen und ihre Beschreibungen Materialmodellierung mit Hilfe der Modellrheologie ausgehend der beiden Grundgesetze für ideale Flüssigkeit und ideale Elastizität: Newton Hooke Maxwell Kelvin Verallgemeinertes Maxwell-Modell für die Relaxationsfunktion: Verallgemeinertes Kelvin-Modell für die Nachgiebigkeitsfunktion: 9

Linear-viskoelastisches Deformationsverhalten Seite 19 Das Zeit-Temperatur-Verschiebungsprinzip Feststellung Ähnlicher Verlauf der Relaxationskurven über der logarithmischen Zeit bei unterschiedlichen Temperaturen Verschiebung der Relaxationskurven parallel zur Zeitachse führt zu einem näherungsweise geschlossenen Kurvenzug, zur Masterkurve Das Verhalten bei hoher Temperatur und kurzer Zeit entspricht dem Verhalten bei niedriger Temperatur und langer Zeit Reduktion des zeitlichen Versuchsaufwandes Linear-viskoelastisches Deformationsverhalten Seite 20 Das Zeit-Temperatur-Verschiebungsprinzip Mathematische Fassung Konsequenz der Parallelverschiebung: mit der reduzierten Zeit x: und dem Zeit-Temperatur- Verschiebungsfaktor a T : Fazit: mit: Mit Hilfe des ZTV wird die Beschreibung des zeit- und temperaturabhängigen Kriech-/Relaxationsverhaltens wesentlich vereinfacht: Anstelle von 1 Funktion mit 2 Variablen, genügen 2 Funktionen mit je 1 Variable 10

Linear-viskoelastisches Deformationsverhalten Seite 21 Das Zeit-Temperatur-Verschiebungsprinzip Ansätze zur Beschreibung der Zeit-Temperatur-Verschiebungsfunktion Gleichung nach Arrhenius (1896): λ = Reaktionsgeschwindigkeit A = Arrheniusfaktor E a = Aktivierungsenerige R = Universelle Gaskonstante [JK -1 mol -1 ] ϑ = Temperatur [ K] Aktivierungsprozess steuert die Platzwechsel der Moleküle Anwendung für die Zeit-Temperatur-Verschiebung (ZTV) Linear-viskoelastisches Deformationsverhalten Seite 22 Das Zeit-Temperatur-Verschiebungsprinzip Ansätze zur Beschreibung der Zeit-Temperatur-Verschiebungsfunktion Gleichung nach WLF (Williams, Landel und Ferry 1955): c 1 und c 2 sind materialspezifische Konstanten, welche von der Wahl der Bezugstemperatur ϑ 0 abhängen. Wählt man als Bezugstemperatur ϑ 0 = T G + 50 K, so wird die Verschiebungsfunktion für viele amorphe Polymere identisch mit c 1 = 8.86 und c 2 = 101.6 K Gültigkeit: T G < T < T G +100 K Bestimmung der WLF-Konstanten über Experimente 11

Linear-viskoelastisches Deformationsverhalten Seite 23 Anwendung der ZTV zur Berechnung der Wärmespannung bei unverstärkten Kunststoffen mittels FEM Annahmen und Vereinfachungen für unverstärkte Kunststoffe, bei niedriger mechanischer Beanspruchung! Isotropie; thermo-rheologisch einfaches Verhalten ZTV; konstanter Kompressionsmodul Ablauf für die Generierung des mechanischen Materialmodells: Datenbank / Experimente Zugversuche oder Zug-/Schubrelaxationsversuche bei unterschiedlichen Temperaturen ZTV Erzeugung der Masterkurve durch Anwendung der ZTV Approximation Masterkurve Berechnung Schubrelaxation Approximation der Masterkurve mittels verallgemeinertem Maxwellmodell (Bestimmung der Pronyparameter) Falls keine Schubrelaxationsdaten vorliegen: Umrechnung in Schubrelaxationsmodul durch Anwendung der Relationsfunktionen bei konstantem Kompressionsmodul Fazit und Ausblick Seite 24 Die mechanischen und physikalischen Eigenschaften der Polymere werden massgeblich durch die vergleichsweise schwachen Nebenvalenzkräfte bestimmt Die Beschreibung des linear-viskoelastischen Materialverhaltens ist vergleichsweise komplex Es existieren aber einige wichtige Prinzipien, welche die Beschreibung massgeblich vereinfachen: Superpositionsprinzip Korrespondenzprinzip Zeit-Temperatur-Verschiebungsprinzip Die Anwendung dieser Prinzipien sowie das Treffen weiterer Vereinfachungen für die Praxis setzt fundierte Kenntnisse voraus! 12

Fragen Seite 25 Anhang Seite 26 Literatur [KUJ] Kunz, J.: Vorlesungsskript Kunststofftechnik, HSR Hochschule für Technik Rapperswil, Studienjahr (2004/2005) [RHB] Rösler, J.; Harders, H.; Bäker, M.: Mechanisches Verhalten der Werkstoffe, Kapitel 8: Mechanisches Verhalten der Polymere, Teubner Verlag (2006) [SCFR] Schwarzl, F. R.: Polymermechanik, Struktur und mechanisches Verhalten der Polymere, Springer Verlag Berlin Heidelberg (1990) [BZL] Boltzmann, L.: Sitzungsbericht, Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien, 2. Abt. 70:275 (1874) 13