1. Einleitung 1.1. Propädeutik des kolorektalen Karzinoms

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Transkript:

1 1. Einleitung 1.1. Propädeutik des kolorektalen Karzinoms Bei der Erforschung des kolorektalen Karzinoms (CRC) gilt das besondere Interesse der Aufdeckung von molekulargenetischen Grundlagen, um so die Entstehung, Biologie und das Verhalten dieser Tumoren besser zu verstehen und damit therapeutisch eingreifen zu können. Gegenstand der intensiven Forschungsbemühungen ist auch die Suche nach geeigneten Verfahren zur Prävention und frühzeitigen Diagnostik. Die Identifizierung von Genen, die zu einer erhöhten Karzinomsuszeptibilität führen, ermöglicht eine prädiktive molekulare Diagnostik, die zukünftig eine besondere Bedeutung erlangen wird. Dadurch soll eine erbliche Tumordisposition möglichst vor der Krankheitsmanifestation erkannt werden, um präventiv therapeutisch eingreifen zu können. Dennoch bleibt derzeit, trotz aller Fortschritte auf diesem Gebiet, die pathologische Stadieneinteilung die Grundlage zur Einschätzung der Prognose und Entscheidung über die Therapie. Obwohl viele neue Erkenntnisse über das kolorektale Karzinom hinzugekommen sind, gehört es zu den Malignomen mit der höchsten Erkrankungshäufigkeit pro Jahr bei einer zunehmenden Manifestation vor dem 50. Lebensjahr (Boese-Landgraf 1998). Die Inzidenz ist regional unterschiedlich. So ist sie in den westlichen Industrieländern wesentlich häufiger als in Asien oder Afrika (Riede und Schäfer 1995). Frauen und Männer sind nahezu gleich häufig betroffen. Die Ätiologie des CRC ist noch nicht vollständig geklärt. Als mögliche Ursachen kommen Ernährungsgewohnheiten (tierische Fette, faserarme Kost, Alkohol) sowie langjährige chronisch-entzündliche Darmerkrankungen in Betracht. Als weitere Risikofaktoren gelten CRC in der Familienanamnese sowie kolorektale Adenome in der eigenen Anamnese. In letzterem Fall steigt das Risiko ein CRC zu entwickeln mit der Größe der Adenome. Bei einer Größe von 20 mm besteht ein Risiko von 50 % ein Karzinom zu entwickeln. Klinische und histopathologische Untersuchungen ergaben, daß CRC fast ausschließlich aus Adenomen hervorgehen. Daher kann durch ein frühzeitiges therapeutisches Eingreifen, etwa durch die endoskopische Polypektomie eines Adenoms, die Entstehung eines Karzinoms verhindert werden. Entscheidend für eine Senkung der Mortalität ist die Erkennung von Vorstufen des

2 CRC. Einem besonders erhöhten Erkrankungsrisiko sind jedoch Patienten mit erblichen CRC ausgesetzt. Auf dem Boden einer familiären adenomatösen Polyposis bzw. eines hereditären nicht-polypösen kolorektalen Karzinoms entstehen etwa 10 % aller CRC. Sporadische kolorektale Karzinome treten in über 90 % auf, wobei eine familiäre Häufung außerhalb eines bestimmten hereditären Syndroms zu beobachten ist (Wallner und Ramadori 1997). 1.2. Genese des sporadischen kolorektalen Karzinoms In den letzten Jahren gelang es verschiedene Gene zu entdecken, die die Pathogenese und Progression des Tumors induzieren und steuern und sowohl für eine hereditäre Disposition als auch in der Mehrschrittkarzinogenese von sporadischen kolorektalen Karzinomen von Bedeutung sind. Im Rahmen der Adenom-Karzinom-Sequenz kommt es zu einer Akkumulation von genetischen Ereignissen, die von Fearon und Vogelstein (1990) in einem genetischen Mehrschrittmodell beschrieben worden sind (Abbildung 1). So führen Aktivierungen von Onkogenen (ras) und Funktionsverluste von Tumorsuppressorgenen (p53, DCC) dazu, daß aus einem Adenom ein metastasierendes Karzinom entsteht. Entscheidend dabei ist die Anhäufung von mindestens vier bis fünf genetischen Alterationen, während die Reihenfolge der Veränderungen offenbar eine untergeordnete Rolle spielt. Initial entsteht aus der normalen Kolonmukosa ein hyperproliferatives Epithel. Dieser tumorinitiierende Schritt wird durch eine Inaktivierung (Mutation) des APC-Gens ausgelöst. Das APC-Genprodukt ist vermutlich an der Zelladhäsion und Stabilisierung des Zytoskelettons beteiligt, da eine Assoziation zu Adhäsionsproteinen, wie dem Catenin nachgewiesen werden konnte. Ein APC-Allelverlust führt somit zu einer Wachstumsentgleisung des Kolonepithels. Ein weiteres frühzeitiges Ereignis in der kolorektalen Tumorgenese ist der Verlust von Methylgruppen (Hypomethylierung). Die Folge könnte eine Hemmung der Chromosomenkondensation sein, wodurch eine chromosomale Instabilität (Verlust von Tumorsupressorgenallelen) begünstigt wird (Fearon 1990). Die weitere Tumorprogression wird durch Mutationen im ras-gen (Onkogen) vermittelt, welches in 50 % aller kolorektalen Karzinome verändert ist. Das mutierte ras-protein sendet dauerhaft Wachstumssignale an die Zelle, woraus das unkontrollierte Wachstum der Tumorzellen resultiert. Im weiteren Verlauf der Tumorentwicklung kommt es zum Verlust von Tumorsuppressorgenen, wie DCC (deleted in

3 colon carcinoma) und p53. DCC-Mutationen führen zum Verlust des Zellzusammenhalts und sind in 70 % der CRC nachzuweisen (Ebert 1998). Das p53-protein ist ein wichtiges Regulationsmolekül und wird als Wächter des Genoms bezeichnet. Im Normalfall verhindert es die Replikation geschädigter DNA und regt genetisch abnorme sowie überflüssige Zellen zur Apoptose an. Mutationen des p53-gens stellen eine der häufigsten genetischen Alterationen in der Karzinogenese insgesamt dar. Die Inaktivierung von p53 führt zu einem Ausbleiben des programmierten Zelltods und damit zu einem ungebremsten Wachstum der Tumorzellen. Abbildung 1: Adenom-Karzinom-Sequenz. Modifiziert nach Fearon und Vogelstein 1990. 1.3. Genese der hereditären kolorektalen Karzinome Molekulargenetische Untersuchungen an zu kolorektalen Karzinomen disponierenden Syndromen führten in den letzten Jahren zur Entdeckung weiterer Gene. So verursachen Keimbahnmutationen im APC-Gen die Entstehung der familiären adenomatösen Polyposis (Kinzler et al. 1991), während das hereditäre nicht-polypöse kolorektale Karzinom Syndrom (HNPCC) in einem defekten DNA-Mismatch-Repair-System begründet liegt. Bislang sind hierfür fünf ursächliche Mismatch-Repair-Gene (MSH2, MLH1, PMS1, PMS2,

4 MSH6/GTBP) identifiziert worden (Fishel et al. 1993, Bronner et al. 1994), wobei Mutationen in hmlh1 und hmsh2 bei 80 90 % der HNPCC-Patienten zu finden sind (Trojan et al. 1999). Die in dem genetischen Modell von Fearon und Vogelstein beschriebenen Ereignisse konnten in HNPCC-assoziierten CRC nicht nachgewiesen werden. Dennoch ist es möglich, daß sich auch die hereditären Tumoren vergleichbar den sporadischen Karzinomen mehrschrittig entwickeln und somatische Mutationen in schnellerer Folge akkumulieren (Kölble und Schlag 1999). Entsprechend der Two-Hit-Hypothese nach Knudson liegt bei erblichen Tumorerkrankungen schon eine Keimbahnmutation ( first hit ) in einem Allel des Tumorsuppressorgens (APC-Gen, MMR-Gene) vor, so daß nur noch eine zweite, weitere somatische Mutation ( second hit ) zur Inaktivierung des anderen Allels notwendig ist. 1.3.1. FAP Etwa 1 % aller CRC entstehen auf dem Boden einer familiären adenomatösen Polyposis. Das FAP-Syndrom ist charakterisiert durch das Auftreten zahlreicher (bis tausend) Polypen im Kolon und Rektum, die sich frühzeitig herausbilden und eine 100 %ige Entartungstendenz vor dem 40. Lebensjahr aufweisen. Daher stellt die gesicherte FAP eine Indikation zur prophylaktischen totalen Proktokolektomie vor dem 20. - 25. Lebensjahr dar. Der Erhalt der Kontinenz wird heute üblicherweise durch die Bildung eines ileoanalen Pouches erreicht. Mutationen im APC (adenomatous polyposis coli)-gen, die auch bei über der Hälfte der sporadischen CRC vorkommen, sind verantwortlich für dieses autosomal-dominant erbliche Syndrom. Die Schwere des Phänotyps ist abhängig von der Lokalisation der Mutation. Zusätzlich lassen sich auch Manifestationen außerhalb des Kolons nachweisen, wie zum Beispiel Osteome oder Medulloblastome.

5 1.3.2. HNPCC Das HNPCC-Syndrom zählt mit 2000 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland zu den häufigsten erblichen Krankheiten. Die Angaben zur Häufigkeit (5 8 % aller CRC) dieses hereditären kolorektalen Karzinoms werden in der Literatur unterschiedlich beschrieben. Infolge der unvollständigen Erhebung der Familienanamnese und der verhältnismäßig kleinen Familien in der heutigen Zeit sowie der fehlenden Erfassung von extrakolonischen HNPCC- Tumoren kommt es meist zu einer Unterschätzung des Syndroms (Rüschoff et al. 1998). HNPCC ist klinisch gekennzeichnet durch eine frühzeitige Manifestation (vor dem 45. Lebensjahr), bevorzugte Tumorlokalisation im proximalen Kolon (60 70 % der Tumoren), häufig synchrone und metachrone CRC (30 %) und Häufung von extrakolonischen Tumoren. Besonders betroffen sind hierbei Endometrium, Magen, ableitende Harnwege, Dünndarm und Ovarien. Von entscheidender Bedeutung für die Diagnose eines HNPCC-assoziierten CRC ist die Erhebung einer ausführlichen Familienanamnese. Diesbezügliche Hinweise ergeben sich aus den Amsterdam- und Bethesda-Kriterien. Jedoch erwiesen sich die Amsterdam-Kriterien als restriktiv, da einige Familien mit bekannter Keimbahnmutation in den MMR-Genen sie nicht erfüllten (Kölble und Schlag 1999). Die erweiterten Bethesda-Kriterien (seit 1998) schließen sechs definierte Risikogruppen ein, wodurch auch Patienten ohne Familienanamnese oder Mehrfachtumoren sowie pathomorphologische Merkmale berücksichtigt werden. Im Gegensatz zur FAP gibt es beim HNPCC-assoziierten CRC keinen typischen Phänotyp, was die klinische Diagnose erschwert. Die Tatsache, daß verschiedene Gene an der Ausprägung des HNPCC-Syndroms beteiligt sind, führt dazu, daß die Identifikation von Mutationen besonders aufwendig ist. Daher sind vor Beginn der Sequenzanalysen andere molekulare Selektionsverfahren indiziert. Derzeitig wird ein stufenweises Vorgehen zur HNPCC-Diagnostik empfohlen. Als erster Schritt bietet sich bei Verdacht auf HNPCC der Nachweis der Mikrosatelliteninstabilität (MSI) an. Infolge der Fehlfunktion der MMR-Gene kommt es zu Veränderungen in repetitiven DNA-Sequenzen (Mikrosatelliten). Die daraus resultierende MSI liefert somit einen indirekten Hinweis auf die beeinträchtigte Genfunktion. Untersuchungen haben ergeben, daß bestimmte Mikrosatelliten für diese Analyse besonders geeignet sind. Seit kurzem gibt es hierzu ein Referenz- Primerpanel (Boland et al. 1998), welches aus fünf Markern (BAT25, BAT26, D17S250,

6 D5S346, D2S123) besteht. Damit wurde die Grundlage für eine möglichst einheitliche und standardisierte MSI-Analyse geschaffen. Der Verdacht auf HNPCC erhärtet sich, wenn mindestens zwei Marker eine Instabilität aufweisen. Bei gering instabilen (weniger als 20% der Marker sind instabil) oder stabilen Tumoren ist ein HNPCC-Syndrom unwahrscheinlich. Als zweite Screeninguntersuchung schließt sich der immunhistologische Nachweis von Mismatch-Repairgenprodukten an. Ein Expressionsverlust im Tumor weist auf das betroffene Gen hin. Abschließend kann für den Nachweis einer Mutation das nicht exprimierte Gen gezielt sequenziert werden. Ziel dieser Diagnostik ist es, tatsächliche Genträger festzustellen und diesen ein spezielles Vorsorgeprogramm anzubieten. Als Vorsorgeuntersuchungen werden für Indexpersonen, asymptomatische Merkmalsträger sowie in Verdachtsfällen Koloskopien in engmaschigen Abständen (alle 1-2 Jahre) empfohlen. Im Rahmen des Tumorfrüherkennungsprogramms sind aufgrund des extrakolonischen Tumorspektrums auch Gastroduodenoskopien, gynäkologische Untersuchungen und Urinanalysen erforderlich. 1.4. Mismatch-Repair-Gene (MMR-Gene) Die DNA-Mismatch-Repair-Gene kodieren für sog. Mismatch-Repair -Enzyme, deren Funktion darin besteht, die während der Replikation entstandenen falschen Basenpaarungen zu erkennen und zu korrigieren. Dies ist zur Bewahrung der Echtheit der genetischen Information notwendig. Die Reparatur eines DNA-Replikationsfehlers beginnt mit der Erkennung des fehlgepaarten Basenpaares durch das MSH2-Protein. Nachfolgend bindet MSH2 unter Bildung eines Komplexes mit GTBP (G-T Bindungsprotein) an die reparaturbedürftige Stelle. Ein zweites Heterodimer, bestehend aus MLH1 und PMS2, kommt hinzu und unterstützt das Zusammenspiel der Helicasen, Nucleasen und Polymerasen, die für die Exzision und Neusynthese des DNA-Stranges verantwortlich sind (Abbildung 2).

7 / Abbildung 2: Schematische Darstellung des DNA-Mismatch-Repair-Systems nach Toft und Arends (J Pathol 1998; 185: 123-129) Kommt es zu Mutationen in den Mismatch-Repair-Genen, so können Fehler, die während der Zellteilung auftreten, nicht mehr repariert werden. Die Folge ist eine Anhäufung von Replikationsfehlern in repetitiven DNA-Sequenzen, den sog. Mikrosatelliten. Die repetitiven DNA-Sequenzen kommen zu ca. 70 % im gesamten menschlichen Genom verteilt vor, während die gencodierende DNA nur ca. 30 % ausmacht. Die Funktion der Mikrosatelliten- DNA ist bislang unbekannt. Treten beim Vergleich zwischen der normalen DNA und der Tumor-DNA Differenzen in der Sequenzlänge der Mikrosatelliten (Insertionen oder Deletionen in Mono-, Di-, Tri- oder Tetranukleotidsequenzen) auf, so führt das zum Phänomen der Mikrosatelliteninstabilität (MSI). Durch die Ineffizienz der Mismatch-Repair- Gene kommt es zur genetischen Instabilität, woraus ein Mutator-Phänotyp/ Replication error phenotyp (RER) resultiert, der weitere sekundäre Mutationen begünstigt und eine maligne

8 Transformation ermöglicht (Aaltonen et al. 1993, Ionov et al. 1993, Thibodeau et al. 1993, Kullmann et al. 1996). Im Tumorgewebe von HNPCC-Patienten läßt sich die Mikrosatelliteninstabilität in 90 % der Fälle nachweisen (Aaltonen et al. 1994, Rüschoff et al. 1998), jedoch ist sie nicht spezifisch für HNPCC. 1.5. Die Bedeutung der Mismatch-Repair-Gene für das sporadische kolorektale Karzinom Auch sporadische kolorektale Karzinome sind in 10 20 % durch Mikrosatelliteninstabilität gekennzeichnet. (Thibodeau et al. 1993, Ionov et al. 1993, Aaltonen et al. 1994, Salahshor et al. 1999). Hierfür sind auch Alterationen in den Reparaturgenen verantwortlich, die sich in 1-15 % nachweisen lassen (Liu et al. 1995, Borresen et al. 1995, Möslein et al. 1996, Herfarth et al. 1997). Allerdings weisen nicht alle sporadischen CRC mit Mikrosatelliteninstabilität Veränderungen in den MMR-Genen auf. Jedoch ergibt sich daraus, daß zur Entstehung von sporadischen CRC nicht nur die genetischen Alterationen, wie sie in der Adenom-Karzinom-Sequenz beschrieben sind, beitragen. Für eine Subpopulation der sporadischen CRC scheinen Mutationen in den Mismatch-Repair-Genen verantwortlich zu sein. Die Entstehung eines malignen Phänotyps erfolgt über eine Anhäufung von Mutationen und wird durch eine genomische Instabilität begünstigt, die zwei Ursachen haben kann. Der häufigere Weg führt zu chromosomaler Instabilität und ist charakterisiert durch einen Allelverlust (Loss of heterozygosity, LOH), chromosomale Amplifikation oder Translokation. Hiervon sind die Tumorsuppressorgene APC, p53 und DCC betroffen. Daneben existiert die bereits beschriebene Mikrosatelliteninstabilität, die auf eine Störung der Funktion von DNA- Reparaturgenen zurückgeführt werden kann. 1.6. Zielsetzung Obwohl HNPCC-Patienten frühzeitig (vor dem 50. Lebensjahr) an einem kolorektalen Karzinom erkranken, überwiegend schlecht-differenzierte Tumoren aufweisen sowie eine Neigung zu multiplen kolorektalen Karzinomen und extraintestinalen Tumoren haben,

9 zeichnen sie sich im Vergleich zu Patienten mit sporadischen kolorektalen Karzinomen, durch eine bessere Prognose aus. So wird seit einiger Zeit nicht nur ein Überlebensvorteil für Patienten mit HNPCCassoziierten CRC, sondern auch für Patienten mit MSI-positiven CRC diskutiert (Thibodeau et al. 1993, Sankila et al. 1996). Jedoch gibt es noch widersprüchliche Auffassungen darüber, wodurch die bessere Prognose hervorgerufen wird. Möglicherweise können Mutationen in den DNA-Reparaturgenen für einen Überlebensvorteil verantwortlich sein (Sankila et al. 1996, Heinimann et al. 1999). Die Bedeutung der Mikrosatelliteninstabilität als möglicher prognostischer Faktor wird unterschiedlich beurteilt. Während in einigen Studien MSIpositive CRC eine günstigere Prognose aufwiesen (Lothe et al. 1993, Bubb et al. 1996, Gryfe et al. 2000), konnte in anderen Untersuchungen kein Überlebensvorteil festgestellt werden (Senba et al. 1998, Salahshor et al. 1999, Feeley et al. 1999). Ziel dieser Dissertation war die Expressionsanalyse der zwei am häufigsten mutierten MMR- Gene, hmsh2 und hmlh1 an einem Kollektiv von sporadischen kolorektalen Karzinomen. Zur Bestimmung des Mismatch-Repair-Protein-Status wurde die immunhistochemische Methode etabliert, die seit dem Angebot von entsprechenden Antikörpern möglich und bereits von einigen Arbeitsgruppen praktiziert worden ist (Thibodeau et al. 1996, 1998, Cawkwell et al. 1999). In der vorliegenden Untersuchung sollte die Häufigkeit von Verlusten der Proteinexpression im Tumor bestimmt werden. Weiterhin sollte geprüft werden, ob defekte MMR-Gene einen Einfluß auf das rezidivfreie Überleben und das Gesamtüberleben von Patienten mit kolorektalen Karzinomen haben. Da nicht bei allen mikrosatelliteninstabilen Tumoren Mutationen der MMR-Gene nachweisbar sind, war es ein weiteres Ziel zu untersuchen, welchen Einfluß die Gene auf bestimmte Tumorcharakteristika, wie Lokalisation, TMN-Kategorie, Differenzierungsgrad, Angiosis und Lymphangiosis ausüben. Bislang erfolgten Studien, in denen eine Beziehung zwischen MMR-Gen-Status und klinisch-pathologischen Charakteristika hergestellt wurde, überwiegend an mikrosatelliteninstabilen Tumoren. Die immunhistochemische Analyse zur Detektion von MMR-Gendefekten im Tumorgewebe ist ein sensitives und spezifisches Verfahren, welches einen raschen und präzisen Hinweis auf das betroffene Genprodukt liefert (Möslein et al. 2000). Da sie im Gegensatz zu aufwendigen Mutationsanalysen einfach durchzuführen ist, bietet sie sich als geeignetes Screening-

10 Verfahren zum Nachweis von defekten MMR-Genen an und kann demzufolge zur Identifikation von Risikopersonen wesentlich beitragen. Dies hat klinische Konsequenzen für das Vorsorgeprogramm und zukünftig eventuell für präventiv chirurgische Maßnahmen (Pistorius et al. 1998). 1.7. Fragestellung Anhand eines Patientenguts mit kurativ operiertem kolorektalen Karzinom sollte festgestellt werden, ob sich Patienten mit einem Funktionsverlust der Mismatch-Repair-Gene von denen ohne Genveränderungen im klinischen Verlauf und in bestimmten Tumorcharakteristika unterscheiden.