6 Staatshaftungsrecht III A. Verfassungsrechtliche Grundlagen für Entschädigung und Ausgleich Übersicht über die Ansprüche auf Entschädigung und Ausgleich > Folie Anknüpfungspunkte im GG # Art. 34 GG? kein Grundrecht, nur Mindestgarantie und Verfassungsauftrag an Gesetzgeber # Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG? Regelungsbefugnis für originäre Staatshaftung (i.s.v. Eigenhaftung), aber kein Gesetzgebungsauftrag
Entschädigung und Ausgleich Eigentum Nichtvermögenswerte Rechte Enteignung: rechtmäßiger und gezielter (Teil-) Entzug von Eigentum für konkrete öffentliche Aufgaben (Art. 14 III 1 GG) Ausgleichspflichtige Inhaltsbestimmung: abstrakt-generelle Festlegung von Inhalt u. Grenzen des Eigentums (Art. 14 I 2 GG) mit im Einzelfall unverhältnismäßiger Einschränkung der Eigentumsnutzung Enteignender Eingriff: unbeabsichtigter und unmittelbarer Eingriff in Eigentum (Nutzung) durch rechtmäßiges Verwaltungshandeln <Erfolgsunrecht> mit Sonderopfer beim Eigentümer Enteignungsgleicher Eingriff: beabsichtigter und unmittelbarer Eingriff in Eigentum (Nutzung) durch rechtswidriges Verwaltungshandeln <Handlungsunrecht + Erfolgsunrecht> mit Sonderopfer beim Eigentümer Aufopferung: unmittelbarer Eingriff in nichtvermögenswerte Rechte durch rechtmäßiges oder rechtswidriges Verwaltungshandeln mit Sonderopfer durch Vermögensschaden Entschädigung (durch Gesetz) als Voraussetzung der Rechtmäßigkeit der Enteignung (Art. 14 III 2, 3 GG) Ausgleichsanspruch (durch Gesetz) als Voraussetzung der Rechtmäßigkeit der Inhaltsbestimmung (Verhältnismäßigkeitsausgleich) Entschädigungsanspruch zum Ausgleich des Sonderopfers Entschädigungsanspruch zum Ausgleich des Sonderopfers Entschädigungsanspruch zum Ausgleich des Sonderopfers
2 # Art. 14 GG? Grundlage für: gesetzlichen Entschädigungsanspruch nach Enteignung (Art. 14 Abs. 3 GG) gesetzlichen Anspruch auf Ausgleich nach (Einzelfall) unverhältnismäßiger Inhaltsbestimmung (Art. 14 Abs. 1 GG) nicht Grundlage für: Ansprüche nach enteignendem Eingriff Ansprüche nach enteignungsgleichem Eingriff Ansprüche nach Aufopferung nichtvermögenswerter Rechte > gesetzliche (= richterrechtliche) Anspruchsgrundlagen
3 B. Enteignung und Enteignungsentschädigung (Art. 14 Abs. 3 GG) I. Eigentum und Enteignung (Überblick) 1. Sonderstruktur des Grundrechts 2. Der Eigentumsbegriff Verhältnis von Schutzbereich (Art. 14 I) und Enteignung (Art. 14 III) Schutzgehalt: # Nutzungsbefugnis # Verfügungsbefugnis Schutzgegenstand Eigentum # konkrete subjektive vermögenswerte Privatrechtspositionen # öffentlich-rechtl. Rechtspositionen? # Vermögen? Eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb?
4 3. Regelungsbefugnis des Gesetzgebers Art. 14 I 2 und II GG: Bestimmung von Inhalt und Schranken Art. 14 III GG: Enteignung durch Gesetz (= Legalenteignung) Art. 14 III GG: Enteignung auf Grund eines Gesetzes (= Administrativenteignung)
5 II. Die Enteignung (Art. 14 Abs. 3 GG) 1. Begriff: rechtmäßiger und gezielter Eigentumsentzug für konkrete öffentliche Aufgaben 2. Abgrenzung zur Inhaltsbestimmung 3. Rechtsformen durch Gesetz > Legalenteignung auf Grund eines Gesetzes > Administrativenteignung 4. Voraussetzungen gezielter hoheitlicher Eingriff in vermögenswertes Recht mit vollständigem oder teilweisem Entzug dieser Rechtsposition zum Wohl der Allgemeinheit (im Sinn einer Güterbeschaffung) Entschädigungsregelung im Gesetz
6 5. Rechtsfolgen Verlust der vermögenswerten Rechtsposition durch zwangsweise Übertragung auf den Staat ( Zwangskauf ) Entschädigung (durch Begünstigten): # Wertausgleich nach Rechtsverlust # in Geld oder Sachersatz # zum Verkehrswert 6. Rechtsschutz gegen Enteignung ( > Vorrang des Primärrechtsschutzes): Eingriffsabwehr vor den Verwaltungsgerichten gegen Höhe der Entschädigung: Leistungsklage vor den Zivilgerichten 7. Besonderheit bei Wegfall des Zwecks Anspruch auf Rückenteignung # aus Gesetz # aus Art. 14 Abs. 1 GG
Enteignung Inhaltsbestimmung Enteignung Vorgang Objekt Adressat Ziel Voll- oder Teilentzug von konkreten individuellen Rechtspositionen Einzelne bestimmte oder bestimmbare Rechtspositionen Einzelne bestimmte oder bestimmbare Inhaber der betroffenen Rechtspositionen Erfüllung einer konkreten staatlichen Aufgabe (durch zwangsweise Güterbeschaffung) Inhalts- und Schrankenbestimmung Abstrakte Ausgestaltung der Nutzungs- und Verfügungsbefugnisse Gesamte Kategorie der jeweils betroffenen Rechtsgüter Alle Inhaber der jeweils betroffenen Rechtsgüter Generelle Förderung des Gemeinwohls
Fallbeispiele zur Abgrenzung von Enteignung und Inhaltsbestimmung 1. Die Bundeswehr benötigt das Grundstück des E. zur Erweiterung ihres Kasernengeländes / Truppenübungsplatzes. Rechtliche Möglichkeiten? 2. Der VW-Konzern möchte bei Schwerin ein Werk errichten und hat hierfür bereits ein geeignetes Gelände gekauft. Leider war Bauer B. nicht bereit, seinen Acker, der mitten in diesem Gelände liegt, ebenfalls an VW zu verkaufen. Rechtliche Möglichkeiten für VW? 3. Der Deutsche Bundestag beschließt eine Reform des Fischereirechts, wonach das Recht des Anliegers an einem Seegrundstück, von seinem Grundstück aus zu angeln und zu fischen, ersatzlos gestrichen wird. 4. Der Deutsche Bundestag beschließt den Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie und beschließt eine Änderung des Atomgesetzes. Danach erlischt die Betriebsgenehmigung für die einzelnen Kernkraftwerke je nach Betriebsdauer gestaffelt bis spätestens 2020; eine Entschädigung sieht das Gesetz nicht vor. Zulässig?
7 C. Die ausgleichspflichtige Inhaltsbestimmung (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) I. Begriff, Herkunft und Abgrenzung Begriff: # abstrakt-generelle Festlegung # von Inhalt und Grenzen des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG), die # im Einzelfall # eine unverhältnismäßige Beschränkung der Eigentumsnutzung zur Folge hat Herkunft und Abgrenzung: # Brückenfunktion zwischen gesetzlicher Inhalts- und Schrankenbestimmung und Enteignung # Abgrenzung zu Art. 14 I 2 GG: Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
8 Anwendungsfelder (Beispiele): # Schallschutzmaßnahmen wegen Lärm- und Abgasimmissionen ( 42 Abs. 1 BImSchG) # Nutzungsbeschränkungen im Denkmalschutz- und im Naturschutzrecht (z.b.: Villa Neitzert [BVerfGE 100, 226 ff.]) II. Rechtliche Ausgestaltung und Rechtsfolge Rechtsgrundlage: # Gesetzesvorbehalt für Ausgleichsanspruch > gesetzliche Regelung! # Zulässigkeit von salvatorischen Entschädigungsklauseln im Gesetz ( Entschädigung falls Enteignung )? Herkunft und Bedeutung Verfassungsmäßigkeit?
9 Rechtsfolge: # Ausgleichsanspruch zur Herstellung der Rechtmäßigkeit der Inhalts- und Schrankenbestimmung = Verhältnismäßigkeitsausgleich # Rechtsweg früher zwischen BGH (Zivilrechtsweg) und BVerwG (Verwaltungsrechtsweg) streitig 40 Abs. 2 Satz 1 a.e. VwGO > Verwaltungsrechtsweg
Fallbeispiel zur ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung Unternehmer U. ist Inhaber eines Industriebetriebs, zu dem auch eine am Rande des Betriebsgeländes stehende Villa gehört. Diese Villa diente seit ihrer Errichtung 1890 den Direktoren der Firma als repräsentatives Wohnhaus; sie spiegelt deshalb zahlreiche Elemente der Gründerzeit wider. Seit 1981 steht die Villa leer, weil der Aufwand für Renovierung und Unterhalt des Gebäudes nach Auffassung des U. unverhältnismäßig wäre. Aufgrund mehrerer Fachgutachten wurde die Villa 1980 unter Denkmalschutz gestellt. Inzwischen steht fest, daß der Sanierungsaufwand heute mindestens 600.000 Euro, der jährliche Unterhalt etwa 150.000 Euro betragen würde. Weder U. noch die Stadt, der als Trägerin des Denkmalamts das Gebäude zur kostenlosen Nutzung angeboten wurde, wollen diesen Betrag aufbringen. U. will seinen Betrieb erweitern und beantragt deshalb die Genehmigung zum Abriß der Villa. Sie wird vom Denkmalamt abgelehnt, weil nach dem Gesetz was zutrifft eine derartige Genehmigung nur bei einem besonderen öffentlichen Interesse erteilt werden dürfe. U. meint, es müsse auch aus seinen privaten (wirtschaftlichen) Gründen möglich sein, diese Genehmigung zu erhalten. Wie wird das Gericht entscheiden? (nach BVerfGE 100, 226 ff. Villa Neitzert ; Literaturhinweise > Arbeitsblatt)
Entschädigungsanspruch bei Eigentum I Objekt Eingriff Zweck Wirkung mit Rechtsfolge Entschädigung Enteignung ( klassisch ) Grundstücke und dingliche Rechte Entzug durch VA nach Gesetz Gemeinwohl Rechtsübergang (Güterbeschaffung) RG (Einzelakt) alle vermögenswerten Privatrechte Entzug durch VA nach Gesetz oder durch Gesetz Gemeinwohl Rechtsübergang / Rechtsvernichtung BGH alt (Sonderopfer = rechtswidrig) Anspruch aus: Art. 14 III GG analog alle vermögenswerten Privatrechte und bestimmte öffentlich-rechtliche Rechtspositionen jede unmittelbare hoheitliche Beeinträchtigung, wenn rechtswidrig und schuldhaft oder schuldlos (Gemeinwohl) Nutzungs- oder Verfügungsbeschränkung (kein Rechtsübergang erforderlich)
Entschädigungsanspruch bei Eigentum II Objekt Eingriff Zweck Wirkung mit Rechtsfolge Entschädigung BVerfG (E 58, 300 ff.) Art. 14 III GG Grundstücke und dingliche Rechte Entzug durch VA nach Gesetz oder durch Gesetz Gemeinwohl Rechtsübergang (Güterbeschaffung) BGH neu (Sonderopfer = rechtswidrig) Anspruch aus: Aufopferungsgedanke alle vermögenswerten Privatrechte und bestimmte öffentlich-rechtliche Rechtspositionen jede unmittelbare hoheitliche Beeinträchtigung, wenn rechtswidrig und schuldhaft oder schuldlos (Gemeinwohl) Nutzungs- oder Verfügungsbeschränkung (kein Rechtsübergang erforderlich)
10 D. Die Aufopferung bei Eingriffen in Eigentum 1. Der Anspruch auf Entschädigung nach Eigentumseingriff: Herkunft u. Funktion Kriterien der Abgrenzung von Enteignung und Schrankenbestimmung # Rechtsprechung des RG ( > Einzelaktstheorie) # Rechtsprechung des BGH ( > Art. 14 III GG analog, Sonderopferlehre) # Rechtsprechung des BVerwG ( > Art. 14 III GG analog, Schweretheorie) # Korrektur durch das BVerfG ( > formalisierter Enteignungsbegriff) # Anpassung der Rechtsprechung des BGH ( > Allgemeiner Aufopferungsgrundsatz als Gewohnheitsrecht, Sonderopferlehre)
11 2. Der Anspruch auf Entschädigung nach enteignungsgleichem Eingriff Funktion: allgemeine staatliche Unrechtshaftung (für Handlungsunrecht) Begriff und Anwendungsbereich: unmittelbare rechtswidrige Beeinträchtigung eines vermögenswerten Rechts i.s.v. Art. 14 GG # z.b. rechtswidriger Gesetzesvollzug Versagung einer Genehmigung Eingriff in subjektive öffentliche Rechte Versagen technischer Einrichtungen # z.b. rechtswidriges schlichtes Verwaltungshandeln # z.b. normatives Unrecht rechtswidrige Heranziehung zu staatlichen Abgaben durch VO unzulässige Veränderungssperre nach Bauplanungsrecht
12 # nicht: legislatives Unrecht durch formelle Gesetze (so BGH) Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage # Eingriffsobjekt: vermögenswerte Rechtsposition i.s.v. Art. 14 GG # Eingriffshandlung: hoheitlicher rechtswidriger Eingriff durch VA Realakt Verwaltungsvorschrift usw. Unterlassen? # Eingriffswirkung: unmittelbare Beeinträchtigung (nicht: Finalität) # Rechtswidrigkeitsfolge: Sonderopfer (durch Rechtswidrigkeit indiziert)
13 # Subsidiarität: Vorrang des Primärrechtsschutzes ( 254 BGB analog) Rechtsfolge: # Anspruch auf Entschädigung zum Ausgleich des Sonderopfers # Verjährung: 195 BGB analog > 3 Jahre # Anspruchsgegner: eingreifender Hoheitsträger (str.) # Rechtsweg: 40 Abs. 2 S. 1 VwGO > ordentlicher Rechtsweg # Konkurrenzen: Spezialgesetze
14 3. Der Anspruch auf Entschädigung nach enteignendem Eingriff Funktion: allgemeine staatliche Unrechtshaftung (für Erfolgsunrecht) Begriff und Anwendungsbereich: # Beeinträchtigung eines vermögenswerten Rechts i.s.v. Art. 14 GG # durch atypischen, # nicht vorhersehbaren und # für den Eigentümer unzumutbaren Eingriff
15 Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage # Eingriffsobjekt: vermögenswerte Rechtsposition i.s.v. Art. 14 GG # Eingriffshandlung: hoheitlicher rechtmäßiger Eingriff durch Realakt (nicht: Unterlassen) # Eingriffswirkung: unmittelbare Beeinträchtigung (nicht notwendig: Finalität) # Eingriffsfolge: Sonderopfer durch Unzumutbarkeit der Beeinträchtigung (i.s.v. Schweretheorie)
16 Rechtsfolge: # Anspruch auf Entschädigung zum Ausgleich des unzumutbaren Sonderopfers # Anspruchsbeschränkung bei schuldhaft fehlender Schadensbegrenzung ( 254 BGB analog) # Verjährung: 195 BGB analog > 3 Jahre # Anspruchsgegner: eingreifender Hoheitsträger # Rechtsweg: 40 Abs. 2 S. 1 VwGO > ordentlicher Rechtsweg # Konkurrenzen: Spezialgesetze (z.b. 72 ff. SOG)
Fallbeispiel zum enteignungsgleichen und zum enteignenden Eingriff Bauer B. hat seit 1990 einen größeren landwirtschaftlichen Betrieb am Rand der Stadt S.; er baut dort vor allem Weizen und Raps an. Im Jahr 2011 errichtet S. unter Einhaltung der einschlägigen Vorschriften etwa 500 m vom Hof des B. entfernt eine Mülldeponie. Die dort abgelagerten Abfälle locken zahlreiche Krähen und Möwen an. Die Vögel lagern nicht nur auf den Feldern des B., sie genießen auch das dort ausgebrachte leckere Saatgut. Die von B. hiergegen installierten Vorrichtungen sind zwar teuer, aber nicht wirkungsvoll. Im Spätherbst 2014 sät B. Winterweizen aus. Als die Saat im Spätwinter aufgeht, fressen die Krähen sie nicht nur; sie reißen auch die Jungpflanzen aus dem Boden. B. erleidet dadurch einen kompletten Ernteausfall. Da von den Tieren nichts zu holen ist, will B. von Ihnen wissen, ob er von S. Ersatz seines Ernteschadens verlangen kann. (nach: BGH, NJW 1980, 770 ff.; OLG Zweibrücken, NJW-RR 1986, 688 ff.)
17 E. Die Aufopferung bei Eingriffen in nichtvermögenswerte Rechtsgüter I. Anwendungsbereich Eingriffsobjekt: alle immateriellen Rechtsgüter # Leben # Gesundheit # Freiheit # Persönliche Ehre # Berufsfreiheit? II. Anspruchsvoraussetzungen Eingriffshandlung: jede Beeinträchtigung eines nicht-vermögenswerten Rechtsguts (auch: psychischer Zwang)
18 Eingriffsfolge: Sonderopfer i.s.e. besonderen, anderen Bürgern nicht abgeforderten Belastung durch # rechtswidriges Staatshandeln # rechtmäßiges Staatshandeln Rechtsfolge: Ersatz des unmittelbar verursachten Vermögensschadens # z.b. Arzt- und Krankenhauskosten # z.b. Verdienstausfall # nicht: Schmerzensgeld Anspruchsgegner: eingreifender Verwaltungsträger Verjährung: 195 BGB analog > 3 Jahre Konkurrenzen: Spezialgesetze # 72, 73 SOG (Nichtstörer, Dritte) # Infektionsschutzgesetz (Impfschäden) # Strafentschädigungsgesetz (U-Haft)