Rede für den Bewährungshelfertag in Berlin am

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Transkript:

Rede für den Bewährungshelfertag in Berlin am 09.03.2009 Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich sehr, hier heute beim Bewährungshelfertag 2009 als frischgebackener Leiter unseres neuen Ambulanten Justizsozialdienstes mit dabei sein zu können und einige einleitende Bemerkungen zur Betreuung von Jugendlichen als fachlichem Schwerpunktbereich der ambulanten sozialen Dienste der Justiz in Niedersachsen machen zu dürfen. Meine Damen und Herren, Herr Minister Busemann hat bereits darauf hingewiesen, dass die ambulanten sozialen Dienste in Niedersachsen auf der Grundlage eine Kabinettsbeschlusses vom Sommer vergangenen Jahres aus ihren bisherigen Strukturen herausgelöst wurden. Die ehemalige Bewährungshilfe ist ebenso wie die ehemalige Gerichtshilfe sowie die AussteigerhilfeRechts seit dem 1. Januar 2009 in einen einheitlichen integrierten Dienst zusammengeführt. Die Leitung unseres neuen Dienstes, der sich in 11 Regionalbezirke zergliedert, erfolgt landeseinheitlich durch die Kopfstelle des AJSD einer eigenständigen Abteilung des Oberlandesgerichts Oldenburg. In Zukunft werden an der Verwaltung und Steuerung der rund 400 Mitarbeiterinnen - Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen und Mitarbeiterinnen des Schreib- und Verwaltungsdienstes - nur noch 2 Behörden beteiligt sein - nämlich das OLG Oldenburg und das Justizministerium. Zugleich wurde die Geschäftsführung der Stiftung Opferhilfe ebenfalls in Oldenburg angesiedelt, so dass auch dieser wichtige Bereich, der personell durch Justizsozialarbeiterinnen und Justizsozialarbeiter des AJSD als Opferhelferinnen und Opferhelfer bestritten wird, von dort aus gesteuert wird. 1

Mit der Strukturreform sind die notwendigen Rahmenbedingungen dafür geschaffen worden, dass sich die ambulante Justizsozialarbeit in Niedersachsen den Herausforderungen der Zukunft stellen kann! Dies gilt einerseits hinsichtlich der an eine moderne Verwaltungsstruktur zu stellenden Anforderungen, denen in der überkommenen Struktur mit insgesamt 29 beteiligten Behörden und Dienststellen nur unzulänglich entsprochen werden konnte. Dies gilt aber ebenso für die sich den ambulanten sozialen Diensten der Justiz stellenden qualifizierten fachlichen Anforderungen. Durch die Integration der bisher getrennten Dienstzweige wird eine durchgängige Betreuung geschaffen, deren Arbeitsmethoden und Arbeitsabläufe sich landesweit einheitlich und transparent entwickeln lassen und die die fachlich gebotene Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung gewährleistet. Zugleich erhält die Justizsozialarbeit durch die Anerkennung ihrer eigenständigen Fachlichkeit und kriminalpolitischen Bedeutung den erforderlichen Stellenwert für ihre Arbeit. Ganz so wie Herr Minister Busemann es ausgedrückt hat: Wir sind nicht länger das mitgeführte 5. Rad am Wagen, sondern neben Gerichten, Staatsanwaltschaften und dem Justizvollzug das für eine effektive Strafrechtspflege erforderliche 4. Rad der Justiz in Niedersachsen. Die fachlichen Tätigkeitsfelder des Ambulanten Justizsozialdienstes zergliedern sich in fünf Arbeitsbereiche: die Bewährungshilfe, die Gerichtshilfe, die Führungsaufsicht, die AussteigerhilfeRechts und durch die organisatorische und personelle Verknüpfung mit der rechtlich eigenständigen Stiftung Opferhilfe letztlich auch Aspekte der Opferarbeit. Alle diese genannten Arbeitsbereiche leisten kriminalpolitisch wichtige Sozialarbeit innerhalb der Justiz. 2

In diesen Gesamtkontext fügt sich die Jugendbewährungshilfe als wichtiger Aufgabenschwerpunkt innerhalb des Ambulanten Justizsozialdienstes ein. Herr Minister Busemann hat bereits darauf hingewiesen, dass die Jugendbewährungshilfe im Jahre 2005 als fachlicher Schwerpunkt landesweit eingeführt wurde. Die Zielgruppe der jungen Straftäter steht damit im besonderen Fokus der ambulanten sozialen Dienste der Justiz in Niedersachsen. Daran hat auch die erfolgte Strukturreform nichts geändert. Im Gegenteil: Die neue AV über die Organisation, Aufgaben und den Dienstbetrieb des AJSD spricht von der Jugendbewährungshilfe ausdrücklich als einem fachlichen Schwerpunktbereich des AJSD. Damit meine Damen und Herren ist ein klares Bekenntnis des Niedersächsischen Justizministeriums zur Jugendbewährungshife verbunden. Für den AJSD bedeuted dies den Auftrag, diesem Arbeitsbereich besondere Aufmerksamkeit zu widmen und ihn strukturell und fachlich fortzuentwickeln und zu stärken. Diesen Auftrag nehmen wir sehr gerne und aus voller Überzeugung an. Es ist daher auch kein Zufall, dass der Bereich der Jugendbewährungshilfe im Rahmen der in der vergangenen Woche abgeschlossenen Auftaktbereisung der Leitung des AJSD in praktisch allen besuchten Regionalbezirken besonders thematisiert wurde. Vor einer Woche haben sich zudem Jugendbewährungshelferinnen und Jugendbewährungshelfer aus ganz Niedersachsen in Oldenburg zu einem ersten Meinungsaustausch in der neuen organisatorischen Struktur getroffen. In den Regionalbezirken werden besondere Ansprechpersonen für Jugendbewährungshilfe benannt um diesen Prozess zu intensivieren. 3

Um welche Größenordnung handelt es sich bei der Zielgruppe der nach dem Jugendstrafrecht verurteilten und unterstellten Probanden und Probandinnen? Von insgesamt mehr als 18.000 in Niedersachsen der Bewährungshilfe unterstellten Personen handelt es sich bei 18,4 %, also rund 3.400 um junge Menschen, die der Bewährungshilfe nach Maßgabe der Bestimmungen des Jugendstrafrechts unterstellt wurden. Die fachliche Ausgestaltung der Jugendbewährungshilfe hat sich an dem im Jugendgerichtsgesetz verankerten Erziehungsgedanken zu orientieren, der die Jugendbewährungshilfe deutlich von der Bewährungshilfe abhebt und dem allgemeinen Überwachungs- und Hilfsauftrag ein qualifiziertes weitereres Element hinzufügt. Diese spezifische Aufgabenstruktur der Jugendbewährungshilfe ist die notwendige Folge der spezifischen Bedürfnissituation junger Straftäter. Sie folgt dabei der Erwartung, dass die Einflussmöglichkeiten auf junge Menschen ungleich größer sind als bei Erwachsenen und dass sich die Arbeit mit ihnen häufig intensiver gestalten muss! Damit einher gehen kann das Erfordernis einer höheren Kontaktfrequenz und einer intensiveren Beziehungsarbeit. Der Erziehungsgedanke ist damit ein prägendes Element der Jugendbewährungshilfe und damit zugleich inhaltliche Leitlinie der Ausgestaltung der Arbeit. Damit wird auch deutlich, dass in diesem Bereich eine ausschließlich risikoorientierte Strukturierung der fachlichen Arbeit zu kurz greift und diese in jedem Fall spürbar um Aspekte des Erziehungsgedankens zu ergänzen ist. Meine Damen und Herren: Die Lebensentwürfe von jungen Menschen sind häufigen Änderungen unterworfen - entweder selbst gewählt oder von anderen ausgelöst. Sie befinden sich in einer Lebensphase, in denen 4

grundlegende Entscheidungen für das ganze zukünftige Leben zu treffen sind, in der viel ausprobiert und experimentiert wird, und in der leider häufig auch viel schiefgeht. Diese Entwicklungsphase ist geprägt von Spannungen, Unsicherheiten, Anpassungsschwierigkeiten. Die Entwicklung zu einem selbständigen, verantwortungsvollen und rechtschaffenen Lebenswandel kann von einer Vielzahl von Faktoren beeinträchtigt werden. Je instabiler die sozialen Lebensverhältnisse sind und je spürbarer ein Mangel an Orientierung, an verlässlichen Bezugspersonen zum Tragen kommt, umso schwieriger ist es, diese Lebensphase ohne erhebliche Einschnitte zu bewältigen! Eine kontinuierliche und ebenso intensive wie professionelle Beziehungsarbeit erhält gerade dort einen hohen Stellenwert, wo junge Menschen immer wieder - in der Familie, in der Schule und in der Ausbildung - einschneidenden Beziehungsabbrüchen ausgesetzt sind. Gerade wenn Eltern und Familie als Sozialisationsinstanz früh ausgefallen sind, bedarf es professioneller und vor allem zuverlässiger Ansprechpartner, die da sind, wenn die jungen Menschen sie brauchen. Eine echte Chance auf eine nachhaltige Verhaltensänderung kann sich erst dann auftun, wenn die Möglichkeit besteht, das eigene Verhalten gerade in kritischen Bewährungsphasen laufend, also wiederholt und gegebenenfalls auch in kurzen Abständen mit konstanten Bezugspersonen zu reflektieren und aufzuarbeiten. Je instabiler die konkreten Rahmen- und Lebensbedingungen sind, desto häufiger wird sich in der Regel ein solcher Interventionsbedarf ergeben. Die dem AJSD vorgegebene fachliche Schwerpunktbildung hat diesen besonderen Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen, wenn sie den spezifischen Anforderungen dieser Zielgruppe und den berechtigten Erwartungen der Kooperationspartner der Bewährungshilfe genügen will. 5

Meine sehr verehrten Damen und Herren: Das System der Jugendstrafrechtspflege bietet erhebliche Gestaltungs- und Interventionsspielräume! Diese können nur durch eine möglichst enge Kooperation aller Beteiligter zum Wohle der jungen Menschen und letztlich zum Wohle aller Bürgerinnen und Bürger optimal genutzt werden. Eine enge Kooperation des Ambulanten Justizsozialdienstes mit den Jugenddezernenten der Staatsanwaltschaften, mit den Jugendrichtern, mit dem Jugendstrafvollzug aber auch mit der Jugendgerichtshilfe, den Jugendhilfeträgern und nicht zuletzt den Jugendbeauftragten der Polizei. Nicht ohne Grund gibt es in allen Bereichen spezielle Ansprechpartner für den Jugbendbereich. Der Ambulante Justizsozialdienst darf da keine Ausnahme sein! Das sich aus der Vernetzung aller beteiligter Bereiche ergebende Potential kann nur dann wirklich erschlossen werden, wenn sich speziell ausgewählte und geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ambulanten Justizsozialdienstes gezielt und beharrlich diesem Aufgabengebiet widmen, dessen Besonderheiten kennen und durch einen engen persönlichen Kontakt zu allen Kooperationspartnern Gewähr für tragfähige und belastbare Strukturen bieten. Wie nun, meine Damen und Herren, sieht die Struktur der Jugendbewährungshilfe in Niedersachsen aus? Landesweit sind rund 60 Justizsozialarbeiterinnen und Justizsozialarbeiter in diesem Aufgabenschwerpunkt des AJSD tätig darauf hat Herr Minister Busemann bereits hingewiesen. 6

Es sind dabei nicht zuletzt die regionalen und vor allem auch geographischen und demographischen Besonderheiten, die die personelle Struktur der Jugendbewährungshilfe vor Ort maßgeblich bestimmt. Städtische Strukturen bieten naturgemäß gute Voraussetzungen dafür, Justizsozialarbeiterinnen und Justizsozialarbeiter ausschließlich mit Aufgaben der Jugendbewährungshilfe zu betrauen. Städtische Netzwerke sind in der Regel dichter, die Wege sind kürzer und die Anzahl der Jugendbewährungsfälle konzentriert sich auf verhältnismäßig überschaubare Räume. In ländlichen Strukturen sind die Verhältnisse andere. Es gelingt weniger, junge Menschen ausschließlich durch spezielle Jugendbewährungshelferinnen und Jugendbewährungshelfer zu betreuen. Auch für den ländlichen Raum ist eine optimale Betreuung zu gewährleisten, was wegen der Weite der ländlichen Räume mit besonderen Herausforderungen verbunden ist. Wie können beispielsweise vor Ort regelmäßige offene Sprechstunden angeboten werden, um die erforderlichen Ansprechmöglichkeiten zu gewährleisten? Auch hier können sich die vielen Vorteile der Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern zeigen. Die teilweise bereits praktizierte Zusammenarbeit mit Jugendzentren, Beratungsstellen des Jugendamtes, Jobcentern oder Schulen ist an dieser Stelle besonders hervorzuheben. In der mit unserer Strukturreform überwundenen dezentralen Struktur der ambulanten sozialen Dienste der Justiz - dies ist nicht zu verkennen - haben sich hier wie auch in anderen Bereichen je nach Bezirk sehr unterschiedliche Lösungsansätze entwickelt. Es wird in der Zukunft auch im Bereich der 7

Jugendbewährungshilfe darum gehen, diese unterschiedlichen Lösungsansätze aufzuzeigen, miteinander zu vergleichen und voneinander zu lernen. Um es ganz deutlich zu machen zwar ist die Jugendbewährungshilfe in Niedersachsen fest in dem System der ambulanten sozialen Dienste der Justiz verankert. Wir haben es dabei aber nicht mit einem einheitlichen, nach landesweit vorgegebenen Standards operierenden Instrument zu tun. Tatsächlich gibt es entsprechend der überkommenen Struktur der Anbindung der Bewährungshilfe an die Landgerichte 11 teilweise sehr unterschiedliche Modelle der Jugendbewährungshilfe. Das ist mir in den vergangenen zwei Monaten im Zuge der Bereisung der Regionalbezirke immer wieder sehr deutlich geworden. Die gravierenden Unterschiede zeigen sich nicht zuletzt anhand der Handhabung einer Entlastung der Jugendbewährungshelferinnen und Jugendbewährungshelfer. In einigen Regionalbezirken wird eine Entlastung nach dem zahlenmäßigen Schlüssel 1,3 gewährt. Teilweise wird mit zahlenmäßigen Obergrenzen der Belastung der Jugendbewährungshelferinnen und Jugendbewährungshelfer gearbeitet. Grundlage der Entlastung ist dabei ein mit den Kollgeginnen und Kollegen vor Ort erzielter Konsens. Teilweise wird keinerlei Entlastung vorgenommen. Dieser Flickenteppich unterschiedlicher Handhabung kann so nicht zufriedenstellen! Daran müssen wir arbeiten. Dass die Unterschiede innerhalb Niedersachsens gegenwärtig zu gravierend sind hat das ist wohl ganz offensichtlich - vor allem eine Ursache: Es fehlen landesweit gültige Vorgaben und Standards für die Tätigkeit der Jugendbewährungshilfe. 8

Erst wenn auf der Grundlage solcher Standards feststeht, was die Jugendbewährungshilfe überall in Niedersachsen zu leisten hat, wenn genau feststeht, wie die Arbeit der Jugendbewährungshelferinnen und Jugendbewährungshelfer konkret beschaffen sein soll, erst dann kann beispielsweise ernsthaft über das Erfordernis einer landesweiten Entlastung diskutiert werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt fehlt einer solchen Diskussion, die immer auch vor dem Hintergrund anderer wichtiger Arbeitsfelder des AJSD geführt werden muss, eine tragfähige Grundlage. Freilich sind landesweit auch sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen festzustellen. Erhebliche Unterschiede gibt es beispielsweise in Bezug auf die vor Ort vorhandenen Netzwerke. Die Aufstellung der Kooperationspartner und die Angebote von Freien Trägern variieren von Bezirk zu Bezirk erheblich und beeinflussen damit zugleich die konkrete Ausgestaltung und Qualität der Arbeit der Jugendbewährungshilfe. Gibt es in einer Region wenig oder unzureichende Angebote durch Kooperationspartner, wird sich die Arbeit der Jugendbewährungshilfe von der in solchen Regionen unterscheiden, die gut versorgt sind. Wer einerseits von gut aufeinander abgestimmten und miteinander verzahnten Hilfsangeboten der Kooperationspartner profitiert und für seine Arbeit nutzt, kann andererseits auch in die Notwendigkeit geraten, notwendige aber regional fehlende Angebote kompensieren zu müssen. So könnte sich immer wieder auch die Notwendigkeit ergeben, als Jugendbewährungshilfe des AJSD in Arbeitsfeldern selbst initiativ werden, die andernort möglicherweise durch Kooperationspartner abgedeckt sind. Ich denke dabei beispielsweise an den speziellen Wert von Gruppenarbeit oder von Freizeitaktivitäten in Zusammenarbeit mit Sportvereinen. 9

Praxisprojekte der Jugendbewährungshilfe, die bereits an einzelnen Standorten des AJSD durchgeführt werden, werden von uns auszuwerten und auf ihre Übertragbarkeit auf andere Bezirke zu prüfen sein. Auch hier gilt: Unter dem gemeinsamen Dach des AJSD unterschiedliche Lösungsansätze aufzeigen, miteinander vergleichen und voneinander lernen. Weg von isolierten Insellösungen hin zu mehr Struktur auch auf der Suche nach optimalen auf die konkrete Situation vor Ort abgestellten Lösungen. Meine Damen und Herren: Bevor wir im weiteren Tagungsverlauf mehr über einzelne Arbeitsfelder und konkrete Projekte innerhalb der Jugendbewährungshilfe hören werden, lassen Sie mich abschließend auf ein Problem hinweisen, auf das ich in den letzten Wochen mehrfach aufmerksam gemacht worden bin: Wir haben heute bereits einiges zu dem wichtigen Thema Übergangsmanagement gehört, das die Schnittstelle zwischen Justizvollzug auch dem Jugendstrafvollzug - und Bewährungshilfe bezeichnet und das uns in diesem Jahr in Niedersachsen noch sehr intensiv beschäftigen wird. Für den Jugendbereich ist auch eine weitere Schnittstelle von großer Bedeutung, nämlich diejenige zwischen Jugendhilfe und Justiz. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ambulanten Justizsozialdienst, die im Bereich der Jugendbewährungshilfe tätig sind, machen zunehmend die Erfahrung, dass sich die Jugendämter bei der Gewährung von Jugendhilfemaßnahmen immer schwerer tun und eine Unterstützung nach Vollendung des 18. Lebensjahres kaum mehr erreicht werden kann. 10

An dieser Stelle wünschen wir uns, dass die zuständigen Jugendämter intensiver von ihren Möglichkeiten Gebrauch machen. Gerade da, wo eine besonders enge und intensive Betreuung im Alltag erforderlich ist, die durch die Kräfte des AJSD in der Praxis leider nicht immer im wünschenswerten Maße geleistet werden kann, benötigen die unter Bewährung stehenden jungen Menschen flankierende Maßnahmen der Jugendhilfe. Tatsächlich wird ihnen diese in weiten Bereichen vorenthalten. Dabei zeigt die Betrachtung jener Fälle, bei denen diese Zusammenarbeit gewährleistet werden konnte, dass die Bewährungen relevant günstiger verlaufen! Auch in diesem Bereich liegt viel Arbeit vor uns. Meine Damen und Herren: Der Ambulanten Justizsozialdienst Niedersachsen befindet sich nach gut zweimonatiger Existenz ganz zweifellos noch immer in einer Phase des organisatorischen Aufbaus und der Selbstfindung. Dabei ist jedoch schon heute deutlich spürbar, dass ganz vielfältige inhaltliche Herausforderungen auf uns zukommen. Meine Besuche in allen 11 Regionalbezirken des AJSD haben mir sehr deutlich vor Augen geführt, wie stark die regionalen Unterschiede und wie ausgeprägt die sich in den vergangenen Jahrzehnten entwickelten örtlichen Eigenheiten sind. Vor uns liegt eine intensive Phase inhaltlicher Strukturierung im Bereich der Jugendbewährungshilfe ebenso wie in allen anderen Arbeitsfeldern: überall gilt die verschiedenen Lösungsansätze aufzeigen, miteinander vergleichen und voneinander lernen. Wie gesagt: weg von isolierten Insellösungen hin zu mehr Struktur auch auf der Suche nach optimalen auf die konkrete Situation vor Ort abgestellten Lösungen. 11

Wir sind froh, dass wir bei dieser Aufgabe auf eine Fülle von Arbeitsergebnissen zurückgreifen können, die in den letzten Jahren im Rahmen des Projekts JUSTUS von unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gemeinsam mit dem Niedersächsischen Justizministerium erarbeitet worden sind bzw. im Rahmen des Qualitätsentwicklungsprojekts QueSD noch im Werden sind. Die Themen sind vielfältig. Für den Bereich der Jugendbewährungshilfe bedeutet das in einem nächsten Schritt konkret, für den Ambulanten Justizsozialdienst einheitliche fachliche Standards zu formulieren, die die regionalen Gegebenheiten berücksichtigen und der Zielgruppe der straffälligen jungen Menschen und ihren besonderen Bedürfnissen gerecht werden. Die Benennung von Ansprechpersonen für die Jugendbewährungshilfe sowie eine erste Zusammenkunft von Jugendbewährungshelferinnen und Jugendbewährungshelfern sind erste Schritte auf diesem Weg. Weitere werden folgen. Auch der heutige Bewährungshelfer-Tag und seine inhaltliche Schwerpunktsetzung werden uns hierfür wichtige Anstöße geben, für die ich dankbar bin. Meine Damen und Herren, Jugendbewährungshilfe, davon bin ich überzeugt, ist ein besonders lohnendes Arbeitsfeld der ambulanten sozialen Dienste der Justiz. Lassen sie uns dieses Instrument zum Wohle der straffälligen jungen Menschen und letztlich zum Wohle aller weiter schärfen und entwickeln. Ich freue mich auf die folgenden Beiträge, die uns nun konkrete Einblicke in praktische Arbeitsfelder der Jugendbewährungshilfe verschaffen werden und danke sehr herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. 12