Bundesrat 11. April 2006

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Transkript:

Bundesrat 11. April 2006 - Parlamentarische Beziehungen - Es gilt das gesprochene Wort! VIII. Tagung der Vereinigung der Senate Europas vom 20. bis 22. April 2006 in Bern Redebeitrag des Präsidenten des Bundesrates, Herrn Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen Beitrag der Senate zu bürgernaher Politik

Senate Europas: Redebeitrag Präsident Carstensen Seite 2 Sehr geehrter Herr Präsident Büttiker, verehrte Frau Kollegin und Herren Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich zunächst Ihnen, Herr Präsident Büttiker, sehr herzlich für Ihre freundliche Einladung nach Bern danken. Schon der gestrige Abend hat mir nicht nur einen Eindruck von der schweizerischen Gastfreundschaft und Gastlichkeit vermittelt er hat auch gezeigt, dass die Organisation Ihres Hauses in keiner Weise hinter der Präzision eines schweizerischen Uhrwerks zurücksteht. Herr Kollege Büttiker, Sie können stolz auf Ihr Haus und seine Mitarbeiter sein. Das Thema, meine Damen und Herren, über das wir heute diskutieren, ist von enormer Bedeutung. Die gescheiterten Referenden zum EU-Verfassungsvertrag haben uns einmal mehr und sehr drastisch vor Augen geführt, dass sich die politischen Herausforderungen der Zukunft nicht ohne einen starken Rückhalt in der Bevölkerung meistern lassen. Wir müssen den institutionellen Rahmen der EU effizienter, demokratischer und durchschaubarer machen. Und wir müssen die Werte deutlich machen, die uns in der EU verbinden. Deshalb sollten wir nicht nachlassen in der Überzeugungsarbeit für die großartige Idee Europas! Die Zweiten Kammern spielen in diesem Zusammenhang eine nicht zu unterschätzende Rolle. Häufig vertreten sie die Interessen von Regionen und Gebietskörperschaften und damit einer Ebene, die den Bürgerinnen und Bürgern in der Regel näher steht als der Bund oder Gesamtstaat. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Bundesrat, der die Interessen der 16 deutschen Gliedstaaten, der Länder, im Bund wahrnimmt. Nach dem Grundgesetz ist die Ausübung der staatlichen Kompetenzen grundsätzlich Sache der Länder. Nur soweit spezielle Zuweisungen für den Bund greifen, ist dieser zuständig. Im Bereich der Gesetzgebung ist zwischen den ausschließlichen Zuständigkeiten des Bundes und der konkurrierenden Gesetzgebung zu unterscheiden. Letztere weist grundsätzlich den Ländern die Gesetzgebungskompetenz zu. Der Bund kann diese Kompetenz jedoch an sich ziehen, sofern die Wahrung der Einheit, der rechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Einheit des Gesamtstaates eine bundesgesetzliche Regelung erfordert. Den Ländern steht dann jedoch immer noch ein starkes Mitspracherecht über den Bundesrat zu, der in der Regel seine Zustimmung zu solchen Gesetzen erteilen muss. Der Bundesrat dient damit als Scharnier zwischen Bund und Ländern, über das die politische und die Verwaltungserfahrung der Länder einfließt. Und über das die besonderen regionalen Bedürfnisse und die Belange der Bürgerinnen und Bürger in das Gesetzgebungsverfahren einfließen. Die Vorteile des deutschen bundesstaatlichen Systems liegen auf der Hand:

Senate Europas: Redebeitrag Präsident Carstensen Seite 3 die vorwiegende Wahrnehmung staatlicher Aufgaben innerhalb kleinerer oder untergeordneter Einheiten, sprich auf Ebene der Länder oder Kommunen, entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip, eröffnet Gestaltungsspielräume und garantiert ein hohes Maß an Sach- und Personennähe. Staatsgewalt und Bürger können sich leichter einander annähern, die Akzeptanz politischer Entscheidungen wird erhöht und das demokratische System somit gestärkt. Dies gilt umso mehr als sich die deutschen Bürgerinnen und Bürger sehr stark mit ihrem Land oder ihrer Region identifizieren. Diese Konzeption des Bundesstaates wurde in Deutschland jedoch über die Jahrzehnte stark unterlaufen. Schon in den ersten Jahren nach Gründung der Bundesrepublik zeichnete sich eine Tendenz zur Verschiebung des bundesstaatlichen Kompetenzgefüges ab - zugunsten des Bundes. Dies ging einher mit einer Auszehrung der Länderkompetenzen, besonders zum Nachteil der Parlamente der Länder, der Landtage. Zusätzlich werden die Länder durch die zunehmende Übertragung von Kompetenzen auf die Europäische Union in ihrer Autonomie geschwächt. Vielfach war und ist deshalb die Rede vom unitaristischen Bundesstaat, in dem den Ländern lediglich die Möglichkeit der Mitwirkung, jedoch nicht mehr der eigenmächtigen Gestaltung staatlicher Entscheidungen zusteht. Die Mitwirkung der Länder findet über den Bundesrat statt. Und der Bundesrat hat quasi als Ausgleich für den Kompetenzverlust der Länder einen entsprechenden Machtzuwachs erfahren durch die Zunahme der zustimmungsbedürftigen Gesetze. Zwar finden über den Bundesrat die Erfahrungen der Länder Eingang in die Gesetzgebung des Bundes; der Verlust an Bürgernähe, der mit dem steigenden Kompetenzverlust der Länder einhergeht, kann durch diese Mitwirkungsrechte aber kaum mehr ausgeglichen werden. Zusätzlich werden die politischen Entscheidungen durch das starke Ineinanderwirken von Bund und Ländern zunehmend intransparent und für den Bürger kaum mehr nachvollziehbar. Die über die Jahrzehnte gewachsene Verflechtung der Länder, des Bundes und der EU birgt immer häufiger die Gefahr, dass sich die verschiedenen Ebenen nicht immer sinnvoll ergänzen. Die Menschen in Deutschland wollen, dass die Politik wieder transparent, effektiv und vor allem nah an den Bürgerinnen und Bürgern gestaltet wird. Das Ziel der Föderalismusreform, die ja auf der letzten Tagung eingehend erläutert wurde, ist deshalb die Entflechtung, das heißt klare Trennung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern. Die Länder und dabei vor allem die Landtage sollen dabei wieder Kompetenzen zurückerhalten. Sie sollen unter Rückbesinnung auf das Subsidiaritätsprinzip in ihrer Autonomie und Gestaltungsfreiheit gestärkt werden. Das bedeutet dann konsequenterweise auch, dass die Zahl der zustimmungsbedürftigen Bundesgesetze und damit der Einfluss des Bundesrates reduziert wird. Neben seiner Funktion im bundesstaatlichen System trägt der Bundesrat außerdem durch seine interne Organisation und Verfahrenspraxis zu einer bürgernahen Politik bei.

Senate Europas: Redebeitrag Präsident Carstensen Seite 4 Im Bundesrat gibt es zwar keine institutionalisierte Form der Bürgerbeteiligung; Elemente direkter Demokratie existieren, anders als auf Landes- und Kommunalebene, auf Bundesebene grundsätzlich nicht. Auch werden die Mitglieder des Bundesrates nicht in direkter Wahl von den Bürgerinnen und Bürgern ihres Landes gewählt. Da sie aber stets Mitglieder ihrer Landesregierungen sein müssen, ist eine Einflussnahme der Bürger auf die Mitglieder des Bundesrates zumindest mittelbar möglich, und zwar über die Wahlen zu den Landtagen: von deren Ergebnis hängt die Zusammensetzung der jeweiligen Landesregierung und damit des Bundesrates ab. Auf diesem Wege sind auch die Mitglieder des Bundesrates den Bürgerinnen und Bürgern ihres Landes Rechenschaft schuldig. Im Übrigen sind natürlich die Plenarsitzungen des Bundesrates öffentlich, sie werden auch im Fernsehen übertragen. Die Beschlüsse des Bundesrates sind zudem über die Internetseite des Bundesrates für jedermann einsehbar. Besonders erwähnt sei das Recht des Bürgers, Petitionen und Eingaben an den Bundesrat zu richten. Im Bundesrat existiert im Gegensatz zum Bundestag kein eigener Petitionsausschuss. Die Eingaben werden vielmehr von einer Zentralstelle im Sekretariat des Bundesrates bearbeitet und zur weiteren Verwendung an die federführenden Ausschüsse weitergeleitet. Bei besonders wichtigen Gesetzesvorhaben erreichten den Bundesrat auch häufig Massenpetitionen, d. h. koordinierte Eingaben gleichen Wortlauts und gleicher Zielrichtung. Eine weitere Schnittstelle zwischen Bürger und Bundesrat ergibt sich mittelbar durch die in den letzten Jahren vermehrt durchgeführten öffentlichen Anhörungsverfahren unter Einbeziehung von Vertretern der Zivilgesellschaft. Anders als im Bundestag stellen Anhörungen im Bundesrat eine Ausnahme dar. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass der Bundesrat sich aus den Mitgliedern der Länderregierungen zusammensetzt und Fachfragen somit in der Regel vorab in den Fachministerien der Länder geklärt werden. Nichtsdestotrotz fanden unter anderem im Jahr 2000 sowie 2002 zwei gemeinsame öffentliche Anhörungen der EU-Ausschüsse von Bundesrat und Bundestag zur EU- Grundrechte-Charta sowie zum Verfassungskonvent statt, zu denen Vertreter aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens geladen waren. Eine weitere gemeinsame öffentliche Anhörung von Bundestag und Bundesrat ist für Mai 2006 zum Thema Föderalismusreform geplant. Solche Anhörungen finden zwar nicht häufig statt, sie zeugen aber dennoch von einem veränderten Verständnis für die Bedeutung der Belange des Bürgers im Rahmen der politischen Entscheidungsfindung. Dieses Verständnis manifestiert sich noch in einem weiteren Bereich: der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesrates, die mit großem Engagement betrieben und von der Bevölkerung sehr positiv aufgenommen wird. Um nur einige Zahlen zu nennen: Zu unserem Tag der Offenen Tür kamen im Jahr 2005 über 15.000 Besucherinnen und Besucher. Und unser Besucherdienst führt jährlich über 60.000 Gäste durch den Bundesrat.

Senate Europas: Redebeitrag Präsident Carstensen Seite 5 Neben der allgemeinen Öffentlichkeitsarbeit legt der Bundesrat seit einigen Jahren einen Schwerpunkt auf die politische Bildung von Jugendlichen. Hauptbeweggrund ist dabei das Anliegen, die junge Generation, die erstmals im Laufe der Nachkriegsgeschichte nicht mehr von einem ungebremsten Wachstum profitieren wird, möglichst frühzeitig für die aktive Unterstützung demokratischen Ideengutes zu gewinnen. Dies soll auch ein Mittel der Vorbeugung sein, um künftigen möglicherweise demokratiefeindlichen Strömungen auf diese Weise rechtzeitig entgegenzuwirken. Insgesamt gesehen, meine Damen und Herren, stellt die Förderung bürgernaher Politik eine der künftig wesentlichen Herausforderungen für die nationalen Volksvertretungen und damit auch die europäischen Zweiten Kammern dar. Wir sollten uns deshalb noch stärker als bisher nicht nur für Transparenz, Information und Kommunikation, sondern ganz besonders auch für die Stärkung des Subsidiaritätsprinzips auf europäischer wie nationaler Ebene einsetzen. Ich bin überzeugt, dass es uns nur auf diese Weise gelingen wird, die drängenden politischen Probleme der Zukunft zu bewältigen und, was noch viel wichtiger ist, die langfristige und aktive Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu sichern. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.