Spielsachen: Zwischen Überfluss und Reizarmut Fast alle Kinder wachsen heute mit genügend Spielsachen auf; einige mit zu vielen. Ein Überschuss an Spielsachen führt eher zum Gegenteil dessen, was eigentlich von ihnen erwartet wird: statt Beschäftigung und Zufriedenheit stellen sich Leere, Langeweile und/oder ein sorgloser Umgang mit dem Material ein. Reizarmut kommt selten von fehlenden Materialien, sondern ist durch einen Mangel an Sinneserfahrungen gegeben Sinneserfahrungen, die beispielsweise durch Bewegung im Freien, Beschäftigung mit den Eltern oder dem Spiel mit Gleichaltrigen gesammelt werden.
Dass Kinder (immer mehr) haben wollen ist nicht verwunderlich: in unserer westlichen Welt zählt hauptsächlich Wachstum, die Marktwirtschaft sieht Kinder als Kunden und etwas haben und besitzen zu wollen ist Teil einer natürlichen Entwicklung des Kindes. Es ist die Aufgabe Erwachsener zu erkennen, ob ein Wunsch oder ein Bedürfnis dahinter steckt. Gleichzeitig ist es unsere Aufgabe, tatsächliche Bedürfnisse (Nähe und Zuneigung, angehört werden, Sicherheit spüren) zu erkennen und danach zu handeln. Wird stattdessen mit Konsumgütern darauf reagiert, spricht man von kompensatorischem Konsum. Dabei soll ein Konsumgut (Spielsachen, Süßigkeiten, neue Kleidung ) Bedürfnisse befriedigen.
Konsumgüter sind praktische Ablenkungsmanöver. Sie lassen schnell ein positives Gefühl entstehen. Trotzdem bleibt das Grundbedürfnis unbefriedigt.
Auch wenn es viel Energie kostet: es lohnt sich (besonders in der Arbeit mit Kindern), unser Konsumverhalten kritisch zu hinterfragen. Kinder lernen, aus ihrer eigenen Kreativität zu schöpfen, anstatt von vorgefertigten Materialien abhängig zu sein. Sie warten nicht darauf, bespaßt zu werden, sondern initiieren aus eigener Kraft heraus. Die daraus gewonnene Phantasie hilft ihnen, Herausforderungen zu meistern. Ab und zu auf etwas zu verzichten zu können, wird auf Dauer ihre Persönlichkeit stärken.
In einer Welt der Dauerbespaßung kennen Kinder keine Langeweile mehr. Gründe dafür sind unter anderem: Neue Medien sind unsere stetigen Begleiter & immer verfügbar Vorbilder kennen selbst keine lange Weile mehr Erwachsene tun sich schwer dabei, dem Kind Langeweile zuzumuten Viele Erwachsene haben Angst, dass Kinder zu wenig gefördert werden Vorgegebene Strukturen (Ganztageskindergarten, Fremdbetreuung,..) Zuviel Angebot (Spielsachen, Freizeitaktivitäten, ) Leistungsgesellschaft: wir haben ein schlechtes Gewissen, nichts gemacht zu haben
Doch genau diese Lange-Weile kann für Kinder sehr wichtig sein. Entgegen dem Wunsch mancher Erwachsenen kann ein Kind nämlich nicht mit Wissen angefüllt werden (vgl. Gerald Hüther). Kinder müssen ihre eigenen Erfahrungen sammeln können. Kinder lernen nur durch Motivation und Begeisterung (intrinsisch) Zuviel Förderung ist Überforderung Kinder Lernen über das Be greifen (Lernerfahrung wird verinnerlicht) Zeit für eigene Erfahrungen sammeln, ist wichtig - auch im Bereich Konflikte lösen Langweile aushalten lernen dadurch wird die Eigeninitiative gefördert und das Kind lernt mit der Situation umzugehen, dass es sich auch mal wieder mit sich selbst beschäftigt wichtig für die Persönlichkeitsbildung
Langeweile ist kein Defizit, sondern eine Gelegenheit (Theresa Belton) In der Phase der Langweile entstehen häufig sehr viele kreative Prozesse, die Fantasie wird angeregt Sich wieder selber spüren lernen Druck ablassen Es gibt keinen Leistungsdruck Lange Weile wieder genießen lernen und nicht als unzufriedene Zeit wahrnehmen
Was während des Nichtstuns so alles passiert Experiment von Benjamin Baird und Jonathan Schooler: Sie gaben 145 Studenten zwei Minuten Zeit, möglichst viele und möglichst ungewöhnliche Verwendungsmöglichkeiten für Alltagsgegenstände wie Zahnstocher, Kleiderbügel oder Ziegelsteine aufzulisten. Dann wurden die Studenten in vier Gruppen aufgeteilt: 1 machte der der Liste weiter 2 ruhte sich aus 3 bekam eine anspruchsvolle Aufgabe, mit hoher Konzentration zu lösen 4 bekam eine eintönige fast unterfordernde Aufgabe Nach 12 Minuten bekamen alle nochmals die Anfangsaufgabe gestellt: Möglichst viele und möglichst ungewöhnliche Verwendungsmöglichkeiten für Alltagsgegenstände wie Zahnstocher, Kleiderbügel oder Ziegelsteine aufzulisten. Gruppe 4 hatte sich um 41 Prozent verbessert, während bei den anderen drei Gruppen keine Verbesserung ersichtlich war (Gruppe vier hatte sich unbewusst weiter entwickelt ) die besten Ideen kommen oft, wenn man in der Ruhe ist und Zeit hat
Eine Möglichkeit, um Konsum kritisch zu hinterfragen, Lange-Weile zuzulassen und neue, schöpferische Kraft zu generieren ist die Spielzeugfreie Zeit Dabei werden vorgefertigte Spielmaterialien in den Urlaub geschickt. Das Projekt wurde ursprünglich für den Kindergarten konzipiert, lässt sich aber auch sehr gut mit jüngeren Kindern umsetzen.
Was steckt dahinter? Lernen mit Frust umzugehen Weg von der Dauerbespaßung Lernen sich wieder mit sich selbst zu beschäftigen Anregung der Fantasie und Kreativität Sprachliche und soziale Kompetenz steigert sich ( Kommunikation untereinander und Ausdrücken von eigenen Empfindungen) Selbstvertrauen wird gestärkt Das Konzept fördert nachweislich die Lebenskompetenzen, welche präventiv gegen Suchtverhalten wirken.
Typischer Ablauf eines Spielzeugfreien Kindergartens Projektbeginn: Eltern und Träger werden über das Projekt informiert Klare Absprache im Team, für die Umsetzung des Projektes Phase 1: Spielsachen werden weggeräumt; Dauer ca. 3 Wochen. in Form eines Kinderparlamentes entscheiden die Kinder mit, welche Spielsachen weggeräumt werden. Phase 2: ist die spielzeugfreie Zeit und dauert ca. 6 Wochen; welche Alltagsmaterialien den Kindern zum Basteln, Bauen, etc. Verfügung gestellt werden und ob z.b. Malutensilien vorhanden bleiben, das wird vor Beginn des Projektes im Team abgesprochen; Phase 3: Dauer ca. 3 Wochen; anhand des Kinderparlamentes wird abgestimmt, welche Spielsachen wieder zurück kommen;
Neugierig geworden? Die Aktion Jugendschutz stellt viele Informationen zur Verfügung Konzept http://www.spielzeugfreierkindergarten.de/fr_konzept.html Info-Material zum Bestellen http://materialdienst.aj-bayern.de/index.php?cpath=76_122
Wir freuen uns, wenn wir euch Anlässe zum Nachdenken, Ideen für die Praxis und neue Impulse mitgeben konnten. Danke fürs Dabeisein! Marlene Hronek & Anna Mähr