Vortrag Kryotherapie 1. Teamkongress Wuppertal Nachdem wir nunmehr in dem vorangegangenen Vortrag gehört haben, was wir machen können, wenn nichts mehr geht, möchte ich Ihnen jetzt eine alt bewährte, wieder entdeckte Methode zur Schmerztherapie vorstellen. Das Wissen um die analgetische Wirkung der Kälte ist genau so alt wie der Rückenschmerz. Analgetische Wirkung der Kälte war schon im Altertum bekannt! (Hippokrates) Erste schriftliche Überlieferungen der analgetischen Wirkung von Eis und Schneepackungen zur lokalen Schmerztherapie und zur praeoperativen Vorbereitung für chirurgische Eingriffe gehen auf Hippokrates zurück. Ähnliche Beschreibungen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Medizingeschichte der vergangenen Jahrhunderte. Trendelenburg erkannte und beschrieb Anfang des vergangenen Jahrhunderts den lang andauernden Funktionsverlust eines Nervens nach einer Eisapplikation. Darüber hinaus beobachtete er auch die anschließende Nervenregeneration ohne Narben oder Neurombildung. Somit war und ist die Indikationsbreite für die Kryo-Therapie sehr groß.
2 Indikationen Kryotherapie Postnukleotomiesyndrom Facettensyndrom Primäre und sekundäre Interkostalneuralgien Schmerzsyndrome bei Tendopathien (z.b. Epicondylitis) Periarthropathien an Hüfte und Knie Periphere Neuralgien Okzipitalis-,Trigeminus- undpostzosterneuralgien Neurombedingte Schmerzsyndrome Coccygodynie In anderen medizinischen Disziplinen, wie z.b. der Augenheilkunde, der Dermatologie, Urologie und der Neurochirurgie, wird sie in der chirurgischen Therapie von Metastasen und Tumoren angewandt. Schwerpunktindikationen zur Kryotherapie Perkutane Facettenblockade Trigeminus Astblockade Intercostal Blockaden Grenzstrang Blockaden Periphere Neurome Heutzutage liegen die Hauptindikationen (Bild) der Kryo-Therapie jedoch in der Behandlung von Schmerzzuständen an der Wirbelsäule und bei persistierenden Nervenirritationen nach Operationen, wie z.b. bei Reizung des Nervus genitofemoralis nach Leistenbruchoperationen oder bei Intercostalneuralgien
3 nach Thorakotomien. Aber auch die große Gruppe der Neuralgien, wie z.b. der Trigeminus-Neuralgie werden häufig mit Erfolg behandelt. 1961 entwickelte Cooper die 1. Kryo-Sonde. Er verwendete zunächst Stickstoff und konnte Temperaturen bis minus 196 erreichen. Durch den technischen Fortschritt konnte Lloyd 1978 später die Sonde so modifizieren, wie sie im Prinzip bis heute verwendet wird. Kryosonde Elektrode (Bild Kryosonde). Sie besitzt einen doppellumigen Edelstahlmantel und ist bis auf die Spitze zur Isolierung mit einer Teflonschicht umhüllt. Durch das innere Lumen wird unter Druck stehendes CO² geleitet welches sich hier gemäß des Joule Thomson Effekts - stark abkühlt. Temperaturen von -50 bis -70 C werden erreicht. Der Joule Thomson Prozeß beschreibt ja die Temperaturänderung eines Gases bei seiner Expansion. Das äußere größere Lumen - dient zum Absaugen des expandierten Gases. An der Metallspitze ist noch eine Elektrode eingearbeitet die es uns ermöglicht, hiermit eine elektrophysiologische Stimulation durchzuführen. Durch eine Stimulation mit 2 Hz für die motorischen und mit 100Hz für die sensorischen Fasern gelingt es die Sonde exakt zu platzieren und somit motorische Nervenschäden zu vermeiden. In dieser Abbildung sehen sie schematisch die Wirkungsweise der doppellumigen Sonde mit der resultierenden Vereisung an der Spitze(Bild).
Wirkungsweise der Kryosonde 4 Kryosonde Gas Vereisung Die Dimensionen dieser von Lloyd entwickelten Sonde erlauben es heute, die Anwendung der Kryo-Therapie minimal-invasiv in percutaner Technik durchzuführen. Somit eröffneten sich neue Behandlungsperspektiven in der Therapie der akuten und chronischen Schmerzen (Bild: Kryogerät). Kryogerät Ein komplettes Kryosystem besteht aus dem Grundgerät mit integriertem elektrischen Nervstimulator und den verschiedenen Kryosonden. Die dünneren (120mm lang, Ø 1,3mm) Sonden werden i. d. Regel im Bereich der HWS und die dickeren (120mm lang, Ø 2mm) an der LWS eingesetzt.
5 Nun, wenn ich Ihnen jetzt über die Anwendung der Kryo-Therapie bei Rückenschmerzen berichte, müssen wir zunächst uns über die Begrifflichkeit, die heutzutage anzutreffen ist, Gedanken machen. Die übliche internationale Klassifikation ist eine Dreiteilung in den einfachen Kreuzschmerz, den Kreuz-/Beinschmerz und die alarmierende Wirbelsäulensymptomatik. (Vergl. Lokales Lumbalsyndrom, lumbales Wurzelsyndrom und alarmierende Symptome. Sektion degenerative Wirbelsäulenerkrankungen der DGOT). Klassifikation Rückenschmerz (Einfacher) Kreuzschmerz Kreuz-Bein-Schmerz Alarmierende Wirbelsäulensymptomatik Darüber hinaus ergibt sich eine Einteilung in akute und chronische Schmerzen durch ein Zeitintervall von ca. drei Monaten. Akuter Rückenschmerz Chronischen Rückenschmerz
6 Die Berichte über eine Kryotherapie in der Behandlung von akuten Rückenschmerzen sind sehr spärlich. Der Chronische Schmerz ist die Domäne der Kryotherapie. Natürlich ergibt sich bei Vorliegen sogenannter Red-flags-Symptomatik keine Indikation zu einer Kryo-Therapie. Anamnese Neurologisch Befunde Tumor Trauma Steroide Gewichtsverlust Nächtlicher Schmerz Kaudasyndrom Paresen Fieber Labor CRP? BSG? Diese akuten Symptome müssen bei allen Patienten, die zur Kryo-Therapie anstehen, sorgfältig ausgeschlossen werden. Gerade die große Gruppe der chronischen Schmerzpatienten, wo häufig eine Irritation des sinuvertebralen Nervens durch Risse im Anulus fibrosus bestehen, kann dieser Faserring jederzeit rupturieren und einen Bandscheibenvorfall auslösen. Deshalb müssen wir unsere chronischen Schmerzpatienten bei jeder Wiedervorstellung sorgfältig reevaluieren. Was kann nach Ausschluß der Red-flags-Symptome noch Schmerzen im Bewegungssegment verursachen?
7 Welche Strukturen können schmerzen? Muskulatur Wirbel Nerv Bandscheibe Ligamente Dura Gelenk Kapsel (Bild). Schaut man in die Literatur, finden sich Zahlen zwischen 80% und 85% für die sogenannten unspezifischen Rückenschmerzen, das sind Schmerzen, denen man keine eindeutige Pathologie zuordnen kann. Ich denke jedoch, und vielleicht können wir das ja noch in der Diskussion aufgreifen, daß man mit exakter, subtiler Untersuchungstechnik die schmerzende Pathologie weiter eingrenzen und bestimmen kann. Gerade die Schmerzzustände, die von den kleinen Wirbelgelenken ausgehen, sind sehr genau untersucht und beschrieben worden. So konnte bei Untersuchungen mit Freiwilligen, bei denen die Wirbelgelenke durch Injektionen (NACL, Kontrastmittel) gereizt wurden, Kreuzschmerzen hervorrufen, die allgemein auch bei unseren Patienten auftreten (Mc Call 1979). Bogduk wies die gute Innervation der Facettengelenke durch die medialen Äste des Ramus dorsalis nach.
8 R. medialis R. artikularis R. lateralis R. dorsalis Topografisch anatomisch ist hierbei eine bisegmentale Innervation und eine kontralaterale Verschaltung zu berücksichtigen. So müssen wir uns diese Innervation vorstellen: Es wurde immer wieder versucht, durch klinische Untersuchungstechniken, bzw. Merkmale, Hinweise für den von den Facetten ausgehenden Schmerz zu bekommen. Dieses wird jedoch in der Literatur sehr kontrovers diskutiert. Die Diagnose eines von den Facetten ausgehenden Schmerzzustandes kann somit nur sicher durch eine Nervenblockade des Nervus dorsalis gestellt werden. Die völlige Schmerzfreiheit nach einer Blockade bildet bisher das wesentliche Kriterium, um den Schmerz, ausgehend von einer Facette, festzustellen. Es hat sich aber gezeigt, daß diese Facettenblockaden, eine richtige
9 Injektionstechnik vorausgesetzt, eine hohe falsch-positive Rate haben. So konnte Schwarzer 1995 zeigen, daß die Plazeboeffektrate nach diagnostischen Blockaden bei ca. 32% liegt. Aus diesen Gründen sind vor invasiven Techniken, wie der Kryo-Therapie, der Radiofrequenz- oder der Laser-Therapie, 2-fach positive Blockaden des Ramus dorsalis zu fordern. Dass dann aber durch die dauerhafte Blockade des Ramus dorsalis der facettengelenkbedingte Schmerz ausgeschaltet werden kann, wurde durch wissenschaftliche Arbeiten, insbesondere für die Radiofrequenz-Therapie bestätigt (Kaplan und Bogduk). Aber auch für die wenig untersuchte Kryotherapie konnten gute mittelfristige Ergebnisse erzielt werden. So kommt eine aktuelle Studie zur Kryotherapie des Facettensyndroms aus dem Jahre 2004 zu folgender Schlussfolgerung: Die perkutane Kryodenervierung stellt eine effektive und sichere Methode zur Behandlung des lumbalen Facettensyndroms dar (Vortrag DGOOC Berlin 2004). Die perkutane Kryodenervierung stellt eine sichere und effektive Methode zur Behandlung des lumbalen Facettensyndroms dar. C. Birkenmaier, DGOOC 2004 Damit man reproduzierbare Ergebnisse beim minimal-invasiven Vorgehen bekommt, müssen zwei Grundvoraussetzungen erfüllt werden: 1. Auswahl der Patienten durch richtige Indikationsstellung. 2. Exakte Plazierung der Kryosonde. Zur richtigen Indikationsstellung hatte ich bereits die 2-fach positive Facetteninfiltration angeführt.
10 Voraussetzungen für das operative Procedere sind: 1. Reinraumbedingungen, also ein OP und 2. das Vorhandensein eines Bildwandlers. Die operative Technik der Kryo-Therapie erfolgt in Bauchlage des Patienten, nach entsprechend sterilem Abdecken. Dann haben Sie zwei Möglichkeiten, um den entsprechenden Ramus dorsalis unter Bildwandlerkontrolle aufzusuchen. Einmal in der a.p.-ebene und 2. in der schrägen Einstellung. Welches Verfahren Sie bevorzugen, hängt von den Erfahrungen und den Möglichkeiten ab, die Ihnen zur Verfügung stehen. In den Abbildungen sehen Sie jeweils die aufzusuchenden Punkte in der a.p. und in der schrägen Ebene. In der schrägen Projektion erhalten Sie dann das typische Hundeprofil, wobei hier besonders eindrucksvoll die Sonde in das Auge des Hundekopfes platziert werden sollte.
11 Haben Sie dann Ihren Patienten durch die Kryo-Therapie schmerzarm oder schmerzfrei gemacht, können Sie ihm jetzt der notwendigen Physiotherapie zuführen! Lassen Sie mich zusammenfassen: 1. Die Denervation der Facettengelenke durch eine Kryo-Therapie des Ramus medialis ist sicher, effektiv und erfolgreich. 2. Damit eine reproduzierbare Schmerzreduktion in ca. 70% der Fälle erzielt werden kann, müssen zur Indikationsstellung 2-malige probatorische Facettenanästhesien mit je 1 ml Lokalanästhetikum durchgeführt werden. 3. Der operative Eingriff muß im OP unter sterilen Bedingungen und unter Zuhilfenahme eines Bildwandlersystems, zur exakten Lokalisierung des Nervenastes, durchgeführt werden. 4. Es sollte möglichst bilateral und multisegmental vorgegangen werden. Zusammenfassung Die Kryo-Denervation der Facettengelenke ist sicher, effektiv und erfolgreich. Zur Indikationsstellung ist eine zweimalige Blockade des R. medialis zu fordern. Der Eingriff muß im OP und mit Hilfe eines Bildwandlersystems durchgeführt werden. Es sollte multisegmental und bilateral vorgegangen werden. Stellen Sie die richtige Indikation und verwenden Sie eine exakte Einstellung der Sonde, dann haben Sie eine sinnvolle Ergänzung Ihrer bewährten Schmerztherapie in Klinik und Praxis.