Stellungnahme. Einführung eines Betreuungsgeldes

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Transkript:

Stellungnahme zur Öffentlichen Anhörung zum Thema Einführung eines Betreuungsgeldes am 14. September 2012 im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages Die folgende Stellungnahme bezieht sich auf den Fragenkatalog des Ausschusses, der mir mit Schreiben vom 21. August 2012 vorgelegt worden ist. 6. September 2012 Prof. Dr.-Ing. Johannes Schroeter Landesvorsitzender, Familienbund der Katholiken in Bayern www.familienbund-bayern.de Seite 1 von 13

1. Verstößt die Einführung des im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Betreuungsgeldes gegen verfassungsrechtliche Vorgaben? Gegebenenfalls gegen welche Vorgaben und inwiefern? Die Einführung verstößt nicht gegen verfassungsrechtliche Vorgaben. Tatsächlich ist sie eine sehr sinnvolle Ergänzung von Regelungen, die bereits in Kraft sind. Die bisher geltenden staatlichen Regelungen haben u.a. zur Wirkung, dass ganztägige außerfamiliäre Bildung, Betreuung und Erziehung von Kleinkindern aus der Perspektive der Anbieter kostendeckend betrieben werden kann; dass dagegen ganztägige familiäre Bildung, Betreuung und Erziehung von Kleinkindern nicht kostendeckend betrieben werden kann und insofern ein Armutsrisiko in sich birgt. Wenn gemäß Art. 6 GG die Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung steht und die Eltern zur Erziehung ihrer Kleinkinder berechtigt und verpflichtet sind, dann muss sich das auch in einer adäquaten staatlichen Unterstützung niederschlagen. Der Vergleich zur staatlichen Förderung nicht-familiärer Formen der Kleinkinderziehung ist hier ein lehrreicher Maßstab. Im Hinblick auf das Grundgesetz sind weiterhin folgende Aspekte bedeutsam: Die Bildung, Betreuung und Erziehung eigener Kinder gehören zu den elementarsten Aufgaben und Fähigkeiten des Menschen. Eine staatliche Präferierung bestimmter, insbesondere nicht-familiärer Formen der Bildung, Betreuung und Erziehung wäre ein massiver Angriff auf die Würde des Menschen, die in Art. 1 GG verbrieft ist. Sie wäre zudem ein Angriff auf Art. 26. Abs. 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der besagt: Die Eltern haben ein vorrangiges Recht, die Art der Bildung zu wählen, die ihren Kindern zuteil werden soll. In Art. 1 Abs. 2 GG hat sich das Deutsche Volk zu den Menschenrechten bekannt. Nach Art. 2 GG hat jeder das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Das beinhaltet auch das Recht, seine väterlichen oder mütterlichen Talente zu entfalten und auszuleben. Dem entspricht das Betreuungsgeld mit dem ausdrücklichen Ziel, die Erziehungsleistung von Eltern anzuerkennen und zu unterstützen. Art. 3 GG verbrieft die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz. Insbesondere im Hinblick Seite 2 von 13

auf diesen Artikel sei darauf hingewiesen, dass das Grundgesetz Freiheitsrechte des Einzelnen gegenüber dem Staat verbrieft. Der Art. 3 GG ist deshalb keine Ermächtigung, staatlicherseits Vätern und Müttern bestimmte, einheitliche (von wem festzulegende?) Rollen zuzuweisen. Zu bedenken sind die unterschiedlichen Bedeutungen der Wörter gleich berechtigen und gleich machen. Art. 4 GG sichert die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses zu. Es sei darauf hingewiesen, dass es für Eltern durchaus eine Gewissensfrage ist, wie sie sich in ihrer persönlichen Situation zwischen Familienarbeit und Erwerbsarbeit, zwischen familiärer und nicht-familiärer Bildung, Betreuung und Erziehung ihrer Kinder entscheiden. Deshalb ist ein Betreuungsgeld begrüßenswert, das die Wahlfreiheit der Eltern ausdrücklich zum Ziel hat und ihnen eine Entscheidung nach bestem Gewissen unterstützt. Art. 6 GG stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung und anerkennt die natürliche - also bereits vor dem Entstehen jeglicher staatlicher Ordnung und unabhängig von ihr eistente Verpflichtung und Berechtigung der Eltern zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Es muss darauf hingewiesen werden, dass die Verfassung dem Staat im Art.6 GG ausdrücklich die Aufgabe des Schutzes und des Wachens über die Familie aufgibt, nicht etwa die aktive Gestaltung des Familienlebens und der elterlichen Rollenverteilung oder gar ein eigenes staatliches Erziehungsrecht. Ein Betreuungsgeld mit dem Ziel der Wahlfreiheit ist eine wichtige Anerkennung dieses Primats der Eltern bei der Bildung, Betreuung und Erziehung ihrer Kinder. Art. 6. Abs. 4 verbrieft zudem jeder Mutter den Anspruch auf Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft. Das verbietet es, staatliche Förderung auf Mütter mit bestimmten Verhaltens- oder Lebensweisen zu beschränken, beispielsweise auf die Nutzerinnen staatlich geförderter Angebote. 2. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des Haushaltsfreibetrages ausgeführt: Neben der Pflicht, die von den Eltern im Dienst des Kindeswohls getroffenen Entscheidungen anzuerkennen und daran keine benachteiligenden Rechtsfolgen zu knüpfen, ergibt sich aus der Schutzpflicht des Art. 6 Abs. 1 GG auch die Aufgabe des Staates, die Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form in ihren tatsächlichen Voraussetzungen zu ermöglichen und zu fördern. Der Staat hat dementsprechend dafür Sorge zu tragen, dass es Eltern gleichermaßen möglich ist, teilweise und zeitweise auf die eigene Erwerbsarbeit Seite 3 von 13

zugunsten der persönlichen Betreuung ihrer Kinder zu verzichten, wie auch Familientätigkeit und Erwerbsarbeit miteinander zu vereinbaren. (BVerfGE 99, 216, 231) Wie beurteilen Sie aus verfassungsrechtlicher Sicht im Lichte dieses aus Art. 6 GG abgeleiteten Förderungsauftrages die Einführung einer Geldleistung, die es Eltern leichter macht, sich über den Elterngeldzeitraum hinaus persönlich der Kinderbetreuung zu widmen? Positiv. 3. Wie bewerten Sie es, dass der Gesetzentwurf die Gewährung eines Betreuungsgeldes für diejenigen Eltern vorsieht, die für ihr Kind auf die Inanspruchnahme einer öffentlich geförderten Kindertageseinrichtung oder Kindertagespflege verzichten? Es handelt sich um eine Formulierung mit der Wirkung, ungewollte Doppelförderungen auszuschließen. Die sprachlich sicher kantige Formulierung ist erkennbare Folge eines strukturellen Nebeneinanders verschiedener Politiken: der Förderung von Angeboten bzw. Anbietern ( Objektförderung der Einrichtungen) und der Förderung von Bedarfsträgern ( Subjektförderung der Familien). Diese ist eine Folge der konkurrierenden Denkweisen, ob der Sozialstaat die Wahl der Mittel den Bedürftigen überlassen sollte oder sie sich als staatlicher Obrigkeit vorbehält. Dahinter stehen unterschiedliche Verständnisse des Verhältnisses von Staat und Bürgern. Die Objektförderung passt eher zu einem Staat, der sich seinen Bürgern überlegen fühlt und ihnen den rechten Weg weist; die passende Staatsform wäre die Technokratie. In einer Demokratie, deren Grundannahme ja die Fähigkeit jedes Menschen ist ( Alle Menschen sind [ ] mit Vernunft und Gewissen begabt., Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte), wäre eine Subjektförderung naheliegender. 4. Wie bewerten Sie die Zielsetzung des Gesetzgebers, entwicklungsfördernde Angebote wie Kindertageseinrichtungen und Tagespflegepersonen finanziell zu fördern, auszubauen und weiter zu qualifizieren (z.b. Kinderschutz) und nun mit dem Betreuungsgeld einen Anreiz zu schaffen, auf solche öffentlich geförderten Angebote zu verzichten? Es muss sich noch zeigen, welche Entwicklungen der Gesetzgeber mit dem Ausbau der Seite 4 von 13

außerfamiliären Betreuungsangebote tatsächlich fördert; die bislang erkennbaren Ziele reichen von der Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung bis zur Sicherung des Wohlstands der Rentner. Tabelle 1 gibt einen Überblick. Darunter befindet sich auch, aber eben nicht nur, die Entwicklungsförderung von Kindern. Ein Beispiel zur genannten Vielfalt der Ziele des Betreuungsausbaus: Was haben zum Beispiel Rentnerinnen und Rentner vom Ausbau der Kinderbetreuung? Ganz einfach: [ ] Der Wohlstand von Rentnerinnen und Rentnern hängt entscheidend von der Möglichkeit [der] Eltern, erwerbstätig zu sein, ab. Das steht und fällt wiederum mit dem Angebot an frühkindlichen Bildungs- und Betreuungsangeboten. (Caren Marks MdB bei der 1. Lesung des Kinderfördergesetzes am 29.Mai 2008 im Deutschen Bundestag) Seite 5 von 13

Tabelle 1 Ziele des Ausbaus frühkindlicher außerfamiliärer Betreuungsangebote Motive für den Ausbau der außerfamiliären Betreuung 0- bis 3-Jähriger Kinder Ausschöpfung des Erwerbspotentials der Frauen/ Rendite auf die gesteigerten Bildungsinvestitionen in Frauen Verhinderung der Verknappung von Arbeitskräften im demografischen Wandel durch mehr elterliche Erwerbsarbeit / Verhinderung demografiebedingter Lohnsteigerungen Sicherung der Finanzlage der Sozialkassen, insbesondere der Rentenversicherung, durch mehr sozialversicherungspflichtig beschäftigte Eltern Auslastung der Betreuungsanbieter auch bei fallender Kinderzahl durch Ausweitung des Angebots auf zusätzliche Jahrgänge Ablösung der Frauen von der hergebrachten Mutterrolle Mehr Gleichheit in der Bildung und Erziehung der Kinder ( Chancengleichheit ) Vermehrter Kontakt 0- bis 3-Jähriger mit gleichaltrigen Kindern ( Kinder lernen von Kindern ) Verbesserung der Bildung und Erziehung von Kindern erfordert gute Betreuungsqualität Ja Nein Ursache ist, dass der Gesetzgeber mit erheblich mehr kollidierenden Interessen konfrontiert ist als beispielsweise ein Elternpaar. Nichts wird für die Qualität der außerfamiliären Angebote förderlicher sind als die Rahmenbedingung, keiner Variante frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung ein Förderungsmonopol zu gewähren. Das ist eine wichtige Absicht des Betreuungsgeldes. 5. Welche Kinder aus welchen sozialen Milieus werden durch die Einführung eines Betreuungsgeldes aus den Systemen der kindlichen Frühförderung ferngehalten und mit Seite 6 von 13

welchen Auswirkungen auf den Lebensverlauf dieser Kinder unter Berücksichtigung ihrer sozialen Herkunft ist zu rechnen bzgl. Schulverlauf, Ausbildung/Studium und Einstieg in das Erwerbsleben? Sind hierbei besondere Tendenzen für Kinder von Alleinerziehenden zu erwarten? Auch die Familie gehört zu den Systemen der kindlichen Frühförderung. Insofern ist der Sinn der Frage nicht recht verständlich. Der jüngste Bildungsbericht des Bundes und der Länder konstatiert, Familie habe eine zentrale Rolle für den Verlauf der Bildungsbiografie. Dort fänden unterschiedliche Bildungsprozesse statt, die langfristig die Bildungsmotivation und -chancen der Kinder erheblich beeinflussen (Bildung in Deutschland 2012, Seite 48). Falls fälschlicherweise unterstellt worden sein sollte, dass die Familie entweder kein oder nur ein geringwertiges Angebot der Frühförderung sein sollte, darf beispielhaft auf die Ergebnisse der Länder-Auswertung der PISA-Studie von 2003 verwiesen werden, die UNICEF Deutschland veröffentlicht hat (Bild 1). Demnach lagen im Länder-Ranking der Schülerkompetenzen ost- und westdeutsche Bundesländer in bunter Reihenfolge hintereinander. Wenn die außerfamiliäre frühkindliche Bildung erhebliche Vorteile brächte, sollte sie sich hier in einem klaren Vorsprung der ostdeutschen gegenüber den westdeutschen Bundesländern zeigen. Schließlich hatten die westdeutschen Schüler nur im einstelligen Prozentbereich Krippenbetreuung o.ä. erfahren, die ostdeutschen Schüler dagegen um das Zehnfache mehr. Eine bildungsmäßige Konsequenz daraus ist aber nicht erkennbar.. Interessant ist allerdings, dass die besten vier Bundesländer seinerzeit ein Landeserziehungsgeld zahlten. Das ähnelt in mancher Hinsicht dem Betreuungsgeld. Seite 7 von 13

Bild 1 Kompetenz der 15-jährigen Schüler in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften, sortiert nach deutschen Bundesländern. Quelle: UNICEF Deutschland, http://www.unicef.de/fileadmin/content_media/presse/fotomaterial/kinderarmut/grafik_3.pdf am 15. Februar 2007 Seite 8 von 13

Zudem ist Vorsicht bei der Verwendung des Begriffs soziales Milieu angebracht. Einordnungen wie Schleckerfrauen, Hartz-IV-Familien oder Menschen mit Migrationshintergrund taugen weder zur menschengerechten Charakterisierung noch für die Erstellung von Entwicklungsprognosen. In der jüngsten deutschen Geschichte sind Kinder aus schwierigen Familienverhältnissen bis in höchste staatliche Ämter aufgestiegen; Schulversager haben hoch innovative Entwicklungen und Erfindungen geleistet. 6. Sehen Sie mit Blick auf das Kindeswohl und die Ergebnisse der Bindungs- und Bildungsforschung eine Notwendigkeit, die Frage der Fremdbetreuung von Kindern unter drei Jahren in ihren Voraussetzungen und Anforderungen anders zu beurteilen als bei Kindern über drei Jahren? Welche Unterschiede gibt es, welche sind besonders bedeutsam und welche Schlussfolgerungen sollten daraus gezogen werden? Unabhängig vom Kindesalter gelten die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Frage 2): Neben der Pflicht, die von den Eltern im Dienst des Kindeswohls getroffenen Entscheidungen anzuerkennen und daran keine benachteiligenden Rechtsfolgen zu knüpfen, ergibt sich aus der Schutzpflicht des Art. 6 Abs. 1 GG auch die Aufgabe des Staates, die Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form in ihren tatsächlichen Voraussetzungen zu ermöglichen und zu fördern. Der Staat hat dementsprechend dafür Sorge zu tragen, dass es Eltern gleichermaßen möglich ist, teilweise und zeitweise auf die eigene Erwerbsarbeit zugunsten der persönlichen Betreuung ihrer Kinder zu verzichten, wie auch Familientätigkeit und Erwerbsarbeit miteinander zu vereinbaren. (BVerfGE 99, 216, 231) Das Kindeswohl wird in erster Linie von der Eltern vertreten. Sie entscheiden in jedem Lebensalter des Kindes in Fragen der Bildung, Betreuung und Erziehung ihrer Kinder. Den von ihnen formulierten Bedürfnissen muss die staatliche Unterstützung gerecht werden. 7. Werden Kindern Bildungschancen vorenthalten, wenn sie nicht mit 12 Monaten in die Krippe gegeben werden? Ja, selbstverständlich. Jede Entwicklungsumgebung bietet einem Kind bestimmte Bildungschancen. Insofern eine Krippe andere Entwicklungschancen bietet als eine Familie (andere, nicht schlechtere), werden dem Kind bestimmte krippenspezifische Bildungschancen vorenthalten. Stattdessen erhält das Kind daheim Seite 9 von 13

Entwicklungschancen, die es in einer Krippe nicht gehabt hätte. Entlang des gesamten Lebensweges fallen immer wieder ähnliche Entscheidungen zwischen alternativen Chancen an: die Bildung im Studium X ist eine andere als im Studium Y, die persönliche Weiterentwicklung an der Seite des Partners A ist anders, als sie es an der Seite des Partners B gewesen wäre. Insofern werden Kindern übrigens auch Entwicklungschancen vorenthalten, wenn sie in Krippe X anstatt in Krippe Y gegeben werden. 8. Welche negativen Effekte erwarten Sie infolge der Einführung des Betreuungsgeldes? Weitere geringschätzige Äußerungen über Familienarbeit und Eltern mit Tätigkeitsschwerpunkt in der Familienarbeit. 9. Sind aus Ihrer Sicht flächendeckend und bedarfsgerecht ausreichend Kinderbetreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren vorhanden und kann dementsprechend überhaupt von einer Wahlfreiheit ausgegangen werden? Wie beurteilen Sie unter dieser Prämisse die noch immer weit verbreitete mehrstündige Mittagspause in zahlreichen Betreuungseinrichtungen insbesondere in den westlichen Bundesländern und Betreuungszeiten, die in jederlei Hinsicht einer Vereinbarkeit von Familie und Beruf entgegenstehen, und welche Auswirkungen erwarten Sie für Alleinerziehende? Vorweg ein sprachlicher Hinweis: Diese Frage ergibt nur Sinn, wenn Kinder in elterlicher Obhut als unbetreute Kinder gewertet werden. Nur dann lässt sich ein Mangel an Betreuungsplätzen konstatieren. Wahrscheinlich ist hier der Bedarf an außerfamiliären Betreuungsplätzen gemeint. In diesem Sinne: Es ist eine Fiktion planwirtschaftlichen Denkens, dass es einen objektiv feststellbaren, feststehenden Bedarf gäbe. Auf dieser Annahme beruhten beispielsweise die Versuche der Wirtschaftsplanung der DDR, den objektiven Bedarf der Republik an Erdbeermarmelade oder an karierten Krawatten vorherzusagen und ihn auch zu erfüllen. Tatsächlich wird der Bedarf nach einer bestimmten Dienstleistung oder einem bestimmten Produkt stark beeinflusst von den Rahmenbedingungen des Angebots und den Alternativen zu dem Angebot. Ganztagskrippen werden besonders stark gefragt sein, Seite 10 von 13

wenn nur Ganztagskrippen angeboten werden. Das zusätzliche Angebot von Halbtags- Krippenplätzen senkt den Bedarf an Ganztags-Krippenplätzen. Jedes weitere Angebot wird wiederum diesen Bedarf verändern: Tagesmütter, großelterliche Hilfe und auch das Betreuungsgeld. Insofern ist der Gedanke irrig, man nähere sich der perfekten Bedarfserfüllung, indem man zunächst das Angebot bis zur Sättigung anbiete, dann das Angebot y nachzöge etc. Eine erheblich bessere Bedarfsdeckung dürfte sich ergebe, wenn man auf eine Nachfragesteuerung setzte. Dazu müsste von der Objektförderung der Einrichtungen auf die Subjektförderung der Familien umgestellt werden. Familien müssten Geldmittel in der Größenordnung der heutigen Krippenförderung (circa 1000 EUR pro Kind und Monat) erhalten, mit denen sie wahlweise Betreuungsangebote ihrer Wahl bezahlen oder ihren eigenen, erziehungsbedingten Erwerbsausfall kompensieren. Diese Art der Finanzierung dürfte für die heutigen Anbieter außerfamiliärer Betreuung auch der stärkste Anreiz sein, ihre Öffnungs-, Pausen- und Ferienzeiten an den Bedarf der Familien anzupassen. 10. Welche Erwartungen haben Sie hinsichtlich der Erwerbsbeteiligung von Müttern und Vätern infolge der Einführung eines Betreuungsgeldes für das zweite und dritte Lebensjahr eines Kindes? Zunächst erinnert die Frage an die frappierende Vielzahl von Zielen, die die deutsche Familienpolitik gleichzeitig verfolgen will (vgl. Antwort zu Frage 4, insbesondere Tabelle 1). Eine quantitative Aussage zur zukünftigen Erwerbsquote der Eltern von Kleinkindern ist schwierig. Der materielle Anreiz zur Verhaltensbeeinflussung dürfte eher gering sein, Allerdings ist zu beachten, dass von einem staatlichen Betreuungsgeld auch ein immaterieller Reiz ausgeht. Zu beachten ist im Hintergrund, dass im Zuge der industriellen Revolution die Lebenserwartung der Menschen bei Geburt von circa 40 Jahren auf circa 80 Jahre angestiegen ist. Von daher sollten durchaus einige Jahre verfügbar geworden sein, in denen sich Menschen mit einem großen zeitlichen Schwerpunkt ihren Kindern widmen können. Sollte es durch das Betreuungsgeld zu einer Verknappung von Erwerbstätigen Seite 11 von 13

kommen, dürfte das die beruflichen Wiedereinstiegsmöglichkeiten und auch die Durchsetzbarkeit familiengerechter Arbeitszeitmodelle erheblich verbessern. 11. Wie schätzen Sie auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem Elterngeld die finanzielle Entwicklung des Betreuungsgeldes ein? Keine Angabe. 12. Wie bewerten Sie die Annahmen im Gesetzentwurf zur Kostenentwicklung ab 2014? Keine Angabe. 13. Halten Sie ein Gutscheinmodell für eine sinnvolle Ergänzung des Gesetzentwurfs um zu gewährleisten, dass das Betreuungsgeld zum Wohle der Kinder eingesetzt wird? Auf keinen Fall. Ein Betreuungsgeld in Gutscheinform wäre ähnlich skurril wie die Überlegung, Lehrer oder Erzieherinnen mit Gutscheinen anstatt eines Gehaltes zu vergüten. Indem das Betreuungsgeld auch eine Anerkennung der elterlichen Erziehungsleistung sein will, müssen die Eltern es nach eigenem Gutdünken frei verwenden können. So wie sich ein Lehrer von seinem Gehalt persönlichen Konsum leisten darf und von einer Erzieherin nicht erwartet wird, dass sie ihr Gehalt ihrer KiTa spendet, so wird man den Eltern zugestehen müssen, das Betreuungsgeld für ihre eigenen Bedürfnisse verwenden zu dürfen oder für ein Betreuungsangebot ihrer Wahl. Es muss an dieser Stelle aber erwähnt werden, dass die Eltern in Deutschland jährlich knapp 100 Milliarden EUR an Unterhaltsleistungen für ihre Kinder erbringen uneigennützig und zum Wohl des Gemeinwesens. 14. Wie bewerten Sie 10 BEEG-E, wonach das Betreuungsgeld auf die Leistungen nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II), dem SGB XII (Sozialhilfe) und dem 6a BKGG Kinderzuschlag) in vollem Umfang als Einkommen angerechnet werden soll? Bedauerlich, aber momentan anscheinend systemkonform. Das Problem ist nicht der aktuelle Gesetzesentwurf, sondern die bereits bestehenden Regelungen. 15. Welche sozialpolitischen, familienpolitischen und arbeitsmarktpolitischen Folgen ergeben sich aus Ihrer Sicht durch die geplante Anrechnung des Betreuungsgeldes auf die Leistungen nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II), dem SGB XII (Sozialhilfe) und dem Seite 12 von 13

6a BKGG (Kinderzuschlag), auch unter der Berücksichtigung, dass die vorgelagerte Leistung Elterngeld ebenfalls in voller Höhe angerechnet wird, und was bedeutet dies für die Kinder der betroffenen Familien auch unter den Gesichtspunkten der materiellen Armut? Die Anrechnung ist bedauerlich, aber derzeit systemkonform. Es lohnt sich deshalb, grundsätzlich über den Umgang mit Armut in unsrer Gesellschaft nachzudenken. Wird die Armut bekämpft oder werden die Armen bekämpft? Die Kinderarmut ist ein Teilaspekt der Armut ganzer Familien. Deren wichtigste Ursache sind nicht die Kosten der Kinder, sondern die erziehungsbedingten Erwerbsausfälle. Dahinter steht bis heute der Unwille, den Wert der familiären Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsleistung angemessen zu honorieren. Symptomatisch sind Befürchtungen, ein Betreuungsgeld nicht finanzieren zu können, während der um eine Zehnerpotenz teurere Krippenplatz finanziell außer Frage steht. Seite 13 von 13