Noch ein Löffelchen für Papa! Fütterstörungen im frühen Kindesalter (0-3) Sabrina Schatzmann Psychologin FSP, Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychosomatik, Inselspital Bern Andreas Dörner Diplom-Psychologe, Klinik für Kinder und Jugendliche Kantonsspital Aarau VAP-Matinée Leben hat Gewicht, 4. November 2012
Emotionale Beteiligung... Heinrich Hoffmanns Suppenkaspar Fütterstörungen / A.Dörner & S. Schatzmann 2
Wichtig zu wissen...... Bereits in der 8.-12. Schwangerschaftswoche beginnt der Fötus, Fruchtwasser zu trinken, zu resorbieren und wieder auszuscheiden. Dabei muss er das Saugen und Schlucken koordinieren (Wolf, 1992)... Die Hälfte seiner wachen Zeit verbringt das Neugeborene beim Gefüttertwerden, das so zu einer wesentlichen ersten sozialen Erfahrung wird (Wolke, 2005)... Das gesunde Neugeborene verfügt über die Fähigkeit, Hunger und Sättigung zu signalisieren und die Trink- und Nahrungsmenge selber zu regulieren (Papoušek, 2002)... Man spricht von Fütterstörung und nicht von frühkindlicher Ess- (verhaltens)störung um dem interaktionellen Aspekt gerecht zu werden Fütterstörungen / A.Dörner & S. Schatzmann 3
Nahrungsaufnahme: Entwicklungsaufgaben Postpartal: Stillen/ Schöppeln : Saugschwäche Ungenügende Abstimmung zwischen Mutter und Kind Mütter können sich in ihrer genuinen Kompetenz infrage gestellt fühle (Papoušek, 2004) 1. bis 3. Monat: Kindliche Zustandsregulation und Erregungsmodulation Durch ausgeprägte Irritabilität und exzessives Schreien Feinabstimmung zwischen Eltern und Kind ist erschwert Cierpka, 2012 Fütterstörungen / A.Dörner & S. Schatzmann 4
Nahrungsaufnahme: Entwicklungsaufgaben 4. bis 8. Monat: Umstellung auf die Brei-/Löffelkost Abstillen als Herausforderung für Mutter und Kind Übergang zur festen Nahrung im 8. Monat: Feste Nahrungsanteile im Brei können den sensorisch empfindsamen Säugling herausfordern (Chatoor, 2008) Zweites Lebenshalbjahr: Autonomiewünsche des Kindes: Mögliche Konflikte um Abhängigkeit, Autonomie und Kontrolle im Fütterkontext Cierpka, 2012 Fütterstörungen / A.Dörner & S. Schatzmann 5
Wann spricht man von einer Fütterstörung? Die Störung besteht seit > 1 Monat und die Fütterinteraktion wird von den Eltern als problematisch und belastend empfunden Die einzelne Mahlzeit beansprucht durchschnittlich mehr als 45 Minuten...... und/oder das Intervall zwischen den Mahlzeiten ist < 2 Stunden. Die Fütterstörung kann mit einer frühkindlichen Gedeihstörung einhergehen.. Hofacker et al., 2007 Fütterstörungen / A.Dörner & S. Schatzmann 6
Erscheinungsbild Persistierende kindliche Nahrungsverweigerung oder Essunlust Füttern nur mit Ablenkung Füttern im Schlaf oder Halbschlaf Zu kurze bzw. zu lange Intervalle zwischen den Mahlzeiten Eltern erkennen beim Kind schlechter sowohl Hunger- wie auch Sättigungssignale Das kindliche Essverhalten ist nicht altersgemäss Nicht-altersentsprechende Nahrungsangebote Nach traumatischen Füttererfahrungen oder traumatisierenden Eingriffen im Mund-Rachenbereich angstvolle bis panische Abwehr. Barth, WS 10-11, Universität Tübingen Fütterstörungen / A.Dörner & S. Schatzmann 7
Engelskreis (Co-Regulation) Beruhigung, Geduld, Feinfühligkeit... Soziale Unterstützung Weitere Bezugspersonen Partnerschaft Selbstkonzept Eltern Intuitive Kompetenz Kind Gene Selbstregulation Biographie Gesundheit Lächeln, Zufriedenheit... Fütterstörungen / A.Dörner & S. Schatzmann 8
Teufelskreis (Dysregulation) Fehlende Unterstützung Genervt, Ohmacht, Wut, Gewaltimpulse,... Soziale Belastung Paarkonflikt Selbstkonzept Biographie Psychische Erkrankungen Eltern Intuitive Kompetenz Schreien, Verweigerung,... Kind Gene Störung der Selbstregulation Krankheiten / Unreife Traumatisierungen Fütterstörungen / A.Dörner & S. Schatzmann 9
Dysfunktionale Interaktion bei der Fütterstörung Nahrungsverweigerung Aversion, Autonomie Ängste / Schuldgefühle Verstärktes Nahrungsangebot, Zwang Mein Kind muss essen! www.uni-ulm.de/klinik/kip Fütterstörungen / A.Dörner & S. Schatzmann 10
Prävalenz und Verlauf Jedes dritte Elternpaar berichtet im ersten Lebensjahr des Kindes von vorübergehenden Fütterschwierigkeiten Schwere Fütterstörungen werden in der Literatur mit 3 bis 12% angegeben Mangelnde Selbstregulation von Appetit und Nahrungsaufnahme und Probleme bei der Selbstkontrolle des Essverhaltens könnten wichtige Aspekte für die mögliche Entwicklung einer späteren Essstörung bedeuten, insbesondere auch für die Entwicklung von Adipositas (Marchi & Cohen 1990, Duke et al. 2004, Faith & Kerns 2005, Agras et al. 2007) Cierpka, 2012 Fütterstörungen / A.Dörner & S. Schatzmann 11
Behandlungsansätze Interdisziplinäre Vorgehensweise Pädiatrie/Gastroenterologie Pflege Psychologie Logopädie Ernährungsberatung Unterbruch der dysfunktionalen Interaktion! Oft ist dazu ein stationärer Aufenthalt indiziert Fütterstörungen / A.Dörner & S. Schatzmann 12
Beratung und Psychotherapie Auffangen der Versagens- und Ohnmachtsgefühle Erfassen der psychosozialen Anamnese und der aktuellen Situation Krankheitskonzept der Eltern und deren Umfeld Selbstkonzept der Eltern Mikroanalyse der Füttersituation (Video) Psychoedukation Interaktionszentrierte Eltern-Kind-Psychotherapie (oft videobasiert) Einzel-, Paar- und/oder Familientherapie bei einer psychiatrischen Erkrankung eines Elternteils Entspannung Fütterstörungen / A.Dörner & S. Schatzmann 13
Gestaltung der Ess- bzw. Füttersituation Die Bezugsperson bestimmt, wann, wie oft und was angeboten wird. Das Kind bestimmt, wie viel es davon essen mag. Gemeinsam am Tisch sitzen und essen Das Essen darf ertastet werden. Immer auch etwas anbieten, das mit den Fingern gegessen werden kann. Essen und Trinken anbieten, nicht ständig darüber sprechen Regelmässig 3 Haupt- und 2 Zwischenmahlzeiten Klare Trennung zwischen Mahlzeiten und Spielzeiten Keine materiellen Belohnungen Kein Forcieren der Nahrungsaufnahme Keine Ablenkung Marx & Henkel, 2010 Fütterstörungen / A.Dörner & S. Schatzmann 14
Erfahrungen aus dem eigenen Arbeitsalltag Fallbeispiele Ausführungen zum Selbstkonzept der Eltern / Mutterschaftskonstellation Fragen und Diskussion? Fütterstörungen / A.Dörner & S. Schatzmann 15
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!! Simon s Cat von Simon Tofield Fütterstörungen / A.Dörner & S. Schatzmann 16
Quellenangaben Aswathanarayana et al. (2010). Diagnostik und Therapie von Schluck- und Fütterstörungen bei Säuglingen und Kleinkindern: Eine interdisziplinäre Aufgabe. Sprache-Stimme-Gehör, 34:12-17. Chatoor (2012). Fütterstörungen bei Säuglingen und Kleinkindern. Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten. Stuttgard: Klett-Cotta. Cierpka (2012). Frühe Kindheit 0-3 Jahre: Beratung und Psychotherapie für Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern. Heidelberg: Springer. Marx & Henkel (2010). Behandlung von fühkindlichen Ess- und Fütterstörungen durch das multiprofessionelle Behandlungsteam (MBT) am Ostschweizer Kinderspital am Beispiel einer Fallvignette. Pädiatrie 4+5, 10. Vorlesungsunterlagen Universität Ulm (www.uni-ulm.de/klinik/kjp) und Universität Tübingen (Barth, 2009). Foto auf Titelseite: http://www.milupa.de/mil/de/home/wissen/allesfrmamasundbabys/essenfrsbaby/beikost/beikost_1.htm l Cartoon Simon s Cat : http://ais.badische-zeitung.de/piece/01/49/bc/61/21609569.jpg Fütterstörungen / A.Dörner & S. Schatzmann 17