Der Entwurf eines Verbandsstrafgesetzbuches: Rechtspolitische Illusion oder zukünftige Rechtswirklichkeit?

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Transkript:

Europäische Hochschulschriften / European University Studies / Publications Universitaires Européennes 5829 Der Entwurf eines Verbandsstrafgesetzbuches: Rechtspolitische Illusion oder zukünftige Rechtswirklichkeit? Bearbeitet von Anna Schnitzer 1. Auflage 2016. Taschenbuch. 313 S. Softcover ISBN 978 3 631 67043 9 Format (B x L): 14,8 x 21 cm Recht > Strafrecht > Nebenstrafrecht, Wirtschaftsstrafrecht Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, ebooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

Einleitung Die Vorstellung des Gesetzesentwurfs für ein Verbandsstrafgesetzbuch 1 durch den Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Thomas Kutschaty, auf der Justizministerkonferenz im November 2013 hat die Debatte um die Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen in eine neue Runde geführt. Im Mittelpunkt der Diskussion steht nicht mehr allein die bereits in zahlreichen wissenschaftlichen Abhandlungen problematisierte Schuldfähigkeit und die damit verbundene grundsätzliche Frage der Strafbarkeit von Verbänden, sondern auch die konkrete Ausgestaltung der vorgeschlagenen materiell- und prozessrechtlichen Vorschriften und die damit einhergehenden Folgen in der Praxis. Das Handelsblatt titelte im Juli 2014 Alptraum Zerschlagung 2 und verbildlicht dadurch eine der größten Ängste der Unternehmen in der Praxis. Die Einführung scheint für viele als Erstes mit dem Gedanken einer sog. Todesstrafe für Unternehmen verbunden zu sein. Praktiker verbinden mit der Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Verbände auch die Besorgnis, dass sich am Ende niemand mehr persönlich verantwortlich fühlt, wenn man statt der Vorstände die Firmen bestraft. 3 Die mit der Einführung eines Verbandsstrafrechts verbundene Überreglementierung fürchten auch einige Vertreter der Literatur, was plakativ durch folgende Überschriften verdeutlicht werden kann: Die aktuelle Forderung eines Verbandsstrafrechts ein kriminalpolitischer Zombie 4 oder Deutschland braucht kein (solches) Unternehmensstrafrecht 5. Verteidigende Haltung hierzu nimmt der Justizminister Nordrhein-Westfalens ein, indem er die Auflösung von Verbänden zwar als ultima ratio bezeichnet, dennoch nach seiner Ansicht manche Unternehmen einfach weg müssen 6. Eine Existenzberechtigung solcher Unternehmen, die z. B. ihr Geld mit Autoschiebereien verdienen, gibt es nach seiner Auffassung nicht. Diese zwei Gegenpositionen werden durch Vertreter, die für eine konstruktive Diskussion offen sind, ergänzt. Zum Ausdruck bringt dies Wessing, indem er betont, dass Totgesagte länger leben 7 oder sich die Frage stellt Braucht Deutschland ein Unternehmensstrafrecht? 8. Auch in der politischen Diskussion gibt es Gegner 1 Siehe Anhang. 2 Handelsblatt vom 22.7.2014, S. 13. 3 Hans Richter, Handelsblatt vom 22.7.2014, S. 13. 4 Schünemann, ZIS 2014, 1. 5 Rübenstahl, ZRFC 2014, 26. 6 Der Titel des Interviews mit Thomas Kutschaty, Juve 06/2014, 74 lautet Manche Unternehmen müssen einfach weg. 7 Wessing, Gastbeitrag Management-Blog, abrufbar unter http://blog.wiwo.de/man agement/2014/01/25/das-unternehmensstrafrecht-soll-tot-sein-was-fur-ein-irrtumgastbeitrag/ (zuletzt abgerufen am 11.2.2015). 8 Wessing, ZWH 2012, 301. 15

des Vorhabens, die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Verbänden einzuführen. Thomas Strobl, der Unionsfraktionsvize, beruft sich hierbei auf ein Zitat von Montesquieu, in dem sich seine Meinung deutlich widerspiegelt: Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen 9. Verbildlicht gesprochen: Der Gesetzgeber könnte auch den Bananenanbau am Nordpol regeln, wenn er wollte, tut dies aber nicht. 10 Die Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen wird schlichtweg für unnötig gehalten. Das im Dezember 2014 veranstaltete Symposium zur Verbandsverantwortlichkeit illustriert die Wichtigkeit der Offenheit zur Diskussion über den Gesetzesentwurf. Dies bekräftigt Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, Heiko Maas, in seiner Eröffnungsrede und weist zudem darauf hin, dass der Ehrliche am Ende nicht der Dumme sein dürfe 11. Dem ist zu entnehmen, dass es auch in der Politik ein Anliegen ist, nicht durch den Erlass eines Verbandsstrafgesetzbuches überzogene Sanktionen einzuführen, sondern das Ziel ist, wirksame Sanktionen als Reaktion des Staates auf Verstöße von Verbänden hin verhängen zu können. Maas deutet hiermit auch an, dass Unternehmen, die sich um die Aufklärung der Straftaten, die aus dem Unternehmen heraus begangen worden sind, durch Mitwirkung bei den Ermittlungen durch die Strafverfolgungsbehörden bemühen, nicht doppelt bestraft werden dürfen. Ziel soll es also sein, dieses Verhalten auf irgendeine Weise bei der Bestrafung positiv berücksichtigen zu können. Auch ein vorgelagertes Verhalten der Unternehmen durch das Ergreifen von Vorkehrungen, um Straftaten innerhalb des Unternehmens zu vermeiden, kann bei der Bestrafung positiv berücksichtigt werden. Dem Thema der Compliance und seiner gesetzlichen Ausgestaltung kommt bei der Debatte deshalb ebenfalls eine entscheidende Rolle zu. Die durch den Gesetzesentwurf verursachte aktuelle Diskussion berührt vor allem auch neue Aspekte, die mit der konkreten Ausgestaltung eines möglichen Verbandsstrafgesetzbuches zusammenhängen, die bei dieser Darstellung schwerpunktmäßig behandelt werden sollen. Ziel ist es, die einzelnen Vorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit strafrechtsdogmatischen und verfassungsrechtlichen Grundsätzen zu überprüfen. Sofern es von Bedeutung ist, wird auch die Notwendigkeit der Regelungen beleuchtet. Der Fokus bei der Betrachtung liegt darauf die Schwachstellen der jeweiligen Norm ausfindig zu machen und Verbesserungsvorschläge zu präsentieren. Die Untersuchung gestaltet sich im Einzelnen wie nachfolgend beschrieben. Zunächst widmet sich diese Arbeit der historischen Entwicklung des Verbandsstrafrechts in Deutschland und Europa sowie den existierenden 9 Die Welt vom 26.11.2014, Union wehrt sich gegen härtere Strafen für Firmen, abrufbar unter: http://www.welt.de/wirtschaft/article134761662/union-wehrt-sich-gegenhaertere-strafen-fuer-firmen.html (zuletzt abgerufen am 11.2.2015). 10 Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11. 11 Maas, Rede zur Eröffnung des Symposiums zur Verbandsverantwortlichkeit am 1.12.2014 in Berlin, abrufbar unter: http://www.bmjv.de/shareddocs/reden/ DE/2014/20141201_Verbandsverantwortlichkeit.html?nn=1468636 (zuletzt abgerufen am: 11.2.2015). 16

Regelungen in an Deutschland angrenzenden Ländern, um dessen Bedeutung in einen Gesamtkontext zu stellen und zu verdeutlichen, welche Rolle die strafrechtliche Verantwortung von Verbänden im europäischen Kontext zugeschrieben wird. Des Weiteren wird auf die in der Literatur zentral vorgetragenen Argumente gegen die Einführung eines Verbandsstrafrechts eingegangen, mit der Absicht diese weitestgehend zu entkräften. Im Anschluss erfolgt eine Untersuchung der konkreten Regelungen des materiell-rechtlichen Teils des Gesetzesentwurfs zu einem Verbandsstrafrecht. In diesem Rahmen werden die einzelnen Normen hinsichtlich ihrer strafrechtsdogmatischen und verfassungsrechtlichen Wirksamkeit analysiert. Vergleichsmaßstab hierfür bildet zum einen das Individualstrafrecht, insbesondere die Einhaltung des in Art. 3 GG verankerten Gleichbehandlungsgrundsatzes ist hierbei von besonderer Bedeutung. Zum anderen werden bei der Auslegung von unbestimmten Begriffen die zu den Vorschriften der Geldbuße nach 30, 130 OWiG entwickelte Rechtsprechung und das dem Gesetzesentwurf als Vorbild dienende österreichische Verbandsverantwortlichkeitsgesetz zur genaueren Interpretation herangezogen. 17