Dysphagie bei neurologischen Erkrankungen- Diagnostik und Therapie InterdisziplinäresDysphagiezentrumEssen Abteilung für Sprachtherapie Matthias Suchanek (ärztl. Leitung) Nina Hoffmann Alexandra Fortmann Angelika Hofmann Elena Stember 1
Übersicht Was bedeuten Essen und Trinken für uns? Der gesunde Schluckablauf Zahlen und Fakten zum Schlucken Schluckphasen Was ist eine Schluckstörung? Diagnostik Therapie Gefahren, Ursachen, Folgen Altersschluckstörungen (Presbyphagie) Ziele der Diagnostik Klinische Diagnostik Apparative Diagnostik Ziele der Therapie Therapiemaßnahmen 2
Was bedeuten Essen und Trinken für uns? 3
Was bedeuten Essen und Trinken für uns? Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen. Der Mensch ist was er isst. (Feuerbach) Man sollte dem Leib Gutes bieten, damit die Seele Lust hat darin zu wohnen. (Churchill) Ein gutes Essen ist Balsam für die Seele. (unbekannt) Wer nicht genießt, wird ungenießbar. (Wecker) Solange man trinken kann, lässt sich`s noch glücklich sein. (Goethe) Wir leben nicht um zu essen, sondern wir essen um zu leben. (Sokrates) 4
Was bedeuten Essen und Trinken für uns? Lebensqualität köstlich Zufriedenheit Wohlbefinden Freude Sättigung Überleben Genuss.. lecker 5
Was bedeuten Essen und Trinken für uns? und nicht zu Letzt Gesellschaft Feste feiern Gespräche miteinander 6
Zahlen und Daten zum Schlucken Zählt zu den häufigsten Bewegungsabläufen 580 bis zu 2400 mal pro Tag Wachzustand ca. 1-2x/Minute (je nach Speichelproduktion) zwischen 0,5 bis 1,5 ml/minute (außerhalb der Mahlzeiten) während des Tiefschlafes hören Speicheln und Schlucken fast auf 7
Zahlen und Daten zum Schlucken Schluckvorgang teils willkürlich teils reflektorisch 5 Hirnnerven Hochkoordiniertes Zusammenspiel von 25 Muskelpaaren Schluckvolumen Flüssigkeit 13.6 20 ml Frauen 21.3 25 ml Männer 4,6 ml Kinder Je höher die Viskosität, desto kleiner Bolusvolumen pro Schluck 8
Der gesunde Schluckablauf Def.: Transport von Nahrung, Flüssigkeit, Speichel aus der Mundhöhle 1 durch den Rachenraum 2 und die Speiseröhre 3 bis zum Magen unter gleichzeitigem Schutz der Luftwege. 1 2 3 9
Physiologie des Schluckvorganges 4-Phasen-Modell* 1. Zeitlich unbegrenzte orale Vorbereitungsphase, dient dem Kauen und der Bolusformung 2. In der oralen Transportphase (ca. 1s) wird Schlucken willkürlich initiiert 3. Die rasche pharyngeale Phase (<1s) 4. Langsame ösophageale Phase (< 20s) sind reflektorische Abläufe, die nicht mehr willkürlich beeinflusst werden können (2-4 cm/s, Dauer nimmt im Alter zu) *(Logeman,n 1983)
Was ist eine Schluckstörung? - Störung des Schluckens beim Essen, Trinken oder des eigenen Speichels - Die Transportstörung kann auf dem Weg von der Hand in den Mund bis zum Eintritt in den Magen beeinträchtigt sein. - In jeder Phase des Schluckens kann es zu Störungen und in der Folge zum Verschlucken kommen. 11
Worin besteht die Gefahr bei Schluckstörungen? - Speise, Flüssigkeit oder Speichel kann in die Trachea und in die Lunge geraten!! Achtung!!: bei neurologischen Patienten kann es zu einer stillen Aspiration kommen 12
Was sind die Folgen von Schluckstörungen? - Aspirationsgefahr = Pneumoniegefahr oder sonstige Atemwegserkrankungen - Ersticken - Gewichtsverlust = Exsikkosegefahr! - Unzureichende Nährstoff- und Vitaminzufuhr - Allgemeine AZ- Verschlechterung - Psychosoziale Folgen 13
Was sind Ursachen für Schluckstörungen - HNO- Erkrankungen (z.b. Tumorresektionen im Hals- und Kehlkopfbereich, Bestrahlungen, Schilddrüsenoperationen etc.) - Nebenwirkungen von Medikamenten (z.b. Benzodiazepine, Aminoglykosid-Antibiotika, Kortikosteroide, Cholesterinsenker, Neuroleptika, Metoclopramid, Anticholinergika, Botulinimtoxin, Biphosphonate, nicht-steroidale Antirheumatica) - Gastroenterologische Erkrankungen (Ösophaguskarzinom, Refuxösophagitis, Öshophagitis, Divertikel, Fremdkörper, Verbrennungen, Verätzungen, Achalasie) - Neurologische Erkrankungen - Physiologische Altersschluckstörungen (primäre Presbyphagie) 14
Ösophaguskarzinom 15
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Zenkerdivertikel Brombart 1-4 18
Was sind Ursachen für Schluckstörungen 1 Neurologische Erkrankungen Schlaganfall bis 50% akute Phase Parkinsonsyndrom (IPS) ca. 50% SHT < 70% in Rehaphase B Multiple Sklerose ca. 30-40% ALS im Verlauf fast immer Myasthenia gravis Erstsymptom 17%, >50% Demenzen/Heimbewohner Malnutration seht häufig 1 Bartolome, H. Schröter-Morasch 19
Schlaganfall häufigste Ursache neurogener Dysphagie! Dysphagie bei ca. 42-67% nach einem Insult 1 Bei 19,5-42% kommt es zur Aspirationen innerhalb der ersten 5 Tage nach einem akuten Insultgeschehen 1 erhöhtes Risiko an einer Aspirationspneumonie zu erkranken 2/3 der Aspirationen verlaufen stumm Chronische Phase 25 % Dysphagie 1 Martino R et al., Stroke 2005 20
Dysphagie Frührehabilitation Dargestellt Mittelwert und Standardabweichung, n = 63 21
Alter > 65 Jahre weisen 10-30% Schluckstörungen auf* Primäre Presbyphagie (= altersbedingte Organveränderungen): Schlechter Zahnstatus, verminderte Speichelsekretion, Verlängertes Kauen, erhöhte orale Bolustransitzeit, verminderte oropharyngealelaryngeale Sensibilität, verspätete Schluckreflextriggerung, Verringerung der Muskelkraft und der pharyngealen Konstriktion, Verminderte Elastizität des oberen Ösophagussphinkters, HWS- Spondylophyten (> 10 mm klinisch relevant), vermindertes Durstgefühl *(Barczi et al. 2000) 22
Presbyphagie / Altersschluckstörung 23
Sekundäre Presbyphagie (= Erkrankungen, die gehäuft aufgrund des höheren Lebensalters entstehen) - Schlaganfall - Parkinson-Syndrome - Demenz - Alzheimerdemenz (70%) - vskuäre Demenz (15-20%) - Lewy-body-Demenz (10 %) 24
Presbyphagie / Altersschluckstörung 25
Ziele der Dysphagiediagnostik Mithilfe klinischer und insbesondere der apparativen Diagnostik wird es möglich: die Pathophysiologie beim Schluckenablauf zu erkennen eine gezielte Intervention zu planen und durchzuführen Effektivität der Intervention / den Verlauf zu überprüfen (Verlaufskontrolle) 26
Die Klinische Schluckuntersuchung Funktionelle Überprüfung der am Schluckvorgang beteiligten Organe Verhaltensbeobachtung (Husten, Stimmklang, Speichelhandling, Residuen nach dem Abschlucken Es wird eine Hypothese über die zugrunde liegende Störung beim Schlucken entwickelt mit Hilfe der apparativen Diagnostik erfolgt eine Analyse über die Pathophysiologie beim Schlucken 27
Apparative Dysphagiediagnostik: FEES (Fiberendoskopische Evaluation des Schluckens) flexibles, fiberoptisches Endoskop (Durchmesser 2,2-3,4 mm) sowie eine Lichtquelle( Halogen- oder Xenonlicht) Videoaufzeichnung differenzierte Auswertung, Befunddokumentation, Archivierung Verschiedene Nahrungsmittelkonsistenzen sowie Lebensmittelfarbe EKG- Monitoring Schleimhautanästhesie Absaugbereitschaft Pulsoxymetrie 28
Die apparative Schluckuntersuchung FEES Position des flexiblen Endoskopes zur Larynxbeobachtung (Schluckstörungen, Bartholome, Urban und Fischer 2006) 29
Einführen des Endoskops 30
Kehlkopfaufsicht hinten rechts links vorne G. Bartolome: Schluckstörungen Diagnostik und Rehabilitation (2006) 31
Penetration - Eindringen von Nahrungsteilen, Flüssigkeit oder Speichel in den Kehlkopfeingang - Kann vor (prä-), während (intra-) oder nach (post-) dem Abschlucken (-deglutitiv) geschehen G. Bartolome: Schluckstörungen Diagnostik und Rehabilitation (2006) 32
Aspiration - Eindringen von Speichel, Flüssigkeit oder Nahrung in die Luftwege - Kann vor (prä-), während (intra-) oder nach (post-) dem Abschlucken (-deglutitiv) geschehen G. Bartolome: Schluckstörungen Diagnostik und Rehabilitation (2006) 33
Gesunder Schluckablauf 34
Penetration 35
Aspiration 36
Die apparative Schluckuntersuchung: VFS (Videofluoroskopie) Untersuchung in sitzender Position Durchleuchtung im seitlichen Strahlengang Bild- für Bild Analyse mit zeitlicher Auflösung von 25 Einzelbildern pro Sek. Kontrastmittel: Visipaque bei anamnestisch bekannter Aspirationsgefahr; sonst Barium 37
Die apparative Schluckuntersuchung VFS Valleculae Kehldeckel Zungenbein Sinus piriformes Speiseröhre Luftröhre aus A.M. Möttig (2007) 38
Normalschlucker Video VFS 39
Aspiration Video VFS 40
FEES oder VFS? VFS: Aspirationsmenge (Nahrung und Flüssigkeit) Aussagen über orale und zt. ösophageale Phase Rumpfkontrolle und Sitzfähigkeit erforderlich Strahlenbelastung FEES: Speichelhandling Strukturelle und funktionelle Beobachtung, Sensibilitätsprüfung Effektivität therapeutischer Manöver Je nach Fragestellung kann eine der Untersuchungen sinnvoll sein ggf. auch beide 41
Speichelhandling FEES 42
Zufallsbefunde FEES 43
Zufallsbefunde FEES 44
Dysphagietherapie: Was wollen wir erreichen? Risiken der Schluckstörung minimieren Die Physiologie des Schluckaktes restituieren oder die Störung kompensieren oder durch Adaptation (z.b. Anpassung der Kost an die bestehende Störung) eine vollständige oder Teilernährung per os ermöglichen Die Lebensqualität des Patienten steht im Vordergrund 45
Ziele der Dysphagietherapie AKZEPTANZ der Schluckstörung bei der betroffenen Person durch: Erkennen und Verstehen der Risiken der bestehenden Schluckstörung Patienten- und Angehörigenaufklärung Möglichkeiten der Kostanpassung, um ein sicheres Abschlucken zu gewährleisten Umsetzung bestimmter Interventionen (Kompensation) und tägliches Üben (Restitution) Verbesserung der Eigenwahrnehmung 46
Restituierende Maßnahmen in der Therapie! Es wir versucht die Physiologie des Schluckmechanismus wieder herzustellen! Therapiemethoden: häufig wiederholt über einen längeren Zeitraum angewendet dauerhafte und anhaltende Veränderungen beim Schlucken 47
Kompensatorische Maßnahmen in der Therapie direkte Verfahren: Veränderungen des Schluckverhaltens wirken in dem Moment der Anwendung unmittelbar!die Störung selber verändert sich nicht! Haltungsänderung oder spezielle Schlucktechniken ermöglichen trotz Funktionseinschränkung - sicheren Bolustransport - aspirationsfreies effektives Schlucken 48
Adaptive Maßnahmen in der Therapie = anpassend die Kost/Flüssigkeit wird an die Einschränkungen angepasst z.b. die Fließgeschwindigkeit und die Konsistenz des Bolus! Durch Anpassung werden die Anforderungen an das Schlucken selbst oder an die Vorbereitung für das Schlucken reduziert! 49
Interdisziplinäres Dysphagiezentrum Essen (IDE) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Sprachtherapeutisches Team: A. Fortmann, N. Hoffmann, A. Hofmann, E. Stember Ärztliche Leitung: Dr. med M. Suchanek PD Dr. med. Gerhard 50