Amt für öffentlichen Verkehr und Verkehrskoordination Kanton Bern Studie zur Zukunft des Regionalverkehrs Spiez Interlaken Ost Entscheidungsgrundlagen Zusammenfassung Zürich, 25. Februar 2016 INFRAS Forschung und Beratung www.infras.ch
2 Zusammenfassung Ausgangslage Die im Stundentakt verkehrenden Regionalzüge Spiez Interlaken erschliessen einerseits die zwei Gemeinden Leissigen und Därligen. Andererseits ergänzen sie jede zweite Stunde das Fernverkehrsangebot in diesem Korridor zum Halbstundentakt. Die Nachfrage in den Regionalzügen wird primär durch den Verkehr zwischen den Zentren Spiez und Interlaken geprägt. Deshalb sind die Regionalzüge mit Fernverkehrsfunktion deutlich stärker belegt als diejenigen, welche zeitlich knapp vor bzw. nach dem Fernverkehrszug verkehren. Der Fahrplan des Regionalverkehrs wird durch die Anforderungen des Fernverkehrs und durch die weitestgehend einspurige Bahnlinie bestimmt. Dies führt zu einem unproduktiven Betrieb der Regionalzüge. Obwohl die Systemfahrzeit Spiez Interlaken Ost unter 30 Minuten liegt, was theoretisch einen Stundentakt mit einem Zugsumlauf ermöglicht, müssen zwei Kompositionen mit entsprechend langen Standzeiten im Einsatz stehen. Trotz diesen unvorteilhaften Randbedingungen erzielt die Linie einen Kostendeckungsgrad von ca. 40% und erfüllt damit die Zielvorgabe gemäss kantonaler Angebotsverordnung, die bei 35% festgelegt ist. Ende November 2014 wurde der STEP2030-Bericht der Planungsregion Westschweiz beim Bundesamt für Verkehr eingereicht. Darin wird unter anderem der aus Sicht des Kantons Bern wichtige, integrale Halbstundentakt im Fernverkehr zwischen Bern und Interlaken Ost beantragt. Mit diesem zusätzlichen Fernverkehrsangebot würde frühestens ab 2030 die heutige zweistündliche Fernverkehrsersatzfunktion des Regionalzugs Spiez Interlaken Ost wegfallen. Entsprechend würde das Nachfragepotenzial im Regionalverkehr stark zurückgehen. Die BLS haben vom BAV den Auftrag, den Ausbau des Bahnhofs Leissigen zur Kreuzungsstelle für 400 Meter lange Fernverkehrszüge gemäss dem ZEB-Beschluss zu projektieren. Dabei stellt sich u.a. die Frage, ob und ggf. welche Publikumsanlagen erstellt werden müssen. Zur Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes sind bis 2023 auch in Därligen Perronanpassungen nötig. Die Planung dieser Infrastrukturen erfordert eine gesicherte Planungsgrundlage zur Zukunft des Regionalverkehrs zwischen Spiez und Interlaken. Die Studie zur Zukunft des Regionalverkehrs Spiez Interlaken Ost soll die zweckmässigste ÖV- Erschliessung von Leissigen und Därligen aufzeigen. Dabei sind sowohl wirtschaftliche Aspekte als auch die Auswirkungen auf die Erschliessungsqualität zu berücksichtigen. Der vorliegende
3 Bericht stellt die fachlichen Grundlagen zusammen und dient als Entscheidungsgrundlage für die politischen Entscheidungsträger. Untersuchte Varianten Folgende Varianten zur Erschliessung des Korridors Spiez Interlaken Ost mit Regionalverkehr wurden vertieft ausgearbeitet und bewertet: Variante Bahn-Regio (Referenzvariante): stündlicher Regionalzug Spiez - Interlaken Ost mit Halt in Leissigen, Därligen und Interlaken West. Variante Bahn-Flügelzug: stündlicher RegioExpress-Zug (RE) von Bern bis Interlaken Ost mit Halten in Münsingen, Thun, Spiez, Leissigen, Därligen und Interlaken West. Diese Variante lässt sich jedoch frühestens ab 2030 realisieren. Variante Bahn/Bus: zweistündlicher Regionalzug Spiez Interlaken Ost ohne Halt in Leissigen und Därligen (in denjenigen Stunden, in welchen der zweite Fernverkehrszug pro Stunde fehlt). Leissigen und Därligen werden mit dem Bus erschlossen, entweder mit einer Buslinie Spiez Interlaken Oste (Variante a durchgehender Bus) oder mit zwei Buslinien Spiez Därligen und Interlaken Ost Leissigen (Variante b kein durchgehender Bus). Variante Bus: Reine Buslösung mit einer Buslinie Spiez Interlaken Ost und Einstellung des Regionalbahnbetriebs. Diese Variante funktioniert aus Kapazitätsgründen nur, wenn der integrale Halbstundentakt im Fernverkehr umgesetzt werden kann, was frühestens ab 2030 der Fall sein wird. Abbildung Z-1: Angebotsvarianten auf der Zeitachse im Korridor Spiez Interlaken Ost Leissigen/Därligen weiterhin mit der Bahn erschlossen Perronanlagen erforderlich Fernverkehr wie heute Bahn-Regio (wie heute) Bahn-Regio (wie heute) Bahn-Flügelzug Leissigen/Därligen mit dem Bus erschlossen keine Perronanlagen erforderlich Bahn / Bus Fernverkehr später alle 30 Minuten Bahn / Bus Bus
4 Wichtigste Vor- und Nachteile der Varianten für Leissigen und Därligen Die Bahnvarianten ermöglichen für die beiden Gemeinden kürzere Reisezeiten und mit dem eigentrassierten Betrieb auch einen zuverlässigeren Betrieb. Die Variante Bahn-Regio entspricht dem heutigen Angebot. Die Variante Bahn-Flügelzug, welche allerdings fahrplantechnisch frühestens 2030 realisierbar ist, ermöglicht für Leissigen und Därligen neu stündliche Direktverbindungen Richtung Bern, was sich positiv auf die Standortattraktivität auswirkt. Die Bahnerschliessung im Regionalverkehr zwischen Spiez und Interlaken Ost weist zudem aus lokaler wie auch aus Klimasicht Umweltvorteile auf, solange man dem Bahnbetrieb Strom aus erneuerbaren Ressourcen wie beispielsweise Wasserkraft unterstellt. Nachteilig bei den Bahnvarianten wirkt sich die alternierende Fahrlage des Regional- bzw. Flügelzugs wegen Trassierungskonflikten mit dem Fernverkehr aus. Dies bedeutet, dass diese Züge alle zwei Stunden, wenn sie dem Fernverkehr weichen müssen, die Anschlüsse in Interlaken Ost (z.b. Lauterbrunnen/Grindelwald und Meiringen) verpassen. Eine Buserschliessung führt für die beiden Gemeinden gegenüber der Bahn zu 5-10 Minuten längeren Fahrzeiten zwischen Spiez und Interlaken. Durch teilweise kürzere Umsteigezeiten in Spiez und Interlaken sowie durch die bessere örtliche Erschliessung, dank zusätzlichen und näher bei den Siedlungsgebieten liegenden Haltestellen, verlängern sich die Gesamtreisezeiten von Tür zu Tür nicht im selben Masse. Zudem kann mit das Angebot in den Hauptverkehrszeiten mit halbstündlichen Verbindungen verdichtet werden. Auswirkungen auf den überregionalen Verkehr Auf den überregionalen Verkehr Bern Interlaken Ost haben die Bahn- oder Busvarianten zur Erschliessung von Leissigen und Därligen keine massgebenden Auswirkungen. Solange der Fernverkehr nicht mit integralem Halbstundentakt verkehrt, muss der Regionalverkehr aus Kapazitätsgründen zwischen Spiez und Interlaken Ost alle zwei Stunden Fernverkehrsersatzfunktion übernehmen, was sowohl bei den reinen Bahnvarianten als auch bei den Mischvarianten Bahn/Bus gewährleistet bleibt. In diesem Zusammenhang hat die Flügelzugvariante den Vorteil, dass sie alle zwei Stunden den Fernverkehr mit einem direktem Zuglauf Bern Interlaken Ost zum Halbstundentakt ergänzen kann. Davon profitiert auch der Raum Münsingen, der neu eine stündliche Direktverbindung von/nach Interlaken Ost erhält. Auswirkungen auf die Abgeltungen im Regionalverkehr Solange der Fernverkehr nicht im integralen Halbstundentakt nach Interlaken Ost verkehrt, bietet die Variante Flügelzug die Chance, die Abgeltungen dank Nachfrage- und Erlösverlage-
5 rungen vom Fernverkehr zum Regionalverkehr gegenüber den anderen Varianten um rund 30% zu reduzieren. Dies ist jedoch frühestens ab 2030 möglich. Mit Einführung des integralen Halbstundentakts im Fernverkehr sinkt bei allen Varianten die Nachfrage bzw. der Erlös um rund 80%. In diesem Fall führt die Busvariante zu den geringsten Abgeltungen, welche um rund den Faktor 4 tiefer liegen verglichen mit einer Bahnvariante zur Erschliessung von Leissigen und Därligen. Wirtschaftlichkeit Aus wirtschaftlicher Sicht stellt sich primär die Frage der Wahrscheinlichkeit der Einführung des integralen Halbstundentakts im Fernverkehr. Unterstellt man eine Einführung im Zeithorizont zwischen 2030 und 2040, schneidet die Variante mit einer Buserschliessung für Leissigen und Därligen bereits ab 2023 besser ab als die Bahnvariante mit einem stündlichen Regio. Die Flügelzugvariante ist in diesem Szenario nicht sinnvoll. Geht man hingegen davon aus, dass der integrale Halbstundentakt im Fernverkehr erst im Zeithorizont 2040 eingeführt werden wird, schneiden die Variante Bahn-Flügelzug und die Mischvarianten Bahn/Bus praktisch gleichwertig und besser ab als die Variante Bahn-Regio. Generell gilt, dass je später der integrale Halbstundentakt beim Fernverkehr eingeführt wird, desto besser schneidet aus wirtschaftlicher Sicht die Variante mit einem zwischenzeitlichen Flügelzugkonzept auch gegenüber der Bahn/Bus-Variante ab. Diese Aussagen treffen jedoch nur aus Sicht des regionalen Personenverkehrs (RPV) zu. Aus einer Gesamtsicht, das heisst unter Berücksichtigung der Ertragsausfälle beim Fernverkehr, schneidet die Buserschliessung von Leissigen und Därligen bereits ab 2023 immer am besten ab. Fazit Die Erschliessungsqualität ist bei den Bahn- und Busvarianten vergleichbar. Bei den Busvarianten stehen der örtlich besseren und zeitlich häufigeren Bedienung die längeren Reiszeiten und der geringere Komfort verglichen mit der Bahn gegenüber. Die beiden bis 2030 möglichen Varianten, Bahn-Regio (Weiterführung des Ist-Zustandes) oder die Mischvariante Bahn/Bus (ohne Bahnhalte Leissigen und Därligen), sind kosten-, ertrags- und abgeltungsmässig gleichwertig. Ab 2030 ist die Variante Bahn-Flügelzug bezüglich der Abgeltungen attraktiv, solange der Fernverkehr nicht im integralen Halbstundentakt verkehrt. Die deutlich höheren Betriebskosten werden durch höhere Erträge überkompensiert. Allerdings gilt dies nur, wenn sich die erwarteten Mehrerlöse durch Nachfrageverlagerungen vom Fernverkehr auf die Flügelzüge gegenüber der SBB entschädigungslos realisieren lassen.
6 Falls hingegen der integrale Halbstundentakt des Fernverkehrs bereits ab 2030 eingeführt wird, sind die Kostenvorteile einer vorzeitigen Buserschliessung von Leissigen und Därligen aus einer Gesamtsicht sehr gross. In diesem Fall kann der Bund auf die Investitionen in die Haltestelleninfrastruktur verzichten. Bezüglich Variantenentscheids ist zudem zu berücksichtigen, dass die technische Machbarkeit weder des integralen Halbstundentakts im Fernverkehr noch des Flügelzugkonzepts aus heutiger Sicht gesichert sind.