7. Juni 2016 Die Dokumentationspflicht des Arztes Prof. Dr. iur. Regina Aebi-Müller Ordentliche Professorin für Privatrecht und Privatrechtsvergleichung regina.aebi@unilu.ch Der Fall: BGE 141 III 363 Was lässt sich aus der Nicht-Dokumentation eines angeblichen Negativ-Befundes ableiten? BGer: Nur das medizinisch Notwendige ist zu dokumentieren der Negativbefund gehört vorliegend nicht dazu. Aber: Stimmt das? 1
Die Rechtsquellen Auftragsrecht Datenschutzrecht (des Bundes und der Kantone) Kantonales öffentliches Recht Beweisregeln: Art. 8 ZGB und ZPO Zweck der Dokumentation Was sagt uns das Auftragsrecht zur Dokumentation? Die Dokumentation verfolgt im Auftragsrecht mehrere Zwecke: Sorgfältige Erfüllung des Vertrages Erfüllung der Rechenschaftspflicht des Beauftragten Prozessuale Beweissicherung Sollen im Arztrechtdiese Pflichten beschränkt sein? Wenn ja: Mit welcher Begründung? 2
Der Fall: BGE 141 III 363 Indessen ist von Bedeutung, ob man diesen Zwecken (...) den gleichen Stellenwert einräumt. Geht man davon aus, der Zweck der Dokumentation sei vorrangig die Behandlungssicherheit, bestimmt sich das, was aufzuzeichnen ist, nach medizinischen Kriterien, weshalb das Unterbleiben medizinisch nicht relevanter Aufzeichnungen in juristischen Auseinandersetzungen keine beweisrechtlichen Nachteile für den Arzt zur Folge haben kann (...). a.a.o., E. 5.1 Die beweisrechtlichen Folgen einer mangelhaften Dokumentation In der Regel führt die Dokumentationspflichtverletzung nicht direkt zu einer Schädigung, sondern sie ist nur (aber immerhin) im Prozess um eine (andere) Sorgfaltspflichtverletzung von Bedeutung. Von welchen beweisrechtlichen Nachteilen spricht das BGer? Reduktion des Beweismasses Beweiswürdigung Umkehr der Beweislast 3
Das Beweismass Das Beweismass als Grad der Sicherheit, mit welchem die tatbestandsmässigen Tatsachen nachgewiesen werden müssen, um die Rechtsfolge auszulösen. (BK-WALTER) Drei Beweismasse: Regelbeweismass der gerichtlichen Überzeugung ( 90%) Ausnahmebeweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit ( 75%) bei typischer Beweisnot Glaubhaftmachung ( 50%) bei entsprechender Gesetzesgrundlage Soll im Arzt(haftungs)recht anderes gelten? Die Beweiswürdigung Die Beweiswürdigung bezeichnet die richterliche Tätigkeit, die schlussendlich unter Anwendung des Beweismasses zum Entscheid über die Verwirklichung einer Tatsache führt (MEIER). Prinzip der freien Beweiswürdigung hier lassen sich auch Dokumentationsmängel richtig verorten. Konkret: Herabgesetzte Glaubwürdigkeit einer unvollständigen oder sonst mangelhaften Dokumentation. Natürliche Vermutung, dass eine medizinische Massnahme, die nicht dokumentiert wurde, auch nicht durchgeführt wurde? Nur im Einzelfall, nicht als generelle Regel! 4
Die Beweislastumkehr Die Beweislast bestimmt, welche Prozesspartei unterliegt, wenn das Gericht (in freier Beweiswürdigung und in Anwendung des richtigen Beweismasses) ihre Sachverhaltsdarstellung als nicht bewiesen erachtet. Merke: Es gibt keine abgeschwächte Beweislast. Die Beweislast ist nur bei offenem Beweisergebnis relevant. Die Beweislast wird durch das Gesetz bestimmt: Art. 8 ZGB! Gilt im Arztrecht anderes, wenn die Dokumentationspflicht verletzt wurde? Drei Fragen zum Schluss Hat in BGE 141 III 363 die vorzeitige Fixierung auf die (vermeintlichen) prozessualen Nachteile zu einer vorschnellen und falschen Einschränkung der Dokumentationspflicht spezifisch für das Arztrecht geführt? Hat der (flüchtige) Blick ins deutsche Recht den Blick auf die tragenden Grundsätze des schweizerischen Auftrags-und Beweisrechts verstellt? Und war das alles im konkreten Fall wirklich nötig? 5