Wintersemester 2010/2011 Seite 1



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Transkript:

Seite 1 Fall 1 A ist alleiniger Gesellschafter und zugleich Geschäftsführer der A-GmbH. Zu Beginn des Jahres 2008 geriet die GmbH in Liquiditätsschwierigkeiten, weil ein Großkunde ausfiel. Sie zahlte dennoch die bestehenden Lieferantenverbindlichkeiten, um die Geschäftsbeziehungen zu wahren. Anfang Februar 2009 wurde die A-GmbH zahlungsunfähig. Die A-GmbH zahlte ihre ordnungsgemäß angemeldete Umsatzsteuer für die Voranmeldungszeiträume des Jahres 2008 nicht mehr. Die Umsatzsteuerverbindlichkeiten bestanden in derselben Höhe wie die beglichenen Lieferantenverbindlichkeiten. Fragen: 1. Haftet A als Geschäftsführer der A-GmbH für deren Umsatzsteuerrückstände? 2. Die A-GmbH ist die geschäftsführende Komplementärin der A-GmbH & Co. KG. Haftet A, für bestehende Umsatzsteuerschulden der A-GmbH & Co. KG? 3. Neben dem A ist der C als technischer Geschäftsführer der GmbH angestellt. Der Gesellschaftsvertrag bestimmt eindeutig eine klare Trennung der Aufgabenbereiche von A und C. Die Erledigung der steuerlichen Pflichten obliegt danach nur dem A. Haftet C für die Umsatzsteuerrückstände der A-GmbH? Könnte die Finanzbehörde nur ihn in Anspruch nehmen? 4. Dem Betriebswirtschaftler D hat die A-GmbH Prokura erteilt. Nach seinem Arbeitsvertrag ist er für die steuerlichen Belange der A-GmbH zuständig. Könnte D Adressat eines Haftungsbescheides hinsichtlich der genannten Umsatzsteuerverbindlichkeiten sein?

Seite 2 Fall 2 Die Fühl-Dich-Wohl-GmbH betreibt in Bochum ein Wellness-Center. Geschäftsführer sind Manni Muskel, der sich um den Fitness- und Massagebereich kümmert, sowie Gerda Genau, die den kaufmännischen Bereich des Unternehmens betreut. Trotz des anhaltenden Wellnesstrends konnte die GmbH im Herbst 2009 ihre laufenden Zahlungsverpflichtungen nur noch schleppend erfüllen. Darüber haben M und G ein ausführliches Krisengespräch geführt. a) Umsatzsteuervoranmeldungen wurden für November (20.000 EUR) und Dezember 2009 (30.000 EUR) zwar fristgerecht abgegeben, die Vorauszahlungen jedoch nicht erfüllt. b) Für die Ende Januar 2010 zu zahlenden Löhne von 42.000 EUR zzgl. 8.000 EUR Lohnsteuer stellte die Hausbank nach langem Zögern nur 42.000 EUR für die Zahlung der Nettolöhne zur Verfügung. Trotz des Anratens des Lohnbuchhalters nur 35.000 EUR auszuzahlen und 7.000 EUR Lohnsteuer abzuführen, wurde der Betrag vollständig an die Arbeitnehmer ausgekehrt. Nachdem die örtlichen Versorger im Februar 2010 nicht mehr bereit waren, Strom und Wasser zur Verfügung zu stellen, wurde der Wellness-Betrieb geschlossen. Am 5. März 2010 wurde ein Insolvenzantrag gestellt, der im April mangels Masse abgelehnt wurde. Das Finanzamt Bochum-Mitte erließ mit Datum von Donnerstag, 29.04.2010 einen Haftungsbescheid gemäß 191 Abs. 1, 69 AO gegen Manni Muskel und forderte ihn darin zur Zahlung von Steuerschulden der GmbH auf und zwar im Einzelnen: Lohnsteuer für Januar 2010 i.h.v. 8.000 EUR Umsatzsteuer November und Dezember 2009 i.h.v. zusammen 50.000 EUR Säumniszuschläge zur Lohnsteuer für Januar 2010 i.h.v. 240 EUR (3% v. 8.000 EUR) Begründet wird die Inanspruchnahme damit, dass Herr Muskel auf Grund einer umfangreichen Erbschaft zahlungsfähiger sei, als Frau Genau. Herr Muskel übergab die Sache einem Steuerberater, der gegen den Bescheid am 03.06.2010 per Telefax Einspruch erhob und diesen damit begründete, dass Frau Genau für den steuerlichen Bereich zuständig gewesen sei, sich das Finanzamt also an sie halten müsse. Außerdem sei die GmbH Schuldnerin der Ansprüche, Herr Muskel schulde also höchstens den auf ihn persönlich entfallenden Lohnsteueranteil von 1.000 EUR. Hinzu komme, dass die Umsatzsteuer mangels Liquidität nicht beglichen werden konnte. Bereits am 15.11.2009 bestanden Verbindlichkeiten von 200.000 EUR. Bis 15.01.2010 seien für Löhne und Lohnnebenkosten 140.000 EUR aufgebracht worden und zugleich weitere Verbindlichkeiten i.h.v. 110.000 EUR fällig geworden. Dem hätten nur Zahlungseingänge von 250.000 EUR gegenüber gestanden. 1. Wird der Einspruch des Steuerberaters Erfolg haben? 2. Was kann Herr Muskel im Falle eines Nichterfolges unternehmen?

Seite 3 Lösungsskizze (Es handelt sich hier lediglich um Lösungshinweise und nicht um eine Musterlösung!) Einführung in die Haftung im Steuerrecht: I. Unterscheidung zwischen Schuld und Haftung Steuerschuldner: 43 S. 1 AO: Derjenige Beteiligte am Steuerschuldverhältnis, der verpflichtet ist, die Steuer für eigene Rechnung selbst zu entrichten. Haftungsschuldner: 69 S. 1 AO: - Derjenige Beteiligte am Steuerschuldverhältnis, der verpflichtet ist, für eine fremde Schuld einzustehen. - Begriffsnotwendig nicht Steuerschuldner (BFH BStBl. II 1977, 255). - Aber zusammen mit dem Steuerschuldner Gesamtschuldner, 44 I AO. II. Zweck der Haftung: - Fiskalische Gesichtspunkte: Mehrfache Absicherung derselben Steuerschuld. - Möglichst weite Ausdehnung des Steuerschuldverhältnisses. III. Grundprinzipien: - Akzessorietät zur Steuerschuld: Haftungsschuld entsteht nur, wenn gleichzeitig eine Steuerschuld entstanden ist. - Grundsatz: Subsidiarität der Haftung im Erhebungsverfahren, 219 S.1 AO: Inanspruchnahme des Haftenden nur, soweit - die Vollstreckung in das Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben ist oder - anzunehmen ist, dass sie aussichtslos sein würde. Aufhebung dieses Grundsatzes in 219 S. 2 AO, keine Subsidiarität, wenn - Haftungsschuldner = Steuerhinterzieher oder Steuerhehler oder - bei Haftung für Quellensteuern (LSt, KapESt) - Opportunität der Haftung: Inanspruchnahme steht im pflichtgemäßen Entschließungs- und Auswahlermessen der Behörde, 191 I AO. IV. Gesetzliche Grundlagen: - materielles Recht: 69 76, 191 I AO (Haftung kraft Gesetzes ); Unterscheide persönliche & dingliche Haftung - Verfahrensvorschriften: 191, 192, 219, 76 V AO - Haftungstatbestände: o 69 76 AO o 42d EStG (Haftung für die LSt des ArbG) o 44 V EStG (Haftung für Kapitalertragsteuer) o 45a VII EStG (Haftung des Entrichtungspflichtigen der Kap-ESt) o 13c, 25d UStG (Haftung des Abtretungsempfängers bei Abtretung, Verpfändung oder Pfändung von Forderungen; Haftung für die schuldhaft nicht abgeführte Steuer) o 20 III, V ErbStG (Nachlasshaftung u.a.) o u.a. (siehe Tipke/Kruse, Vor 69 AO, Tz. 3, zu Haftungstatbeständen des Privatrechts, Tz. 22-61) (Literaturhinweise: Bröder, SteuStud 2005, Beilage 2, 1-48; Tipke/Kruse, 69, 191 AO)

Seite 4 Fall 1 1. Frage: Haftung aus 69 AO? 1. Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, 37 I AO Umsatzsteuerschuld 2008 = Steueranspruch 2. Steuerschuld der A-GmbH Schuldner der USt ist die A-GmbH, 13a I Nr. 1, 2 I UStG => für den A fremde Steuerschuld. 3. Gesetzlicher Vertreter der GmbH i.s.d. 34 I 1 AO A = gesetzlicher Vertreter der A-GmbH, 35 I GmbHG 4. Verletzung einer steuerlichen Pflicht i.s.d. 69 S. 1, 34 I 2 AO Pflicht: Sorge zu tragen, dass die Steuern aus den verwalteten Mitteln entrichtet werden Hier: Nichtzahlung der angemeldeten USt Aber: Liquiditätsschwierigkeiten der A-GmbH In gleicher Höhe wie die Steuerschulden bestanden auch Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen gegenüber Geschäftspartnern Grundsätze: - Pflichtverletzung nur gegeben, wenn genügend liquide Mittel für die Tilgung der Steuerschulden zur Verfügung stehen - Steuerschulden nicht nachrangig zu privatrechtlichen Schulden. Ständige Rechtsprechung: Grundsatz der anteiligen Tilgung von Steuerschulden und anderen Verbindlichkeiten (BFH BStBl. II 2001, 271; 1993, 8; 1990, 201; 1984, 776; Tipke/Kruse, 69 AO, Tz. 34) Hier: Pflichtverletzung bei Bevorzugung der privaten Gläubiger gegenüber dem Steuergläubiger Pflichtverletzung durch die hälftige Nichtzahlung der USt 5. Verschulden, 69 S. 1 AO Vorsätzliche oder grob fahrlässige Pflichtverletzung Vorsätzlich handelt, wer seine Pflichten kannte und ihre Verletzung wollte (BFH BStBl. II 1983, 655).

Seite 5 Hier: - A kannte seine Pflicht, die angemeldete USt zu den gesetzlichen Fälligkeitsterminen ( 18 I UStG) abzuführen - Er verletzte diese Pflicht zugunsten der Wahrung der Geschäftsbeziehungen. Rückschluss: Dies wollte er auch. Verschulden (+) 6. Schadensumfang - Schaden des Steuergläubigers: in vollem Umfang der nicht erfüllten USt - Aber: Ursächliche Pflichtverletzung für den Schaden? Nur in Höhe von 50% der USt-Schuld 7. Ergebnis A haftet unbeschränkt und persönlich für die Hälfte der rückständigen USt 2008, 69 S. 1 AO. 2. Frage Die A-GmbH haftet als Komplementärin der KG aus 128, 161 II HGB für Steuern der KG. A wiederum haftet als Geschäftsführer der GmbH für deren Haftungsschulden, s.o. 3. Frage Problem des Verschuldens: Grundsatz der Gesamtverantwortung: Jeden Geschäftsführer trifft die Pflicht der Geschäftsführung im Ganzen. Ausnahme: Verschulden abhängig vom Tätigkeitsbereich Voraussetzung: Begrenzung der Tätigkeitsbereiche durch eine vorweg getroffene, eindeutige und schriftliche Klarstellung. Hier: Der Gesellschaftsvertrag enthält von vorn herein eine klare Trennung der Tätigkeitsbereiche. Aber: Überwachungspflicht der nicht mit steuerlichen Angelegenheiten betrauten Geschäftsführer ( 43 I GmbHG), die sich zu einer Pflicht der inhaltlichen Überprüfung steigert, wenn die wirtschaftliche Lage des Unternehmens dazu Anlass geben. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass in der Liquiditätskrise eine besondere Überwachungspflicht besteht und dass eine intern zwischen Vertretern einer Kapitalgesellschaft vereinbarte Aufgabenverteilung in einer solchen Situation keine haftungsbegrenzende Wirkung mehr entfalten kann.

Seite 6 Hier: Liquiditätsengpass bereits Anfang 2008; Zahlungsschwierigkeiten drängten sich auf Nichtüberprüfung dieser Vorgänge zumindest grob fahrlässig, mithin schuldhaft. Haftung nach 69 S. 1 AO auf die Hälfte der USt. Darf das FA den C in Anspruch nehmen, ohne auf A zurückzugreifen? Fehlerhafte Ausübung des Auswahlermessens, 191 I 1 AO? Nach der gesellschaftsrechtlichen Regelung war allein A zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten verpflichtet. Wohl nicht mehr ermessensgerecht, den C allein in Anspruch zu nehmen. Möglich wäre Inanspruchnahme als Gesamtschuldner zusammen mit A (offen gelassen von BFH BStBl. II 1998, 761). 4. Frage: Problem: Gehört der Prokurist zum Adressatenkreis der 34, 35 AO? Verfügungsberechtigter i.s.d. 35 AO? Auftreten im eigenen oder fremden Namen Prokura bewirkt eine gerichtliche und außergerichtliche Vertretungsmacht, 49 HGB. Auftreten im fremden Namen (+) Einschränkende Auslegung des 35 AO durch die Rechtsprechung: Erfüllung von steuerlichen Pflichten gehört zum Pflichtenkreis des Verfügungsberechtigten. Hier: (+) Haftung nach 69 S. 1 AO auf die Hälfte der USt. Fall 2 Frage 1: Der Einspruch des M wird Erfolg haben, wenn er zulässig und begründet ist. A. Zulässigkeit des Einspruchs I. Statthaftigkeit des Einspruchs, 347 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO Vorliegen eines Verwaltungsakts ( 118 AO) in Abgabenangelegenheiten ( 347 Abs. 2 AO) II. Einspruchsbefugnis Beschwer i.s.d. 350 AO M erfährt durch die Inanspruchnahme eine Belastung III. Form Gemäß 357 Abs. 1 S. 1 AO ist der Einspruch schriftlich einzureichen. Gemäß der Rspr. genügt ein Telefax dieser Form. Der Einspruch wurde bei der nach 357 Abs. 2 AO zuständigen Behörde eingereicht.

Seite 7 Die in 357 Abs. 3 AO genannten Inhalte soll der Einspruch lediglich enthalten. Sie sind nicht zwingend erforderlich. IV. Frist Die Einspruchsfrist beträgt gem. 355 Abs. 1 S. 1 AO einen Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts (beachte jedoch 356 AO). Fristberechnung: Bekanntgabe gem. 108 Abs. 1, 3 AO, 187 BGB, 122 Abs. 2 Nr. 1 AO: 03.05.2010 (Bekanntgabefiktion als echte Frist, BFH v. 14.10.2003, BStBl. II 2003, 898) Fristende: 03.06.2010 Der Einspruch wurde demnach fristwahrend eingelegt. V. Ergebnis Der Einspruch des M ist zulässig. Begründetheit des Einspruchs I. Ermächtigungsgrundlage Die Finanzbehörde hat den Haftungsbescheid auf Grundlage der 191 Abs. 1, 69 AO erlassen. II. Formelle Rechtmäßigkeit 1. Zuständigkeit: 17, 20 Abs. 1, 21 Abs. 1 S. 1 AO 2. Form: schriftlich gem. 191 Abs. 1 S. 3 AO; inhaltliche Bestimmtheit durch Benennung des Haftungsschuldners und die Steuern, für welche gehaftet wird (s. 119 Abs. 1 AO); gemäß 121 Abs. 1 AO begründet. 3. Verfahren: 91 Abs. 1, 126 Abs. 1 Nr. 3 AO III. Materielle Rechtmäßigkeit 1. Vorliegen einer Steuerschuld (+) 2. Gesetzlicher Vertreter i.s.d. 34 AO M ist als Geschäftsführer gem. 35 Abs. 1 GmbHG gesetzlicher Vertreter der Fühl-Dich- Wohl-GmbH. 3. ihm auferlegte Pflicht Er hat gem. 34 Abs. 1 AO die steuerlichen Pflichten der GmbH zu erfüllen. Dazu gehört es, dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den von ihm verwalteten Mitteln entrichtet werden. Auch wenn ein anderer Geschäftsführer für Steuerangelegenheiten zuständig ist, müssen die Mitgeschäftsführer, sobald für sie erkennbar ist, dass die Angelegenheiten der GmbH nicht mehr ordnungsgemäß erfüllt werden, einschreiten. Sie trifft eine Überwachungspflicht, die sich zu einer inhaltlichen Überprüfungspflicht steigert, wenn die wirtschaftliche Lage dazu Anlass gibt; die Verantwortung kann nicht vollständig aufgehoben werden ( 37 Abs. 2 GmbHG; BFH v. 26.4.1984, BStBl. 1984, 776, 778). Droht der Gesellschaft die Zahlungsunfähigkeit, lebt die Verpflichtung zur Wahrnehmung der Gesamtbelange in vollem Umfang wieder auf (BFH v. 13.3.2003, BStBl. II 2003, 556, 560).

Seite 8 4. vorsätzliche oder grob fahrlässige Pflichtverletzung a) hinsichtlich der Lohnsteuer Die Abführungspflicht bezüglich der Lohnsteuer ergibt sich aus 34 AO i.v.m. 41a Abs. 1 Nr. 2 EStG. Bei Liquiditätsschwierigkeiten ist die Lohnsteuer gleichrangig mit den ausgezahlten Nettolöhnen zu entrichten, da Lohnsteuer nur bei Zufluss von Arbeitslohn entsteht (ständige Rechtsprechung, z.b.: BFH v. 20.4.1982, BStBl. II 1982, 521; v. 26.7.1988, BStBl. II 1988, 859; v. 31.3.1998, BFH/NV 1998, 1321). Der Einwand der Zahlungsunfähigkeit greift daher nicht durch. Das folgt aus dem System des Lohnsteuerabzugsverfahrens, wonach es sich bei der abzuführenden Lohnsteuer um den einbehaltenen Teil der Löhne handelt. Der Einwand, die Hausbank habe lediglich Geld für die Nettolöhne zur Verfügung gestellt, ist unerheblich. Privatrechtliche Vereinbarungen können eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung nicht aufheben (BFH v. 12.7.1983, BStBl. II 1983, 655, 656 f.). Durch den Hinweis des Buchhalters wusste M, wie richtigerweise zu Handeln gewesen wäre. Hinsichtlich der Nichtabführung handelte er also vorsätzlich. b) hinsichtlich der Umsatzsteuer Nach 34 AO i.v.m. 18 Abs. 1 UStG waren die Geschäftsführer verpflichtet, am 10.12.2008 die Umsatzsteuer für den November und am 10.01.2010 für den Dezember zu entrichten. Da die eingegangenen Mittel für die Befriedigung aller Gläubiger nicht ausgereicht hätten, wäre eine anteilige Erfüllung der Umsatzsteuerschulden angezeigt gewesen (BFH v. 8.7.1982, BStBl. II 1983, 249). Die Geschäftsführer dürfen Steuerschulden nicht schlechter behandeln als andere Verbindlichkeiten. Da M dafür trotz Kenntnis der Liquidationsschwierigkeiten nicht gesorgt hat, handelte er zumindest grob fahrlässig. c) hinsichtlich der Säumniszuschläge Nach 69 S. 2 AO haften die Geschäftsführer auch für Säumniszuschläge ( 240 AO), die in Folge einer zumindest grob fahrlässigen Pflichtverletzung zu zahlen waren. Es kommt also auf eine Pflichtverletzung beim Entstehen der Säumniszuschläge an (BFH v. 26.7.1988, BStBl. II 1988, 859, 862). M hat eine Pflichtverletzung begangen, indem er die Lohnsteuer nicht an das Finanzamt abführte. [Berechnung der Säumniszuschläge, 240 AO: 1% für jeden angefangenen Monat nach Fälligkeit. Fälligkeit für die LSt: 41a S. 1 Nr. 2 EStG 10. Tag des Folgemonats. Hier: LSt für Januar fällig bis zum Ablauf des 10. Februars. Säumniszuschlag ab dem 11. Februar.] Ab 5.3.2010 bestand nachweislich Zahlungsunfähigkeit der GmbH. Danach entstandene Säumniszuschläge verlieren ihren Charakter als Druckmittel und sind der GmbH aus sachli-

Seite 9 chen Billigkeitsgründen gemäß 227 AO zu erlassen (BFH v. 8.3.1984, BStBl. II 1984, 415). Der BFH argumentiert im Urteil vom 26.7.1988, BStBl. II 1988, 859, 862 mit der Akzessorietät der Haftungsschuld. Darauf könne sich der Haftungsschuldner bei der Inanspruchnahme berufen und geltend machen, dass die bestehenden sachlichen Billigkeitsgründe auch ihm zu Gute kommen müssten, weshalb er im Ergebnis nur in Höhe des Säumniszuschlags für einen Monat haftet. 5. Nichterfüllung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis M hat als Geschäftsführer nicht veranlasst, dass die ausstehenden Steuerschulden beglichen werden. 6. Haftungsumfang a) hinsichtlich der Lohnsteuer Da die Haftung Schadensersatzcharakter hat und auf die Pflichtverletzung beschränkt ist, (BFH v. 5.9.1989, BStBl. II 1989, 979; v. 11.6.1996, BFH/NV 1997, 7, 8), kommt eine Haftung nur hinsichtlich der Beträge in Betracht, die bei einer Kürzung der Nettolöhne zu entrichten gewesen wären, mithin 7.000 EUR (a.a.: Loose in:tipke/kruse, 69 Tz. 41). Fraglich erscheint noch, ob M auch als Haftungsschuldner für die auf ihn entfallende Lohnsteuer in Anspruch genommen werden kann, denn die Stellung eines Steuerschuldners ist mit der eines Haftungsschuldners grundsätzlich unvereinbar. Da M zwar Steuerschuldner, nicht aber steuerentrichtungspflichtig ist, kann er in diesem Fall jedoch auch für die nicht abgeführte Lohnsteuer in Anspruch genommen werden, die auf seinen eigenen Arbeitslohn entfällt (BFH v. 15.4.1987, BStBl. II 1988, 167). b) hinsichtlich der Umsatzsteuer Um den Umfang der Haftung zu bestimmen, ist die anteilige Tilgungsquote überschlägig zu berechnen, wobei auf den gesamten Haftungszeitraum abzustellen ist und auch die Personalaufwendungen mit in die Berechnung eingehen müssen (ständige Rechtsprechung: BFH v. 7.11.1990, BStBl. II 1990, 201; 1.8.2000, BStBl. II 2001, 271). Es bestanden Schulden von 500.000 EUR (Anfangsbestand von 200.000 + 140.000 für Löhne + 110.000 zusätzliche Verbindlichkeiten + 50.000 für Umsatzsteuer). Eingegangen sind demgegenüber 250.000 EUR; das entspricht einer Quote von 50%. Die GmbH hätte also 25.000 EUR an Umsatzsteuern an das Finanzamt abführen müssen. In dieser Höhe haftet M. c) hinsichtlich der Säumniszuschläge M haftet aufgrund der Minderung der Lohnsteuerschuld auf 7.000 EUR in Bezug auf den Säumniszuschlag nur i.h.v. 70 EUR (s.o.).

Seite 10 7. Ermessen Die Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid steht gemäß 191 Abs. 1 AO im Ermessen ( 5 AO) der Finanzverwaltung. Da die GmbH zahlungsunfähig ist und damit Vollstreckungsmaßnahmen gegen sie nicht mehr möglich sind, ist es ermessensgerecht, dass das Finanzamt einen Haftungsschuldner in Anspruch nimmt (Entschließungsermessen). Auch das Auswahlermessen wurde ausgeübt. Jeder von mehreren gesamtschuldnerisch Haftenden kann auf die volle Höhe in Anspruch genommen werden, zumal wenn die Aussicht besteht, dass der Anspruch durchsetzbar ist. [Kritischer: das Ermessen ist differenzierter auszuüben und das FA hat den Sachverhalt umfassend zu ermitteln. Es müssten gewichtige Gründe für die ausschließliche Inanspruchnahme des M sprechen. Denn für G gilt derselbe Haftungstatbestand wie für M. Für die Inanspruchnahme des M spricht wohl tatsächlich dessen finanzielle Ausstattung, die besser als die der G zu sein scheint ( zahlungsfähiger ). Weitere Aspekte in der Ermessensausübung können aber auch die Differenzierung nach der internen Geschäftsverteilung oder dem Grad der Verantwortung sein. Dabei sind die Ermessenserwägungen darzulegen, insb. warum der Haftungsschuldner anstelle anderer Personen in Anspruch genommen wird.] B. Ergebnis Der Einspruch des M ist zulässig, aber nur teilweise begründet. Das Finanzamt wird den Haftungsanspruch auf 32.070 EUR reduzieren. Das tut es entweder in einer förmlichen Einspruchsentscheidung ( 366 AO) oder sie hilft dem Einspruch teilweise ab, indem der Haftungsbescheid nach 367 Abs. 2 S. 3 i.v.m. 132 AO korrigiert wird. Im Übrigen wird der Einspruch in einer Einspruchsentscheidung als unbegründet zurückgewiesen oder der Steuerpflichtige gebeten, den Einspruch insoweit zurückzunehmen bzw. für erledigt zu erklären. (Zur Haftung des gesetzlichen Vertreters: Elbs/Ehrenhuber, SteuStud 2003, 586-588. Zur Haftung allgemein: Fallstudie von Bleschick/Reddig, SteuStud 2002, 100-116.) Frage 2: Gemäß 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist der Finanzgerichtsweg gegeben. M könnte eine Anfechtungsklage i.s.d. 40 Abs. 1 FGO (Aufhebungsklage) erheben. Er wäre gemäß 40 Abs. 2 FGO beschwert und hätte das gemäß 44 Abs. 1 FGO erforderliche außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren durchgeführt. Er müsste die Monatsfrist des 47 FGO beachten und kann den Rechtsstreit vor dem FG selber führen ( 62 I FGO) oder sich gemäß 62 II FGO vertreten lassen. Vor dem BFH besteht gemäß 62 IV FGO Vertretungszwang. (Zum finanzgerichtlichen Verfahren: Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht 20, 22 Rz. 60-269; Aufsatzreihe von Harenberg/Kanzler, SteuStud 2002, 544-549; 586-588; 666-674; SteuStud 2003, 14-26; 101-106)