Übung im Privatrecht II Sommersemester 2013 Fall 1: Teures Liebhaberstück (frei nach BGH Urteil v. 28.03.2012; Az. VIII ZR 244/10) Karl (K) ist ein großer Fan von Designerhandys. Als er bei ebay das Angebot des Viktor (V) zum Verkauf eines Vertu-Handys (Neupreis 24.000,- EUR) entdeckte, war sein Interesse sofort geweckt. Das Gerät wurde zu einem Startpreis von einem Euro angeboten. Die Angebotsseite enthielt folgenden Beschreibungstext: Hallo an alle Liebhaber von Vertu ihr bietet auf ein fast neues Handy (wurde nur zum Ausprobieren ausgepackt). Weist aber ein paar leichte Gebrauchsspuren auf (erwähne ich der Ehrlichkeit halber). Hatte 2 ersteigert und mich für das gelb goldene entschieden ( ) Privatverkauf, daher keine Rücknahme. Viel Spaß beim Bieten. Beigefügt war ein Foto, das ein Handy abbildete, das nicht von einem originalen Vertu-Handy zu unterscheiden war. K gab in der Auktion ein Maximalgebot von 1.999,- EUR ab und erhielt schließlich den Zuschlag für 782 EUR. Als wenige Tage später das Handy bei K eintraf, setzt bald Ernüchterung ein. Denn bei näherer Prüfung musste K feststellen, dass es sich bei dem Handy um ein (durchaus gut gemachtes) Plagiat und nicht um ein Original Vertu-Handy handelte. K verlangt daraufhin von V Schadensersatz i.h.v. insgesamt 23.218,- EUR als der Differenz zwischen dem gezahlten Kaufpreis und dem objektiven Wert eines Vertu-Handys. V ist allenfalls bereit, K den Kaufpreis zurückzuzahlen, wenn dieser ihm das Handy zurückgibt (übereignet). Frage: Hat K gegen V einen Anspruch auf Schadensersatz i.h.v. 23.218,- EUR? 1
Lösungsskizze K könnte gegen V einen Anspruch auf Schadensersatz i.h.v. 23.218,- EUR gem. 281 Abs. 1 und 2, 280 Abs. 1, 440, 437 Nr. 3 BGB haben. Kaufvertrag zwischen K und V über den Verkauf eines original Vertu-Handys (+) - Willenserklärung (Angebot) des V durch Einstellen der Angebotsseite? - Ist das Einstellen eines Gegenstandes bei ebay eine auf den Abschluss eines Kaufvertrags gerichtete Willenserklärung? - möglicherweise fraglich im Hinblick auf den Bindungswillen des V - Vorliegen von Bindungswillen ist durch Auslegung ( 133 u. 157 BGB) der Erklärung des V zu ermitteln - Maßstab: objektiver Empfängerhorizont; wie musste ein verständiger Rechtsadressat die Erklärung verstehen? - => Erklärung ist hier abzugrenzen von der invitatio ad offerendum, bei der kein Bindungswille des Erklärenden vorliegt - da V sich gegenüber dem Höchstbieter jedoch erkennbar binden will, liegt eine verbindliche, auf den Abschluss eines Kaufvertrags gerichtete, Willenserklärung und keine bloße invitatio ad offerendum vor - Hinweis: z.t. wird das Einstellen als vorweggenommene Erklärung der Annahme einer Angebotserklärung des Höchstbieters betrachtet (der Streit hat aber nur dogmatische Bedeutung; vgl. auch Fall 5) - in jedem Fall liegt auf Seiten des V eine wirksame Willenserklärung gerichtet auf den Abschluss eines Kaufvertrags vor 2
- Zugang (+) - K kann die Erklärung auf seinem Rechner zur Kenntnis nehmen => ist unproblematisch zugegangen - Inhalt der Willenserklärung des V? - Fraglich könnte hier die inhaltliche Interpretation der Erklärung sein. Namentlich ob hier ein Plagiat oder ein Original zum Verkauf angeboten wurde. - neben der Frage ob überhaupt eine Willenserklärung vorliegt, ist auch der Inhalt der zugegangenen Erklärung durch Auslegung zu ermitteln - empfangsbedürftige Willenserklärung => Empfängerhorizont maßgeblich ( 133, 157 BGB) - hier Andeutungen, die K auf ein Original schließen lassen: - für Liebhaber (Wortlaut) - Bild sieht dem Original zum Verwechseln ähnlich - kein ausdrücklicher Hinweis auf ein Plagiat - grundsätzlich darf K darauf vertrauen, dass V keine Plagiate anbietet - => diese Umstände sprechen dafür, dass K auf die Echtheit des Handys vertrauen durfte - niedriger Startpreis steht dem auch nicht per se entgegen, da Versteigerungen (im Internet) eigene Dynamik haben => man kann regelmäßig mit deutlich höherem Gebot rechnen - Festsetzung des Startpreises von einem Euro spart Kosten, die sonst zu Lasten des V gegenüber ebay anfallen würden - => dem Startgebot kommt nur untergeordnete Bedeutung zu 3
- schließlich hat auch der Hinweis darauf, dass V selbst das Gerät nur ersteigert hat, nur untergeordnete Bedeutung, steht insbesondere nicht der Annahme eines Originalgerätes entgegen - => die Erklärung ist objektiv als Angebot zum Verkauf des Handys als ein Originalgerät auszulegen - (andere Ansicht mit entsprechender Begründung jedoch gut vertretbar) - Willenserklärung (Annahme) des K durch Abgabe des Höchstgebots? - Abgabe des Höchstgebots ist ohne weiteres Willenserklärung - Abgabe des (späteren) Höchstgebots ist auch eine bindende Erklärung => man muss sich an seinem Gebot festhalten lassen, wenn man den Zuschlag bekommt - K nimmt das Angebot des V an - Zugang (+) - ebay ist Empfangsvertreter ( 164 Abs. 3 BGB) des V - => Erklärung ist dem V mit Eingang des Gebots des K bei ebay zugegangen - Inhalt der Erklärung - die Annahme des Angebots erfolgt dabei mit dem Inhalt, den es durch Auslegung erhält => K nimmt das Verkaufsangebot eines originalen Vertu-Handys an - (vom Horizont des V aus nimmt K das Angebot an, wie es diesem zugegangen ist => K nimmt also das ausgelegte Angebot über ein Originalgerät an); über den tatsächlichen Inhalt der Annahme des K macht V sich hingegen keine Gedanken, da er nicht mit der Interpretation (Auslegung) seiner Erklärung i.s.d. Angebots eines Originals rechnet - => es liegt kein Dissens ( 154 f. BGB), sondern äußerer Konsens vor Zwischenergebnis: Ein Kaufvertrag zwischen V und K über den Verkauf eines originalen Vertu-Handys ist zustande gekommen. 4
Nichtigkeit des Kaufvertrags wegen Wuchers gem. 138 Abs. 2 BGB? - grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung kann sittenwidrig sein, wenn bestimmte subjektive Verdachtsmomente hinzutreten; z.b. Ausnutzung einer Drucksituation oder der Überlegenheit einer Partei - Wucher kann dabei auch gegeben sein, wenn unangemessen niedriger Preis angeboten wird! - grobes Missverhältnis ist nach der Rspr. bei wertvollen Sachen gegeben, wenn der Wert der Leistungen mehr als 100 Prozent differiert - hier ist K (zunächst) bereit, maximal 1999,- zu bieten => Wert von Leistung und Gegenleistung differieren um den Faktor 12! - allerdings ist nach dem BGH gleichwohl nicht per se auf die niedrige Gesinnung des K zu schließen, denn es muss mit anderen Angeboten von Dritten gerechnet werden => keine Drucksituation für V, die K ausnutzt - zudem hätte K jederzeit sofern erforderlich noch höher bieten können - => nach dem BGH keine Sittenwidrigkeit - (andere Ansicht gut vertretbar) Sachmangel ( 434 BGB) der Kaufsache (+) - Mangel ist per Definition eine negative Abweichung der Istbeschaffenheit der (Kauf-) Sache von deren Sollbeschaffenheit - Maßstab beim Sachmangel 434 BGB - hier war (nach Auslegung) ein original Vertu-Handy verkauft - Beschaffenheitsvereinbarung gem. 434 Abs. 1 Satz 1 BGB lag hier wohl nicht vor - nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung 8 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB) ebenfalls nicht explizit vereinbart - keine Eignung für die gewöhnliche Verwendung gem. 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB - Handy als Original verkauft (Auslegung) - => gewöhnlich muss es Originaleigenschaft haben - => Plagiat eignet sich in diesem Sinne nicht zur gewöhnlichen Verwendung 5
Kein Anspruchsausschluss wegen Kenntnis des K vom Mangel gem. 442 Abs. 1 BGB - wenn K bei Vertragsschluss wusste oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht wusste, dass es sich nicht um ein Original handelte, sind Sachmangelgewährleistungsansprüche ausgeschlossen - sofern man (wie hier) den Vertragsschluss über ein original Vertu-Handy bejaht, lässt sich dies kaum widerspruchsfrei begründen - die Argumentation ist hier ähnlich der beim Vertragsschluss - => der BGH steht auf dem Standpunkt, dass allein der Startpreis von einem Euro noch kein eindeutiger Anhaltspunkt für die fehlende Echtheit des Handys darstellt - (andere Ansicht gut vertretbar) Pflichtverletzung des V (+) - gem. 433 Abs. 1 Satz 2 BGB Pflicht zu mangelfreier Leistung - hier verletzt, da Handy sachmangelhaft (s. oben) Vertretenmüssen des V (+) - 276 Abs. 1 Satz 1 BGB: der Schuldner (hier in Bezug auf die Lieferung des Handys also V) hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten - hier hat V wissentlich und willentlich, also vorsätzlich, ein Plagiat geliefert, jedoch war ihm nicht bewusst, dass er zur Lieferung eines Originals verpflichtet war => kein Vorsatz - aber V handelte fahrlässig gem. 276 Abs. 2 BGB, da er hätte erkennen können, dass der Kaufvertrag über ein Original zustande kam => er ließ insoweit die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht Fristsetzung zur Leistung (Nacherfüllung) gem. 281 Abs. 1 BGB entfällt nach Abs. 2 - grundsätzlich Nacherfüllung ( 437 Nr. 1, 439 BGB) gem. 281 Abs. 1 Satz 1 a.e. BGB vorrangig - diesbezüglich grundsätzlich Aufforderung und Fristsetzung durch K erforderlich 6
- => der Verkäufer hat gem. 439 Abs. 1 BGB ein Wahlrecht, ob er den Mangel beseitigt oder eine mangelfreie Sache liefert - hier aber wohl endgültige Weigerung des V zur Nacherfüllung, anzunehmen (Ergebnis der Auslegung [ 133, 157 BGB] seiner Erklärung, das Gerät lediglich zurücknehmen zu wollen) - zudem ggf. besondere Umstände i.s.d. 281 Abs. 2 BGB - Nachbesserung ( 439 Abs. 1 Var. 1 BGB) wäre hier ein objektiv unmögliches Versetzen des verkauften Handys in den Zustand eines Originalgerätes => scheidet aus - ob es dem Käufer zuzumuten und möglich ist, als Ersatzlieferung ( 439 Abs. 1 Var. 2 BGB) ein Originalgerät (gleichen Alters, Bauart usw.) aufzutreiben, ist Einzelfallfrage, die hier jedoch offen bleiben kann, da V die Nacherfüllung ablehnt Rechtsfolge Schadensersatz: - Was für ein Schadensersatz? - beim Schadensersatz wg. eines Mangels unterscheidet man zwischen dem kleinem Schadensersatz (neben der [erbrachten] Leistung) und dem großem Schadensersatz (statt der ganzen Leistung) - Schadensersatz statt der ganzen Leistung liegt vor, wenn die Kaufsache zurückgegeben und nur Schadensersatz verlangt wird - beim Schadensersatz neben der [erbrachten] Leistung behält der Käufer die Kaufsache und verlangt für die Differenz Ersatz, die zum Zustand bei mangelfreier Leistung besteht - hier will K die Wertdifferenz zu einem original Handy, also kleinen Schadensersatz neben der Leistung => er ist so zu stellen, wie er stünde, wenn V mangelfrei erfüllt hätte - Umfang des Schadensersatz - Grundsatz: Naturalrestitution gem. 249 Abs. 1 BGB => den Zustand wieder herstellen, der ohne das Schädigende Ereignis (hier also der Mangelhaftigkeit) bestünde 7
- hätte V den Kaufvertrag mangelfrei erfüllt, besäße K ein 24.000,-EUR Handy abzüglich des dafür aufgewendeten Kaufpreise - => sein Schaden besteht also in der Wertdifferenz zum tatsächlichen Kaufpreis Ergebnis: K hat gegen V einen Schadensersatzanspruch i.h.v. 23.218,- EUR gem. 281 Abs. 1 und 2, 280 Abs. 1, 440, 437 Nr. 3 BGB. 8