Beitrag: Abschuss von Flug MH17 Den Tätern auf der Spur

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1 Manuskript Beitrag: Abschuss von Flug MH17 Den Tätern auf der Spur Sendung vom 29. Januar 2019 von Joachim Bartz Anmoderation: MH17. Das war einmal das Kürzel für einen Flug, der in die Ferne führte, in den Urlaub. Inzwischen steht MH17 für den Tod. Die Boeing der Malaysia Airlines, in Amsterdam gestartet und auf dem Weg nach Kuala Lumpur, war über der Ostukraine abgeschossen worden. Alle 298 Menschen an Bord starben. Am 17. Juli 2014 um Uhr fallen im russisch besetzten Donbass Trümmer vom Himmel. Hier Amateuraufnahmen. Der Absturzort: ein Kornfeld, das zum Inferno wird. Verbrannte Trümmer, zerplatzte Rollkoffer. Überall Tote, Frauen, Männer, Kinder - 80 Kinder. Die Ermittler machen als Tatwaffe eine Rakete des russischen Militärs aus. Moskau leugnet das bis heute. Doch es gibt neue Spuren. Unser Reporter Joachim Bartz ist ihnen nachgegangen. Text: Wer hat MH17 abgeschossen? Wer ist verantwortlich für den Tod von 298 Menschen? Ich treffe Piet Ploeg. Er hat drei Angehörige verloren: seine Schwägerin Edith, damals 53 Jahre alt, seinen Bruder Alex, 58, und seinen Neffen Robert, 21. O-Ton Piet Ploeg, Angehöriger: Ich saß mit Kollegen bei einem Glas Wein, als einer die Nachricht auf seinem Smartphone sah. Ich bin sofort los, hab zu meinen Kollegen gesagt: Ich muss weg - mein Bruder, seine Frau und sein Sohn saßen in diesem Flugzeug. Ich bin also sofort ins Auto gesprungen, hab meine Frau angerufen und gesagt: Komm nach Hause, komm nach Hause, mein Bruder ist tot! Mein Bruder hatte außer seinem Sohn Robert noch zwei Töchter. Die habe ich angerufen und bin zu ihnen gefahren. Wir haben die Flugdaten überprüft und es stimmte. Ich werde das Bild nie vergessen, wie sich die Mädchen weinend in die Arme fielen, als klar war, dass Vater, Mutter

2 und Bruder tot waren. Die Leiche seines Bruders Alex blieb verschollen. Die seiner Schwägerin Edith wurde gefunden, sie sah aus, als würde sie schlafen. Sein Neffe Robert wurde zerfetzt. Am Absturzort überall Leichenteile. O-Ton Piet Ploeg, Angehöriger: Ich begreife nicht, warum es passierte. Das macht mir große Sorgen. Dass keine Fehler zugegeben werden. War es Absicht oder Irrtum? Wer war das? Wer hat den Befehl gegeben? Wer ist schlussendlich verantwortlich? Rückblick. Im Sommer 2014 befindet sich die Ukraine im Krieg. Russland hat die Halbinsel Krim annektiert und im Osten des Landes bringen Separatisten den Donbass unter ihre Kontrolle. Sie werden von Russland unterstützt. MH17 wird über dem Donbass abgeschossen. Getroffen wurde MH17 von einer Buk, einem Flugabwehr-Raketensystem russischer Bauart. Der ukrainische Geheimdienst veröffentlicht einen Tag nach dem Absturz ein abgehörtes Telefonat. Es wurde drei Tage vor der Katastrophe aufgenommen, am Zwei Männer unterhalten sich: Oreon und Oleg. Es geht um das Raketensystem Buk: O-Ton Telefonmitschnitt: Oleg: Ich habe einen Flieger verfolgt, bei Staniza, er konnte aber entkommen. Oreon: Prima, sie wollen sich für die Flieger rächen, aber wir haben noch ein paar Tage. Wir haben schon die Buk. Wir schießen sie ab. Wer ist Oreon? Nach ihm sucht das Gemeinsame Ermittlungsteam JIT, dem Australien, Belgien, Malaysia, die Niederlande und die Ukraine angehören. Es veröffentlicht ein weiteres abgehörtes Telefonat, diesmal zwischen Orion und einem Delfin. Auffällig: Orions hohe Stimme. Das JIT bittet die Öffentlichkeit um Hilfe: Erkennen Sie die Stimme von Delfin und/oder Orion, kennen Sie ihre vollen Namen oder haben Sie irgendwelche Informationen zu ihnen in Bezug auf MH17, dann kontaktieren Sie bitte das JIT. Deckname Oreon. Moritz Rakaszitzky und vier Kollegen vom Rechercheverbund Bellingcat suchen sieben Monate, verfolgen

3 Telefonummern, Namen, Adressen. Ihr Ausgangspunkt: die ukrainische Telefonnummer, von der aus Oreon am telefoniert hatte. Die Spur führt nach Russland. O-Ton Moritz Rakaszitzky, Rechercheverbund Bellingcat: Wir fanden heraus, dass die Telefonnummer, die auf dem Mitschnitt des ukrainischen Geheimdienstes Oreon zugeschrieben wird, Anrufe von russischen Nummern bekam. Wir haben diese Nummern überprüft und eine davon konnten wir einem gewissen Andrey Ivanovitsch zuordnen. Unter diesem Namen wurde die Nummer in einer Phone Sharing App gespeichert. Das verfolgten wir weiter und fanden dieselbe Nummer in einer russischen Online- Datenbank, namens phonenumber.to. Dort war sie registriert unter dem Namen Oleg Wladimirowitsch Iwannikow. Das soll er sein - Oleg Wladimirowitsch Iwannikow, alias Oreon. Das Foto samt Geburtsdatum und Adresse besorgte Bellingcat in Moskau aus einem Einwohnermelderegister. O-Ton Moritz Rakaszitzky, Rechercheverbund Bellingcat: In Russland gibt es Zehntausende geleakte Datenbanken von Wohnungsregistrierungen, Passdaten, die man finden und kostenlos herunterladen kann. Und es gibt viele russische Detektive, die ihre Dienstleistungen anbieten, wenn jemand persönliche Daten von jemand anderem braucht. So findet Bellingcat heraus: Iwannikow kaufte online eine Trainingsmaske. Lieferadresse: das Moskauer Hauptquartier des russischen Militärgeheimdienstes GRU. Ein wichtiges Indiz, dass Iwannikow für den Geheimdienst arbeiten könnte. Bellingcat stößt auf diese Passkopie - mit wichtigen Details: - den Geburtsort: Karl-Marx-Stadt. Da war Iwannikows Vater als General der Sowjetarmee stationiert. - und den Ort der Ausbildung in den 80er Jahren: Kiewer WWAIU eine Akademie der Luftwaffe der Sowjetunion. Kiew. Die Militärakademie gibt es heute noch, inzwischen gehört sie zum ukrainischen Verteidigungsministerium. Ich treffe Wiktor Sekistow. Er sagt, er habe Oreon gekannt. Er habe unter dem Namen Oleg Iwannikow gemeinsam mit ihm studiert. O-Ton Wiktor Sekistow, ehemaliger Kommilitone: Oleg Iwannikow hat ein Jahr eher angefangen als ich. Er 1984, ich 85. Wir haben in einer Kaserne gewohnt, er auf einem oberen Stockwerk und ich unten. Natürlich redet man oft miteinander, wenn man in einem Haus wohnt. Außerdem verbringt man viel Zeit zusammen, wenn man die gleichen Fächer hat. Man will sich ja besonders mit älteren

4 Kommilitonen austauschen, von ihnen Tipps bekommen, von ihren Erfahrungen profitieren. Ich zeige ein Sekistow das Foto von Iwannikow, Sekistow erkennt ihn. Dann spiele ich ihm das Fahndungsvideo des Gemeinsamen Ermittlungsteams vor. O-Ton Wiktor Sekistow, ehemaliger Kommilitone: Ja, das ist seine Stimme - ohne jeden Zweifel. Seine Stimme war immer sein Markenzeichen und eine Besonderheit. Er hatte ja eine hohe Fistelstimme. Alle Freunde haben sich ab und zu darüber lustig gemacht. Verabredung beim ukrainischen Geheimdienst. Erstmals äußert sich ein Ermittler, der nicht erkannt werden will. Oreon sei tatsächlich Oleg Iwannikow. O-Ton Ermittler, ukrainischer Geheimdienst, Originalton nachgesprochen: Er ist ein hochrangiger Mitarbeiter des russischen Militärgeheimdienstes GRU. Im Juni 2014 kam er in das Separatistengebiet. Er leitete Kampfhandlungen der illegalen militärischen Verbände gegen die ukrainische Armee. Und: Iwannikow war definitiv für den Transport des Flugabwehr- Raketensystems Buk aus Russland in die Ukraine verantwortlich. Dafür haben wir zahlreiche Belege. Das würde bedeuten, nur mit russischer Unterstützung konnte MH17 über der Ostukraine abgeschossen werden. Wir bitten das russische Verteidigungsministerium um ein Interview. Stimmen die Vorwürfe? Arbeitet Iwannikow für den GRU? Hat Iwannikow die Buk besorgt? Doch das Verteidigungsministerium schweigt. In Moskau treffe ich Igor Girkin. Im Sommer 2014 war der russische Oberst Kommandeur der Separatisten, eine Art selbsternannter Verteidigungsminister. Die Ukraine und die Niederlande fahnden nach ihm, er steht auf der Sanktionsliste der EU - auch wegen MH17. Girkin müsste den Mann gekannt haben, der die Buk besorgt hat, Oleg Iwannikow, alias Oreon. Ich frage nach: Welche Funktion hatte damals Oleg Wladimirowitsch Iwannikow? Wer bitte?

5 Oleg Wladimirowitsch Iwannikow. Iwannikow. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich diese Frage nicht beantworten kann, weil ich nicht verstehe, um welche Person es sich handelt. Er hatte auch Pseudonyme: Oreon, Laptew, Iwanowitsch. Kennen Sie die? Ich - lassen Sie es mich so sagen, ich verstehe ungefähr, von wem Sie reden. Aber ich habe kein Recht, auf solche Fragen zu antworten, aufgrund der wie sagt man Würde des Militärangehörigen. Hat Oleg Iwannikow im Juli 2014 die Buk besorgt? Kein Kommentar. Ich werde Ihnen keinen weiteren Kommentar dazu geben. Fest steht, als Kommandeur der Rebellen hatte Girkin kurz nach dem Absturz der MH17 gepostet, seine Leute hätten eine ukrainische Militärmaschine abgeschossen: Ptitschka upala das Vögelchen ist heruntergefallen. Das Gemeinsame Ermittlungsteam JIT ist sich nach umfangreichen Recherchen sicher: MH17 wurde durch eine russische Buk abgeschossen. Klar ist inzwischen auch, woher sie kam: aus der 53. Flugabwehr-Brigade der Russischen Föderation, stationiert in Kursk. Die Niederlande und Australien, die besonders viele Opfer zu beklagen haben, machen inzwischen Russland offiziell verantwortlich für den Abschuss. Und nun scheint auch klar, wer hinter Oreon steckt: Oleg Iwannikow, ein russischer Offizier, der im Juli 2014 die Buk in das Separatistengebiet beorderte. Piet Ploeg hat drei Angehörige verloren. Viereinhalb Jahre ist das jetzt her. O-Ton Piet Ploeg, Angehöriger: Ich erwarte von Russland, dass es seine Fehler zugibt. Es war vermutlich kein absichtlicher Anschlag auf ein Passagierflugzeug. Aber das kann man doch zugeben und sich bei den Hinterbliebenen entschuldigen! Das wäre wichtig. Aber ich bin pessimistisch, dass das jemals

6 passieren wird. Russland streitet bis heute jede Verantwortung für das Verbrechen ab. Abmoderation: Piet Ploeg und weitere Angehörige von 65 niederländischen Opfern haben Russland inzwischen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verklagt. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.