Beitrag: Die Not vieler Flüchtlinge Zur Prostitution gezwungen

Transkript

1 Manuskript Beitrag: Die Not vieler Flüchtlinge Zur Prostitution gezwungen Sendung vom 24. Oktober 2017 von Susana Santina und Shams Ul-Haq Anmoderation: Sie sind gekommen in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Doch jetzt verdingen sie sich als Prostituierte und als Stricher. Junge Flüchtlinge, die keine andere Chance sehen, in Deutschland Geld zu verdienen, und die nichts zu Markte tragen können als ihre Haut, als sich selbst. Sie werden ausgenutzt für Sex, zum Beispiel in Berlin. Am Geschäft mit der Not verdienen dort, nach Recherchen von Frontal 21, auch Sicherheitsleute in den Flüchtlingsheimen mit. Unsere Reporter Susana Santina und Shams Ul-Haq waren im Berliner Tiergarten unterwegs - eigentlich die grüne Lunge der Großstadt, derzeit aber auch und vor allem ein dunkler Ort des Elends und der Kriminalität. Text: Berlin, Tiergarten. Abenddämmerung. Junge, südländisch aussehende Männer sitzen einfach nur herum, warten. Ältere, deutsche Männer suchen Kontakt. Wir wollen mehr wissen über diese Szene und ziehen mit versteckter Kamera los. Unser Reporter ist Pakistani, findet deshalb schnell Kontakt. Junge Mädchen, Boy, Girls. O-Ton: years? O-Ton: Ja.

2 Okay. Vor allem Flüchtlinge wären zu allem bereit, sagt dieser Mann, auch Minderjährige. Mädchen und Jungs. Er zeigt unserem Reporter den Weg - ein paar hundert Meter weiter. Er sei aus Afghanistan, erzählt Walid, seit zwei Jahren in Deutschland. Sein Asylantrag sei vor Kurzem abgelehnt worden. Der 20-Jährige schlägt sich auf dem Straßenstrich durch. 100, Sex. Französisch, 50 Euro. Wo? Hier? Hotel? Hotel, Park. Walid kommt mit ins Hotelzimmer. Als er sich beginnt auszuziehen, stoppt ihn unser Reporter sofort und gibt sich zu erkennen. Er fragt Walid, warum er als Stricher arbeitet, doch der läuft davon. Diana Henniges von der Hilfsorganisation Moabit hilft kennt viele Flüchtlinge - auch solche, die sich prostituieren. In ihre Beratungsstelle kommen sie manchmal, um Kleidung zu holen oder einfach um zu reden. Viele seien verzweifelt, fühlten sich verantwortlich für ihre Familien in der Heimat. O-Ton Diana Henniges, Vorstand Moabit hilft : Dieser Druck, ich bin hier abgelehnt, wie erzähle ich es meinen Eltern, ich komm hier nicht vorwärts, darf hier nicht arbeiten, hab keine Arbeitsgenehmigung, hab nur so wenig Geld, würde gerne mehr für euch tun, und diese ständige Angst vor dieser Perspektivlosigkeit oder vor einer Zukunft hier in Deutschland. Die Prostitution, das ist eigentlich eine Zwangshandlung, die sich daraus ergibt. Im Tiergarten versuchen wir weiter, Kontakt zu Flüchtlingen aufzunehmen. In den Gebüschen: Kondome und Papiertücher. Unser Reporter trifft auf diesen älteren Mann. 85 Jahre alt, sagt er, sei er, und ehemaliger Polizeibeamter. Wir geben vor, selbst nach einem jungen Mann für Sex zu suchen. Ich habe gehört, hier gibt es junge Flüchtlinge? O-Ton Freier, Wortprotokoll: Hier kriegt man alles. Viele tun es auch ohne Kondome, die Jungs wissen ja nicht, dass das krank macht. Mir sind die

3 ganz jungen am liebsten. Ich habe schon 16-Jährige gehabt. Meistens lasse ich mich von hinten nehmen, manchmal auch oral befriedigen. Als ich einmal den Preis runterhandeln wollte, sagte er zu mir: Wenn ich dich vögele, will ich 20 Euro, ich muss ja auch was essen. Der Freier ärgert sich, dass wegen des schlechten Wetters so wenige Stricher im Park sind. Wir wollen wissen: Wie geraten die Flüchtlinge ins Strichermilieu? Erstaufnahmeeinrichtung Wilmersdorf. Im Mai protestierten Bewohner unter anderem wegen der Misshandlung durch Sicherheitsleute. Die haben hier offenbar noch eine andere Funktion. Das erzählt uns dieser syrische Flüchtling. Omar ist in Wilmersdorf untergebracht. Auch er verdient seit einigen Monaten sein Geld mit Prostitution. Der 20-Jährige will nicht erkannt werden. O-Ton Omar, syrischer Flüchtling, Originaltext nachgesprochen: Ich schäme mich für das, was ich tue. Aber ich muss Geld verdienen. Einmal stand ich draußen vor dem Flüchtlingsheim und habe telefoniert. Da kam ein Security- Mann auf mich zu und fragte, willst du Geschäfte machen? Geld verdienen? Na klar, habe ich gesagt, ich habe ja nichts. Er sagte, für Sex mit einer Frau kriegst du 30 Euro, vielleicht auch 40. Was Omar anfangs nicht wusste, die meisten seiner Kunden waren schließlich Männer. Homosexuell sei er nicht. O-Ton Omar, syrischer Flüchtling, Originaltext nachgesprochen: Meine Familie darf das auf keinen Fall erfahren. Ich weiß, dass es schlimm ist. Aber was soll ich tun? Ich habe hier keine Chance. Maria arbeitet als Sozialbetreuerin in Wilmersdorf, hat das Geschäft mit den Flüchtlingen mitbekommen. Auch sie will nicht erkannt werden. Sie habe gesehen, wie ein Sicherheitsmann einem Bewohner Geld zugesteckt hat. O-Ton Maria, Sozialbetreuerin Wilmersdorf: Dann habe ich ihn mir mal zur Seite genommen und habe ihn gefragt, was sie da überhaupt machen, warum er von der Security Geld kriegt. Und dann hat er mir halt erzählt, wenig essen, wenig trinken, Familie in Heimat und er hat schlechte Sachen gemacht für Geld. Es bedrückt ihn und er schämt sich dafür.

4 Waren das immer Erwachsene oder waren auch Minderjährige darunter? O-Ton Maria, Sozialbetreuerin Wilmersdorf: Da waren auch Minderjährige darunter. Minderjährige, die sich prostituieren? Sicherheitsleute in den Flüchtlingsunterkünften als Zuhälter? Dieser Mann ist als Sicherheitsbeauftragter für mehrere Flüchtlingsheime in Berlin verantwortlich. Auch er will anonym bleiben. Das Geschäft mit der Zuhälterei kennt er genau: O-Ton Sicherheitsbeauftragter: Also, meistens ist es dieser Fall, dass ein bis zwei Securities da sind, von verschiedenen Firmen, die bauen den Kontakt auf. Es kommt jemand von draußen, spricht sie an oder telefoniert mit denen und sagt: Hallo, wir bräuchten mal zwei Frauen, die sollen so alt sein, die sie sollen so schön sein, oder Jungs praktisch, das ist ja meistens der Fall, ab 16 Jahre aufwärts, umso jünger umso teurer, ist ja klar. Dann sagt er: Okay, dann muss ich meine Ehre stürzen lassen und mach das, mach Geschlechtsverkehr mit Männern, mit Frauen, egal, Hauptsache das Geld stimmt. Wir bekommen einen Tipp. Dieser Sicherheitsmann soll als Zuhälter in einem Berliner Flüchtlingsheim arbeiten. Wir konfrontieren ihn damit. Nach einer Weile gibt er es zu: Für jede Vermittlung kriege ich 20 Euro. Dafür mache ich die Frauen klar. Kann man sagen, es gibt ein Prostitutionsnetz im Flüchtlingsheim? Es gibt viele, ja. Die Flüchtlinge brauchen halt Geld. Gibt es minderjährige Flüchtlinge, die sich prostituieren? Ja, das gibt es. Aber das ist nicht oft bei uns. Es gibt Familien, wo der Vater Bescheid weiß, der Junge ist schwul, 16 Jahre alt. Die machen das freiwillig. Das ist doch nicht freiwillig, das ist eine Notlage, in der sie sind.

5 Ja. Das Leben ist halt scheiße. Haben Sie nicht manchmal ein schlechtes Gewissen? Natürlich. Das passt auch nicht zu mir. Deshalb rede ich mit euch, ich will damit aufhören. Wir fragen bei seiner Sicherheitsfirma nach. Was weiß sie über die Zuhälterei im Flüchtlingsheim? Schriftlich teilt uns das Unternehmen mit: Wir treffen uns regelmäßig mit dem Bewohnerrat, dabei werden Anregungen und Probleme besprochen. Diese schwerwiegenden Vorwürfe sind noch nie Thema gewesen. Wir konfrontieren die zuständige Senatorin in Berlin mit unseren Recherchen: O-Ton Elke Breitenbach, DIE LINKE, Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales Berlin: Wenn es um Zwangsprostitution geht, werde ich immer dagegen vorgehen, in dem Moment, wo mir jemand einen Hinweis gegeben hat, in welcher Flüchtlingsunterkunft es stattfindet. Sie haben jetzt eine Flüchtlingsunterkunft öffentlich genannt, damit, denke ich, ist auch die Polizei und Staatsanwaltschaft mit im Boot, und da muss da jetzt geguckt werden. Aber, ich hatte bisher keine konkreten Hinweise auf Flüchtlingsunterkünfte, das können Sie mir glauben. Vielleicht müssten die Behörden aber einfach nur genauer hinschauen: 100, Sex. Französisch, 50 Euro. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.