Beitrag: Fisch mit Gütesiegel Falsche Versprechen für Verbraucher

Transkript

1 Manuskript Beitrag: Fisch mit Gütesiegel Falsche Versprechen für Verbraucher Sendung vom 8. Mai 2012 von Jörg Göbel und Christian Rohde Anmoderation: Wie glücklich war der Fisch, bevor er zu Fischstäbchen wurde? Unter welchen Umständen ging er ins Netz? Wir Verbraucher haben wenig Chancen zu erfahren, wo und wie der Fisch in die Packung kam. Auskunft und Vertrauen sollen da aufgedruckte Gütesiegel geben. So wie das des MSC - einer Organisation, die verantwortungsvolles und nachhaltiges Fischen in den Meeren überwachen will. Wie aber kann es dann sein, dass etwa Fische aus rapide schrumpfenden Beständen dieses blaue Siegel tragen? Über guten Fisch als Glaubenssache Jörg Göbel und Christian Rohde. Text: Fisch gesund und immer beliebter. Im Schnitt isst jeder Deutsche 15 Kilogramm pro Jahr. Doch unser steigender Konsum hat Folgen. Abertausende Tonnen werden zurück ins Meer geworfen. Beifang sinnloses Sterben. Beleg für das jahrelange Versagen europäischer Fischerei-Politik. So sind mittlerweile 75 Prozent der europäischen Bestände überfischt. Dagegen tritt ein privates Ökosiegel an: MSC. O-Ton Rupert Howes, Geschäftsführer, Marine Stewardship Council: Das MSC-Konzept ist sehr einfach. Wenn die Verbraucher das blaue MSC-Ökosiegel sehen, dann bekommen sie von uns eine unabhängige Garantie, dass sie nachhaltig einkaufen und nicht zur Überfischung beitragen. Das Ökosiegel - MSC verspricht: Fisch essen mit gutem Gewissen, die Bestände seien nicht bedroht. Der Lebensmittelkonzern Unilever und die Naturschutzorganisation WWF gründeten es vor 15 Jahren. Mittlerweile agiert die private

2 Organisation weltweit. Auch aus deutschen Gefriertruhen ist das MSC-Siegel nicht mehr wegzudenken. Rund 40 Prozent aller hierzulande verkauften Fischprodukte tragen das Nachhaltigkeitsversprechen auf der Verpackung. Und immer mehr Verbraucher nehmen das ernst. O-Ton Verbraucherin I: Ja ich gucke schon auf das MSC-Siegel, das ist mir wichtig. O-Ton Verbraucherin II: Ich achte auch immer darauf, dass sich nur Fisch kaufe wo dieses MSC-Siegel drauf ist! Und warum? O-Ton Verbraucherin II: Ja, um die Fische nachhaltig zu schützen! Stoppt das Fischsiegel wirklich die Überfischung? Am Meeresforschungsinstitut Geomar in Kiel haben Forscher Fangmengen und Bestandgrößen von MSC-Fischereien ausgewertet. Das Ergebnis: Ernüchternd für den Verbraucher, bedrohlich für den Fisch. Das Ergebnis unserer Studie ist, dass etwa ein Drittel der vom MSC zertifizierten Bestände zu klein sind und zu hart befischt werden. Was hat das für eine Konsequenz? Das hat die Konsequenz, dass die Bestände sich nicht erholen können, nicht groß genug werden können, ihre Ökosystemrollen nicht wirklich wahrnehmen können. Im Grunde bleiben die Bestände zu klein, sie werden zu hart befischt, ihre Alterstruktur ist nicht in Ordnung. Also das nennt man Überfischung. Beispiel: Die Seelachsfischerei in der Nordsee. Tausende Tonnen holten die Fischer aus dem Meer. Rohware für Schlemmerfilet und Fischstäbchen. Und das Gütesiegel für Nachhaltigkeit des MSC hilft beim Verkauf. Seelachs wird zu einem der beliebtesten deutschen Speisefische. Jetzt ist der Bestand in Gefahr. Die offizielle Fischereistatistik zeigt: Über viele Jahre schwimmt in der Nordsee ausreichend Seelachs. Dann bekommen die Fischer

3 das MSC-Siegel. Das war Danach fällt der Seelachs-Bestand unter die kritische Grenze, der Seelachs ist akut bedroht - trotz MSC-Siegel mit Nachhaltigkeitsversprechen. Am staatlichen Institut für Ostseefischerei sitzt der deutsche Vertreter des MSC. Und der hat kein Problem mit einem Ökosiegel für einen gefährdeten Bestand. O-Ton Prof. Christopher Zimmermann, MSC-Beirat: Der Bestand hat sich verschlechtert, nicht aufgrund der Aktivitäten der Fischerei sondern aufgrund einer absolut ungewöhnlichen Reduzierung der Nachwuchsproduktion. Dies ist eine natürliche Schwankung und jetzt kommt es darauf an, sicher zu stellen, dass nicht nur durch diese natürliche Schwankung, für die keiner kann, der Bestand in Schieflage gerät. Demnach hat der Seelachs also selber Schuld. Und so wird der Fisch weiter mit dem MSC-Siegel verkauft, dem Verbraucher weiter Nachhaltigkeit versprochen. Irreführung. Es ist tatsächlich so, wenn ich Seelachs aus der Nordsee kaufe, ich im Grunde die Überfischung unterstütze. Eigentlich müsste ein Boykott passieren, damit das Management umdenkt und endlich den Fischereidruck senkt. Erst im April hat der MSC eine weitere umstrittene Fischerei mit seinem Siegel geschmückt. Die Jagd auf Schwertfische mit Langleinen vor der kanadischen Küste. Der Beifang ist enorm, Haie zum Beispiel. Immer wieder gehen bedrohte Arten an die Haken, auch Meeresschildkröten. Die MSC-Standards lassen das zu. Viele Verbraucher haben davon keine Ahnung, kritisieren Umweltschützer. O-Ton Iris Menn, Fischereiexpertin Greenpeace: Die MSC-Zertifizierung ist eine so genannte prozessorientierte Zertifizierung. Das heißt, das Siegel wird vergeben, bevor die Fischerei tatsächlich alle Nachhaltigkeitsstandards erreicht hat, also nicht 100 Prozent nachhaltig ist. Die andere Kritik am MSC-Siegel ist, dass die Kriterien aus unserer Sicht zum Teil zu schwach sind, zum Beispiel Fischereien zertifiziert werden, die Grundnetzschleppfischerei durchführen. Schwere Grundschleppnetze zerpflügen den Meeresboden. Wie bei der Fischerei auf Nordseedorsch. Zurück bleibt eine Unterwasserwüste. Auch solche Fangmethoden zeichnet das MSC-Siegel aus.

4 Seit der Gründung des MSC wurde das Siegel immer häufiger vergeben. Ende 2011 waren es schon 147 Fischereien weltweit. Für jeden verkauften Fisch mit Siegel, geht Geld an den MSC. Der kam im vergangenen Jahr auf fast 8 Millionen Euro Lizenzerlöse. Ist das möglicherweise ein falscher Anreiz? O-Ton Prof. Christopher Zimmermann, MSC-Beirat: Die Gefahr besteht da auch immer. Das ist auch den Erfindern sozusagen, denjenigen, die diesen Standard entwickelt haben, von Anfang an klar gewesen. Und um das auszuschließen, ist der Entwickler des Standards vollständig getrennt von demjenigen, der die Fischerei bewertet. Doch auf den Rat unabhängiger Bewerter hört der MSC offenbar nicht immer. Beispiel: Südafrika-Seehecht. Der ist bedroht, landet aber in immer größeren Mengen auf deutschen Tischen. Als der Seehecht 2010 das MSC Siegel bekommen soll, stellt einer der bewertenden Experten fest, Zitat: Ich stelle in Frage, dass die Fischerei auf den Südafrikanischen Seehecht den Nachhaltigkeitsrichtlinien des MSC entspricht. Trotzdem: der Seehecht bekommt das Siegel. Das Geschäft mit dem Ökoversprechen lohnt sich eben. Kann man das auf Dauer nachhaltig nennen? MSC hat angefangen, indem er die guten Bestände zertifiziert hat, das war einfach, solche gibt es jetzt nur noch sehr wenig. Dann hat er angefangen die sogenannten problematischen Bestände zu zertifizieren, das halte ich nicht für eine gute Entscheidung. Der MSC weist jede Kritik an seinem blauen Siegel von sich. Für Fischessen mit gutem Gewissen reicht das nicht. Abmoderation: Kommende Woche treffen sich die zuständigen Minister in Brüssel. Es geht - mal wieder - um eine große Reform der EU- Fischereipolitik. Doch längst arbeiten die Lobbyisten daran, dass es nur ein kleiner Wurf wird.

5 Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.