Beitrag: Gesünder mit Zusatzstoffen? Falsche Versprechen bei Lebensmitteln

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1 Manuskript Beitrag: Gesünder mit Zusatzstoffen? Falsche Versprechen bei Lebensmitteln Sendung vom 9. Oktober 2012 von Jörg Göbel und Julian Prahl Anmoderation: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie doch einfach Ihren Supermarktleiter! Denn dessen Sortiment erinnert manchmal fast an Apotheken: Lebensmittel mit angeblichem Nutzen für die Gesundheit nämlich sind der Renner. Sogenanntes Functional Food: Probiotischer Joghurt. Cholesterinsenkende Margarine. Alles macht gesünder - wenn man der Werbung glaubt. Wir tun das natürlich nicht. Und Jörg Göbel und Julian Prahl zeigen, dass solche Lebensmittel sogar schaden könnten. Text: Post vom Margarine-Hersteller Unilever. Thorsten Cramer, Internist an der Berliner Charité, soll sich so ganz unverbindlich über dessen Becel-Produkte informieren. Die sollen gesund sein, weil sie Cholesterin senken. Gleich mit dabei: der Bestellschein für weiteres Infomaterial. Alles natürlich zum Wohle der Patienten. O-Ton Dr. Thorsten Cramer, Internist, Charité Berlin: Mich ärgert daran, dass ich das Gefühl habe, hier zum Instrument für Unilever zu werden, um ihre Margarine besser zu verkaufen und an einen weiteren Personenkreis zu verteilen. O-Ton Frontal21: Also sollen Sie eigentlich Werbeträger werden? O-Ton Dr. Thorsten Cramer, Internist, Charité Berlin: Ein bisschen kommt s einem so vor. Und das ist nicht besonders schön. Ein paar Schritte weiter - der Spezialist für Innere Medizin: Chefarzt Karsten Weylandt. Seine Patienten haben Probleme mit zu hohem Cholesterin. Für diese Patienten verspricht Unilever: Die Becel-Produkte senken das Cholesterin, weil so genannte Pflanzensterine zugesetzt wurden.

2 O-Ton Dr. Karsten Weylandt, Chefarzt Gastroenterologie Charité Berlin: Wir wissen über Pflanzensterine, dass sie Cholesterin senken. Das Problematische ist in der Langzeitwirkung, dass wir nicht wissen, ob die Pflanzesterine nicht auch einen Effekt bei der Gefäßverkalkung haben könnten, so dass es zumindest Untergruppen in der Bevölkerung geben könnte, die durch die Pflanzensterine sogar ein verstärktes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen entwickeln könnten. Ärzte sollen eingespannt werden für ein umstrittenes Nahrungsmittel. Und auch Prominente sind gern genommene Werbebotschafter. Teure Kampagnen, für teure Produkte. Diese Becel-Margarine kostet 2,99 Euro eine herkömmliche Marken-Margarine dagegen nur ein Drittel davon: 99 Cent. Was angeblich gesund macht, ist also richtig teuer. Die Lebensmittelindustrie steht in Deutschland vor dem Problem, dass wir alle genug zu essen haben, was für die Verbraucher natürlich gut ist. Aber für den Hersteller ist der Markt gesättigt. Wachsen kann die Lebensmittelindustrie nicht, indem sie mehr verkauft, sondern indem sie teurere Produkte verkauft und dafür dienen eben Functional Food- Produkte: Mehr Geld verlangen vom Verbraucher, obwohl viele dieser Gesundheitsaussagen überzogen sind. Immer mehr Lebensmittel sollen nicht nur schmecken, sondern auch gesund machen: Margarine, Trinkjoghurt und Milch. Da machen Obstsäfte Lernstark und Immunstark. Und Joghurts sind Wunderwaffen im Kampf gegen Bakterien. Lebensmittel mit Zusatznutzen ein lukratives Geschäft. Seit 1995 steigen in Deutschland die Umsätze mit Functional Food: Damals sind es noch 0,4 Milliarden Euro Umsatz, 2009 schon mehr als zehn Mal so viel. Ein Renner: Probiotische Joghurts für das Wohlbefinden. Die haben Hersteller wie Nestlé und Danone jahrelang beworben mit Sprüchen wie aktiviert Abwehrkräfte und hilft der Darmflora. Diese Nestle-Werbung lief schon Mitte der 90er Jahre. Werbespot Nestlé Und dieser Danone-Spot lief bis Mitte Werbspot Danone

3 Das Bundesinstitut für Risikobewertung konnte mit solchen Werbebotschaften nie etwas anfangen. O-Ton Prof. Alfonso Lampen, Bundesinstitut für Risikobewertung: Die meisten probiotischen Produkte, die es ja schon seit längerem auf dem Markt gibt, sind ja jetzt von der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde bewertet worden, und die meisten sind durchgefallen, weil insbesondere die Charakterisierung der Bakterien nicht vollständig war oder einfach noch der Beweis nicht erbracht werden konnte. Nestlé ist inzwischen zurückhaltender und versichert, man beachte die wissenschaftliche Literatur und halte sich an geltendes Recht. Danone verzichtet nach eigener Aussage inzwischen ganz auf Werbung mit Gesundheitsversprechen. Aktivia von Danone jahrelang als Wundermittel für die Verdauung beworben, kostete das Dreifache eines normalen Naturjoghurts, und die Verbraucher hatten am Ende keinerlei Vorteile, denn sie hätten auch einen Spaziergang machen können und das ist bedeutend günstiger. Getränke reichern Hersteller gern zusätzlich mit Vitaminen oder Eisen an. Wir fragen nach: Warum eigentlich? Rabenhorst, Hersteller der Rotbäckchen-Säfte, schreibt uns: Die Produkte erfüllen vollumfänglich sämtliche geltende Rechtsvorschriften und leisten einen sinnvollen Beitrag zu einer ausgewogenen und abwechslungsreichen Ernährung. Und Amecke antwortet, dass beide Fruchtsäfte genussvoll und in Maßen zu genießen sind. Dies ist dem Informationsstand des durchschnittlichen Verbrauchers auch zuzutrauen O-Ton Prof. Alfonso Lampen, Bundesinstitut für Risikobewertung_ Das Bundesinstitut für Risikobewertung sieht eigentlich die Supplementierung mit Vitaminen und Mineralien eher kritisch. Wir empfehlen, nicht große Mengen an Vitaminen und Mineralien täglich aufzunehmen, zusätzlich zu unserer normalen Nahrung, weil die deutsche und auch europäische

4 Bevölkerung eigentlich sehr gut versorgt ist mit Vitaminen und Mineralien. Besonders umstritten und inzwischen auch Gegenstand juristischer Auseinadersetzungen: cholesterinsenkende Produkte. Für sie wird mit einer konkreten Gesundheitsaussage geworben. Die wurde erlaubt von der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, kurz EFSA. Doch Verbraucherschützer kritisieren, dass mögliche Nebenwirkungen nicht berücksichtigt wurden. Das Beispiel Becel pro.activ zeigt auf jeden Fall, dass auch ein zugelassener Health Claim, eine zugelassene Gesundheitsaussage nicht unbedingt bedeutet, dass das Produkt ausschließlich gesund ist. In diesem Fall ist es nämlich ausschließlich vorbehalten für bestimmte Personengruppen und für alle anderen, die gehen unnötigerweise ein Risiko ein. So kommen Lebensmittel mit möglichen Nebenwirkungen in die Supermarkt-Regale. Auf Anfrage schreibt uns Unilever, Die Becel pro.aktiv Produkte sind von Anfang an als Produkte für Menschen mit einem erhöhten Cholesterinspiegel konzipiert und kommuniziert worden. Doch das steht nur hinten drauf, im Kleingedruckten: Die Margarine sei exklusiv bestimmt für Personen mit überhöhtem Cholesterinspiegel. Und weiter heißt es: Für Schwangere und Kinder unter 5 Jahren unter Umständen nicht zweckgemäß. Für Unilever ist der Hinweis so in Ordnung, denn man erfülle alle rechtlichen Auflagen. Doch die Fachärzte von der Charité sehen die Warnhinweise kritisch, schließlich sei Margarine ein Lebensmittel für die ganze Familie. O-Ton Dr. Thorsten Cramer, Internist Charité Berlin: Die Warnhinweise, denke ich, auf der Margarine sollten deutlich vergrößert und auch in den Vordergrund gerückt werden. Die sind ja jetzt nur dann zu lesen, eigentlich wenn man weiß, dass sie existieren und aktiv danach sucht. Das, denke ich, sollte geändert werden. So ein Produkt mit medizinischer Wirkung, Einfluss auf Blutwerte und, und, und, gehört einfach nicht neben Rama und Lätta, sondern in die Apotheke. Lebensmittel mit zusätzlichen Gesundheitsversprechen. Gewinne

5 für die Hersteller sind damit garantiert, nicht aber Gesundheit für die Verbraucher. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.