Beitrag: Methadon für Krebspatienten Umstrittene Heilsversprechen

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1 Manuskript Beitrag: Methadon für Krebspatienten Umstrittene Heilsversprechen Sendung vom 17. Oktober 2017 von Michael Haselrieder und Milan Panek Anmoderation: Todkranke kümmern sich nicht um Risiken und Nebenwirkungen, wenn ein Medikament Hoffnung verspricht, und sei sie noch so vage. Sterbende können nicht verstehen, wenn Mediziner gleichwohl auf den Regeln der Zunft und des Zulassungsrechts bestehen. Dann kommt es zu Komplikationen. Michael Haselrieder und Milan Panek zeigen einen Fall, der an medizinische und moralische Grenzen führt: Methadon für Krebskranke. Text: Annika von Ooyen steht mitten im Leben, als sie plötzlich starke Kopfschmerzen bekommt. Die Diagnose: ein Gehirntumor. Sie hat Krebs. Ich bin dann da auch erstmal in Tränen ausgebrochen, weil das war natürlich - das ist ja eine Hammernachricht. Damit rechnest du ja nicht, dass man einem dann sagt: Ja, Sie haben keine Chance auf Heilung. Und das mit 29 Jahren, das ist natürlich schon eine Nummer. Das war vor drei Jahren. Dass sie heute wieder joggen und arbeiten kann, hätten sie damals nicht gedacht. Der Tumor - rechts vorne - ist in einer Operation entfernt worden und nicht zurückgekommen. Annika van Ooyen ist überzeugt: Das liegt auch an Methadon. Das Schmerzmittel hat sie parallel zur Chemotherapie genommen und nimmt es bis heute, damit der Tumor nicht wiederkommt. Anfangs aber war sie skeptisch: Ja, Methadon, was ist das denn? Und: Was soll ich denn damit? Das ist doch eigentlich was für Heroinabhängige. Und

2 ich hab eigentlich keine Lust, mir jetzt noch irgendwie noch mehr Chemie oder irgendwas zu nehmen, wo ich gar nicht weiß, ob das überhaupt was bringt. Schließlich entschied sie sich für Methadon in niedriger Dosierung, auch wenn wissenschaftlich nicht belegt ist, ob das hilft. Methadon hat mir mein Leben definitiv gerettet und hat mir auch diese Lebensqualität zurückgegeben. Also, ich hab jetzt ein Leben, wie ich vorher hatte. Solche Fälle wecken neue Hoffnungen bei Krebspatienten. In den sozialen Netzwerken organisieren sich Selbsthilfegruppen mit Tausenden Mitgliedern: Methadon, das Ende von Krebs? suche einen Arzt der Methadon verschreibt. Methadon hat bombastisch gewirkt. Hoffnung Methadon: In diesem Labor an der Uniklinik Ulm begann das alles. Die Chemikerin Claudia Friesen forscht an Krebszellen. Vor zehn Jahren hat sie eine überraschende Entdeckung gemacht: O-Ton Claudia Friesen, Chemikerin, Universitätsklinikum Gebe ich Methadon dazu, kann ich einen nahezu hundertprozentigen Zelltod erreichen. Das heißt, Methadon kann die Wirkung dieses Krebsmedikaments verstärken. Claudia Friesen hat das auch an Mäusen untersucht. Die Chemikerin arbeitet außerdem mit Ärzten zusammen, die Methadon ihren Krebspatienten verschreiben, und beobachtet die Tumorentwicklung. Patienten rund um den Globus hoffen nun auf Heilung. O-Ton Claudia Friesen, Chemikerin, Universitätsklinikum Ich bekomme täglich zwischen 200 bis Anfragen. Ich habe seit April Anfragen von Patienten bekommen aus der ganzen Welt, also nicht nur Deutschland. Südafrika ist dabei, Australien et cetera. Ein Krebskongress. Anfang Oktober, in Stuttgart. Dort stellt Claudia Friesen ihre Forschungsergebnisse vor. Ihre Thesen sind umstritten. Filmen dürfen wir die Debatte nicht. Vor der Tür ein Interview:

3 O-Ton Claudia Friesen, Chemikerin, Universitätsklinikum Ich werde immer gefragt, ich würde falsche Hoffnungen machen. Ich denke, jede Therapie braucht Hoffnung. Aber ich komme ja nicht und sage, man legt die Hand auf und man wird gesund, sondern ich sage, es wäre eine Option. Renommierte Krebsmediziner werfen ihr vor, Patienten zu früh, zu große Hoffnungen zu machen. O-Ton Prof. Bernhard Wörmann, Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO): Ich halte es für verantwortungslos, solche Daten in die Welt zu setzen, und damit einer Gruppe von Patienten, die vulnerabel für so etwas. Das sind Patienten am Ende des Lebens, die wenig Perspektive noch haben, die auf ganz, ganz Vieles ansprechen, die auch ganz viel Geld ausgeben würden, um noch einen Rest von Hoffnung zu haben, hier eine Hoffnung zu präsentieren, die keine wirkliche Grundlage hat. Methadon ist bisher nur als Schmerzmittel zugelassen, aber nicht als Medikament in der Krebsbehandlung. Der Weg dahin ist lang: Der Wirkstoff wird zunächst im Labor und an Tieren getestet wird. Dauer: etwa fünf Jahre. Danach folgen Tests mit Menschen in klinischen Studien - weitere sechs Jahre. Schließlich prüfen die Behörden die Ergebnisse für die Zulassung. Dauer: weitere zwei Jahre. Insgesamt sind das rund 13 Jahre. Methadon ist mitten im Zulassungsprozess. Jetzt folgen klinische Studien. Doch das dauert. So lange können und wollen viele Krebspatienten nicht warten. Wolfgang Schlegel ist ein Hirntumor entfernt worden, der wieder zurückkommen könnte. Auch er hatte parallel zur Chemotherapie Methadon genommen. O-Ton Wolfgang Schlegel, Krebspatient: Ich denke jeder, der in der Situation ist, greift nach jedem Strohhalm. Aber jeder muss für sich abwägen, ob er die Risiken und die Nebenwirkungen, die eben mit einem solch experimentellen Ansatz verbunden sind, ob er die in Kauf nehmen will. Ihm ging es mit Methadon nicht gut. Wolfgang Schlegel hat es in Absprache mit seinem Facharzt abgesetzt wegen der starken Nebenwirkungen, unter denen er gelitten hat. O-Ton Prof. Wolfgang Wick, Direktor Neuroonkologie, Universitätsklinikum Heidelberg:

4 Was waren denn die Hauptbeschwerden, die Sie hatten? O-Ton Wolfgang Schlegel, Krebspatient: Ja, also die Hauptbeschwerden waren diese Angstzustände und Depressionen. Es war mir öfter schwindelig, es war mir auch zwischendurch mal schlecht. Professor Wick lehnt die Anwendung von Methadon als Krebsmedikament ab. Noch seien Dosierung und Wirkung nicht ausreichend erforscht: O-Ton Prof. Wolfgang Wick, Direktor Neuroonkologie, Universitätsklinikum Heidelberg: Ich glaube, im eigentliche Sinne ist der Versuch mit nicht wirklich abgesicherten Daten, Labordaten, Einzelfallberichten, ohne echte Substanz, an die Öffentlichkeit zu gehen, nicht ethisch. Ich glaube, dass der Ansatz der Bescheidenheit des langsamen Entwickelns, das es ja parallel gibt - von vielen wirklich großen Therapieansätzen, von vielen großen Entwicklungen hört man erst, wenn sie wirklich reif sind - und ich halte das für den besseren Ansatz. Dieser Arzt dagegen schwört auf Methadon. Hans-Jörg Hilscher setzt es bei Krebspatienten seit fast 20 Jahren ein als Schmerzmittel. Hilscher betreut ein Sterbehospiz in Iserlohn. Seit einigen Tagen ist Gabriele Rademacher hier. Sie hat Lungenkrebs im Endstadium. O-Ton Dr. Hans-Jörg Hilscher, Arzt: Seitdem Sie das Methadon bekommen, ist mit der Atemnot deutlich weniger? O-Ton Gabriele Rademacher, Krebspatientin: Ja, auch mit den Angstzuständen. Andere Qualitäten sind auch da. Ich kann auch wieder mehr Kraft tanken. Ich bin auch immer mehr ich selber. O-Ton Dr. Hans-Jörg Hilscher, Arzt: Sie ist hier in einem Hospiz. Sie weiß, warum sie in einem Hospiz ist. Und wenn es die letzten Tage oder Wochen oder vielleicht Monate gut geht. Mehr kann man nicht erreichen, denk ich. Dr. Hilscher ist einer der wenigen Ärzte in Deutschland, die Krebspatienten Methadon verschreiben. Dafür kommen sie aus dem gesamten Bundesgebiet in die kleine Praxis im Sauerland. Auch Annika van Ooyen ist seine Patientin, bekommt seit zweieinhalb Jahren ihr Methadon. Die möglichen Risiken kennt sie, wollte aber nicht warten, bis das Medikament in Studien erforscht ist.

5 Arzneimittel-Experten mahnen zur Geduld. Methadon in der Krebstherapie müsse erst weiter erforscht werden: O-Ton Wolfgang Becker-Brüser, Arzneimittel-Experte, arzneitelegramm: Der Erkenntnisstand ist so gering, dass man nicht weiß, ob der Mensch gefährdet wird oder davon profitiert. Dafür sind ja die klinischen Studien letztendlich da. Es gibt Befunde, dass die Sterblichkeit unter Methadon steigen kann, es gibt Befunde, dass die Sterblichkeit verringert werden kann. Was nun wirklich der Fall ist, wenn das als Krebs-Additivum, also als Wirkverstärker bei Krebs, verwendet wird, weiß man derzeit nicht. In frühestens drei Jahren soll es Klarheit geben. Solange bleibt die Anwendung von Methadon bei Krebspatienten ein Experiment. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.