Beitrag: Gefährliche Keime im Hähnchenfleisch Antibiotikaresistente Erreger

Transkript

1 Manuskript Beitrag: Gefährliche Keime im Hähnchenfleisch Antibiotikaresistente Erreger Sendung vom 16. April 2019 von Jörg Göbel, Michael Haselrieder und Andreas Wiemers Anmoderation: 2050 werden mehr Menschen an Infektionen sterben als an Krebs. Das sagen wissenschaftliche Hochrechnungen voraus. Der Grund für dieses Schreckensszenario: Dann werden Antibiotika gegen resistente Keime nicht mehr helfen. Und durch den sorglosen und übermäßigen Einsatz von Antibiotika in der Medizin, vor allem aber in der Nutztierhaltung, sind die Menschen daran auch noch selber schuld. Heute wurde die Katastrophenwarnung für deutsche Verbraucher sehr konkret. Nach einer aktuellen Untersuchung ist Hähnchenfleisch von Discountern zu 56 Prozent mit Keimen verseucht, die resistent sind gegen Antibiotika. Unsere Autoren über die Gefahr, die man sich beim Einkauf holt und in die Küche trägt. Text: Keime können schnell lebensbedrohlich werden. Das wissen die Patienten im Dialysezentrum in Nienburg an der Weser. Dreimal die Woche kommt der 76-jährige Klaus Schenk zur Blutwäsche. Vor zwei Jahren hat er sich in einer Reha-Klinik angesteckt. O-Ton Klaus Schenk, Dialyse-Patient: Da habe ich erst allein auf dem Zimmer gelegen und dann kam einer, der hat woanders auch gelegen. Und mit einem Mal hatten wir beide diesen Keim. Bei Klaus Schenk wird ein sogenannter MRSA-Keim nachgewiesen. Dieser gefährliche Erreger ist resistent gegen gängige Antibiotika - und ansteckend. Nach Zahlen der Europäischen Seuchenbehörde sterben in Deutschland jährlich mehr als Menschen an Infektionen mit diesen resistenten Bakterien. Gerd-Ludwig Meyer ist Nierenspezialist. Er weiß, dass seine immungeschwächten Patienten sich nicht nur im Krankenhaus anstecken können.

2 O-Ton Dr. Gerd-Ludwig Meyer, Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie: Ich sehe die Entwicklung sehr dramatisch. Es hat seit 2005 eine Explosion sozusagen an multiresistenten Keimen gegeben und ich sehe eindeutig den Zusammenhang mit dem Einsatz von Antibiotika an gesunden Tieren in der Massentierhaltung. Universität Greifswald. Im Auftrag der Verbraucherschutzorganisation Germanwatch haben Wissenschaftler hier Hähnchenfleisch untersucht. Das Team um die Mikrobiologin, Professor Katharina Schaufler, hat 59 Proben aus Discount-Supermärkten auf Antibiotikaresistenzen getestet. Wir haben Hühnchenfleisch aus Supermärkten untersucht und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass 56 Prozent aller Hähnchenfleischproben mit mindestens einem antibiotikaresistenten Keim belastet sind. Bei solchen Keimen wirken die gängigen Antibiotika nicht mehr. Dann kommen sogenannte Reserveantibiotika zum Einsatz. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat eine Liste unentbehrlicher Arzneimittel herausgebracht. Antibiotika sind hier in drei Wirkgruppen eingeteilt. Entscheidend ist die dritte, die sogenannte Reservegruppe. Als letzte Reserve sollen diese Antibiotika nur eingesetzt werden, wenn alle anderen Mittel versagt haben. Der sparsame Einsatz, nur im Notfall, soll verhindern, dass Bakterien gegen diese letzte Reserve resistent werden. Doch die Untersuchung in Greifswald zeigt: Mehr als jede dritte Hähnchenfleischprobe weist resistente Keime gegen diese Reserveantibiotika auf. Ein Problem: Weil wir dann fast keine Antibiotika mehr übrig haben, um multiresistente Keime zu behandeln. O-Ton Frontal 21: Das heißt für den Patienten? Für den Patienten könnte das schlimmstenfalls bedeuten, dass er an einer bakteriellen Infektion stirbt. Der US-Amerikaner David Ricci hat erlebt, was passiert, wenn

3 Antibiotika nicht mehr wirken. In Indien wird er 2011 von einem Zug überrollt. Ein Bein muss vor Ort amputiert werden. Zurück in den USA bereitet ihm die Wunde große Probleme. Sie entzündet sich immer wieder neu. Sein Arzt ist ratlos. O-Ton David Ricci, Patient: Er sagte mir, wir haben eine solche Infektion noch nie gesehen und wissen nicht, wie wir sie behandeln sollen. Wir werden ein paar Dinge ausprobieren, aber es kann sein, dass sie nicht helfen. Die Antibiotika schlagen nicht an. Die Ärzte müssen mehrfach operieren. O-Ton John Lynch, Infektiologe: Du erinnerst Dich, wir haben hier angefangen, dann hier und Dr. Smith hat viermal operiert - also ein, zwei, drei und die vierte ging bis hier. Das heißt, jetzt ist noch so viel von Deinem Oberschenkelknochen übrig. David Ricci hat die resistenten Keime in seinem Körper mit Glück überstanden. Doch sein behandelnder Arzt blickt pessimistisch in die Zukunft: O-Ton John Lynch, Infektiologe: Jedes Jahr werden weltweit Hunderttausende OPs durchgeführt: Kaiserschnitte, Zahn-OPs, Knochenmark- oder Organtransplantationen. Nichts davon ist ohne Antibiotika möglich. Resistente Keime können vor allem dann entstehen, wenn Antibiotika massenhaft eingesetzt werden. Das passiert zum Beispiel in der Tierhaltung. Auf engstem Raum können Tiere besonders schnell krank werden und andere anstecken. Der Einsatz von Antibiotika bei kranken Tieren ist in deutschen Ställen bis heute erlaubt. Es muss aber dokumentiert werden, wie viel von welchem Antibiotikum eingesetzt wird. Verbraucherschützern reicht das nicht: O-Ton Reinhild Benning Verbraucherschutzorganisation Germanwatch: Hier hat die Erfassung gewaltige Lücken, der Staat schaut nicht hin, ob etwa in Brütereien, in Elterntierfarmen Antibiotika eingesetzt werden, die nur für den Menschen vorbehalten sein müssen. Die Bundesregierung muss unmittelbar handeln und die Ausbreitung dieser Antibiotikaresistenzen in unserer Lebensmittelkette in Deutschland, aber auch im Export stoppen. Die 59 Proben der Germanwatch-Untersuchung stammen aus großen Billig-Discountern. Die Wissenschaftler fanden resistente

4 Keime: - bei Lidl in 33 Prozent der Fleischproben - bei Real ebenso 33 Prozent - bei Netto in 58 Prozent - bei Aldi in 75 Prozent - und bei Penny in 82 Prozent der untersuchten Fleischproben Wir fragen bei den Supermarktketten nach. Alle verweisen auf die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben, zertifizierte Qualitätskontrollen und zusätzliche Maßnahmen mit ihren Lieferanten. Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft teilt mit, Die Geflügelwirtschaft hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Einsatz von Antibiotika so weit wie möglich zu reduzieren. Auf die besonders wichtigen Reserveantibiotika will die Geflügelwirtschaft, bestmöglich verzichten. O-Ton Gerd-Ludwig Meyer, Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie: Reserveantibiotika sind nur - und ich wiederhole - nur und ausschließlich dafür da, Menschenleben auf Intensivstation zu retten und ähnlichen Institutionen, aber nicht um Tiere kostengünstig zum Schlachttag zu führen. Das ist für mich einer der größten Verbrechen in den letzten 50 Jahren, was da passiert. Und die Bundesregierung kennt das Problem seit Jahren. Verboten hat sie Reserveantibiotika in der Tierhaltung trotzdem nicht. Immerhin: Heute teilt uns das Bundeslandwirtschaftsministerium mit, Die vorgelegten Zahlen legen die Vermutung nahe, dass zu viele Antibiotika in der Geflügelmast eingesetzt werden... Ein gutes Ergebnis hat die Untersuchung in Greifswald: In ergänzend untersuchtem Hähnchenfleisch aus Hofschlachtereien und aus Biohaltung war nur eine von elf Proben belastet. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen

5 Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.