Sicherheit und Betriebsfestigkeit von Maschinen und Anlagen
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- Nikolas Krüger
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1 Sicherheit und Betriebsfestigkeit von Maschinen und Anlagen
2 Manuela Sander Sicherheit und Betriebsfestigkeit von Maschinen und Anlagen Konzepte und Methoden zur Lebensdauervorhersage 123
3 PD Dr.-Ing. Manuela Sander Fachgruppe Angewandte Mechanik Fakultät für Maschinenbau Universität Paderborn Pohlweg Paderborn ISBN e-isbn DOI / Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. c 2008 Springer-Verlag Berlin Heidelberg Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Verfasserin hat alle Texte, Formeln und Abbildungen mit größter Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können Fehler nicht ausgeschlossen werden. Deshalb übernehmen die Verfasserin und der Verlag keine Gewähr für die in diesem Buch abgedruckten Informationen. In keinem Fall haften Verfasser und Verlag für irgendwelche direkten oder indirekten Schäden, die aus der Anwendung dieser Informationen folgen. Für die in diesem Werk zitierten Gesetze, Vorschriften und Richtlinien sind für die eigenen Arbeiten die vollständigen Vorschriften und Richtlinien in der jeweils gültigen Fassung hinzuzuziehen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Satz: Reproduktionsfähige Vorlage der Autorin Einbandgestaltung: estudiocalamar S.L., F. Steinen-Broo, Pau/Girona, Spain Herstellung: LE-TEX Jelonek, Schmidt & Vöckler GbR, Leipzig, Germany Gedruckt auf säurefreiem Papier springer.de
4 Vorwort Vor allem vor dem Hintergrund der schadenstoleranten Bemessung von Maschinen, Anlagen, Verkehrsmitteln oder Bauteilen ist eine die Rissinitiierung und das Risswachstum einschließende Lebensdauervorhersage schon in der Produktentwicklungsphase von entscheidender Bedeutung, um Sicherheit gegen Versagen durch konstruktive Maßnahmen oder regelmäßige Inspektionen gewährleisten zu können. Unabhängig vom Lastspektrum oder vom Material sollten die Vorhersagen aus sicherheitstechnischen Aspekten immer konservativ sein. Aus ökonomischen Gründen hingegen ist eine optimale Ausnutzung des Materials zu ermöglichen. Die Treffsicherheit der Lebensdauerprognose hängt jedoch sehr stark vom verwendeten Modell ab. Im vorliegenden Fachbuch werden daher zunächst die grundlegenden Konzepte zur festigkeitsgerechten und bruchsicheren Gestaltung von Bauteilen, Maschinen und Anlagen beschrieben. Nach der Darstellung von Belastungs- und Beanspruchungs-Zeit-Funktionen wird auf den statischen Festigkeitsnachweis sowie auf den Dauerfestigkeitsnachweis eingegangen. Daran schließen sich die Konzepte der klassischen Betriebsfestigkeit und der klassischen Bruchmechanik an. Um jedoch eine exakte Lebensdauervorhersage durchführen zu können, sind die Konzepte der Betriebsfestigkeit und der Bruchmechanik zusammenzuführen und um die Gesetzmäßigkeiten der Rissinitiierung und des Kurzrisswachstums zu erweitern. In vielen Anwendungsbereichen werden Bauteile und Strukturen mit mehr als 10 7 Lastwechseln belastet, bei denen die seit den Untersuchungen von Wöhler definierte Dauerfestigkeitsgrenze nicht immer gegeben ist. Deshalb beinhaltet das Fachbuch auch einen Einblick in den immer bedeutender werdenden Bereich des Ultra high cycle fatigue. Abschließend werden die Ergebnisse ausgewählter Modelle mit experimentellen und numerischen Ergebnissen verglichen und bewertet. Dieses Buch richtet sich an Ingenieure und Naturwissenschaftler in Unternehmen, Universitäten und Hochschulen sowie an Studierende in höheren Semestern von Diplom- und Masterstudiengängen.
5 VI Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als Oberingenieurin der Fachgruppe Angewandte Mechanik der Universität Paderborn im Rahmen meines Habilitationsverfahrens. Mein besonderer Dank gilt daher Herrn Prof. Dr.- Ing. habil. Hans Albert Richard für die Anregung, Förderung und unermüdliche Unterstützung meiner Forschungsarbeiten, das entgegengebrachte Vertrauen und die konstruktiven Diskussionen. Weiterer Dank gebührt Herrn Prof. Dr.-Ing. Hans Jürgen Maier (Universität Paderborn) sowie Herrn Prof. Dr.-Ing. habil. Gerhard Pusch (TU BA Freiberg). Ebenso möchte ich mich stellvertretend für alle aktuellen und früheren Kollegen der Fachgruppe Angewandte Mechanik der Universität Paderborn bei Herrn PD Dr.-Ing. Gunter Kullmer für die Unterstützung bedanken. Darüber hinaus gilt mein Dank den Studien- und Diplomarbeitern sowie den studentischen Hilfskräften. Mit diesem Buch möchte ich mich ganz herzlich bei meinen Eltern für ihre Liebe, ihr Vertrauen, ihre Unterstützung, ihre Rücksichtnahme und ihr Verständnis bedanken. Als Dank widme ich dieses Buch meinen Eltern Konrad und Katharina Sander. Dem Springer-Verlag gilt mein Dank für die Publikation dieses Fachbuchs. Paderborn, Dezember 2007 Manuela Sander
6 Inhaltsverzeichnis Liste der Formelzeichen... IX 1 Einleitung Konzepte zur festigkeitsgerechten und bruchsicheren Gestaltung Belastungs- und Beanspruchungs-Zeit-Funktionen Systematisierung von Belastungs- und Beanspruchungs-Zeit- Funktionen Ermittlung von Last-Zeit-Funktionen Zähl- und Klassierverfahren Statischer Festigkeitsnachweis Dauerfestigkeitsnachweis Ermittlung der Wöhlerkurve und der Dauerfestigkeit Dauerfestigkeitsschaubilder und Mittelspannungsempfindlichkeit Dauerfestigkeitsberechnung Konzepte der klassischen Betriebsfestigkeit Werkstoffbeschreibung Nennspannungskonzepte Örtliche Konzepte Strukturspannungen Konzepte der klassischen Bruchmechanik Bruchmechanische Grundlagen Grundlagen und Mechanismen des Ermüdungsrisswachstums Ermittlung bruchmechanischer Kennwerte und Kennfunktionen Rissfortschrittskonzepte...67
7 VIII Inhaltsverzeichnis 3 Zusammenwirken von Betriebsfestigkeit und Bruchmechanik bei der Lebensdauervorhersage Entstehung von Ermüdungsrissen Schwellenwertkurven-Konzepte Konzepte des kritischen Abstands Ermüdungsrisswiderstandskurven (R-Kurven-Konzept) area - Konzept Kurzrisswachstumskonzepte Mikrostrukturmodelle Rissschließmodelle Bruchmechanikbasierte Modelle Ansatz der kritischen Schnittebene Gesamtlebensdauerkonzepte Die Ermüdungslebensdauerkarte Rissfortschrittswöhlerlinien Ultra high cycle fatigue Rissinitiierung bei sehr hohen Lastwechselzahlen Wöhlerkurve im Bereich hoher Lastwechselzahlen Auslegungskonzept (Lebensdauerkonzept) nach Murakami Lebensdauerberechnung im fish-eye Bruchmechanische Lebensdaueransätze Bewertung, Vergleich und Anwendung der Konzepte Experimentelle Untersuchungen Versuchsaufbau und -durchführung Risswachstum Wöhler- und Lebensdauerlinien Numerische Untersuchungen Analytische Ermittlung von Rissfortschrittswöhlerlinien Betriebsfestigkeits- und kombinierte Konzepte Nennspannungsbasierte Konzepte Konzepte auf Basis der örtlichen Spannungen Konzepte der Rissinitiierung Bruchmechanische Konzepte Problematik der Thresholdwertbestimmung Rissfortschrittskonzepte Festlegung von Inspektionsintervallen Literaturverzeichnis Sachwortverzeichnis
8 Liste der Formelzeichen A A min A 0 - A 4 B C C ASTM C FAM C FM C J C P C E C th D D A E F F m F max, F min F G H H 0 H äq HV Fläche minimale Fläche Koeffizienten in der Rissöffnungsfunktion nach Newman Probendicke werkstoffabhängiger Koeffizient im Paris-Gesetz Absenkrate gemäß ASTM (American Society for Testing and Material) Absenkrate gemäß FAM (Fachgruppe Angewandte Mechanik) werkstoffabhängiger Koeffizient der NASGRO Gleichung werkstoffabhängiger Koeffizient des Rissfortschrittsgesetzes nach Vormwald Verzögerungsfaktor werkstoffabhängiger Faktor im Erdogan-Ratwani-Gesetz Parameter in der empirischen Funktion nach Newman zur Beschreibung der R-Abhängigkeit des Thresholdwertes Schadenssumme Abstand der Spannungsniveaus beim Abgrenzungsverfahren Elastizitätsmodul Kraft Kraftmittelwert maximale bzw. minimale Kraft Schwingbreite der Kraft Schubmodul Summen- bzw. Überschreitungshäufigkeit Kollektivumfang schädigungsäquivalente Ersatz-Schwingspielzahl Härte nach Vickers
9 X J Wert des J-Integrals J Wert des zyklischen J-Integrals J el, J pl elastischer bzw. plastischer Anteil des J-Integrals J eff effektiver Anteil des J-Integrals K zyklischer Verfestigungskoeffizient K I, K II, K III Spannungsintensitätsfaktoren für Mode I, Mode II und Mode III K IC, K C Risszähigkeit für Mode I K max, K min Spannungsintensitätsfaktoren für Mode I bei maximaler bzw. minimaler Belastung K max,eff, K min,eff effektiver maximaler bzw. minimaler Spannungsintensitätsfaktor K max, req virtueller Spannungsintensitätsfaktor zur Berücksichtigung der Eigenspannung im Willenborg Modell K max,th maximaler Spannungsintensitätsfaktor des Thresholdwertes * K max,th Schwellenwert des maximalen Spannungsintensitätsfaktor des Zwei-Kriterien-Konzepts K ol maximale Spannungsintensität einer Überlast K R Eigenspannungsintensitätsfaktor K op Rissöffnungsspannungsintensitätsfaktor K, K I Schwingbreite des Spannungsintensitätsfaktors bei Mode I K Schwingbreite des dehnungsbasierten Spannungsintensitätsfaktors V K I Schwingbreite des Kerbspannungsintensitätsfaktors bei Mode I K + positiver Anteil des zyklischen Spannungsintensitätsfaktors K 0 initialer zyklischer Spannungsintensitätsfaktor K appl aufgebrachter zyklischer Spannungsintensitätsfaktor K eff effektiver zyklischer Spannungsintensitätsfaktor K eff,th effektiver Thresholdwert K J,eff effektiver zyklischer Spannungsintensitätsfaktor des J-Integrals K J,eff effektiver zyklischer Spannungsintensitätsfaktor des J-Integrals K ODA Thresholdwert des optisch dunklen Gebiets (ODA) K rms Mittelwert der zyklischen Spannungsintensität eines Lastspektrums K th, K I,th Threshold-Wert (Schwellenwert für die Schwingbreite des Spannungsintensitätsfaktors) Threshold-Wert des Zwei-Kriterien-Konzeptes * K th
10 XI K th,0 Threshold-Wert K th für R = 0 L j Stabelementlänge (Fließstreifenmodelle) M Mittelspannungsempfindlichkeit N Lastspielzahl N geforderte Lebensdauer N D Eckschwingspielzahl N f Lebensdauer bis zum Versagen des Bauteils N i Initiierungslebensdauer N p Restlebensdauer P A Ausfallwahrscheinlichkeit (P A = 100% - P Ü ) P B Schädigungsparameter nach Bergmann R cl, R p Spannungsverhältnis, ab dem für positive bzw. negative R- Verhältnisse K th = konst. gilt P J Schädigungsparameter nach Vormwald P multi Schub J, P J mehraxialer Schädigungsparameter für Mode I- bzw. Mode II- Risse nach Savaidis P J,D Dauerfestigkeitskennwert des Schädigungsparameters P J P SWT Schädigungsparameter nach Smith, Watson und Topper P Ü Überlebenswahrscheinlichkeit (P Ü = 100% - P A ) P Z Zusatzschädigung nach Hanschmann Q Koeffizient der Schädigungsparameterwöhlerlinie nach Vormwald R Verhältnis von minimaler zu maximaler Spannung bzw. von minimaler zu maximaler Spannungsintensität R = min / max = K min / K max R e Streckgrenze R eff effektives Spannungsverhältnis R eff = K min,eff / K max,eff R SO Shutt-off-Verhältnis R m Zugfestigkeit R p0,2 0,2%-Dehngrenze R z Rauhtiefe S B Sicherheit gegen Bruch S D Sicherheit gegen Dauerbruch S F Sicherheit gegen Fließen U Verzerrungsenergiedichte U el elastische Verzerrungsenergiedichte U pl plastische Verzerrungsenergiedichte fiktive Rissöffnungsverschiebung (Fließstreifenmodelle) V j
11 XII W W min W w Y I Widerstandsmoment minimales Widerstandsmoment Exponent zur Berechnung des Verzögerungsfaktors nach Wheeler Geometriefaktor, normierter Spannungsintensitätsfaktor für Mode I a Risslänge a 0 El Haddad-Parameter a i Anfangsrisslänge bzw. Initiierungsrisslänge a Rissinkrement b, c Schwingfestigkeits- bzw. Duktilitätsexponent b 1 Oberflächenbeiwert b 2 Größenbeiwert d Durchmesser da/dn Rissgeschwindigkeit (da/dn) th Rissgeschwindigkeit im Bereich des Thresholdwertes f Frequenz I II III f ij, f ij, f ij dimensionslose Funktionen j Ordnungszahl k Neigung der Wöhlerlinie k * modifizierte Neigung der Wöhlerlinie m werkstoffabhängiger Exponent im Paris-Gesetz bzw. Neigung der Rissfortschrittswöhlerlinie m J werkstoffabhängiger Exponent im Rissfortschrittsgesetz nach Vormwald m E werkstoffabhängiger Exponent im Erdogan-Ratwani-Gesetz n Stützwirkung n zyklischer Verfestigungsexponent n i Anzahl der Schwingspiele eines Lastniveaus n bm bruchmechanische Stützwirkung n pl plastische Stützzahl n st statistische Stützwirkung n vm verformungsmechanische Stützwirkung n FM, p, q werkstoffabhängige Exponenten der NASGRO Gleichung p L Parameter im Ansatz nach Liu r, Polarkoordinaten
12 XIII r 1 r e w Anzahl der Brüche auf dem geprüften Lastniveau (Abgrenzungsverfahren) Materialkonstante im Risswachstumsgesetz nach McEvily Probenbreite C CF k W k * a a,el a,d a,pl a,t el,pl el,max f ij m max, min N op el pl eff Neigung der Zeit- oder Dauerfestigkeitslinie als Maß der Mittelspannungsempfindlichkeit Constraint Faktor in der umkehrplastischen Zone Constraint Faktor Kerbfaktor Constraint Faktor entlang der Rissflanken Dehnungskerbfaktor Spannungskerbfaktor Kerbwirkungszahl bezogenes Spannungsgefälle (Siebel-Verfahren) Dehnung Dehnungsamplitude elastische Dehnungsamplitude Dehnungsamplitude bei N = N D plastische Dehnungsamplitude totale Dehnungsamplitude elastisch-plastische Dehnung maximale elastische Dehnung Duktilitätskoeffizient Dehnungstensor Mitteldehnung maximale bzw. minimale Dehnung Nenndehnung Rissöffnungsdehnung Dehnungsschwingbreite elastische Dehnungsschwingbreite plastische Dehnungsschwingbreite effektive Dehnungsschwingbreite Verhältnis von K op zu K max Rissspitzenverschiebung Kerbradius Querdehnzahl
13 XIV 1, 2 a a a,äq a,max a,n a,zul A D * D el,pl el,max F f ij j m max, min N op p r Sch th V W zul D th pl max, ol Normalspannung Hauptnormalspannung Spannungsamplitude Höchstwert des Amplitudenkollektivs Äquivalentspannungsamplitude maximale Spannungsamplitude Nennspannungsamplitude zulässige Spannungsamplitude Dauerfestigkeitswert für ein bestimmtes R-Verhältnis Dauerfestigkeit reduzierte Dauerfestigkeit nach Liu und Zenner ( * D = 0,5 D ) elastisch-plastische Spannung maximale elastische Spannung Fließspannung Schwingfestigkeitskoeffizient Spannungstensor Kontaktspannung im Fließstreifenmodell Mittelspannung maximale bzw. minimale Normalspannung Nennspannung Rissöffnungsspannung vollplastischer Spannungszustand Eigenspannung Schwellfestigkeit Schwellspannung zur Rissinitiierung Vergleichsspannung Wechselfestigkeit zulässige Spannung Schwingbreite der Normalspannung Schwingbreite der Dauerfestigkeit Schwingbreite der Schwellspannung zur Rissinitiierung Schubspannung Größe der plastischen Zone Größe der primär plastischen Zone Parameter im Uniform Material Law
14 Kapitel 1 Einleitung Aufgrund katastrophaler Unfälle der Vergangenheit, wie z.b. des ICE-Unglücks von Eschede oder des Aloha-Unglücks von Hawaii, werden Fragen hinsichtlich der Sicherheit und Zuverlässigkeit von Bauteilen und Strukturen insbesondere vor dem Hintergrund der sicherheitstechnischen und ökonomischen Konsequenzen immer bedeutender. Aus sicherheitstechnischen Gründen muss ein Bauteil in jedem Fall zuverlässig sein, d.h. es darf während einer definierten Zeitdauer unter angegebenen Funktions- und Umgebungsbedingungen nicht ausfallen. Eine Verbesserung der strukturmechanischen Zuverlässigkeit von Bauteilen und somit von Maschinen und Anlagen führt im Allgemeinen zwar zu einer Senkung der Instandhaltungskosten, aber verursacht ihrerseits erneut Kosten, die umso höher sind, je höher das angestrebte Zuverlässigkeitsniveau ist [169]. Unter ökonomischen Gesichtspunkten ist also ein Kostenminimum zu finden, bei dem trotzdem in jedem Fall Sicherheit für Mensch und Umwelt gewährleistet wird. Um ein möglichst hohes Maß an Zuverlässigkeit bei minimalen Kosten zu erreichen, sind bereits in der Produktentwicklungsphase geeignete Auslegungskriterien sowie Methoden und Konzepte zur Lebensdauervorhersage für Bauteile und Strukturen unter zyklischer Belastung notwendig. Die Auslegungskriterien sind je nach Anwendungsgebiet sehr unterschiedlich. So werden in der Luft- und Raumfahrt, aber auch anderen technischen Bereichen, zwei Auslegungskonzepte verfolgt: Das Safe-life -Kriterium und das Schadenstoleranz-(damage tolerant)-konzept. Nach dem Safe-life -Kriterium ist ein Bauteil oder eine Struktur so auszulegen, dass es während der gesamten Einsatzzeit unter dem zu erwartenden Belastungsspektrum nicht versagt. Bei einer derartigen Auslegung ist zu beachten, dass Werkstoffkennwerte variieren oder aber sich das Einsatzprofil verändern kann. Die Berücksichtigung dieser Risiken erfolgt sehr häufig durch entsprechende Sicherheitsfaktoren, die zu konservativen und damit unter Umständen zu ökonomisch uninteressanten Auslegungen führen. Die Wahl des Sicherheitsfaktors hängt sehr entscheidend vom Einsatzgebiet der Maschine, der Anlage oder des Verkehrsmittels ab. Die FKM-Richtlinie Rechnerischer Festigkeitsnachweis für Maschinenbauteile [67] definiert einen Sicherheitsfaktor in Abhängigkeit des Werk-
15 2 1 Einleitung stoffs, der Durchführung regelmäßiger Inspektionen und der Schadensfolge, die sich durch den Ausfall eines Bauteils oder einer Struktur für Mensch und Umwelt ergibt. Nach der DIN EN wird in der Eisenbahntechnik die Gefahren- oder Risikostufe nach der Häufigkeit eines Gefahrenfalls eingeteilt. Bei einer Konstruktion nach dem Safe-life -Prinzip ist rein theoretisch keine Inspektion des Bauteils oder der Maschine vorzunehmen. Allerdings treten in der Praxis immer wieder unvorhersehbare Ereignisse, wie z.b. Umgebungseinflüsse oder Nutzungsänderungen auf, die eine Inspektion unverzichtbar machen. In diesem Zusammenhang ist der Begriff safety by inspection geprägt worden [68]. Alternativ zum Safe-life -Prinzip wurden Maschinen, Anlagen und Verkehrsmittel zunächst nach dem Fail-Safe -Kriterium ausgelegt, bei dem für sicherheitsrelevante Bauteile strukturelle Redundanz vorgeschlagen wird. Falls ein Bauteil versagt, überträgt ein anderes die Belastung. Da dies jedoch im Allgemeinen eine sehr kostenintensive Vorgehensweise ist, geht das Schadenstoleranz- Konzept davon aus, dass während des Betriebs in einem Bauteil Fehler auftreten, die unter Überwachung kontrolliert wachsen. Mittels entsprechender Inspektionen wird gewährleistet, dass die Fehler und Risse eine kritische Größe mit einer gewissen Sicherheit nicht überschreiten und so eine Redundanz überflüssig wird. Inbetriebnahme (Neuzustand ohne Fehler) Inbetriebnahme (Neuzustand mit Fehler) technischer Anriss Bruch oder Ausmusterung anrissfreie Phase Rissbildungsphase Rissentstehung Mikrorisswachstum Rissfortschrittsphase Makrorisswachstum Lebensdauer bis zum techn. Anriss Restlebensdauer Gesamtlebensdauer eines Bauteils klassische Betriebsfestigkeit klassische Bruchmechanik Abb. 1.1: Lebensdauer eines Bauteils mit den klassischen Konzepten der entsprechenden Phasen (in Anlehnung an [78]) Diese Auslegungskriterien führen im Allgemeinen dazu, dass die Lebensdauervorhersage von Maschinen, Anlagen oder Verkehrsmitteln durch eine getrennte Betrachtung der Lebensdauerphasen durchgeführt wird. In der Regel wird die Lebensdauer eines Bauteils, die mit der Inbetriebnahme beginnt und mit dem Versagen bzw. dem vorzeitigen Austausch der Komponente endet, in die Lebensdauer bis zum technischen Anriss und die Restlebensdauer unterteilt (Abb. 1). Die Le-
16 1 Einleitung 3 bensdauer bis zum technischen Anriss setzt sich zusammen aus einer anrissfreien Phase und der Rissbildungsphase. Bei Bauteilen, die bereits im Neuzustand mit Fehlern, wie z.b. Lunkern, Poren, scharfen Kerben oder rauen Oberflächen, behaftet sind, entfällt die anrissfreie Phase und die Gesamtlebensdauer des Bauteils beginnt mit der Rissentstehung. Daran schließt sich dann das Mikrorisswachstum an. Die Restlebensdauer ab einem technischen Anriss ist durch die Gesetzmäßigkeiten des Makrorisswachstums gekennzeichnet. Während die klassischen Konzepte der Betriebsfestigkeit eine integrale Aussage über die Lebensdauer bis zum technischen Anriss ermöglichen, kann die Restlebensdauer durch die Konzepte der klassischen Bruchmechanik und des Ermüdungsrisswachstums bestimmt werden. Um jedoch eine zuverlässige Lebensdauerprognose erstellen zu können, sind ganzheitliche Konzepte erforderlich, die die Konzepte der Betriebsfestigkeit und der Bruchmechanik zusammenführen und um die Gesetzmäßigkeiten der Rissentstehung sowie des Mikrorisswachstums erweitern. Ziel dieses Buchs ist deshalb, durch die Beschreibung und den Vergleich existierender Modelle und Konzepte sowie die Bewertung mittels experimenteller, numerischer und analytischer Befunde dem Konstrukteur Hinweise bezüglich der Sicherheit und strukturmechanischen Zuverlässigkeit von Maschinen und Anlagen zu geben. Aus diesem Grund wird in diesem Buch zunächst ein Überblick über die klassischen Auslegungsmethoden sowie die Ermittlung der Belastungs-Zeit-Funktionen und der Werkstoffkennwerte und -kennfunktionen gegeben. Daran schließt sich die Darstellung der Konzepte zur Rissentstehung, zum Kurzrisswachstum und zur Gesamtlebensdauer an, die sowohl auf den Ansätzen der Betriebsfestigkeit als auch der Bruchmechanik basieren. In Bauteilen und Strukturen, die sehr hohen Lastwechselzahlen ausgesetzt sind, wie z.b. Eisenbahnradsatzwellen, können Risse entstehen und wachsen, obwohl die Belastung grundsätzlich unterhalb der Dauerfestigkeit oder sogar unterhalb des Schwellenwertes der Ermüdungsrissausbreitung ist. Aufgrund der zunehmenden Bedeutung dieses Einsatzbereichs werden ferner im Rahmen dieser Arbeit die Ansätze zur Beschreibung des Phänomens des ultra high cycle fatigue dargestellt. Im Hinblick auf die Bewertung der unterschiedlichen Konzepte schließt sich die Beschreibung der experimentellen, numerischen und analytischen Untersuchungen unterschiedlicher Geometrien und Belastungen an. Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse erfolgt eine Diskussion, ein Vergleich und die Anwendung der Konzepte zur Beschreibung der Lebensdauer von Bauteilen, Maschinen, Anlagen und Verkehrsmitteln.
17 Kapitel 2 Konzepte zur festigkeitsgerechten und bruchsicheren Gestaltung Zur festigkeitsgerechten und bruchsicheren Gestaltung von Bauteilen, Maschinen oder Anlagen stehen unterschiedliche Auslegungskriterien zur Verfügung, die sich im Wesentlichen durch die vorhergesagte Einsatzdauer unterscheiden. Bei einer Auslegung nach Safe-life -Kriterien ist sicherzustellen, dass das Bauteil während der Einsatzzeit nicht versagt. In diesem Fall wird eine dauerfeste Auslegung mit hohen Sicherheitsfaktoren eingesetzt, um ein mögliches Ermüdungsversagen mit entsprechenden katastrophalen Folgen zu vermeiden. Dagegen stehen die Konzepte, die auf einer endlichen Lebensdauerprognose basieren. Sie können in folgende drei Gruppen eingeteilt werden: Nennspannungskonzepte, örtliche Konzepte und bruchmechanische Konzept. Die Nennspannungskonzepte gehen von einer globalen Betrachtung der Belastungen und Beanspruchungen im Nennquerschnitt (Abb. 2.1a und d) im Vergleich zu einer Bauteilwöhlerlinie aus. Im Allgemeinen wird mit den Nennspannungskonzepten die Lebensdauer bis zum Bruch unter Verwendung einer Bruchwöhlerlinie bestimmt. In der Originalfassung der Nennspannungskonzepte ist jedoch der Zusammenhang zwischen der Nennspannungsamplitude und der Anrisslebensdauer definiert [270]. Beim örtlichen Konzept wird das elastisch-plastische Werkstoffverhalten (Abb. 2.1b und e) an der kritischen Stelle eines Bauteils zur Vorhersage der Lebensdauer bis zum Erreichen eines technischen Anrisses verwendet. Da Kerben in der Regel die kritischen Stellen eines Bauteils definieren, wird dieses Konzept vielfach auch als Kerbgrund-Konzept bezeichnet. Es wird davon ausgegangen, dass das Material an der versagenskritischen Stelle sich hinsichtlich des Spannungs-Dehnungs- Verhaltens genauso verhält wie eine ungekerbte Probe.
18 6 2 Konzepte zur festigkeitsgerechten und bruchsicheren Gestaltung a) N b) max c) a M M M M M M Spannung = M/W Nennspannung N= M/W min örtliche Spannung max örtliche Dehnung max Spannungsintensitätsfaktor K = f(, a, Geometrie) d) F e) F f) F A max N a A min F Spannung = FA / Nennspannung N= FA / min F örtliche Spannung max örtliche Dehnung max F Spannungsintensitätsfaktor K = f(,, Geometrie) a Abb. 2.1: Konzepte zur Lebensdauerberechnung a) Nennspannungskonzept am Beispiel einer abgesetzten Welle b) Örtliches Konzept am Beispiel einer abgesetzten Welle c) Bruchmechanik am Beispiel einer abgesetzten Welle mit einem Riss der Länge a d) Nennspannungskonzept am Beispiel eines Kerbstabs e) Örtliches Konzept am Beispiel eines Kerbstabs f) Bruchmechanik am Beispiel eines Kerbstabs mit einem Riss der Länge a Da jedoch Bauteile bereits bei der Inbetriebnahme Fehlstellen, wie z.b. Lunker, Poren, scharfe Kerben oder raue Oberflächen, aufweisen können, ist mittels bruchmechanischer Konzepte eine Bauteildimensionierung bzw. eine Lebensdauervorhersage vorzunehmen (Abb. 2.1c und f). Dies ist insbesondere dann wichtig, wenn trotz des Vorhandenseins eines Risses oder eines Materialfehlers die Trag- bzw. Funktionsfähigkeit des Bauteils gewährleistet sein muss. Bei einer sogenannten schadenstoleranten Auslegung wird durch die Festlegung regelmäßiger Inspektionsintervalle mittels bruchmechanischer Konzepte ein Versagen des Bauteils verhindert.
19 2.1 Belastungs- und Beanspruchungs-Zeit-Funktionen Belastungs- und Beanspruchungs-Zeit-Funktionen Um ein Bauteil, eine Maschine oder Anlage auslegen zu können, ist zunächst die Kenntnis der Belastung bzw. der Beanspruchung notwendig. Während der Einsatzzeit ist ein Bauteil einer Betriebsbelastung ausgesetzt, die durch eine Belastungs- bzw. Beanspruchungs-Zeit-Funktion beschrieben werden kann Systematisierung von Belastungs- und Beanspruchungs- Zeit-Funktionen Belastungs-Zeit-Funktionen können grundsätzlich in drei Gruppen eingeteilt werden: konstante oder ruhende, zyklische und stoßartige Belastung (Abb. 2.2). Eine konstante, ruhende oder auch statische Belastung ist durch eine über einen längeren Zeitraum unveränderte Last gekennzeichnet, wie z.b. eine permanent wirkende konstante Betriebsbelastung oder das Eigengewicht einer Struktur. Eine zyklische Belastung kann entweder periodisch oder nicht-periodisch ablaufen. Eine allgemeine periodische Belastung ist durch den Maximalwert der Belastung, z.b. max oder o, den Minimalwert der Belastung, z.b. min oder u, die Amplitude, z.b. a, den Mittelwert, z.b. m, die Schwingbreite, z.b., oder das Spannungsverhältnis R gekennzeichnet. Das R-Verhältnis ist wie folgt definiert: R min. (2.1) max Bei einer allgemeinen periodischen Belastung wird gemäß DIN [47] zwischen einer schwellenden Belastung im Zug- und Druckbereich sowie einer wechselnden Belastung unterschieden. Eine schwellende Belastung im Zugbereich gilt für Spannungsverhältnisse im Bereich 0 R < 1 mit dem Sonderfall der reinen Zugschwellbelastung bei R = 0. Bei negativen R-Verhältnissen, d.h. die Oberspannung befindet sich im Zugbereich und die Unterspannung im Druckbereich, ist eine Wechselbelastung gegeben, wobei eine reine Wechselbelastung bei R = -1, d.h. bei einem Mittelwert von null, definiert ist. Liegt die gesamte Belastung im Druckbereich, tritt eine Druckschwellbelastung auf. Von einer reinen Druckschwellbelastung spricht man, wenn der Maximalwert der Belastung null ist. Im Gegensatz zu einer periodischen Belastungs-Zeit-Funktion, bei der die Amplitude und die Mittelspannung konstant bleiben, ändern sich bei einer nichtperiodischen Belastungs-Zeit-Funktion diese Größen ständig. Nicht-periodische Last-Zeit-Funktionen können sowohl deterministischer als auch stochastischer Art sein. Deterministische Lasten, die durch die geplante Nutzung einer Struktur verursacht werden, wie beispielsweise Manöver eines Flugzeugs [219], können eindeutig beschrieben und vorhergesagt werden. Hingegen sind statistische Last-Zeit- Funktionen, wie z.b. die Belastung eines Schiffs durch den Wellengang, Turbu-
20 8 2 Konzepte zur festigkeitsgerechten und bruchsicheren Gestaltung lenzen auf ein Flugzeug oder Belastungen eines Automobils aufgrund schlechter Straßenbedingungen [219], zufallsbedingt und können allenfalls mit statistischen Methoden beschrieben werden. Sehr häufig treten deterministische und stochastische Lasten überlagert auf, wie z.b. bei der Belastung eines Flugzeugs durch den Manöverflug und gleichzeitig auftretende Turbulenzen. Belastungs-Zeit-Funktion konstante, ruhende Belastung zyklische Belastung stoßartige Belastung periodisch nicht-periodisch max m a t min t t t t Abb. 2.2: Systematisierung einer Belastungs-Zeit-Funktion Bei einer Stoßbelastung erfolgt die Belastung in einem sehr kurzen Zeitintervall t, d.h. die Belastung ist durch einen schnellen Anstieg und Abfall gekennzeichnet, wie beispielsweise unfallartige Ereignisse oder Bordsteinüberfahrten eines Automobils. In Analogie zu der oben dargestellten Systematisierung der Belastungs-Zeit- Funktionen werden ebenfalls Beanspruchungs-Zeit-Funktionen eingeteilt. Beanspruchungs-Zeit-Funktionen ergeben sich entweder aus den Belastungs-Zeit- Funktionen durch rechnerische oder numerische Ermittlung, z.b. der Spannungen und Dehnungen, in Abhängigkeit der Geometrie des Bauteils oder der Struktur sowie durch experimentelle Verfahren Ermittlung von Last-Zeit-Funktionen Die Ermittlung einer Belastungs-Zeit-Funktion für die Berechnung oder die experimentelle Ermittlung der Lebensdauer von Bauteilen und Strukturen wird in eine qualitative und eine quantitative Analyse unterteilt. In der qualitativen Analyse wird zunächst das Einsatzprofil eines Bauteils oder einer Struktur definiert, durch das die voraussichtliche Nutzungsdauer der Konstruktion sowie die Häufigkeit, Verteilung und Reihenfolge der einzelnen Lastfälle festgeschrieben ist [106, 219].
21 2.1 Belastungs- und Beanspruchungs-Zeit-Funktionen 9 Bei der quantitativen Analyse werden die Bauteilbelastungen unter realen Belastungsbedingungen in Abhängigkeit der entsprechenden Lastfälle aufgezeichnet, berechnet, simuliert oder geschätzt. Die Möglichkeiten der Ermittlung der Bauteilbelastung für die Lebensdauervorhersage sind sehr vielfältig. Grundsätzlich stehen die Betriebslastmessung, die rechnerische Simulation, die analytische Simulation oder die Abschätzung zur Verfügung. Bei einer Betriebslastmessung, die für die Lebensdauervorhersage lediglich bei Anlagen im Betrieb vor Änderungen, Umbauten oder Neukonstruktionen ähnlicher Art einsetzbar ist, kann sowohl mit Messelementen, die direkt im Kraftfluss liegen (z.b. Kraftmessdosen, Drehmomentenmesswelle) oder mit Messelementen, die an das Bauteil appliziert werden (z.b. Dehnungsmessstreifen), erfolgen. Hierbei ist sicherzustellen, dass der Messzyklus für die Gesamtnutzungsdauer repräsentativ ist [78]. Die rechnerische Simulation eignet sich sowohl für Maschinen und Anlagen im Betrieb als insbesondere auch in der Planungs- und Konstruktionsphase. Bei diesem Verfahren wird die Belastung in Form einer Schwingungsantwort unter Verwendung eines Mehrkörpermodells simuliert. Beispielsweise können durch virtuelle Simulationen der Straßenfahrt eines Gesamtfahrzeuges unter Verwendung eines Reifenmodells, der numerischen Abbildung eines Straßenprofils und eines Fahrermodells Belastungs-Zeit-Funktionen erstellt werden [84]. Nachteilig bei diesem Verfahren ist, dass die Qualität des Ergebnisses von der Güte des Modells und der Nachbildung der Belastung sowie der Erfahrung des Berechners abhängt. Eine analytische Ermittlung der Bauteilbelastung baut auf den Modellen der Mechanik (z.b. Balken oder Stäben) auf. Somit können unter teilweise starker Vereinfachung und Vernachlässigung äußerer Einflüsse Lösungen für einfache Geometrien gefunden werden. Auf der Basis statistischer Daten (z.b. Verkehrslast- oder Häufigkeitsmodellen, Wetterdaten) sowie von Regelwerken können Abschätzungen unter Einbezug der Abmessungen des Bauteils oder der Struktur durchgeführt werden, die als Lastannahmen auf der sicheren Seite liegen müssen. Trotz großen Messaufwands können die Betriebsbelastungen der gesamten Lebensdauer eines Bauteils oder einer Struktur im Allgemeinen nicht erfasst werden, so dass die ermittelten Daten auf eine längere Zeitspanne extrapoliert werden müssen [79]. Eine sehr häufig angewendete Methode ist, die gemessene Last-Zeit- Funktion mehrfach zu wiederholen, d.h. die Häufigkeiten mit einem Faktor zu skalieren. Dieses Vorgehen ist zulässig, wenn die Extremwerte der gemessenen Belastungs-Zeit-Funktion entsprechend definiert und repräsentativ für die Lebensdauer sind [85]. Johannesson [100] entwickelte einen Ansatz, bei dem die gemessenen Daten zwar wiederholt werden, aber die Spitzenwerte ober- bzw. unterhalb eines Schwellenwertes mittels statistischer Methoden in ihrer Höhe modifiziert werden. Die Amplituden unter- bzw. oberhalb der Schwellenwerte bleiben unverändert. Das Verfahren ist nicht geeignet für Last-Zeit-Funktionen, bei denen der Mittelwert aufgrund unterschiedlicher Belastungsbedingungen, wie z.b. bei Start-
22 10 2 Konzepte zur festigkeitsgerechten und bruchsicheren Gestaltung und Landevorgängen eines Flugzeugs oder bei unterschiedlichen Ladezuständen eines LKW, stark schwankt. In ähnlicher Weise verfährt Buxbaum [34], jedoch verwendet er zur Bestimmung der Größe der Amplituden Wahrscheinlichkeitsverteilungen. Daneben sind unterschiedliche statistische Verfahren zur Extrapolation von Last-Zeit-Funktionen ausgehend von Rainflow-Matrizen (s. Kap ) entwickelt worden [56, 100, 101]. Aus der Kenntnis der Bauteilbelastung können dann mittels analytischer, numerischer oder experimenteller Verfahren die Bauteilbeanspruchungen abgeleitet werden. Je nach angewendetem Konzept sind dazu entweder die Nennspannungen oder die örtlichen Spannungen und Dehnungen zu ermitteln (Abb. 2.1). Die Nennspannungen können sehr häufig durch die bekannten Lösungen der Festigkeitslehre ermittelt werden. Darauf aufbauend ist die Bestimmung der elastischplastischen Spannungen und Dehnungen mittels Näherungsbeziehungen (s. Kap ) für die Anwendung des örtlichen Konzepts möglich. Aufwändiger ist hingegen die Anwendung einer elastisch-plastischen Finite-Elemente-Simulation zur Ermittlung der örtlichen Spannungen und Dehnungen. Deshalb werden numerische Simulationen sehr häufig auf der Basis des elastischen Werkstoffverhaltens durchgeführt und anschließend mittels der oben genannten Näherungsbeziehungen in elastisch-plastische Beanspruchungen umgerechnet Zähl- und Klassierverfahren Grundgedanke der Zähl- und Klassierverfahren ist, eine Belastungs- bzw. Beanspruchungs-Zeit-Funktion in ihre Einzelschwingungen zu zerlegen, um beliebig komplizierte Last-Zeit-Funktionen zu vereinfachen, zu reduzieren, zu vergleichen oder zusammenzufassen sowie um Lebensdauerberechnungen durchführen zu können. Bevor eine Zählung erfolgen kann, ist zunächst eine Klassierung vorzunehmen. Dabei wird der Messbereich in äquidistante Klassen eingeteilt, wobei der Zählnullpunkt unterhalb des niedrigsten Messwertes liegen muss. Die Anzahl der Klassen kann im Allgemeinen zwischen 16 und 256 variieren [78]. Die Zähl- und Klassierverfahren können in einparametrische Methoden, bei denen nur ein Merkmal gezählt wird, und in zweiparametrische Methoden, bei denen zwei zusammengehörende Merkmale registriert werden, unterteilt werden [265]. Grundsätzlich gehen durch die Anwendung eines Zählverfahrens wichtige Informationen, wie z.b. die Reihenfolge der Einzelschwingungen im Ablauf, die Frequenz oder das Zeitgesetz des Schwingungsvorgangs der Belastungs- bzw. Beanspruchungs-Zeit-Funktion, verloren [78]. Zusätzlich fehlen bei einparametrischen Zählformen Informationen beispielsweise über die Mittelwerte. Zu den einparametrischen Verfahren zählen die Extremwertzählung (Peak- Counting), die Klassengrenzenüberschreitungszählung (Level Crossing Counting) und die Bereichspaarzählung (Range Pair Counting). Das Ergebnis einer einpara-
23 2.1 Belastungs- und Beanspruchungs-Zeit-Funktionen 11 metrischen Zählung ist eine Häufigkeitsverteilung, deren Kennfunktion als Kollektiv bezeichnet wird. Die Extremwertzählung liefert die Häufigkeitsverteilung der Spitzenwerte einer Last-Zeit-Funktion. Im Allgemeinen werden die relativen Minimal- und Maximalwerte gezählt, die als Summenhäufigkeit aufgetragen werden [265]. Alternativ dazu können jedoch auch die Extremwerte oberhalb einer definierten Referenzlinie als Maxima und unterhalb der Referenzlinie als Minima oder die absoluten Maxima und Minima zwischen zwei Mittelwertdurchschreitungen gezählt werden [9, 46]. Die Klassengrenzenüberschreitungszählung ergibt die Überschreitungshäufigkeit von Klassengrenzen. Dabei werden die Überschreitungen jeder Klassengrenze jeweils an den aufsteigenden Flanken des Messsignals gezählt. Eine Variante des Verfahrens entsteht dadurch, dass die negativen Flanken gezählt werden [265]. Spannung [MPa] 475,6 400,0 oberer Ast 350,0 300,0 250,0 200,0 2 a 150,0 100,0 50,0 0,0-50,0-85,6 unterer Ast H 0 0,9 3,0 10,0 30,0 100,0 1000, , ,0 Häufigkeit Abb. 2.3: Kollektiv aus der Klassengrenzenüberschreitungszählung des Standardlastspektrums CARLOS/v Abbildung 2.3 zeigt exemplarisch das Kollektiv aus der Klassengrenzenüberschreitungszählung des Standardlastspektrums CARLOS/v, das dem Standardbelastungsablauf für die Vertikalkräfte am Radaufstandspunkt eines PKWs entspricht [224]. Bei einer Aufteilung des Kollektivs in zwei Äste beschreibt der obere Ast näherungsweise die Verteilung der Maxima und der untere Ast näherungsweise die Verteilung der Minima der Last-Zeit-Funktion [78]. D.h. die Differenz der beiden Äste ergibt die Schwingbreite = 2 a. Zu erwähnen ist, dass der Kollektivumfang H 0 sehr häufig nicht der Gesamtlastwechselzahl entspricht. Mit dem Verfahren der Bereichspaarzählung wird die absolute Überschreitungshäufigkeit von Schwingbreiten ermittelt. Ein Schwingspiel besteht aus einer positiven und einer negativen Flanke gleicher Größe und mit gleichem Mittelwert, dem sogenannten Bereichspaar. Zudem können die zueinander passenden Flanken durch ein oder beliebig viele weitere Schwingspiele unterbrochen sein. Sie setzen sich dann aus mehreren Teilstücken zusammen. Flanken, die nicht zu einem Bereichspaar zusammengefasst werden können, bilden das sogenannte Residuum. Im
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