Staat-Klar: Das Bundesverfassungsgericht
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- Greta Brahms
- vor 8 Jahren
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1 Wenn es Streit um wichtige Rechtsfragen gibt, hat oft das Bundesverfassungsgericht das letzte Wort: Es entscheidet, ob eine gesetzliche Regelung mit dem Grundgesetz und damit mit den Menschen- und Bürgerrechten vereinbar ist. An die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts müssen sich dann auch alle anderen Gerichte halten. Recherchiert einige Fälle aus der Vergangenheit in Gruppen und füllt den Steckbrief aus. Die Steckbriefe könnt ihr im Klassenraum aufhängen oder für alle kopieren. Fall 1: Kopftücher in der Schule? Darum ging es: Eine angehende Lehrerin in Baden-Württemberg wollte aus religiösen Gründen im Unterricht ein Kopftuch tragen. Weil sie darauf nicht verzichten wollte, wollte das Oberschulamt Stuttgart sie nicht als Lehrerin einstellen. Die Begründung: Staatliche Schulen sollen in Glaubensfragen neutral bleiben. Die Klagen der Lehrerin vor den baden-württembergischen Verwaltungsgerichten und vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden abgewiesen. Daher wandte sie sich ans Bundesverfassungsgericht. Hier findet ihr Infos: Webseite des Bundesverfassungsgerichts: Pressemitteilung Nr. 71/2003 vom 24. September 2003 oder Urteil vom 24. September BvR 1436/02 Websuche: Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts 2003 Vor dem Bundesverfassungsgericht hatte geklagt (Beschwerdeführerin): Das wollte die Beschwerdeführerin erreichen: Das waren ihre Hauptargumente:
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3 Fall 2: Daten speichern ohne Ende? Darum ging es: Die Beschwerdeführer klagten hauptsächlich gegen das von SPD und CDU verabschiedete Telekommunikationsgesetz von Nach diesem Gesetz mussten Telekommunikationsanbieter Verbindungsdaten ihrer Kunden für sechs Monate speichern und unter bestimmten Umständen Polizei und Staatsanwaltschaft zugänglich machen. Das betraf Daten zu Festnetz- und Handygesprächen, s und Internetverbindungen. Die Vorratsdatenspeicherung sollte der Verbrechensbekämpfung und Terrorabwehr dienen. Hier findet ihr Infos: Webseite des Bundesverfassungsgerichts: Pressemitteilung Nr. 11/2010 vom 2. März 2010 und Urteil vom 2. März BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08 Websuche: Vorratsdatenspeicherung Bundesverfassungsgericht 2010 Das wollte der Beschwerdeführer/die Beschwerdeführerin erreichen:
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5 Fall 3: Nachträgliche Sicherungsverwahrung Darum ging es: Wenn Straftäter von Gerichten als gemeingefährlich eingestuft werden, müssen sie, nachdem sie die Gefängnisstrafe für ihre Tat verbüßt haben, auch weiterhin im Gefängnis bleiben. Durch diese Sicherungsverwahrung soll die Allgemeinheit vor Wiederholungstätern geschützt werden trat eine Regelung in Kraft, die besagte, dass diese Sicherungsverwahrung auch nachträglich angeordnet werden kann. Kurz vor Ende der regulären Haftzeit konnte dann lange nach dem ursprünglichen Urteil Sicherheitverwahrung angeordnet oder über die vorher geltende Höchstfrist von zehn Jahren hinaus erhöht werden. Bereits 2009 stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, dass diese nachträgliche Sicherungsverwahrung unrechtmäßig sei. Hier findet ihr Infos: Webseite des Bundesverfassungsgerichts: Pressemitteilung Nr. 31/2011 vom 4. Mai 2011 und Urteile vom 4. Mai 2011 (Sicherungsverwahrung I, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 740/10, und Sicherungsverwahrung II, 2 BvR 2333/08, 2 BvR 571/10, 2 BvR 1152/10) Websuche: Nachträgliche Sicherheitsverwahrung Bundesverfassungsgericht 2011 tagesschau.de: Verfassungsrichter prüfen mit Sicherheit (Sendung vom 8. Februar 2011) Das wollte der Beschwerdeführer/die Beschwerdeführerin erreichen:
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7 Fall 4: Qualmen in der Kneipe Darum ging es: Seit dem 1. August 2010 gilt in Bayern ein striktes Rauchverbot in allen Gaststätten. Es wurde durch einen Volksentscheid beschlossen. Vorher war das Rauchen in Festzelten, zum Beispiel auf dem Oktoberfest und in Einraumgaststätten oder Rauchernebenräumen von größeren Gaststätten noch erlaubt. Gegen das totale Rauchverbot wehrten sich Anfang August 2010 eine Raucherin und zwei Gaststättenbesitzer. Hier findet ihr Infos: Webseite des Bundesverfassungsgerichts: Pressemitteilung Nr. 58/2010 vom 4. August 2010 und Beschluss vom 2. August BvR 1746/10 Websuche: Rauchverbot Bayern Bundesverfassungsgericht 2010 Das wollte der Beschwerdeführer/die Beschwerdeführerin erreichen:
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9 Kontrollblatt Kontrollblatt Hinweise zu den Lösungen Fall 1: Kopftücher in der Schule? Fereshta Ludin, geb. in Kabul (Afghanistan), seit 1987 in Deutschland, seit 1995 deutsche Staatsbürgerin, Pädagogin, Muslimin Das wollte die Beschwerdeführerin erreichen: Fereshta Ludin wollte in Baden-Württemberg als Lehrerin arbeiten und dabei ein Kopftuch tragen. Mit ihrer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht wandte sie sich gegen die Entscheidung des Oberschulamts Stuttgart, sie nicht als Beamtin auf Probe zu berufen. Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts: In ihrem Widerspruch machte die Beschwerdeführerin geltend, das Tragen des Kopftuchs sei nicht nur Merkmal ihrer Persönlichkeit, sondern auch Ausdruck ihrer religiösen Überzeugung. Nach den Vorschriften des Islam gehöre das Kopftuchtragen zu ihrer islamischen Identität. Die Ablehnungsentscheidung verletze das Grundrecht auf Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Trotz der Verpflichtung des Staates, in Glaubensfragen Neutralität zu bewahren, müsse er bei der Erfüllung des Erziehungsauftrags nach Art. 7 Abs. 1 GG nicht völlig auf religiös-weltanschauliche Bezüge verzichten, sondern habe einen schonenden Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen zu ermöglichen. Anders als beim Kruzifix handele es sich beim Kopftuch nicht um ein Glaubenssymbol. Zudem gehe es hier um ihr individuelles und religiös motiviertes Handeln als Grundrechtsträgerin. Aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts: Ein Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, findet im geltenden Recht des Landes Baden- Württemberg keine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage. Der mit zunehmender religiöser Pluralität verbundene gesellschaftliche Wandel kann für den Gesetzgeber Anlass zu einer Neubestimmung des zulässigen Ausmaßes religiöser Bezüge in der Schule sein. Aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts: (...) [Der] Zweite Senat [hat] festgestellt, dass die entgegenstehenden Entscheidungen der Verwaltungsgerichte und der zuständigen Behörden des Landes Baden-Württemberg die Beschwerdeführerin (Bf) in ihren Rechten aus Art. 33 Abs. 2 i.v.m. Art. 4 Abs. 1 und 2 und mit Art. 33 Abs. 3 des Grundgesetzes verletzen. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wurde aufgehoben und die Sache dorthin zurückverwiesen. Art. 33 GG (2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte. (3) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen. Art. 4 (1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. Das Bundesverfassungsgericht hat damit entschieden, dass die zu dieser Zeit herrschende Gesetzeslage es nicht zulässt, einer Lehrerin das Tragen religiös motivierter Kleidung zu untersagen. Der Gesetzgeber kann jedoch eine solche gesetzliche Regelung schaffen, um der Zunahme verschiedener Religionsrichtungen in Deutschland Rechnung zu tragen.
10 Lehrerblatt Hinweise zu den Lösungen Fall 2: Daten speichern ohne Ende? Knapp Beschwerdeführer aus dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, außerdem Vertreter von FDP, den Grünen und der Gewerkschaft Verdi. Das wollte der Beschwerdeführer/die Beschwerdeführerin erreichen: Sie wollten vor allem erreichen, dass das Telekommunikationsgesetz gekippt wird, da es ihrer Ansicht nach nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts: Die Beschwerdeführer sehen durch die Vorratsdatenspeicherung vor allem das Telekommunikationsgeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Sie halten die anlasslose Speicherung aller Telekommunikationsverbindungen für unverhältnismäßig. Insbesondere machen sie geltend, dass sich aus den gespeicherten Daten Persönlichkeits- und Bewegungsprofile erstellen ließen. Eine Beschwerdeführerin, die einen Internetanonymisierungsdienst anbietet, rügt, die mit der Speicherung verbundenen Kosten beeinträchtigten die Anbieter von Telekommunikationsdiensten unverhältnismäßig in ihrer Berufsfreiheit. Aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts: Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die Regelungen des Telekommunikationsgesetzes und der Strafprozessordnung über die Vorratsdatenspeicherung mit Art. 10 Abs. 1 GG nicht vereinbar sind. (...) Die Regelung ist damit insgesamt verfassungswidrig und nichtig. Aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts: Zwar ist eine Speicherungspflicht in dem vorgesehenen Umfang nicht von vornherein schlechthin verfassungswidrig. Es fehlt aber an einer dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechenden Ausgestaltung. Die angegriffenen Vorschriften gewährleisten weder eine hinreichende Datensicherheit, noch eine hinreichende Begrenzung der Verwendungszwecke der Daten. Auch genügen sie nicht in jeder Hinsicht der verfassungsrechtlichen Transparenz und den Rechtsschutzanforderungen. Art. 10 GG (1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.
11 Lehrerblatt Hinweise zu den Lösungen Fall 3: Nachträgliche Sicherungsverwahrung Die Verfassungsbeschwerden von insgesamt vier sicherungsverwahrten Straftätern wurden verhandelt. Das wollte der Beschwerdeführer/die Beschwerdeführerin erreichen: Zwei der Sicherungsverwahrten klagten dagegen, dass sie länger als zehn Jahre in Sicherungsverwahrung bleiben sollten. Die beiden anderen Sicherungsverwahrten klagten gegen die nachträgliche Anordnung ihrer Sicherungsverwahrung. Alle wollten, dass die nachträglichen Entscheidungen über ihre Sicherungsverwahrung bzw. die nachträgliche Erhöhung des Zeitraums rückgängig gemacht werden. Die Beschwerdeführer argumentierten im Wesentlichen, zur Zeit ihrer Verurteilung hätten andere Regelungen zur Sicherungsverwahrung gegolten als heute; bei einer nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung würden sie daher ohne Basis eines geltenden Gesetzes zu einer Strafe verurteilt. Sie beriefen sich auf Art. 2 GG ( Die Freiheit der Person ist unverletzlich. ), Art 104 ( Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden.), Art. 103 ( Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. ) und Art. 20 ( Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden. ). Außerdem beriefen sie sich auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009, das im Wesentlichen das Bundesverfassungsgericht dazu anhielt, die Sicherungsverwahrung als Strafe zu interpretieren. Die Beschwerdeführer gaben an, ihre Sicherungsverwahrung sei auch tatsächlich mit einer normalen Gefängnisstrafe zu vergleichen. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung bzw. die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung gegen die genannten Grundgesetz-Artikel verstoße. Die Gesetze dazu dürfen noch bis Mai 2013 angewendet werden; bis dahin muss eine Neuregelung geschaffen werden. Zwar seien die Entscheidungen des Europäischen Gesetzhofes für Menschenrechte dem Grundgesetz unterzuordnen. Aber sie dienten als Hilfestellung, um das Grundgesetz im Einklang mit dem Völkerrecht auszulegen. Die Verletzung des Freiheitsgrundsatzes (Art. 2 GG in Verbindung mit Art. 104) und des Vertrauensschutzes (Vertrauen in den Rechtsstaat, Art. 2 in Verbindung mit Art. 20) sei nur nach sorgfältiger Abwägung der Verhältnismäßigkeiten zulässig. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung sei aber unverhältnismäßig.
12 Lehrerblatt Hinweise zu den Lösungen Fall 4: Qualmen in der Kneipe Eine Raucherin, die mehrmals wöchentlich Gaststätten besucht; eine Gaststättenbesitzerin, die ihr Geld hauptsächlich mit geschlossenen Gesellschaften in abgetrennten Räumen verdient; eine GmbH, die ein kleines Pilslokal betreibt, in der nur Raucher arbeiten und nur rauchende Gäste eingelassen werden. Das wollte der Beschwerdeführer/die Beschwerdeführerin erreichen: Sie wollten, dass die neue strikte Rauchverbotsregelung gekippt wird, damit unter bestimmten Umständen in Gaststätten wieder geraucht werden darf. Die Beschwerdeführer sahen sich in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG: Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. ) bzw. ihrer Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG: Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. ) eingeschränkt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Klage nicht angenommen. Aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts: Die Verfassungsbeschwerde hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Grundrechte oder grundrechtgleichen Rechten der Beschwerdeführerinnen angezeigt. Die strikte Neufassung des Rauchverbots verletzt weder die Beschwerdeführerin zu 1) als Raucherin noch die Beschwerdeführerinnen zu 2) und 3) als Inhaberinnen von Gaststätten in ihren Grundrechten. Der Gesetzgeber dürfe dem Gesundheitsschutz gegenüber den beeinträchtigen Freiheitsrechten einen Vorrang einräumen. Dass dies verfassungsgemäß sei, habe das Bundesverfassungsgericht bereits im Urteil vom 30. Juli 2008 festgestellt. Auch eine stärkere Belastung von Inhabern kleiner Einraumgaststätten bis hin zur Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz ist angesichts der für alle Gaststätten geltenden Regelung durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt und zwingt daher nicht zu einer Ausnahmeregelung. (...) Es ist dem Gesetzgeber unbenommen, den Nichtrauchern eine umfassende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Gaststätten gerade auch in der getränkegeprägten Kleingastronomie zu ermöglichen, ohne dass sie sich dabei dem Tabakrauch aussetzen müssen.
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