Krankengymnastik bei neuromuskulären Erkrankungen Teil 1
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- Arnim Krause
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1 1 von 6 Krankengymnastik bei neuromuskulären Erkrankungen Teil 1 B. Neundörfer U. Thiemens Einleitung Tabelle 1 Krankheitsgruppen Neuromuskulärer Erkrankungen 1. und 2. motorisches Neuron - Amyotrophe Lateralsklerose Vorderhornerkrankungen - Poliomyelitis - SMA Polyneuropathien - u.a. HMSN (Typ I und Typ II) Myopathien Strukturelle Myopathien - Muskeldystrophien - entzündliche Muskelerkrankungen - metabolisch-endokrine Myopathien Funktionelle Myopathien - Myotonien - Myasthenie Krankengymnastik ist trotz großer - man kann sogar sagen epochaler - Fortschritte in der Gendiagnostik und trotz erster Ansätze zur Erfolg versprechenden medikamentösen Therapie bei vielen neuromuskulären Erkrankungen die einzige oder zumindestens eine bedeutsame additive Behandlungsform, die, selbst wenn in Zukunft eventuell vermehrt auf kausale Therapieverfahren zurückgegriffen werden kann, nicht verzichtbar ist. Die dabei in Frage kommenden Erkrankungen können schon von Geburt an oder im Verlauf des Kindes- oder Erwachsenenalters zu einer Funktionsstörung des motorischen Systems führen. Traditionsgemäß schließt man in diese Krankheitsgruppe sporadische oder genetisch bedingte neurodegenerative Erkrankungen des 1. und 2. motorischen Neurons sowie alle primär am Muskel ansetzenden Erkrankungen mit ("Strukturmyopathien") oder ohne (Funktionsmyopathien) strukturelle Veränderungen ein (Tabelle 1). Meist handelt es sich um chronisch progrediente Störungen verbunden mit einer Muskelatrophie. Die motorischen Funktionen gründen sich auf das Zusammenspiel von Muskeln, Gelenken und Sensorik, so daß es bei Ausfall einer dieser Komponenten - in diesem Fall der Muskeln - zur Fehlfunktion oder sogar zum völligen Funktionsausfall kommt [7]. Bedeutsam ist dabei auch die Balance zwischen Agonisten und Antagonisten. Ist diese durch Minderfunktion eines Anteils dieses Systems gestört, entwickeln sich durch Kompensations- und Adaptationsversuche der Patienten Kontrakturen und Deformitäten der Gelenke. 2. Allgemeine Zielsetzungen der Krankengymnastik Die aus dem zuvor gesagten, sich ergebenden allgemeinen Zielsetzungen der Krankengymnastik sind in der Tabelle 2 zusammengefaßt [7/11]. Zur Erreichung dieser Zielsetzungen hat der Arbeitskreis "Krankengymnastik der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke" ein Konzept erarbeitet, das die Aufgaben der Krankengymnastik in diesem Kontext etwas modifiziert wie folgt beschreibt: Befunderhebung Feststellung des Gelenk- und Muskelstatus Funktionsbeschreibung, auch aus Sicht des Patienten Tabelle 2 Ziele der Krankengymnastik (U. Thiemens, 1991) Verbesserung der Kraftverhältnisse bzw. Aufhalten der Kraftminderung Funktionsverbesserung und Vermittlung von Ersatzfunktionen Kontrakturprophylaxe und Verminderung von
2 2 von 6 Hinweis auf muskelkrankenspezifische Schwerpunkte (z.b. Kontrakturen), Verlaufsbeobachtung und Dokumentation Entwicklung von Behandlungszielen Sekundärschäden Erwerb und Verbesserung von Atemtechniken: Pneumonieprophylaxe Kreislauftraining und Thromboseprophylaxe Unterscheidung von Nahzielen und Fernzielen Ziele können sein z.b. Erhaltung der Stabilität und Mobilität, Verzögerung einer Verschlechterung, Verbesserung der Koordination, Erlangung von Ersatzfunktionen. Die Ziele müssen auf die Situation des Patienten, seine Erfordernisse am Arbeitsplatz und das häuslichen Umfeld ausgerichtet werden. Entwicklung von Behandlungswegen Wie sind die Ziele am besten zu erreichen? Hier ist besonders wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, daß es nicht nur eine einzige Behandlungsmethode für Muskelkranke gibt. Jeder Physiotherapeut muß mit dem arbeiten, was er am besten beherrscht und es der gegebenen Situation anpassen. Die Behandlung sollte so dynamisch wie möglich gestaltet werden. Spezifizierung einzelner Stadien der Erkrankung und krankengymnastische Antworten Je nach Situation des Patienten sind die Schwerpunkte der Behandlung auf z.b. Atemtherapie, Schwimmen oder Spielen zu legen. Auch die Krankengymnastik-Häufigkeit muß vom Stadium abhängig gesehen werden. Vorausschauende Arbeit sollte vermittelt werden; d.h., daß mit dem Patienten rechtzeitig Funktionen geübt werden, bevor das Fortschreiten der Erkrankung es unmöglich macht. Auch ist es wichtig, die Automatisierung von Bewegungen zu üben. Hilfsmittelversorgung Sie soll individuell und rechtzeitig erfolgen, nicht nur behinderungs- sondern auch situationsadäquat sein, d.h. z.b. auch, auf die familiären Verhältnisse zugeschnitten sein. Insbesondere ist darauf zu achten, daß der Rollstuhl zum richtigen Zeitpunkt verordnet wird, damit die Patienten auch die sozialen Kontakte aufrecht erhalten können Prinzipiell unterscheidet man 2 Arten der krankengymnastischen Übungsbehandlung Die statische (isometrische) Übungsbehandlung, bei der die Muskeln ohne Längenveränderung kontrahiert werden. Ein optimaler Effekt wird bei Beanspruchung der Muskeln von 50-60% der maximalen Kraft bei 20-30% Belastungsdauer der durchzuhaltenden Belastungszeit erreicht. Bei der dynamischen (isotonischen) Übungsbehandlung ändert sich die Muskellänge. Ideal ist wie im täglichen Leben eine Mischung beider Krankengymnastikformen. 3. Wirkungen der Krankengymnastik am neuromuskulären System Sowohl aktive wie auch passive Krankengymnastik hat einen Effekt auf die Aussprossungsaktivität geschädigter peripherer Nerven sowie auf den Stoffwechsel und das Wachstum denervierter Muskulatur. So konnte Hopf [5] bei Hühnern zeigen, bei denen experimentell eine Ischiadicusläsion gesetzt worden war, daß die Reinnervation der Unterschenkelmuskulatur deutlich schneller stattfand, wenn die Tiere im Freigelände und nicht im engen Käfig gehalten wurden. Er erklärte die Differenz (45 gegen 320 Tage)
3 3 von 6 damit, daß die Hühner im Freigelände mehr motorische Aktivität entwickeln konnten. Der gleiche Autor beobachtete bei Armplexusläsionen, daß Schultermuskulatur, die durch fehl eingesprosste Fasern des N. phrenicus durch kontinuierliche Atembewegungen mitstimuliert worden waren, schneller reinnerviert waren als nicht derartig stimulierte Muskeln aus derselben Region [4/6]. Man nimmt an, daß die beschleunigte Regeneration hervorgerufen wird durch eine durch die Bewegung induzierte Aktivierung der aussprossenden Nervenzellen, was durch eine vermehrte Proteinsynthese und einen vermehrten Axonfluß zustande kommt [3/8/12]. Es zeigte sich sogar eine strenge Korrelation zwischen der Proteinsynthese und dem Wachstum der Axone. Über eine Aktivierung der Proteinsynthese wird auch eine Steigerung von Muskelfaserwachstum an denervierter wie auch nichtdenervierter Muskulatur durch passive Dehnung erklärt [2].]. Die Arbeitsgruppe um Mielke [9/10] konnte nachweisen, daß durch gezielte Trainingsprogramme sowohl bei Patienten mit dystrophischen Muskelerkrankungen wie auch bei Patienten mit neurogenen Muskelatrophien ein Zuwachs an Muskelkraft erzielt werden kann. In einem ersten Experiment wurden die Übungen an handelsüblichen Trainingsgeräten durchgeführt. Der Kraftzuwachs betrug bei den Dystrophikern 29%, bei den Patienten mit neurogener Muskelatrophie 32% (Abb.1). CPK-Bestimmung vor und nach dem Training zeigten zwar nach jeder Trainingsarbeit eine Tendenz zum Anstieg, im Gruppenvergleich aber im Laufe der Untersuchung einen abnehmenden Trend (Abb. 2). Dieser Befund wurde bei einer Untersuchung mit isokinetischem Muskeltraining bestätigt, bei dem die Geschwindigkeit des Bewegungsablaufes durch einen variablen apparativen Widerstand konstant gehalten wurde. Literaturangabe [1][Arbeitskreis "Krankengymnastik" der DGM: Beschreibung der Fortbildung für Physiotherapeuten, Freiburg (1996) [2] Goldspink, D.F.: Changes in the size and protein turnover of the soleus muscle in
4 4 von 6 response to immobilisation or denervation. Biochem. Soc. Trans. 6 (1978): 1014 [3] Gutman, E., Jakoubek, B.: Effect of increased motor activity on regeneration of the peripheral nerve in young rats. Physiol. bohemoslov. 12 (1963): 463 [4]Holler, M., Hopf, H.C.: Posttraumatische Synkinesien zwischen Zwerchfell und Muskeln des Plexus brachialis. Dtsch. Z. Nervenhlk. 193 (1968): 141 [5]Hopf, H.C.: Einfluß der Nachbehandlung auf die Nervenregeneration. Melsungen med. Mitt. 46 (1972): 149 [6] Hopf, H.C.: Ein Fall, bei dem Fasern aus dem Nervus phrenicus in die Scapularmuskeln eingewachsen waren. Dtsch. Z. Nervenhlk. 184 (1983): 473 [7] Hyde, S.: Physical Therapy of Muscles Diseases. In: Lane, R. J. M. (Hrsg.): Handbook of Muscle Disease. Marcel Dekker, New York, Basel, Hong Kong (1996): S.663 [8]Lubinska, L.: Axoplasmic Streaming in Regenerating and in Normal Nerves Fibers. Prog. Brain Res. 13 (1964): 1 [9] Mielke, U.: Kontrolliertes dynamisches Krafttraining bei neuromuskulären Erkrankungen. In: Kunze, K., Arlt, A., Thayssen, G. (Hrgs): Neuromuskuläre Erkrankungen, G. Fischer, Stuttgart (1992): S.1987 [10]Mielke, U., Marian, A., Lederer, K., Mayer, C.: Isokinetisches Muskeltraining bei neuromuskulären Krankheiten. In: Schimrigk, K., Haaß, A., Hamann, G. (Hrsg.): Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie Nr. 7, Springer, Heidelberg (1993): S.830 [11]Thiemens, U.: Krankengymnastik. In. Jerusalem, F., Zierz, St. (Hrsg.): Muskelerkrankungen. Klinik, Therapie, Pathologie, G. Thieme, Stuttgart, New York (1991)
5 5 von 6 [12] Vlodicka, Z.: Physiol. bohemslov. 8 (1959): 285, zit. nach Gutman, E.: The denervated muscle. Ceskoslowenska Akademie Ved. Praha (1962) DGM Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.v. Im Moos 4 D-79122Freiburg Anschriften der Verfasser: Prof. Dr. med. B. Neundörfer Direktor der Neurologischen Klinik mit Poliklinik der Universität Erlangen-Nürnberg Schwabachanlage Erlangen U. Thiemens Leitende Krankengymnastin der Neurologischen Universitätsklinik Bonn Siegmund-Freud-Straße Bonn Herausgeber der Schriftenreihe: Prof. Dr. med. R. Dengler Hannover Prof. Dr. med. D. Pongratz München Aventis ZNS-Service Silke Sziede Nattermannallee Köln Postfach Köln Management of Neuromuscular Diseases Krankengymnastik bei neuromuskulären Erkrankungen - Teil 1 Entwurf und Gestaltung DECON Design Contor GmbH Frankfurt am Main ARCIS Verlag GmbH München Druck Locher GmbH Köln ISSN
6 6 von 6 3. Jahrgang Umsetzung für das Internet: Rhône-Poulenc Rorer Elke Kirschnick Abteilung RD Nattermannallee Köln webmaster@dgm.org
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