Beitrag: Weggesperrt und vergessen - Psychiatrieopfer in Deutschland

Transkript

1 Manuskript Beitrag: Weggesperrt und vergessen - Psychiatrieopfer in Deutschland Sendung vom 11. November 2014 von Michael Haselrieder Anmoderation: Immer häufiger landen Menschen in der Psychiatrie. Sie bleiben auch immer länger drin. Weggesperrt, für Jahre, vielleicht für eine Ewigkeit. Das kann Menschen auch nach einer kleinen Straftat treffen, wenn Gutachter und Richter sie für krank und für gemeingefährlich halten. Die Entscheidung wird aber häufig zu schnell gefällt und im Nachhinein zu selten sorgsam überprüft. Und kaum einer kontrolliert die Zustände in der geschlossenen und sehr verschlossenen Abteilung. Eine Blackbox, in der Verurteilte dann Willkür hilflos ausgeliefert sind. Wer oder was ist hier eigentlich verrückt?! Michael Haselrieder leuchtet eine der finstersten Ecken unseres Rechtsstaats aus. Text: Sieben Jahre war Ilona Haslbauer hier gefangen in der geschlossenen Psychiatrie im bayerischen Taufkirchen. Seit August ist sie wieder frei. Ein Gericht entschied, dass sie viel zu lange eingesperrt war. Zum ersten Mal kehrt sie zurück. Ich merke, dass mich die Vergangenheit einholt, und dass ich Herzklopfen habe. Ich war das erste viertel Jahr im Isolationszimmer eingesperrt, ohne Hofgang, 24 Stunden am Tag, ohne Kontakt zu anderen. Das war schon brutal. Dass sie wieder frei ist, verdankt sie auch Nina Hagen. Die Künstlerin hat ihren Fall öffentlich gemacht und sich für die Entlassung eingesetzt. Jetzt treten sie gemeinsam auf. Nina Hagen trägt die Gedichte vor, die Ilona Haslbauer in der Psychiatrie geschrieben hat. O-Ton Nina Hagen, Sängerin: Noch ist der Opfer nicht genug. Nägel in die Psyche gejagt, gemartert und geplagt

2 Ihre Leidensgeschichte beginnt vor fast zehn Jahren: Ilona Haslbauer soll ihre Nachbarin mit einem Einkaufswagen angefahren haben. Wegen vorsätzlicher Körperverletzung wird sie zu vier Monaten Haft verurteilt. Doch ins Gefängnis kommt sie nie. Ein Gerichtsgutachter attestiert ihr wahnhafte Störungen und erklärt sie für gemeingefährlich. Ilona Haslbauer verschwindet sieben Jahre in der Psychiatrie - bis Nina Hagen auf sie aufmerksam wird. Die Nina hat mir ein Stück weit meine Menschenwürde zurückgegeben, seit sie mit mir Kontakt aufgenommen hat, und Hoffnung. Also, vor allem das Gefühl, dass ich doch ein normaler Mensch bin. O-Ton Nina Hagen, Sängerin: Ja, allerdings! Was ihr hinter diesen Mauern in der Psychiatrie angetan wurde, kann die 58-Jährige nie vergessen. Es war im Sommer Ilona Haslbauer will bei einem Pfleger Besucher anmelden. Es kommt zum Streit. Sie weigert sich, zurück auf ihr Zimmer zu gehen. Dann hat er Alarm gegeben, und die haben mich dann auf den Boden niedergerungen, an Armen und Beiden gepackt und weggeschleppt. Ilona Haselbauer wird fixiert, 25 Stunden am Bett festgeschnallt. Der Schmerz breitet sich dann im ganzen Körper aus. Und das ist ganz schlimm, weil man sich nicht bewegen kann. Diese Ohnmacht. Sie nässt sich ein, weil sie nicht zur Toilette kann. Wir fragen nach bei der Klinik in Taufkirchen. Der damals verantwortliche ärztliche Direktor verteidigt sich: O-Ton Prof. Matthias Dose, ehemaliger ärztlicher Direktor Wir sind diejenigen, die in dieser Forensik, wenn Sie so wollen, aus therapeutischen Gründen das Sagen haben. Wenn eine Anordnung getroffen wird: Bitte verlassen Sie den Raum und es wird körperliche Gegenwehr geleistet, dann ist es unser gutes Recht, uns dagegen zu wehren. Und das ist in der Klinik in der Vergangenheit häufiger passiert: Eine Patientin ist 60 Tage fixiert worden.

3 O-Ton Prof. Matthias Dose, ehemaliger ärztlicher Direktor Dieser Fall ist gerichtsmäßig. Da laufen ja Ermittlungen auch gegen mich. Wir haben dazu jetzt bei Gericht eine Stellungnahme abgegeben. O-Ton Frontal21: Halten Sie das denn mit den Menschenrechten für vereinbar, so lange Fixierungszeiträume? O-Ton Prof. Matthias Dose, ehemaliger ärztlicher Direktor Ich halte es dann für vereinbar, wenn es keine Alternative gibt. In Bayern hat die politische Aufsicht über die geschlossene Psychiatrie Sozialministerin Emilia Müller. Ein lange angefragtes Interview sagt sie ab - keine Zeit. Wir versuchen es trotzdem: O-Ton Frontal21: Frau Müller, darf ich Sie ganz kurz fragen, Frontal21, zur Unterbringung in der Psychiatrie. O-Ton Emilia Müller, CSU, Sozialministerin Bayern: Dazu sage ich jetzt momentan nichts. Schriftlich bestätigt uns ihr Ministerium die langen Fixierungen. Man arbeite an einem Gesetz, das die Dauer künftig auf 24 Stunden begrenzen soll. Der Aufenthalt in der Zwangspsychiatrie er betrifft immer mehr Menschen. Das zeigen die Daten für die alten Bundesländer: Seit Mitte der 80er Jahre ist die Zahl der Menschen, die in der geschlossenen Psychiatrie sitzen, stark gestiegen: von fast 2500 auf über Ein Zuwachs von 169 Prozent. Der Grund: Wer einmal eingewiesen ist, bleibt immer länger drin. O-Ton Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP, ehemalige Bundesjustizministerin: Das ist ein besorgniserregender Trend, denn gerade eine immer längere Verweildauer von Betroffenen in psychiatrischen Einrichtungen weckt ja den Verdacht, dass möglicherweise zu schnell, zu leicht diese Verweildauern geschaffen werden, durch immer wieder Verlängerung der Aufenthalte. Teile der Psychiatrie sind zu Hochsicherheitstrakten umgerüstet worden. Ein Trend, den auch Chefarzt Christian Oberbauer mitgemacht hat.

4 O-Ton Dr. Christian Oberbauer, Chefarzt Klinik für forensische Psychiatrie Wiesloch: Wir haben das so erlebt, dass in der medialen Diskussion der letzten 10, 15 Jahre doch sehr dieser Sicherheitsanspruch da in den Blick genommen wurde. Und insofern ist es eigentlich begrüßenswert, wenn jetzt auch mal der Gegenpol auch ein Stück weit in die Diskussion rückt. Mit dem Fall Mollath ging es wieder stärker um die Freiheitsrechte der Insassen. Doch die von der Politik angekündigten Reformen sind über einen Entwurf bisher nicht hinausgekommen. O-Ton Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP, ehemalige Bundesjustizministerin: Ich halte den Entwurf wirklich für zu zurückhaltend, für sehr, sehr zaghaft. Denn man muss ein engmaschiges Netz jetzt schaffen. Engmaschige Kontrollen nach kurzen Zeitabständen, ob jemand zu wirklich zu Recht oder zu Unrecht untergebracht ist. Thomas Lindlmair ist seit drei Jahren untergebracht - in der Psychiatrie in Wasserburg am Inn. Nur für ein paar Stunden pro Woche darf er raus. Er hat einen Verein für Psychiatrie-Opfer gegründet, will Missstände anprangern. O-Ton Thomas Lindlmair, Vorstand Deutscher Forensik-Bund Germering: Jeder Mensch braucht einmal ein Rückzugsgebiet, jeder Mensch braucht seine Privatsphäre. Und genau das haben Sie hier nicht mehr. Also, ich denke, dass hier auch innerhalb der Forensik Verhaltensweisen oder auch Krankheiten entstehen, die dann behandelt werden, die aber erst in der Forensik entstanden sind. Thomas Lindlmair ist eingewiesen worden, nachdem er sich gegen die Räumung seiner Wohnung gewehrt hatte. Er ließ den Gerichtsvollzieher nicht rein. Der Vorwurf: Widerstand gegen die Staatsgewalt. Lindlmair zeigt uns das kurze Gutachten, das ihn in die Geschlossene gebracht hat: Rein nach Aktenlage ergeben sich forensischpsychiatrischerseits dringende Gründe dass seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wird. O-Ton Thomas Lindlmair, Vorstand Deutscher Forensik-Bund Germering: Er hat einfach ein Gutachten nach Aktenlage gemacht. Das hat dazu geführt, dass ich eingefahren bin, zwangseingewiesen bin. Der Gutachter hat mich nicht gekannt.

5 Das Gutachten stammt vom Chefarzt der Klinik, in der Lindlmair jetzt untergebracht ist. Wir bitten um Stellungnahme. Keine Reaktion. Hanna Ziegert arbeitet seit 30 Jahren als Gerichtsgutachterin. Sie kritisiert ihren Berufsstand. Gutachter und Justiz hätten eine unheilige Allianz geschlossen. O-Ton Dr. Hanna Ziegert, Fachärztin für Psychiatrie und Gutachterin: Der Richter oder Staatsanwalt kann immer den Gutachter auswählen und er wird vereinzelt nach dem zu erwartenden Ergebnis auswählen. Außerdem ist der Gutachter finanziell überwiegend abhängig von Aufträgen der Justiz. Das heißt also, er wird auch immer bewusst, unbewusst - darauf achten, dass das Ergebnis so ist, dass er mit weiterhin mit Aufträgen rechnen kann. Was dringend fehlt in Deutschland, ist eine unabhängige Behörde quasi, die die Gutachter verteilt. Doch das ist im Gesetzesentwurf erst gar nicht vorgesehen. Und unklar ist, wann die Politik die Reform überhaupt umsetzt. Für viel Menschen in der geschlossenen Psychiatrie bedeutet das - warten und weiter weggesperrt sein. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.