Dr. Daniela Schiek Universität Duisburg-Essen
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1 Männer sollen anders sein als Frauen. Wie zielführend ist geschlechtersensible Gesundheitskommunikation? Dr. Daniela Schiek Universität Duisburg-Essen "Eine Frage des Geschlechts? Gesundheitskommunikation gendersensibel gestalten." Tagung der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Nds. e.v. 21. November 2013 Hannover
2 Daniela Schiek: Männer sollen anders sein als Frauen. Wie zielführend ist geschlechtersensible Gesundheitskommunikation? Aufbau I. Was ist (alles) geschlechtersensible Gesundheitskommunikation? II. Wofür ist geschlechtersensible Gesundheitskommunikation gut? III. und wofür nicht?
3 I. Was ist (alles) geschlechtersensible Gesundheitskommunikation? 1. Gegenentwurf zum androzentristischen Körper- und Gesundheitsbild Geschlechterdifferenzierende Gesundheitskommunikation richtete sich ursprünglich gegen androzentristische bzw. patriarchale Sichtweisen auf Gesundheit und Körper: Trotzdem das zweigeschlechtliche das eingeschlechtliche Körperbild im späten 18. Jh. ablöste, blieben männliche Körper und Lebensweisen die Maßstäbe, an denen die der Frauen (komplementär) bemessen wurden. Demgegenüber wurden (v.a. von der Neuen Frauenbewegung Ende der 1960er Jahre) die eigenen körperlichen Funktions- und Erfahrungsweisen erforscht und behauptet. Gendermainstreaming im Gesundheitswesen wird auch heute noch unter anderem vor dem Hintergrund männerzentrierter Evidenz- und Qualitätsmessungen und entsprechender Benachteiligungen von Frauen in der gesundheitlichen Versorgungsqualität eingefordert.
4 I. Was ist (alles) geschlechtersensible Gesundheitskommunikation? 1. Gegenentwurf zum androzentristischen Körper- und Gesundheitsbild So werden Frauen andere, häufig unspezifische, weniger innovative und weniger kostenintensive Untersuchungen und Arzneimittel verordnet (z. T. auch "Verlegenheitsverordnungen"). Vor allem im Bereich der koronaren Krankheiten wird eine Vernachlässigung ihrer Diagnose und Behandlung bei Frauen festgestellt: Herz- und Kreislauf-Erkrankungen gelten als Männerkrankheiten und es fehlt an Aufmerksamkeit gegenüber Symptomen und Risiken bei Frauen, was eine gendersensible Ansprache notwendig macht.
5 I. Was ist (alles) geschlechtersensible Gesundheitskommunikation? 1. Gegenentwurf zum androzentristischen Körper- und Gesundheitsbild Dabei bezieht sich das Plädoyer, Frauen in bisher als männlich deklarierten Feldern mehr zu berücksichtigen, sowohl auf die Patientinnen- als auch auf die Ebene der medizinischen Professionen: Es zielt auf die Auflösung von (kostenintensiven und innovationsbehafteten) Gesundheitsfeldern als "Männerkrankheiten" und ihrer (prestige- und einkommensträchtigen) Therapie als "Männerarbeit". Auch in globaler Perspektive fokussieren Programme zur Geschlechtersensibilität auf die stärkere Partizipation von Frauen.
6 I. Was ist (alles) geschlechtersensible Gesundheitskommunikation? 2. Gebot der Geschlechterdifferenzierung in Gesundheitspolitik und - organisationen als Gendermainstreaming-Programme sind hier allerdings grund-legender und umfassender; sie müssen z. B. bei elementaren Menschrechtsverletzungen gegenüber Frauen und auf z. T. niedrigem Niveau gesundheitlicher Versorgung ansetzen. Gendermainstreaming verfolgt "weltweit" das Ziel der gerechten Verteilung (von Ressourcen, Macht, Verantwortung usw.) und der Bekämpfung von Benachteiligung von Frauen (WHO). Gesundheit wird dadurch als ungleich verteiltes und umkämpftes Gut betont und Gendersensibilität ist aus dieser Perspektive die Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebensbedingungen, die sich entsprechend "somatisieren".
7 I. Was ist (alles) geschlechtersensible Gesundheitskommunikation? 2. Gebot der Geschlechterdifferenzierung in Gesundheitspolitik und - organisationen Die meisten Gendermainstreaming-Programme setzen Geschlechterdifferenz allerdings nicht nur als Ergebnis, sondern auch als Ursache von Ungleichheit: Geschlecht gilt dann als unabhängige Variable. Ausgangspunkt: Nach Geschlecht differenzierte (keine geschlechtsneutrale) Wirklichkeit regelmäßige und Vorab-Berücksichtigung der Geschlechterdifferenz im Gesundheitswesen (BzgA, Ministerien, Bildungseinrichtungen usw.) Differenzierung der Maßnahmen und Ansprache. Geschlecht(erdifferenz) soll also das Gesundheitswesen und -handeln maßgeblich bestimmen.
8 I. Was ist (alles) geschlechtersensible Gesundheitskommunikation? 3. Folge und Medium des gesellschaftlichen Gleichheitstabus Geschlechtersensibilität ist, wenn sie auf Geschlechterunterschiede als Ursache (statt Ergebnis) zugeschnitten wird, kein blinder Fleck sondern Ausdruck von sozialer Normkonformität und gesellschaftlicher Kompetenz: Es gehört zum Ausweis kompetenter Gesellschaftsmitglieder, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu kennen, zu erkennen und für ihr Erkennen (bei sich selbst und dem Gegenüber) zu sorgen. Geschlechtersensible Gesundheitskommunikation ist daher eine Folge und zugleich ein (wenn nicht das wichtigste) Medium des gesellschaftlichen Gebots der Geschlechterdifferenzierung.
9 II. Wofür ist geschlechtersensible Gesundheitskommunikation gut? Funktion der Aufrechterhaltung sozialer Ordnung Gesundheit und Körper sind Schnittpunkte zwischen Gesellschaft und Natur, sie spiegeln stets gesellschaftliche Ordnungen bzw. Ordnungsvorstellungen wieder ( Ontologisierung bzw. Somatisierung sozialer Ordnung): Symptome und Befindlichkeiten werden zeit- und gesellschaftsspezifisch entlang sozialer Ordnungsvorstellungen interpretiert, diagnostiziert und behandelt. Gleichzeitig schreiben sich soziale Ordnungen in Körper und Befindlichkeiten ein, werden inkorporiert und habitualisiert und somit "evident". Gesundheit und Körper eignen sich daher besonders gut, Geschlechterordnungen ein natürliches Fundament zu geben und sie "wirklich" zu (er-) leben.
10 II. Wofür ist geschlechtersensible Gesundheitskommunikation gut? Funktion der Aufrechterhaltung sozialer Ordnung Unterscheidungen in den Ernährungs- und Körperstaturnormen sind dabei die wichtigsten, weil alltäglichsten und sichtbarsten Modi der Geschlechtsmarkierung. Die Berücksichtigung von Geschlechterunterschieden in Hinsicht auf das Körper- und Gesundheitshandeln ist also nicht nur ein Instrument zur Aufhebung von Benachteiligungen sondern stets auch zur Aufrechterhaltung und Pointierung von Differenz (Doing Health = Doing Gender).
11 III. und wofür nicht? Offenheit bei der Diagnostik Als (programmatisch geforderte) Vorannahme kann die Geschlechterdifferenzierung auch die Ursache für ungleiche Versorgungsqualität und entsprechende (mangelnde) Sensibilitäten und Gesundheitshandlungen bei Männern und Frauen sein. Dass bspw. Frauen nicht "auf ihr Herz hören", liegt auch daran, dass sie nicht betroffen gemacht werden: Bereits die Diagnose(verfahre)n machen Männer zu typischerweise koronar und Frauen (mit den gleichen Symptomen) zu typischerweise psychisch Erkrankten. Geschlechterdifferenzierung kann also zu Fehldiagnosen und somit verheerenden Folgen führen. Versorgungsdefizite sind nur erkenn- und lösbar, wenn zunächst eine gemeinsame und u. U. gleiche Betroffenheit angenommen - der Diagnose, Präventions- und Rehabilitationsprozess also geöffnet und gerade nicht geschlechtsspezifisch von vornherein geschlossen wird.
12 III und wofür nicht? Erreichbarkeit aller Sonst muss in der Gesundheitskommunikation stets gegen die Folgen der gesellschaftlichen Geschlechterunterscheidung angekämpft werden. Körper als Austragungsorte ( Somatisierung) gesellschaftlicher Ordnungsvorstellungen. Dabei werden Bestätigungen belohnt und Abweichungen sanktioniert: Zu wissen, wie man sich seinem Geschlecht entsprechend (auch und gerade körperlich) "richtig" verhält, ist ein Ausweis sozialer Kompetenz. Hieraus entstehen widersprüchliche Anforderungen an das Gesundheitshandeln: Bspw. sollen sich Männer weniger riskant oder "kräftig" verhalten (z.b. ernähren), obwohl (nur) dies gesellschaftlich abverlangt und entsprechend belohnt, gegenteiliges Verhalten hingegen bestraft wird. Um Männer und Frauen beide gleichermaßen anzusprechen, ist es also notwendig, von ihnen keine Differenz zu erwarten und im Gegenteil vorhandene Differenzierungen zu hinterfragen, wenngleich dies ein umfassendes gesellschaftliches Umdenken erfordert.
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