Das Zusammenspiel der proteischen und entgrenzten Karrierekonzepte
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- Ulrich Hartmann
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1 Das Zusammenspiel der proteischen und entgrenzten Karrierekonzepte Isabel Martynajtis Freie Universität Berlin Ausarbeitung der Rollenspiel Sitzung vom im Seminar Nr Erwerbsbiographien der Zukunft WS 2007/08 Dozentin Dipl. Ök. Dipl. Psych. Luiza Olos Fachbereich Erziehungswissenschaften und Psychologie, Arbeitsbereich Arbeits- Berufs- und Organisationspsychologie
2 Inhalt: Einleitung / Überblick....2 entgrenzte und proteische Karriereorientierung. Mischtypen. Rollenspiel Zur Validität / Reliabilität der Messinstrumente empirisches Material Ergebnisse der Spielauswertung und der Diskussion...3 Partnerschaft. Werte. soziale Bewertung. subjektive Zufriedenheit Zur sozialen Frage / Gesellschaftskritik / Kapitalismuskritik....6 Rolle der Psychologie. Art der Forschung Männergesellschaft und Kopfgeburt Zeugung ohne Frauen... 7 Vorteile für Männer. Doktorväter nachträgliche Anmerkung...8 Anhang... 9 Handzettel der Sitzung. Frauen in der Wissenschaft Literatur Bildnachweis
3 Einleitung / Überblick In dieser Sitzung beschäftigten wir uns mit den Kombinationen der Konzepte der entgrenzten und der proteischen Karriere. Um die Thematik noch einmal zu vergegenwärtigen gebe ich zuerst einen Rückblick: Was ist das Konzept der proteischen Karriere? ( ) eine Karriere, die selbstbestimmt ist und eher von persönlichen Wertvorstellungen als von Belohnungen einer Organisation angetrieben ist und die der ganzen Person, der Familie und dem Sinn des Lebens dient. (Hall, 2004, S.2, Übersetzung C. Lang) Wesentlich sind hier die zwei Dimensionen selbstgesteuert und wertegeleitet. Was ist das Konzept der entgrenzten Karriere? Als entgrenzt werden Karrieren bezeichnet, die organisationale Grenzen überschreiten, Hierarchie- und Beförderungsmuster brechen, nicht von einer Organisation gemacht sind, sondern vom Akteur der Karriere (Arthur, 1994). Wesentlich sind hier die zwei Dimensionen physische Mobilität und psychologische Mobilität im Sinne einer grenzenlosen Denkweise. Die Konzepte der entgrenzten und der proteischen Karriere sind voneinander unabhängige Konstrukte, die eng miteinander in Verbindung stehen. Briscoe et al. haben diese Konzepte operationalisiert und untersucht, inwieweit sie sich überlappen (Briscoe et al., 2006). Alle vier Dimensionen korrelieren miteinander. Zeitgleich zu diesem empirischen Material entwickeln Briscoe & Hall in einer theoretischen Arbeit acht Mischtypen der beiden Karrierekonzepte und liefern gleich Vorschläge zur Karriereverbesserung mit (Briscoe und Hall, 2004). Eine Übersicht ist im Anhang beigefügt. In einem Rollenspiel inszenierten wir fünf von diesen Karrieretypen. Auf einem Klassentreffen zehn Jahre nach dem Abitur treffen Protean Career Architect, Hired Gun/Hired Hand, Wanderer, Fortressed und Trapped/Lost aufeinander. Anschließend versuchte das Publikum zu erraten, um welchen Typ es sich jeweils handelte. 1. Zur Validität / Reliabilität der Messinstrumente Die Arbeitsgruppe um Briscoe & Hall führte drei quantitative Studien zu den proteischen und entgrenzten Karrierekonzepten durch. Für die erste Studie 2
4 wurden zwei Skalen als Messinstrumente für proteische Karriereeinstellung und entgrenzte Karriereeinstellung entwickelt. Die Items der Skala für proteische Karriereeinstellung repräsentieren dabei die beiden Dimensionen wertegeleitet und selbstgesteuert. Die Items der Skala für engrenzte Karriereeinstellung beinhalten sowohl physische Mobilität als auch psychologische Mobilität. Die Stichprobe setzte sich zusammen aus 100 Studierenden der Wirtschaftswissenschaften (ohne Abschluss) einer privaten und einer öffentlichen Universität in den USA, 113 Teilzeit- Studierenden der gleichen Universitäten und 85 mittlere Manager und höhere leitende Angestellte. Ziel der beiden folgenden Untersuchungen war die Ermittlung der Reliabilität und Validität der Skalen. Bestimmte Items wurden gestrichen. In beiden Untersuchungen setzte sich die Stichprobe ähnlich zusammen (ohne Manager und Angestellte), bei der zweiten wurde das Geschlecht mit erhoben. Wichtige Ergebnisse sind die hohe Korrelation von proteisch- und entgrenzt- Messwerten. Verschiedene Persönlichkeitsvariablen wurden mit den Karriereeinstellungen korreliert: Authentizität, Offenheit für neue Erfahrungen und eine proaktive Persönlichkeit korrelieren hoch mit allen vier Dimensionen. Für das Geschlecht ließ sich keine Korrelation feststellen und einfach nur Mobilität korreliert mit keiner Karriereeinstellung. Die ermittelten Daten beziehen sich auf die Zukunftsvorstellungen der Befragten und nicht auf gelebte Karrieren. 2. Ergebnisse der Spielauswertung und der Diskussion Für das Publikum war es schwer, in dem Spiel jeden Karrieretyp eindeutig zu erkennen. Nur bei einigen war es nicht schwer zu erraten. Das deutet auf drei Sachverhalte hin: Erstens handelt es sich um theoretisch entwickelte Typen, die so im Leben kaum in Reinform vorkommen. Zweitens sind damit noch einmal die Überschneidungen der entgrenzten und der proteischen Karriere belegt. Drittens zeigt sich, und das wurde auch im Gespräch deutlich, dass wir unterschiedliche Vorstellungen von den Typen und den vier Dimensionen wertegeleitet, selbstgesteuert, psychologische Mobilität und physische Mobilität haben. 3
5 Abgesehen davon bietet selbst die Diskussionsrunde im Seminar nur einen begrenzten Ausschnitt des breiten Spektrums an Sichtweisen und persönlichen Bedeutungen/Vorstellungen, da uns allen gemeinsam unser studentischer Blickwinkel auf die Thematik ist. Eine weitere Beobachtung, die sich direkt aus der Spielanalyse ergab ist die, dass in dieser Typologie offensichtlich das Ändern von Werten im Lauf des Lebens nicht berücksichtigt wird. Es handelt sich hier also eher um Beschreibungen, die für den jeweils gerade-jetzt -Zustand gelten. Als wichtigster Anlass für eine Umorientierung in der Karriereplanung wurde deutlich die Gründung einer Familie benannt. Da die Spielanweisung die Möglichkeit eine/n Partner/in mitzubringen freistellte und einige Karrieristen das auch taten war auch die Frage nach den Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Paarbeziehung in der neuen Karriere bzw. deren Unmöglichkeit angesprochen. Worum handelt es sich nun eigentlich bei der Werte-Orientierung? Sind Werte immer gleich gute Werte? Briscoe und Hall nennen ja als Beispiel für den Typ des Protean Career Architect Mahatma Gandhi. Hier müssen wir uns wieder klar machen, dass wir hier die Karrieregestaltung betrachten und nicht die allgemeine Lebensgestaltung. Das heißt, dass alle Orientierung, Werte, Verhaltensweisen usw. in ihrer Bedeutung für die Gestaltung des Berufslebens betrachtet werden. Also bedeuten Werte in diesem Zusammenhang erstmal nur eigene Werte, in Abgrenzung zu den Werten einer Organisation, für die der Karriereakteur arbeitet. Dies bringt mich allerdings wieder zu der Frage nach der ethischen Bewertung. Zur Demonstration ein Beispiel: Reinhard Gehlen, der vom Abteilungsleiter der 12. Abteilung des Oberkommandos des Heeres Fremde Heere Ost (Spionage, Feindaufklärung, Sabotage, psychologische Kriegsführung) erst im Dienste der USA geheimdienstlich arbeitete und später den BND, so wie er heute noch existiert aufbaute. 4
6 Den könnte man doch in allen vier Karrieredimensionen hoch einstufen. In seiner Biographie finden sich deutliche Hinweise auf Selbstgesteuertheit und wenn man als persönlichen Wert, dem der Akteur organisationsübergreifend in seiner Karrieregestaltung folgt die Konstante Antikommunismus annimmt Soll das dann auch ein Protean Career Architect sein? Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Diskussion ist m.e. der wertende Charakter in der Wortwahl von Briscoe und Hall. Der Karrieretyp, bei dem alle vier Dimensionen niedrig sind wird Trapped/Lost genannt und als passiv, reaktiv eingeschränkt, mit geringer Kontrolle über seine berufliche Laufbahn beschrieben. Lost Loser : der Verlierertyp. Zum einen wird somit eine positive Wertung eines solchen Berufsverlaufs verhindert ( ich bin so ein Sonnenscheinchen, mir macht sogar das Bäumepflanzen im Wald Spaß. ), andererseits können ja auch gesellschaftliche und wirtschaftliche Verhältnisse zur Ausübung einer Loserkarriere führen bzw. beitragen. Diese werden nicht benannt und es kann somit der Eindruck eines individuellen Unvermögens entstehen. So werden dann auch Bereitschaft und Fähigkeit (zu Mobilität zum Beispiel) eher als Persönlichkeitsvariable gesehen: lack of emphasis on inner values, such people are inflexible, able to work well across boundarys psychologically, although not as willing to do so physically. They are not interested (Briscoe & Hall, 2006, S.10-13). Aber auch eine positve Wertung wird vorgenommen, besonders bei Annäherungen an den Typ Protean Career Architect : strong ability, accomplish truly marvelous things u.ä. (Briscoe & Hall, 2006, S Klar, starke Typen vollbringen Wundertaten und sie stehen einsam an der Spitze. ( This career perspective in all likelihood does not apply to many people., Briscoe und Hall, 2006, S.15) Protean Career Architect sollen also nur wenige sein, andererseits zielen alle Interventionsvorschläge auf eine Annäherung an diesen. 1 Das ist eine Widersprüchlichkeit, wie wir sie aus der realen Arbeitswelt kennen, wenn es um hohe Positionen (und das sind auch die hoch bezahlten) geht. 1 Wer dann all die Führer braucht wird nicht näher erläutert. 5
7 In den vergangenen Sitzungen kam immer wieder auch die Frage nach der subjektiven Zufriedenheit mit der Karriere zur Sprache. (objektiver vs. psychologischer Erfolg). Bei Briscoe & Hall fällt auf, dass diese Komponente fehlt außer beim Protean Career Architect. Der versucht, Sinn und Erfolg mittels seiner Karriere zu definieren. (S.15) Interessant ist, dass Sinn und Erfolg voneinander getrennt sind. Oft scheinen sie also nicht gleichzeitig in einer Karriere verwirklicht zu werden. (Was ja die Alltagserfahrung/beobachtung bestätigt: Hobby und Beruf.) 3. Zur sozialen Frage / Gesellschaftskritik / Kapitalismuskritik Zunächst einmal sollte klar sein, dass es sich bei der hier behandelten Literatur um Managementforschung handelt. Das heißt, dass nur ein Ausschnitt der arbeitenden Bevölkerung relevant ist. Es handelt sich also gewiss nicht um soziologische Arbeiten und auch die Psychologie spielt hier eher die Rolle von human engineering als eine Wissenschaft nützlich zur Aufdeckung von Zusammenhängen von menschlichem Erleben und Verhalten. Oft taucht in den Diskussionen im Seminar Kritik an einer solchen Art Wissenschaft zu betreiben, im weiteren Sinne Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse auf. Gerade die beschriebenen empirischen Untersuchungen sind ein Beispiel dafür, wie gesellschaftliche Zustände in der Forschung ausgeklammert werden können. Die Versuchspersonen kommen aus öffentlichen bzw. privaten Universitäten. Soweit ich weiß ist dies ein sehr wichtiger Unterschied in den USA. Trotzdem wurden beide Gruppen zu einer Stichprobe zusammengefasst, so dass sich Unterschiede der Gruppen nicht mehr ermitteln lassen. Somit ist verhindert, dass der soziale und ökonomische Hintergrund der Karriereakteure überhaupt auftaucht. Und das, obwohl den Wissenschaftlern z.b. bekannt ist, dass der beste Prädiktor für eine proteische Karriereorientierung die Anzahl der Länder ist in denen eine Person war (Hall 2004, S.8). Und das ist ja meist eine Frage des Geldbeutels. 2 Es scheint mir auch widersprüchlich, eine Karriere als selbstgesteuert zu bezeichnen, wenn bei den Autoren die Anpassung der Menschen an die 2 Stipendien u.ä. sind auch eine Frage des Geldbeutels, nur eben nicht des eigenen 6
8 veränderten Bedingungen der Arbeitswelt als Zwang beschrieben wird. (Hall 2004, S.5: forced to become more protean, siehe auch die Ausführung zum Karrieretyp Fortressed in Briscoe & Hall 2006, S.12) Selbstgesteuert wäre hier also im Sinne restriktiver Handlungsfähigkeit zu verstehen, keinesfalls als Anpassung der Bedingungen an den Menschen. Dies scheint allerdings bei einigen, sehr wenigen Protean Career Architects der Fall zu sein. Interessant ist hierbei die Funktion der Vereinzelung des Helden, der besonderen, herausragenden Persönlichkeit: gerade durch das besondere, einmalige wird diese Option (das Sich-nicht-anpassen) nicht erreichbar für viele oder alle. Es bleibt also individueller Einzelfall: ein Privileg für wenige und nicht kollektives Verändern von Bedingungen für alle (konkret: die Arbeitswelt). 4. Männergesellschaft und Kopfgeburt Zeugung ohne Frauen Obwohl die Texte formal nicht darauf hinweisen, dass die eine oder andere Karriere eher von Männern oder eher von Frauen gelebt wird, finden sich doch in den Texten von Hall Implikationen darüber. Insgesamt kann man sagen, sind die Arbeiten dieser Forschergruppe eher deskriptiv. Ein emanzipatorischer Charakter der Arbeiten lässt sich in Bezug auf die Geschlechterrollen nicht finden. So finden wir bei Hall 2004 folgende Passage: And certain groups (such as young males under 40) may be experiencing more freedom and mobility than women and other groups; she also finds that coaching and mentoring help these less advantaged groups. (Hall,D.T., The protean career: A quarter-century journey. Vocational Behavior 65, S.6) Das oben erwähnte an der Spitze stehen sind sprachlicher Ausdruck der männlich orientierten Berufswelt. Spitze, top, Top- Management, knallhart verhandeln, glänzend, Vorreiter: Ganzes, Hochstehendes als positive Codierung. Dass außerdem an der Spitze meist Männer stehen beschreibt Hall in der Einleitung des eben zitierten Textes. Eine Männerrunde erheitert sich an dem genealogischen Spiel wer wessen Vater, Großvater usw. ist! Die Gruppe wird als akademische Familie bezeichnet und das, ohne ein einziges Mal eine Frau zu erwähnen. Hier können 7 Männer endlich ohne Frauen zeugen. Doktorvater ein geläufiger Begriff.
9 Wer hat schon je von Doktormüttern gehört? (obwohl es sie gibt). Zum Anteil an Frauen in hohen wissenschaftlichen Positionen sind im Anhang zwei Tabellen beigefügt. Die Integration von Frauen in die wissenschaftliche Männergesellschaft (oder auch in die Männer-Hierarchien der Berufswelt) ändert allerdings nicht notwendig gesellschaftliche Verhältnisse (das Patriarchat). Eine bloße Teilhabe an (oder Inhabe) der wirtschaftlichen Macht ändert nichts an der Macht selbst, also am Unterdrückungsverhältnis. Das ist, mit dem berühmten Kuchenvergleich gesprochen, wie ein Stück vom Kuchen abbekommen, der eigentlich gar nicht schmeckt. nachträgliche Anmerkung Die Einleitung, die Abschnitte 1 und 2 sowie der Handzettel im Anhang enthalten die wichtigsten Informationen aus dem Bezugstext und der Gruppendiskussion. In den Abschnitten 3 und 4 sind von mir selbstgewählte Fragestellungen erarbeitet. Andere Sichtweisen und Gewichtungen der Problematik sind möglich. Ich möchte hier noch mal darauf hinweisen, dass, in einem gewissen Rahmen, die hier vorgestellte Forschung sinnvoll ist und die Ergebnisse sich in der praktischen Arbeit mit höherqualifizierten Arbeitnehmern (und Arbeitnehmerinnen, aber nicht so vielen...) anwenden lassen. Der Widerspruch entsteht erst an der Stelle, wo die Fragen über diesen Rahmen hinausgehen. In den angeregten und anregenden Diskussionen im Seminar bin ich auf diese beiden Aspekte aufmerksam geworden. Vielen Dank an Alle fürs Mitmachen! 8
10 Anhang 9
11 10
12 Literatur Briscoe, J.P., Hall, D.T., (2006). The interplay of boundaryless and protean careers: Combinations and implications. Journal of Vocational Behavior 69, Briscoe, J.P., et al. (2006). Protean and boundaryless careers: An empirical exploration. Journal of Vocational Behavior 69, Hall, D.T., The protean career: A quarter-century journey. Vocational Behavior 65, Theweleit, Klaus: Männerphantasien 2. Männerkörper- zur Psychoanalyse des weißen Terrors, Frankfurt a.m Bildnachweis S.5: Reinhard Gehlen: S.7: Geburt der Pallas Athena-Minerva, aus: Theweleit, a.a.o. Titel: Salvador Dali: the ship
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