Sehr geehrter Herr Minister und Staatssekretäre,

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1 Herr Peter Stub Jørgensen, Direktor für den ESF und die soziale Marktwirtschaft in Deutschland Europäische Kommission, Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Integration Rede Rolle und Prioritäten des Europäischen Sozialfonds in Deutschland anlässlich der Auftaktveranstaltung zur neuen ESF-Förderperiode in Nordrhein-Westfalen in Bochum am 27. August 2014 Sehr geehrter Herr Minister und Staatssekretäre, Meine Damen und Herren, Vielen Dank für den herzlichen Empfang und die Einladung zur Auftaktveranstaltung für das Operationelle Programm des Europäischen Sozialfonds in Nordrhein-Westfalen. Im Namen von Kommissar László Andor bitte ich um Entschuldigung, dass er heute leider nicht hier sein kann; aber ich werde ihm deutlich machen, was er hier versäumt hat: mehr als 1000 Teilnehmer an einer solchen Veranstaltung ist selbst für einen Kommissar eher die Ausnahme und sehr beeindruckend. Vielen Dank für Ihr Interesse und Ihr Kommen; wir sind heute hier, um weitere sieben Jahre der Förderung aus dem ESF zu begrüßen und zu erörtern, wie wir den bestmöglichen Nutzen aus diesem Strukturfonds ziehen. Veranstaltungen wie diese, machen den Europäischen Sozialfonds einer breiteren Öffentlichkeit bekannt und helfen dabei, neue innovative Wege zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit und der sozialen 1

2 Eingliederung zu gehen, vor allem aber auch die Akteure und Begünstigten zusammen zu bringen. Ich möchte diesen wichtigen Anlass nutzen, die Schlüsselrolle, wesentliche Änderungen und Herausforderungen der neuen ESF-Förderperiode vorzustellen, und die Prioritäten für Deutschland als Mitgliedstaat und für die Bundesländer mit besonderem Fokus auf Nordrhein-Westfalen hervorzuheben. [Einleitung] Gestatten Sie mir zunächst, in die Vergangenheit zu blicken. Seit seiner Einrichtung im Jahr 1957 ist der ESF hier in Nordrhein- Westfalen in guten Händen. Sie haben die gesamte Geschichte des Europäischen Sozialfonds von Anfang an mitgestaltet. Wie wir alle wissen, begann es mit Berufsbildungsmaßnahmen für ehemalige Stahlarbeiter und Bergleute. Seit den 1960er Jahren hat NRW mit dem schwierigen Übergang weg von der Schwerindustrie direkte Erfahrung bei der Konzeption und Bewältigung struktureller Veränderungen sowie deren Folgen gemacht. Der ESF hat bis heute nichts von seiner Bedeutung eingebüßt, weder hier noch anderswo in Europa. Der ESF leistet seit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die mit 2

3 dem Binnenmarkt verbunden, einen wichtigen Beitrag zur Eindämmung der negativen Auswirkungen des wirtschaftlichen Wandels (bei Einzelpersonen, Unternehmen sowie auf höherem Niveau). Er spielt eine grundlegende Rolle bei der Entwicklung eines Europäischen Arbeitsmarkts, indem er Menschen dabei unterstützt, ihre Ausbildung und Mobilität, sowie ihre Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten zur Anpassung an den Wandel zu verbessern. Mit den Maßnahmen, die wir kofinanzieren, stärken wir das Humankapital und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Arbeitnehmer und der europäischen Wirtschaft im 21. Jahrhundert. Der Europäische Sozialfonds überbringt eine einfache, aber wichtige Botschaft an die Mitgliedstaaten und ihre Regionen: Europa ist für die Menschen da, und der ESF ist sein Beitrag zu einem sozialen Europa, das sich um die Bedürfnisse der Menschen kümmert. [Rolle des ESF auf der Ebene der EU, des Bundes und des Landes NRW] Ich will nun auf die Rolle und die wichtigsten Aspekte des neuen ESF auf der Ebene der EU, des Bundes und des Landes 3

4 Nordrhein-Westfalen eingehen. Lassen Sie uns mit einigen Änderungen beginnen. I. Auf EU-Ebene wird die Verbindung zwischen dem ESF und der Europa-2020-Strategie für Wachstum und Beschäftigung gestärkt. Konkret heißt das, dass der ESF Reformen auf dem Arbeitsmarkt und Maßnahmen zur sozialen Eingliederung und Bildung anstößt, um die Europa-2020-Ziele in den Bereichen Beschäftigung, Bildung und Armut bis zum Ende dieses Jahrzehnts zu erreichen. Verbunden mit dieser Europäischen Agenda sollen die Operationellen Programme (OP) des ESF einen Beitrag dazu leisten, die durch länderspezifische Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semesters und im Einklang mit den nationalen Reformprogrammen (NRP) empfohlenen Reformen umzusetzen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Koordinierung und möglichen Synergien zwischen den Europäischen Strukturund Investitionsfonds (ESIF) und anderen EU-Strategien und Finanzinstrumenten. Als Teil dieses Prozesses wurden große Anstrengungen unternommen, damit die Programme einen klaren strategischen Ansatz und Konzentration aufzeigen, aber auch den 4

5 bürokratischen Aufwand verringern. Wir meinen, dies auf 3 verschiedene Arten erreicht zu haben: 1. Wir haben nun eine starke Leistungs- und Ergebnisorientierung, die auf dem Grundsatz beruht, Ressourcen so zu wählen und zu konzentrieren, damit sie die größte Wirkung entfalten. Der Schwerpunkt auf Output und Ergebnisse wird den auf Input ersetzen. Nur dann wird die Kohäsionspolitik in Deutschland sichtbarer werden. Nur dann wird der ESF am wirksamsten wichtige Reformen und Investitionen in den Bereichen der aktiven Arbeitsmarktpolitik, Bildung und sozialen Eingliederung unterstützen können. 2. Ich bin mir durchaus bewusst, dass der ESF das Bild eines Fonds hat, der mit großem Verwaltungsaufwand verbunden ist, ja bisweilen wirklich zu bürokratisch ist. In der neuen Förderperiode haben wir neue Wege zur Vereinfachung der Verwendung der Fonds für die Endnutzer neu- und weiterentwickelt, wie vereinfachte Kostenoptionen (VKO), um Verwaltungsaufwand durch die Sammlung von Rechnungen zu vermeiden. Deutschland hat diesen Ansatz bereits in der Vergangenheit eingehend verfolgt, denn die Nutzung vereinfachter Kostenoptionen macht Ihr Leben einfacher und ist weniger fehleranfällig. Ich kann nur alle Behörden auffordern, sie bei der 5

6 Umsetzung des Programms in vollem Umfang einzusetzen, den größtmöglichen Nutzen für die Bürger zu schaffen sowie Wachstum, Beschäftigung und soziale Eingliederung in Europa und in Deutschland noch effizienter zu fördern. 3. Eine weitere Möglichkeit der Vereinfachung und Verringerung der Verwaltungslasten ist ein neuer Typ von Aktion, der Gemeinsamen Aktionsplan (GAP). Er bietet eine Möglichkeit, Teile eines Programms unter Verwendung eines ergebnisorientierten Ansatzes und vereinfachter Kostenoptionen umzusetzen. Der Schwerpunkt liegt hier auf Erfolgen, das heißt Geld wird ausgezahlt, wenn ein Ziel erreicht ist. Dieses Prinzip beruht nicht auf der finanziellen Ausführung und Rechnungen, sondern auf Vereinfachung und mittels eines einzelnen Begünstigten. Für die Erarbeitung eines Gemeinsamen Aktionsplanes, der auch später in der Förderperiode aufgestellt werden kann, brauchen Sie lediglich ein geschickt festgelegtes Ziel, eine gut durchdachte Interventionslogik und die Festlegung von Etappenzielen, Output- und Ergebnisindikatoren sowie Verwaltungs- und Kontrollsysteme. 6

7 Nun möchte ich aber zum nächsten Punkt kommen, der ESF- Beitrag für Deutschland und Nordrhein-Westfalen. II. Mit einer ESF-Gesamtmittelzuweisung in Höhe von 7,5 Milliarden erhält Deutschland für den ESF einen größeren Anteil der europäischen Struktur- und Investitionsfonds im Zeitraum als im vorherigen Zeitraum (41%), und damit deutlich mehr als der in der Verordnung geforderte Mindestanteil von 37%. Ich begrüße dies sehr herzlich. Es ist ein klares Signal, dass die beschäftigungspolitischen und sozialen Fragen ganz oben auf der politischen Tagesordnung stehen auch in wirtschaftlich starken Mitgliedstaaten wie Deutschland. Es ist wahr, dass auch in Deutschland und natürlich in NRW soziale Herausforderungen bestehen und die Menschen unsere Aufmerksamkeit benötigen. Mit Hilfe des ESF können sie einen Arbeitsplatz oder eine Ausbildung finden oder entziehen sich dem Risiko der Armut. Nach der Annahme der Partnerschaftsvereinbarung (PV) im Mai dieses Jahres verhandeln die EU-Kommission und Deutschland derzeit die Inhalte und wichtigsten Aspekte aller 17 deutschen ESF-Programme. Wir stehen an einem entscheidenden Punkt, denn jetzt legen wir fest, wie wir das 7

8 Geld aus den ESI-Fonds in den kommenden zehn Jahren in den Regionen einsetzen werden. Ich war sehr froh zu sehen, dass Nordrhein-Westfalen seinen Programmentwurf fristgerecht vorgelegt hat, und wir mit einer Annahme für Mitte Herbst rechnen können. Um eine maximale Wirkung der EU-Mittel zu erreichen, wurden die operationellen Programme in enger Zusammenarbeit mit den nationalen, regionalen und lokalen Behörden erarbeitet, auch in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit Gewerkschaften, Arbeitgebern, Nichtregierungsorganisationen und anderen Interessenvertreter. Wie in der Vergangenheit wird der ESF in Deutschland gemeinsam von Bund und Ländern umgesetzt. Zu einem gewissen Grad unterscheiden sich die Bedürfnisse und die Anforderungen noch sehr stark zwischen Ost- und Westdeutschland, aber auch zwischen den Regionen. Ich bin zuversichtlich, dass sowohl Bundes- als auch Länderebene eine transparente und kohärente Verteilung der Aufgaben gefunden haben, selbst wenn eine eindeutige Trennung nicht immer möglich ist. Wie ich bereits gesagt habe, ist die reformierte Kohäsionspolitik auf die Ziele der Europa-2020-Strategie und die 8

9 länderspezifischen Empfehlungen ausgerichtet. Um sie zu erreichen, werden die ESF-Interventionen in Deutschland im Zeitraum die folgenden thematischen Ziele (TO) verfolgen: Förderung von nachhaltiger und hochwertiger Beschäftigung und Unterstützung der Arbeitnehmer- Mobilität [TO 8], Förderung der sozialen Eingliederung, Bekämpfung von Armut und jedweder Diskriminierung [TO 9], Investitionen in Bildung, Ausbildung und Berufsbildung für Kompetenzen und lebenslanges Lernen [TO 10]. In Deutschland ist fast jeweils ein Drittel der Mittel auf die thematischen Ziele gleichmäßig verteilt. 1 Insgesamt wird in Deutschland rund ein Drittel der Gesamtmittelzuweisung für den Bereich der sozialen Eingliederung eingesetzt deutlich mehr als der im Rahmen des ESF vorgeschriebene Mindestanteil von 20%. Dies unterstreicht die Bedeutung der Verringerung der Armut und sozialen Eingliederung in diesem Land. Auf der Ebene der einzelnen Investitionsprioritäten (IP) innerhalb der thematischen Ziele, wird es ein hohes Maß an Konzentration geben, um eine größere Wirkung der ESF- 1 33,3 % für 8, 33,1 % für 9 und 33,6 % für 10. 9

10 Förderung zu erreichen. Die Mehrheit der deutschen Programme konzentriert sich auf dieselben 3 thematischen Ziele, die mehr als 80% der geplanten Finanzierung aus dem ESF abdecken. 2 In Deutschland wird der ESF vor allem die durch den demografischen Wandel verursachten Probleme der Erhaltung einer qualifizierten Arbeitnehmerschaft angehen, indem er das unzureichend genutzte Potenzial von Frauen, älteren Arbeitnehmern und benachteiligten Menschen mobilisiert, aber auch Maßnahmen für neue Unternehmer umsetzt. Er wird die gute Arbeit für die Aktivierung der Langzeitarbeitslosen fortführen und Maßnahmen zur sozialen Eingliederung und Verringerung der Armut benachteiligter Gruppen unterstützen, einschließlich der Menschen, die aus anderen Ländern stammen. Ein Schwerpunkt liegt auch darauf, junge Menschen mit Kompetenzen auszustatten, um die Bildungsleiter heraufzuklettern und frühzeitigen Schulabbruch zu verhindern. Der ESF hat in Deutschland sichtbare Auswirkungen und trägt auf lange Sicht Früchte: In der letzten Förderperiode wurden insgesamt rund 4,3 Mio. Personen unterstützt, und da die Förderung noch bis 2015 läuft, werden die endgültigen 2 Die größte finanzielle Bedeutung wird dabei auf die Bereiche Anpassung der Arbeitnehmer, Unternehmen und Unternehmer an den Wandel, aktive Eingliederung einschließlich Förderung der Chancengleichheit, Verringerung und Prävention von frühzeitigem Schulabbruch, Zugang zu lebenslangem Lernen und Verbesserung der Arbeitsmarktrelevanz der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung. 10

11 Teilnehmerzahlen höher sein. Es ist wichtig, dass die Menschen, die persönlich von den Vorteilen der europäischen Solidarität erfahren haben, auch wissen, dass sie von der EU unterstützt wurden. Wenn wir Europa seinen Bürgerinnen und Bürger näher bringen und konkrete Lösungen für ihre Schwierigkeiten anbieten, werden wir helfen, die Kluft und die Entfremdung der Bürgerinnen und Bürger, wie sie sich auch bei den letzten Wahlen zum Europäischen Parlament geäußert hat, zu verringern. III. Und zu guter Letzt: Wie bringt der ESF das Soziale Europa in die Ländern, insbesondere nach Nordrhein-Westfalen und zu Ihnen, meine Damen und Herren? Herr Minister Schneider hat bereits seine Prioritäten erläutert und deutlich gemacht, dass der ESF besonders wichtig für die deutschen Bundesländer ist da dort der größte Teil der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen finanziert wird. Hier in Nordrhein-Westfalen wurden dank der europäischen Unterstützung die Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt, im Bereich des lebenslangen Lernens und der beruflichen Bildung, zugunsten der soziale Eingliederung und Bekämpfung von Armut erheblich aufgestockt. In der vergangenen Förderperiode 11

12 hat Nordrhein-Westfalen die Strukturfonds gut genutzt, und ich bin zuversichtlich, dass die für vorhandenen Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds in Höhe von 627 Mio. EUR in NRW bei den Menschen ankommen, die Hilfe benötigen. [Jugend und mobile Arbeitnehmer] Abschließend möchte ich noch zwei Aspekte hervorheben, die der Europäischen Kommission besonders wichtig sind: Erstens: Wir begrüßen insbesondere die Schwerpunktsetzung auf die Eingliederung von jungen Menschen in Bildung und Beschäftigung sowie den präventiven Ansatz von Nordrhein- Westfalen. Sie werden weiterhin im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, wie Herr Minister Schneider klargestellt hat, vor allem durch die Koordinierung auf kommunaler Ebene, um den Übergang von der Schule in die berufliche Ausbildung zu verbessern, und mit der Stärkung eines präventiven Ansatzes zu gewährleisten, dass kein Kind zurückbleiben wird. Das Problem der Integration junger Menschen in den Arbeitsmarkt liegt meiner Ansicht nach in vielen Fällen tiefer: Der Zugang zur Bildung ist viel zu oft mit dem sozioökonomischen Hintergrund verbunden. Auch hier kann der ESF dazu beitragen, diese Herausforderung anzugehen, insbesondere vor dem 12

13 Hintergrund des demografischen Wandels und des Mangels an Fachwissen in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen. Zweitens: Deutschland zieht eine Vielzahl von mobilen EU-Arbeitnehmern an, die einen sehr bedeutenden Beitrag zu seinem nachhaltigen wirtschaftlichen Wachstum leisten und einen Teil seines zukünftigen Erfolgs ausmachen werden. Allerdings lösen diese Zuflüsse Druck auf soziale Dienstleistungen aus oder stellen neue Herausforderungen im Hinblick auf deren soziale Eingliederung und die Verringerung der Armut dar, vor allem für einige Städte im Ruhrgebiet, wie ich mich persönlich davon in der Vergangenheit vergewissern konnte. Auch hier kann der ESF Unterstützung den Ländern und ihre Gemeinden anbieten, und ich bin froh, dass die Behörden in NRW Maßnahmen in diesem Bereich planen. Auch der neue Europäische Hilfsfonds für die am stärksten von Armut betroffenen Personen (EHAP) wird eine wichtige Förderquelle für die Kommunen sein, die mit den Herausforderungen der Armutsmigration zu kämpfen haben. [Schlussbemerkungen] * * * 13

14 Meine Damen und Herren, Ich komme nun zum Schluss, und bekräftige nochmals, dass eine erfolgreiche Umsetzung des neuen ESF davon abhängt, wie es uns gelingt, die zuvor genannten Herausforderungen anzugehen und die festgelegten Prioritäten und geplanten Maßnahmen mit Leben zu erfüllen. Dazu braucht der ESF aktive Partner und gut informierte Teilnehmer. Aus diesem Grund sind Ihre Arbeit und Ihr Engagement, meine Damen und Herren, so wichtig. Mit dem ESF an Ihrer Seite sind Sie die Botschafter eines sozialen Europas. Und ich freue mich darauf, über unsere enge Zusammenarbeit den Bürgerinnen und Bürgern Europa näher zu bringen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. 14