Technikgesc hichte als Kulturgeschi chte
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- Horst Arnim Schwarz
- vor 8 Jahren
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1 Technikgesc hichte als Kulturgeschi chte Ein kurzer Abriss über die Geschichte des Fernsehens in der Geschichte zwischen den USA und Westeuropa ein am Orte A befindliches Objekt an einem beliebigen Orte B sichtbar zu machen (Paul Nipkow 1884 beim kaiserlichen Patentamt in Berlin unter dem Titel 'Elektronisches Teleskop') ==INDUSTRIALISIERUNG== Als der Schwarze Freitag vor 80 Jahren die Finanzkrise vom September 2008
2 vorwegnahm, stellte er auch ein Ende dar, das einer Hochindustriephase. Das Ausmaß der Katastrophe von 1929 lässt sich heute nur schwer nachzeichnen. Die Vernichtung von Eigentum hatte damals enorme Ausmaße, 2/3 der Papierwerte wurden im Schnitt vernichtet. Sehr viel einschneidender und langanhaltend zerstörender war die damit einhergehende Krise der Arbeitsgesellschaft und Konsumgesellschaft. Der Schwarze Freitag vom ist nach dem Vernichtungsexzess des 1. Weltkriegs der zweite Einschnitt, wenn nicht sogar Zusammenbruch einer geschichtlichen Hochphase, nämlich der Industrialisierung. Mit dem Unterschied allerdings, dass die militärische Zerstörung die technologische Entwicklung vorangetrieben hatte und Nachfrage nach Wiederaufbau hervorrief. ==DIE KULTURELLE SPANNUNG DER INDUSTRIALISIERUNG== Die Kultur des 19. Jahrhunderts war wie unter Hochspannung angesichts der technologischen Erneuerungen. Schon Ilya Ehrenburg verrechnet 1930 in Das Leben der Autos die Enttäuschung über die bürgerliche Revolution mit technologischen Erleichterungen, nämlich dem Auto, die Wohlfahrt werde historisch (mis)interpretiert als Autofahrt. Die Börse spielt für die Industrialisierung von Beginn an eine große Rolle, Finanzkapital ist nötig, um so große und internationale Projekte zu finanzieren, wie große Eisenbahnlinien man lese Emile Zolas Roman Das Geld. Das gesamte Jahrhundert hindurch kommt es zu einer Neuerung nach der anderen. Dampfmaschine, Webmaschine, neue Verbrennungsmotoren, Flugzeuge, Eisenbahn, Fluhzeuge, Fotografie, Film. Die Elektrifizierung der Städte ist dessen sichtbarstes Zeichen, hier wird die Stadt eine ganz andere, kann anders bewohnt und benutzt werden und vermischt Medienwelt und Alltagswelt, das öffentliche Leben. Ebenso die Weltausstellungen richtet Paris die Weltausstellung aus und baut den Eiffelturm. Und elektrifiziert ihn Auch darüber schreibt Ehrenberg, der Eiffelturm sei ganz in die Farben von Citroen
3 getaucht gewesen. Zur Pariser Weltausstellung 1900 wurde das erste Radiozeitsignal um die Welt gesendet: zum erstenmal wusste man, dass die ganze Welt das Selbe hören konnte, angeschlossen war an eine universake Präsenz, ein Jetzt. Jetzt konnte die Welt als eine, als globale, gedacht werden Das große Thema des 19. Jahrhunderts ist das der Erfindungen, der Maschinen, aber ebenso das der Maschinenstürmer. Sein eigentliches Wort ist Entfremdung. Romantik und Jugendbewegungen sind Reaktionen darauf. Bei dem Soziologen Georg Simmel finden sich 1903 in seinem Artikel Die Großstädte und das Geistesleben die besten Beschreibungen dieser Veränderungen. Die Großstadt ist dadurch gekennzeichnet, dass sich Menschen in der Bahn gegenüber befinden, sich ansehen, ohne sich zu sehen. Aber eben auch von einer grundlegenden Veränderungen der Zeit- und Ortsempfindung. Das wurde begrüßt, man sah darin aber auch pathologische Auswirkungen, wie der Medientheoretiker William Uricchio beschreibt: es tauchte auf der Seite medizinischer und soziologischer Zeitschriften eine weniger wünschenswerte Nebenwirkung auf. Die Generation, die diese Umstrukturierung von Erfahrung miterlebte von den Eigenheiten lokaler Zeit zur Strenge und Genauigkeit universeller Zeit; von der Distanz, die zu Fuss oder mit der Dampflokomotive überwunden und in tagen gemessen wurde, zur Überschreitung des Raumes durch Telefon und Flugzeug, gemessen in Zeitzonen. Diese Generation also schien besonders anfällig für eine ganze Reihe von neuen Krankheiten zu sein. Fragmentierung, Entfremdung, Neurasthenie, Reizüberflutung und sogar 'Newyorkitis' suchten zur Jahrhundertwende die Nervensysteme derjenigen heim, die sich von einer kulturellen Raum-Zeit zu einer anderen umorientierten. 23 ==KULTUR DURCH TECHNIK?== Aber was hat die Technik gemacht, mit uns gemacht, ist sie unsere Kultur geworden, wie es in den 90er Jahren einmal aussah, techno, Posthuman, virtuelle realität. Es gibt zwei primäre Reaktionen auf die Intensität der technologiscchen Entwicklung: die eine ist dessen Zurückweisung als unnatürlich. Die andere seine Einschreibung in eine Geschichte des Geistes und der menschlichen Fähigkeiten William Uricchio, S. 289f 24 Wir haben diesen Gegensatz internalisiert, aber in einer aufgehobenen Form: Biofood ist gleichzeitig künstlich und
4 Diese Entwicklung wird grob skizziert: Irgendwann einmal gab es noch keine Autos und Fernsehen gab es auch noch nicht. Das weiß man. Irgendwann konnte die Menschheit noch nicht mal richtig malen, jetzt kann sie es + sogar Fotos und andere technische Bilder machen, die sehr genau sind. Das, glaubt man, kann man an den Kindern sehen, die Ontogenese imitiert die Phylogenese. Und deshalb, glauben auch manche, sind mache Kulturen noch barbarisch, weniger zivilisiert als die unsrige. Irgendwann gab es noch keine Sprache, keine richtige jedenfalls. Nach der Entwicklung der Sprache kommt die Entwicklung der Schrift. Die Schrift ist bereits eine Art Technologie, sie besteht aus Regeln, die monoton angewendet werden, um die Vielfalt von Mythen, Sagen und Alltagsaufgaben bewältigen zu können. Dann kommt das Buch, später, noch entscheidender, der Buchdruck: jetzt geht die moderne Zeit los. Denken und Fühlen lässt sich nicht mehr so einfach Grenzen setzen. Für das Bild gilt ähnliches. Auch in Höhlen wurde gemalt und ebenso bei den Ägyptern, Griechen, etc. Aber erst in der Renaissance komme die Zentralperspektive, diese kleine Maschine, die Camera obscura, mit der wir alle wissen, wie man perspektivisch zeichnet. Erst jetzt wird Malerei realistisch. Dann kommt Foto, Film und TV. Und was kommt danach? Geht diese Geschichte immer weiter oder müsste man eher sagen: immer tiefer, denn es ist doch eine Dimension der Tiefe, die mit den Schüben verändert wurde. Es ist hier nicht das Thema, diese Sichtweise zu kritisieren, das ist ein eigenes, sehr interessantes Thema, das aufzeigt, wie damit die Überlegenheit des westlichen Bildes nachgewiesen wird. Und das je neueste state of the arts als Dynamik der einzig möglichen Geschichte 25. Nach gängiger Geschichtsschreibung ist das Fernsehen ein Nachfolger des Films. Der wiederum die Fotografie beerbte. Dieser Geschichtsfaden folgt der Technikgeschichte. Man musste die Camera Obscura fixieren können (Foto), dann diese Bilder in Bewegung setzen (Film und TV). Und danach diese Bilder in Echtzeit übertragen können. Der nächste Schritt wäre dann wohl der, die Bilder werden überall hin übertragen. Aus dieser Geschichtsdeutung heraus hat der Film dann eine gewisse Priorität und die Show, die Nachrichten, einen gewissermaßen sekundären. natürlich, 25 Wir bilden die Menschheitsgeschichte auf die individuelle kondliche Entwicklung auf, auch das Kind müsse das alles erst lernen und erst als Erwachsene sei es >reif<; so sei auch die Menschheit erst in der zeitgenössischen libealen Demokratie reif (Phylogenese = Ontogenese)
5 ==TV ALS KÜHLSCHRANK== Es gibt jedoch zwei interessante Abweichungen von dieser Ableitung. Die eine setzt den Kühlschrank als den 'Vorläufer' des Fernsehen. In Die Behausung des Fernsehens versucht der Medienwissenschaftler John Hartley die scheinbare Notwendigkeit der Entwicklung, die, so sagt er, retroaktiv so erscheine (267), in Frage zu stellen. Damit nämlich die Haushalte zu weit reichenden Orte für Häuslichkeit, Entspannung, kapitalisierte Konsumption oder die Aufbewahrung von Nahrungsmitteln wurde, war eine heftige Veränderung der Verhältnisse nötig, zur Zeit vor dem Fernseher, also auch zur Zeit von Housing Problems, das auch das Jahr ist der Einführung des Fernsehens in England wie in Deutlschland hatte die Bevölkerung deutlich zu wenig Wohnraum, in dem man einen Fernseher hätte stellen können. Was gebraucht wurde, bevor das Fernsehen als ein häusliches Medium erfunden werden konnte, war das 'Zuhause'. Fernsehen war ein Wohnzimmer-Medium, aber viele arbeitende Menschen hatten kein Wohnzimmer. (262). Ein 1935 veröffentlichtes Buch von Philipp Gibbs geht in bestimmten Gebieten von nur 6% aus. In solchen Häusern war Kochen, Waschen und Sauberhalten schwierig, wenn man nur öffentliche Wasserstellen im Hof oder im Treppenflur hatte und das Kleider- und Wäschewaschen war unmöglich. Deshalb verbrachten Proletarier so viel Zeit wie möglich außerhalb ihres Zuhauses, ließen die Kinder aus Gesundheitsgründen so lange wie möglich draußen, aßen in Lokalen und brachten ihre Wäsche in Wäschereien. In den Gassen gab es Gespräch und Spiel. (267) Hinzuzufügen wäre, dass die bürgerlichen Schichten großbürgerliche waren und auch kein Wohnzimmer in unserem heutigen Sinne hatten. Zur Massen-Wohnraumversorung kam erst später. Hier kommt der Kühlschrank ins Spiel, der auf vielen Ebenen funktioniere. Paul Attallah charakterisiert ihn als 'der häusliche Kühlschrank, eines der ersten Haushaltsgeräte und Zeichen des Werts der Privatsphäre, ist dem Fernsehen nicht unähnlich bietet er doch ein klares Beispile für die Option der Soaltung von zentralisierter Produktion und Distribution und privater Konsumption zuhause (Attallah, 1991,86) (264) Fernsehen und Kühlschrank seien deshalb so ähnlich, weil beide eine wechselseitige Veränderung in der Produktion (ganze Industrien änderten wurden transformiert) und in der der Konsumption (die Menschen änderten ihren Gebrauch von Zeit, raum, Nahrungsmittel und Semiose). Der Kühlschrank erlaubte den Leuten (Hausfrauen), einmal pro Woche auf den Markt zu gehen, statt einmal am Tag. Er erlaubte,
6 verschiedene Arten von Essen aufzubewahren Ungekochtes, Reste und Fertiggerichte und das Gefrierfach stimulierte einen Wandel der Essgewohnheiten (264). Er geht noch weiter, neben der neuen, nicht-saisonalen Einkaufsweise, es sein auch eine Technologie, die für alle Alterstufen der familie zugänglich war, nur wenig elterliche Aufsicht und manuelles Geschick erforderte (..) und smit jugendliche Entscheidungsfindung bei der Essenswahl förderte. Die Möglichkeit, nicht mehr täglich einkauen zu müssen, drängte den Einzelhandel, die Tante Emma Läden in den Hintergrund und ermöglichte die Supermärkte. Das Überangebot dort, machte Werbung 'notwendig' als Entscheidungshilfe. Die Technologie, die all dies änderte, hatte die Küche zum Mittelpunkt, nicht das Wohnzimmer. Der Herd und der Waschkessel kamen natürlcih zuerst, und das Auto wurde zunehmend notwendig, aber entscheidend war der Kühlschrank, weil er die Frau als Produzentin erlaubte, gleichzeitig zur Frau als Konsumentin zu werden. (267) Die Werbung sei dementsprechend 'orifiziert' und ein besonderer Effekt der Wohnmaschine (Le Corbusier) sei eben Fernsehen als Werbemaschine (273) Damit sie also die Bewegung von der Behausung zum Zuhause gelungen, durchaus auch mit politischer Absicht von Seiten der Sozialplaner, die Männer und Jugendlichen von der Strasse zu holen. Dies war die Ideologie der Häuslichkeit eine sowohl politische als auch kommerzielle Kampagne, die existierende Aspekte einer anständigen Lebensführung aufnahem: Religion, Weiblichkeit, Sparsamkeit, Scham, Privatsphäre, Selbsthilfe, Eigentum. (..) Das Zuhause wurde zu mehr als einer Behausung, mehr als einer Zuflucht es wurde selbst und mit den Aktivitäten, die es sicherstellen sollte, zum Lebensstil (272f) ==TV ALS TELEFON== Die andere interessante Abweichung von der Genealogie Foto-Film-Fernsehen stammt von William Uricchio. Er vergleicht das Fernsehen nämlich mit dem Telefon. Um das zu tun, muss er erstmal aufzeigen, dass zur Durchsetzung eines Mediums keineswegs die technische Reife allein ausschlaggebend ist, sondern die kulturelle Bereitschaft: Technologische Leistungsfähigkeit setzt eine kulturelle Imagination voraus, um als kulturelle Praxis zustande zu kommen. Das Televisuelle, sagt er, sei ein imaginiertes und zugleich technologisches Konstrukt, das mit der Erfindung des Telefons 1876 geboren sei. Obwohl der Telegraf schon vorher die westlichen Vorstellungen von Zeit und
7 Raum transformiert hatte, bot das Telefon noch etwas Radikaleres die Live- Übertragung der Stimme, die Gelegenheit zu direkten Begegnungen mit dem Simultanen, Innerhalb eines Jahres nach der Erfindung des Telefons bedienten sich Autoren der Idee einer steuerbaren, simultanen Direktverbundes und ersetzten die Stimme durch Bilder. Die Verbindung von Telefon und Fotografie sowie die daran anschließenden umfassenden Beschreibungen von Live-Übertragungen durch 'Fernsehen' nahmen viele Formen an. (291f). Für Uricchio wurde diese Fantasie jedoch verstellt, weil ein Jahr nach dem Telefon das Grammophon entwickelt wurde, wie später auch der Film, und beide als live bejubelt wurden, obwohl sie es ja gerade nicht waren. Ein praktischer Wegweiser zum Fernsehen von 1929 lange bevor es also eines gab definiert Fernsehen. Wie es vor sich geht und wie der Radiohörer daran teilnehmen kann : Der Wunsch, beim Telefonieren den Partner auch gleichzeitig sehen zu können, ist genau so alt wie das Telephon selbst. Bislang hat man aber eigentümlicherweise an diese, organisch eigentlich zusammengehörige Verbindung zwischen Telephon und Fernseher nur selten gedacht. 26 Das Telefon ist interessant als Modell, weil es ein Anrufungsmedium ist, weil es Gleichzeitigkeit herstellt, weil darin der Ton eine große Rolle spielt (mehr als das Bild). ==DIE EIGENTLICH TECHNISCHE ENTSTEHUNG== Als Paul Nipkow sein Patent einreicht, ist das Fernsehen noch 40 Jahre entfernt. Aber dennoch ist er nicht der Einzige, der daran arbeitet, Bilder per Telegraph zu versenden. Neben der Elektrizität, auf die sich diese Arbeiten stützen, ist es vor allem die zufällige Entdeckung der elektrischen Reaktion eines chemischen Elements auf Licht, nämlich das von Selen. Als seeing by electricity kursiert ein Gerücht durch die aufgeheizte Wissenschafts- und Erfinderwelt und heizt die Erwartungen an, nach dem Telegraphen und dem Telefon, also Telephonie, [die] Telegraphie, könne es nun auch eine Telescopie" geben, wie sie Adriano de Paiva, ein Professor der Physik an der Polytechnischen Akademie von Porto in einem Artikel im März 1878 in der wissenschaftlich literarische Zeitschrift Instituto veröffentlichte. Aus dem Bellschen Telephon kündigt er darin eine neue wissenschaftliche 26 Wilhelm Schrage, Fernsehen. Wie es vor sich geht und wie der Radiohörer daran teilnehmen kann. Ein praktischer Wegweiser, München 1929, zit. nach Thorsten Lorenz, Bombenstimmung, in: Fernsehshows, S. 33, Lorenz leitet daraus eine Selbstthematisierung der Medien ab
8 Entdeckung an, der... Anwendung der Elektrizität auf die Telescopie" 27. Er denkt dabei an eine Camera obscura, deren optisches Bild auf eine empfindliche Platte" aus Selen projiziert werden sollte, wobei es... die verschiedenen Regionen der Platte in verschiedener Weise beeinflussen würde. Man müßte also nur noch das Mittel entdecken, um die nicht als unmöglich zu betrachtende Umwandlung dieser durch die Platte absorbierten Energie in elektrische Ströme durchzuführen, die darauf das Bild wieder zusammensetzten". In den Anfangsjahren der Entwicklung des Fernsehens wurden Begriffe wie elektrisches Sehen, telegraphisches Sehen, elektrisches Fernsehen und Telephanie benutzt. Im Jahr 1883 erfand Paul Nipkow etwas, das er Elektrisches Teleskop nannte, welches mit Hilfe einer rotierenden Scheibe, der später nach ihm genannten Scheibe, der Nipkow-Scheibe, die mit spiralförmig angeordneten Löchern versehen war, Bilder in Hell- Dunkel-Signale zerlegte beziehungsweise wieder zusammensetzte. Hier wird gleich eine Besonderheit eingelöst: anders als das Foto und der Film, die nur passiv Licht auf eine Fläche lassen, schaltet das Fernsehen einen hochkomplexen Vorgang. Nipkow-Beschreibung 28 Nipkow gab damit erstmals eine realisierbare Form für eine funktionierende Fernsehbildübertragung an, die jedoch erst viele Jahre später umgesetzt werden konnte. Durch die grundlegende Idee zur Realisierung wird Paul Nipkow manchmal als Erfinder des Fernsehens bezeichnet, besonders während des Nationalsozialismus wird dies propagiert. Die Technik zur Bildzerlegung und -wiedergabe nach Nipkow war jedoch mechanisch und damit nicht besonders leistungsfähig gelang dem Russen Boris Rosing die erste Übertragung und Empfang eines Fernsehbildes, wofür er in vielen Ländern, darunter auch in Deutschland, ein Patent erhielt. In den 1920er Jahren kam es zu verschiedenen Weiterentwicklungen in USA, Russland, England, Japan, Deutschland wurden die Löcher in der Nipkow-Scheibe durch Spiegelanordnungen ersetzt und so konnten bereits Übertragungen bei Tageslicht und Bilder mit 100 Zeilen (bis dahin kannte man nur 48 Zeilen) auf großflächigen 27 Zitiert nach der FeSe-Geschichte, reproduziert auf 28 Nipkow-Prinzip:
9 Projektionen ermöglicht werden. Allerdings wurden diese russischen Forschungsergebnisse nicht publiziert, sondern vom sowjetischen Geheimdienst zur Personenüberwachung genutzt. Eine entscheidende Rolle spielt bei diesen Entwicklungen eine andere, frühere Erfindung, die im Jahr 1897 von Ferdinand Braun zusammen mit Jonathan Zenneck entwickelt worden war, die Kathodenstrahlröhre, auch Braun'sche Röhre genannt. Manfred von Ardenne arbeitete 1931 an einem System auf Grundlage der Braun'schen Röhre. Die Kathodenstrahlröhre gibt es auch heute noch. Alle Fernseher, die so schwer sind und sich nach hinten so merkwürdig ausbeulen, benötigen diesen Abstand, um die Kathodenkanone auf den Bildschirm schiessen zu lassen und sich von einem elekrisch gesteuerten Magneten elektronischen Ladung steuern zu lassen: in unglaublicher Geschwindigkeit 720 Zeichen in 576 Zeilen und dann auch noch Punkt für Punkt. Diese ist die Grundlage für die bis heute am weitesten verbreitete Methode, Bilder für das Fernsehen darzustellen. Die ersten Anwendungen fand sie aber in Messapparaturen. Die für das Fernsehen entscheidenden Weiterentwicklungen der Kathodenstrahlröhre steuerte Vladimir Zworykin bei, der 1923 den ersten brauchbaren elektronischen Bildabtaster, die Sog. Ikonoskop-Röhre erfand, welche ab 1934 in Serie hergestellt wurde, heute aber keine Verwendung mehr findet. In Deutschland arbeitete Max Dieckmann 1906 am ersten echten elektronischen Fernsehbild mittels einer umgebauten Braunschen Röhre. Als Aufnahmeinstrument setzte Dieckmann eine Nipkow-Scheibe ein. Im Jahr 1906 konnten die Signale jedoch noch nicht verstärkt werden und daher waren anstelle der Löcher in der Nipkowscheibe Drahtbürsten angebracht, welche eine Metallschablone abtasteten. Diese Bilder konnten mit der Hand bewegt werden, der Fernseher von Dieckmann gab so bewegte Bilder (in einer Auflösung von 20 Zeilen bei 10 Bildern pro Sekunde) wieder. Da es keine "richtige" Fernsehkamera gab, blieb der Fernseher von Dieckmann zunächst ohne praktische Bedeutung, die Bildröhre wurde damals als zu teuer und zu kompliziert angesehen.
10 Erst 1926 griff der Japaner Kenjiro Takayanagi die Idee wieder auf, und baute auf Basis der Kathodenstrahlröhre einen funktionierenden Fernseher, auf Senderseite wurde allerdings ebenfalls noch eine Nipkowscheibe eingesetzt. ==ERSTE PROGRAMME IN DEUTSCHLAND== Ab dem 22. März 1935 wurde in Deutschland das erste regelmäßige Fernsehprogramm der Welt in hochauflösender Qualität ausgestrahlt. Dieser Titel wird jedoch vom britischen Staatssender BBC streitig gemacht, da der Fernsehsender Paul Nipkow zunächst nur in 180 Zeilen sendete, die BBC hingegen seit 1936 mit 405 Zeilen. (1937 führte Deutschland 441 Zeilen ein.) Schon seit 1929 gab es verschiedene regelmäßige Fernsehdienste, so auch von der BBC, allerdings nur in niedrigen Auflösungen zwischen 30 und 60 Zeilen. Ihren Höhepunkt erlebten die Sendungen im Nationalsozialismus, die nur wenige tausend Zuschauer in so genannten Fernsehstuben und Großbildstellen in Berlin und später Hamburg erreichten, mit den umfangreichen Übertragungen von den Olympischen Sommerspielen Hierfür wurde auch erstmals ein aus 15 Fahrzeugen bestehender mobiler Fernsehsender in Dienst gestellt. Für die Darstellung der Fernsehbilder in Leinwandgröße in den Großbildstellen wurde eine Projektionsröhre, genannt Eidophor, entwickelt. ==TV ALS LAUTSPRECHER== William Uricchio stellt dieser Entwicklung ein Experiment voran. Im Sommer 1930 wurde in Berlin, durchgeführt von Ingenieuren von Siemens am Funkturm ein so gro0er Lautsprecher montiert, dass es bis zum Wannsee zu hören war. 29 In gewissen Weise lässt sich in der hier zugrundliegenden Phantasie eines Volkskörper und einer Simultaneität, etwas bereits erkennen, das für den deutschen Faschismus nur einige Jahre später so zentral werden wird. 29 William Uricchio, in: Grundlagentexte S. 295
11 == Erste elektronische Kamera produktionsreif== Es begann der Kampf der Kamera Systeme, besser der Aufnahmeröhren. Die Fese hatte deshalb das Zwischenfilmverfahren entwickelt und auch Kameras mit mit Sondenröhre gebaut und Telefunken setzte auf die Bildspeicherrohrkamera (das Ikonoskop). Bis 1935 gab es mit beiden Röhren immense Probleme mit dem Licht. Weiterhin wurde damals 1936 immer noch von dem Bildfänger und dem Bildschreiber gesprochen. Das zog sich bis nahezu 1945 durch, denn die AEG (und damit Telefunken) entwickelte und produzierte ja auch noch den Tonschreiber, das AEG Magnetophon Telefunken überträgt Olympiade live. Original Pressetext: Telefunken überträgt von der Olympiade mit der Elektronenkamera direkte Bilder auf den Sender und auf ein Großprojektionsbild 1 x 1,20 m. Auf der Großen Deutschen Rundfunkausstellung zeigt Telefunken Bühnen-, Freilicht- und Filmabtastung mit der Elektronenkamera, 375 Zeilen mit Zeilensprung (flimmerfrei), und ein Projektionsgroßbild mit Braunscher Röhre. Korrekt würde es heißen, dass mehrere Fernseh-Kameras von Telefunken und der Fernseh AG sich den Ruhm teilen müssen. Auch die Großprojektion in den Fernsehstuben oder sogar Fernkinos war anfänglich eine Domäne der Fernseh AG. Telefunken zog erst viel später nach. Eine weitere Fernseh-Übertragung der Olympiade mit Zwischenfilm und Ikonoscop ermöglicht die Fese AG. Zur dieser Oöympiade 1936 wurde (sicher aus ganz gezielten NS propagandistischen Gründen) ein großer Teil der Sportereignisse live in die Innenstadt von Berlin übertragen wurde dem damals schon weit verbreiteten Volksempfänger, einem sehr einfach konstruierten Radio, der "Volksfernseher", offizielle Bezeichnung "Einheitsempfänger", zur Seite gestellt (Deutscher Einheits-Fernseh-Empfänger E 1). Es war geplant, dass fünf Firmen diesen Fernseher in den folgenden Jahren in großer Stückzahl herstellen sollten.
12 Technisch gesehen war der E1 seiner Zeit weit voraus, da die Bildröhre sehr flach war. Es trat kaum eine Kissenverzerrung auf, somit ist diese Röhre mit Röhren aus den 1970er-Jahren durchaus vergleichbar. In England wurde bereits 1936 mit "hochauflösendem Fernsehen", allerdings mit nur 405 Zeilen, jedoch ebenfalls im Zeilensprungverfahren, begonnen. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verhinderte jedoch eine Produktion des E 1 in großen Stückzahlen. Die Angaben über die Anzahl der produzierten Geräte liegen bei ca. 50. Der geplante Verkaufspreis lag bei 650 Reichsmark. Obwohl die Nationalsozialisten auch das Fernsehen für ihre Zwecke zu nutzen versuchten, blieb das Radio wegen der Reichweite und der erprobten Technik das wichtigste Medium für die nationalsozialistische Propaganda. Es waren bis 1939 wahrscheinlich nicht mehr als 500 Fernsehgeräte in privater Hand. Zu Kriegsbeginn waren die Entwicklungen aber schon weit gediehen. Breitbandkabel durchzogen bereits große Teile des Deutschen Reiches, es war an eine kombinierte Verbreitung des Fernsehprogramms über Antenne und Kabel gedacht. Im Winter 1944 wurden die Fernsehsendungen, die zu dieser Zeit hauptsächlich der Truppenbetreuung in hauptstadtnah liegenden Lazaretten dienten, im Deutschen Reich eingestellt. Entwicklungen fanden seit Kriegsbeginn nur noch für militärische Zwecke statt. Bekannt wurde z. B. die Gleitbombe Hentschel 293, die vom Flugzeug aus auf Seeziele abgeworfen werden sollte. Sie hatte im Bug eine Fernsehkamera und einen nur ca. 5 kg schweren Fernsehsender. Dieser und die Kamera waren batteriegespeist. Der Sender sendete die aufgenommenen Bilder über eine im Heck eingebaute Antenne ans Mutterflugzeug, wo sie über einen Monitor und Fernsteuerung ins Ziel gelenkt werden sollte. Das Kriegsende bedeutete für Deutschland den Verlust sämtlicher Patente sowie ein striktes Verbot von Entwicklungen auch im Bereich der Radio- und Fernsehtechnik. Ziel aus der Perspketive der Rakete zu sehen William Uricchio, a.a.o. S. 298
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