1 Auf den ersten Blick
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- Götz Gerstle
- vor 7 Jahren
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1 1 Auf den ersten Blick Ladies and gentlemen, the next President of the United States an dieser Stelle schon jetzt eine Kunstpause, um dem Applaus Zeit zu geben, dramatisch anzuschwellen, die Spannung der letzten Sekunde vor dem ersten Blick bis ins Fieberhafte steigen zu lassen, und erst dann, mit überakzentuierten Anlauten weiter: Ba-rack O-bama! Doch alles bleibt still. Noch ist es eben nicht so weit. Die Ankündigung ist ja ohnehin eine Mischung aus amerikatypischer Anmaßung und wahlkampfüblichem Wunschdenken, in ihrer Selbstgewissheit so übertrieben wie das allgegenwärtige Satisfaction guaranteed!, wo in Wahrheit gar nichts garantiert ist. Der Kandidat ist natürlich noch lange nicht Präsident, ja, er ist noch nicht einmal Kandidat. Und er ist auch noch lange nicht hier, in Birmingham, Alabama. Das wird noch knapp zwei Stunden dauern, und die fulminante Ankündigung von der Bühne war nichts weiter als die Mikrofonprobe für später. Great, it s great!, ruft schließlich jemand aus dem Hintergrund, und der Mann auf dem Podest, ein nassgeschwitzter kleiner Mann, Hautfarbe weiß, nicht schwarz, mit Schnäuzer und Poloshirt, lässt vom Mikrofon ab und verschwindet wieder. Es wird aufgebaut und vorbereitet, Techniker ziehen ein Transparent hinter der Bühne hoch, zwei schwarze Putzfrauen fegen den Saal, der längst blitzblank ist, noch einmal gründlich durch, Kameraleute richten sich auf der gegenüberliegenden Empore ein, in der hinteren linken Ecke stehen zwei Männer in dunklen Anzügen, die ein gutes Dutzend eingeschweißte Lichtbildausweise um den Hals und je zwei Mobiltelefone am Gürtel tragen und dabei streng und skeptisch begutachten, ob ihr Mann hier auch wirklich gut in Szene gesetzt wird, nicht zu klein und nicht zu groß im Bild erscheint, nicht zu dunkel und nicht zu blass
2 rüberkommt. Sie gestikulieren viel und sagen sich mutmaßlich wichtige Dinge in einem diskreten, aber leicht hektischen Flüsterton, bis sie schließlich zufrieden sind, nicken, immer wieder Yes, Okay und Great sagen, und dann den Saal verlassen. In 90 Minuten kommt Barack Obama. Frühsommer Obama tritt heute im Sheraton-Hotel von Birmingham auf, für den Alabama Kickoff, wie das heißt, also den Wahlkampfauftakt in diesem Bundesstaat. Noch ist mit Wahlkampf genau genommen Vorwahlkampf gemeint, denn erst muss sich der Kandidat in der eigenen Partei durchsetzen. Doch weil das weder eine postalische Mitgliederbefragung noch eine Delegiertenabstimmung auf einem Parteitag besorgt (und wenn doch, dann nur, um ein Wahlergebnis, das bis dahin längst feststeht, noch einmal formal nachzuvollziehen und medial neu zu inszenieren), sondern öffentliche Vorwahlen stattfinden, die mit Fernsehspots und Kundgebungen wie ein richtiger Wahlkampf ausgetragen werden und an denen in einigen Bundesstaaten nicht nur Parteimitglieder, sondern sämtliche Wahlberechtigten teilnehmen dürfen, ist die Grenze zwischen Wahlkampf und Vorwahlkampf fließend, und das heute mehr denn je, denn unter dem Druck des aufgeregten Medienbetriebes beginnt mit jeder Wahl ein neuer Wahlkampf, nach dem Spiel ist vor dem Spiel, Politik ist als sportlicher Wettkampf noch am ehesten zu begreifen, und so sind die alten amerikanischen Zyklen aus Primaries, Wahlkampf und wahlkampfloser Regierungszeit einem unendlichen politischen Tamtam gewichen, das fortwährend insinuiert, es gehe jetzt ums Ganze. Vermutlich stimmt das sogar. Denn weil sich keiner leisten kann, zu spät zu kommen, weil gegen die Schnelligkeit des Betriebes nur hilft, noch schneller zu sein als die anderen, ist der Wahlkampf jetzt und hier, anderthalb Jahre vor der nächsten Präsidentenwahl, längst in vollem Gange. Bill Clinton gab seine Kandidatur erst acht Wochen vor den ersten 10
3 Primaries und nur zwölf Monate vor der Präsidentschaftswahl bekannt. Das waren andere Zeiten. Im klimatisierten Ballroom des schmucklos-schnöden Sheraton in Downtown Birmingham, wo sonst High-School-Proms oder Hochzeiten gefeiert werden, sind jetzt die ersten Besucher eingetroffen. Eintrittskarten 1500 wurden vorab abgesetzt werden kontrolliert und abgerissen oder aus dem Reservepool von 500 Karten erst jetzt und hier verkauft. 25 Dollar freiwillige Spende muss man bezahlen, um den Kandidaten zu sehen. Es ist ein Pauschalpreis ohne Differenzierung nach Stehplatzzonen, die zuletzt zwar zu Mehreinnahmen, aber auch manchem Ärger geführt haben. Heute also: Gleicher Preis für alle. Das Geld fließt, theoretisch jedenfalls, in den Wahlkampf. Tatsächlich ist bis zum Ende des Tages schon nichts mehr davon übrig, denn die Eintrittsgelder decken kaum die Kosten einer solchen Veranstaltung. Doch es geht um die Mischkalkulation: 2000 Menschen bringen Dollar in die Kasse, 30 Minuten Blitzauftritt generieren wertvolle Fernsehbilder in den lokalen Abendnachrichten überall in Alabama und, wenn s gut läuft, noch ein wenig darüber hinaus in benachbarten Südstaaten, dazu kommt die Zeitungsberichterstattung des nächsten Tages, und, nicht zu unterschätzen: 2000 Besucher sind selbst Multiplikatoren. Sie kommen, sie gehen, sie erzählen anderen, was sie erlebt haben. Paradoxerweise sind gerade die amerikanischen Wahlkämpfe mit der traditionell übermächtigen Bedeutung des Fernsehens immer auch Wald- und Wiesenwahlkämpfe geblieben, die den Kandidaten kreuz und quer durchs Land führen, die in Fernsehstudios und Footballstadien, aber auch in Scheunen, Werkstätten, Wohnzimmern, Schulklassen und Altersheimen stattfinden. Jeder amerikanische Wahlkämpfer absolviert bei weitem mehr Live-Auftritte als etwa ein deutscher Politiker. Es wird von ihm erwartet, und selbst die hochbezahlten Gurus der modernen Polit-PR, die natürlich aufs Fernsehen setzen und zu- 11
4 nehmend auch aufs Internet, halten die persönliche Begegnung von Kandidat und Wähler für unverzichtbar. Sie denken dabei an Leute wie Christi Haynes. Die dreifache Mutter ist unter den ersten Besuchern im Sheraton-Hotel. Sie ist gekommen, weil sie Barack Obama sehen und sich eine eigene Meinung bilden will. Ich werde bestimmt nicht Hillary Clinton wählen, das weiß ich, sagt Christi Haynes, die in einem Viertel der weißen Mittelklasse in Birmingham wohnt, ich traue ihr nämlich nicht. Obamas Wahlkampfstrategen lieben Frauen wie sie. Auf genau sie hat man es abgesehen. Sie könnte am Ende zu denen gehören, die Barack Obama zum Präsidenten machen. Aber: Ich weiß noch nicht, wen ich wählen werde. Auch bei Obama bin ich mir noch nicht sicher. Das hören seine Strategen weniger gern. Die Frau muss erst noch überzeugt werden. Sie sagt: Let s wait! und bedient sich am Wasserspender in der Ecke. Das Geschehen auf der Bühne wird jetzt hektischer, es hat sich ein unruhiges Gemurmel über den nun gut gefüllten Saal gelegt, für fünf Dollar kann man einen Obama-Sticker kaufen und für zehn ein T-Shirt, die zwei Männer mit den vielen Ausweisen vor der Brust stehen wieder in der Ecke und flüstern sich wieder wichtige Dinge zu, jemand fummelt noch einmal am Mikrofon herum. Die Scheinwerfer sind noch nicht eingeschaltet, eine schwer identifizierbare, aber sehr nach amerikanischem Autoradio klingende Musik läuft in genau der Lautstärke, in der man sie weder hören noch ignorieren kann. Noch zehn Minuten, sagt jemand, der sich mit hochrotem Kopf durchs Gedränge schiebt. Warum überhaupt Alabama? Die Kandidaten beider Parteien arbeiten sich derzeit eigentlich ganz woanders ab, nämlich in Iowa und New Hampshire. Auch Obama ist oft dort, zu manchen Zeiten fast täglich, denn mit den Iowa Caucuses, einem sehr urigen, bürgerversammlungsartigen, und in den Details auch für 12
5 Eingeweihte kaum nachvollziehbaren Abstimmungssystem in mehreren Stufen, beginnen im Januar 2008 die Vorwahlen um die Präsidentschaftskandidatur. Wenige Tage später folgt New Hampshire mit den ersten regelrechten Primaries. Beide Staaten haben durch die frühen Termine, die sie regelmäßig mit allerlei Drohungen, Beschimpfungen und neuen Gesetzen gegen den vorwitzigen Eifer anderer Staaten verteidigen, eine unverhältnismäßige Bedeutung in der Frühphase amerikanischer Wahlkämpfe erlangt. Viele Kandidaten beider Parteien stecken fast ihr gesamtes Geld (und ihre verfügbare Zeit) in diese beiden Staaten, um dann möglichst mit frühen Siegen neue Aufmerksamkeit und neue Wahlkampfspender zu gewinnen, eine Favoritenrolle zu erobern und für die weiteren Vorwahlen als der Kandidat dazustehen, an dem einfach keiner mehr vorbeikommt. Das ist auch Barack Obamas Taktik. Doch er denkt längst über Iowa und New Hampshire hinaus. Er weiß, dass sich seine politische Zukunft nicht nur in den schwer kontrollierbaren Abstimmungen im amerikanischen Hinterland entscheiden wird, sondern im Zentrum der politischen Debatten Amerikas. Kann Barack Obama das am Ende der Ära Bush polarisierte und im Innern zerrissene Land einigen? Wie viel traut man ihm zu? Was hat er wirklich drauf? Ist er Amerikas neue Hoffnung, wie ihn ein britischer Korrespondent schon 2004 überschwänglich genannt hatte? Kann man in ihm den Mann erkennen, der den Irak-Krieg beendet und die Truppen heimholt, ohne einen uferlosen Regionalkrieg am Golf zurückzulassen? Hat er Antworten auf die großen Fragen der Zeit, auf Terrorangst und Globalisierung, auf Gesundheitskrise und illegale Einwanderung? Und natürlich, es hat ja keinen Sinn drumherum zu reden: Ist er als Schwarzer überhaupt wählbar? Das sind die Fragen, die die meisten Menschen beschäftigen, die heute hierhergekommen sind. Fast ausnahmslos sehen sie Barack Obama zum ersten Mal. Man hat viel gehört, es gibt 13
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