Organische psychische Störungen (Teil II) Suizidalität
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- Leon Lenz
- vor 7 Jahren
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Transkript
1 Organische psychische Störungen (Teil II) und Suizidalität Philipp Thomann
2 Triadisches System
3 ICD-10 Diagnostische Hauptgruppen F0 Organische, einschließlich symptomatische psychische Störungen F1 Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen F2 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen F3 Affektive Störungen F4 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen F5 Verhaltensauffälligkeiten in Verbindung mit körperlichen Störungen oder Faktoren F6 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen F7 Intelligenzminderung F8 Entwicklungsstörungen F9 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend
4 Kap. FO: ICD-10 Organische psychische Störungen F00 Demenz bei Alzheimer-Krankheit F01 Vaskuläre Demenz F02 Demenz bei sonstigen andernorts klassifizierten Erkrankungen F03 Nicht näher bezeichnete Demenz F04 Organisches amnestisches Syndrom F05 Delir F06 Sonstige psychische Störungen aufgrund einer Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns oder einer körperlichen Krankheit F07 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen aufgrund einer Krankheit, Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns
5 Organisches amnestisches Syndrom gekennzeichnet durch eine schwere Beeinträchtigung des Kurz- und Langzeitgedächtnisses bei erhaltenem Immediatgedächtnis (unmittelbare Wiedergabe) anterograde Amnesie und zeitliche Desorientiertheit häufig Konfabulationen Aufmerksamkeit, Bewusstsein und allgemeiner Intellekt intakt (nicht durch Alkohol bedingtes) Korsakow- Syndrom
6 Organisches amnestisches Syndrom Ursachen: Hirnerkrankungen SHT, zerebrovaskuläre Erkrankungen (v.a. Infarkte), TGA, Herpes-simplex-Enzephalitis, MS, Hirntumoren Systemische Erkrankungen Kohlenmonoxidvergiftung, Z.n. Strangulation, Z.n. Reanimation, schwere Hypoglykämien
7 Organisches amnestisches Syndrom v.a. die mediotemporalen Hirnstrukturen sind betroffen: Beispiel: Herpes-simplex-Enzephalitis aus: Lieb et al., 2008
8 Delir Begriff "Delir" früher häufig mit dem Alkoholentzugsdelir gleichgesetzt; heute weiter gefasst, d.h. verschiedenste Ursachen möglich Symptomatik Störung von Bewusstsein und Aufmerksamkeit Desorientiertheit Wahrnehmungsstörungen (Illusionen, optische Halluzinationen) psychomotorische Störungen gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus vegetative Störungen Das Delir ist ein psychiatrischer Notfall!
9 Delir Häufigkeit: 10-15% der Pat. auf chirurgischen Stationen 15-25% der Pat. auf internistischen Stationen 30-40% aller Pat. > 65J. während stat. Aufenthalt Häufung bei bestimmten Erkrankungen: Verbrennungen (20-30%), AIDS (30%), Hüfgelenks-OP nach Fraktur (40-50%), Kardiotomien (70%)
10 Delir Risikofaktoren: Alter (v.a. alte Menschen und Kleinkinder) vorbestehende Hirnschädigung (v.a. Demenzen) Alkoholabhängigkeit Diabetes mellitus, Karzinome und andere schwere körperliche Erkrankungen (multiple) Medikation Fieber Delir in der Vorgeschichte
11 Diagnostik Delir Ziel ist die Ursachenklärung: Therapie (Fremd-)Anamnese, körperliche Untersuchung, Notfallabor, EKG, CCT/cMRT, EEG, Liquorpunktion Grundprinzip ist die gezielte Behandlung der zugrunde liegenden Ursache zudem allgemeine therapeutische Maßnahmen: Verhinderung von Fremd- und Selbstgefährdung (Sedierung, ggf. Fixierung) internistische "Basistherapie" medikamentöse Therapie (hochpotente und niederpotente Neuroleptika, Benzodiazepine)
12 Suizidalität
13 Suizide in Deutschland Alle 4 Minuten kommt es zu einem Suizidversuch Alle 45 Minuten nimmt sich ein Mensch das Leben Im Jahr 2004 starben Menschen durch Suizid und damit mehr als durch Verkehrsunfälle (7.749) Hohe Dunkelziffer, besonders bei älteren Patienten Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2005
14 Suizide weltweit ca. 1 Million Suizide weltweit pro Jahr weltweite Suizidrate: 16/ (D: 12) Suizid ist die zweithäufigste Todesursache bei den Jährigen Mehr als 90% aller Suizide sind mit psychischen Erkrankungen assoziiert
15 Suizide: Alters- und Geschlechtsverteilung 100 Suizide pro Männer 2004 Frauen >90 Jahre Statistisches Bundesamt Wiesbaden, 2004
16 Suizidversuche: Alters- & Geschlechtsverteilung Schmidtke 1995
17 Anteil psychisch Kranker an Suizidopfern Von 114 Suiziden in Seattle: 100% Dorpat 1960 Von 134 Suiziden in St. Louis: 94% Barraclough 1988 Von 100 Suiziden in West Sussex: 93% Barraclough 1987
18 Psychiatrische Erkrankungen bei Suizidopfern Depressive Störung: 20-90% Bipolare affektive Störung: 0-25% Substanzmissbrauch/-sucht: 15-55% Schizophrenie: 5-15% nach: Schneider 2003; Mann 2005
19 Suizide: Methoden (Nürnberg )
20 Suizide: Methoden - 76% aller Suizide durch Erhängen, Sturz aus Höhe, Erschießen, Überrollen lassen oder Ertrinken (nur 11% der Suizidversuche) - 81% der Suizidversuche durch Selbstvergiftung mit Psychopharmaka, mit sonstigen Medikamenten oder durch Stiche/Schnitte (nur 15% aller Suizide) (Nürnberg )
21 Präsuizidales Syndrom nach Ringel, 1954 Suizidphantasien zunehmend autonom Einengung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit mit Vereinsamung Aggression gegen die eigene Person
22 Suizidale Entwicklung: Stadien nach Pöldinger 1968
23 Liebe Eltern! Seid bitte nicht traurig wenn Ihr dies hört für mich ist dies der beste Weg Ich spiel Euch jetzt noch mein Lieblingslied auf der Gitarre, immer, wenn Ihr es hört, denkt an mich.. Abschiedskassette eines jugendlichen Suizidenten nach A. Schmidtke
24 Abschiedsbrief 65 Jahre, schizoaffektive Psychose, Benzodiazepinabhängigkeit, Suizidhandlung noch im Vorfeld verhindert
25 Sonderformen Appellativer Suizid(-versuch) Narzisstische Krise Bilanzsuizid Doppelsuizid Erweiterter Suizid Kliniksuizid Assistierter Suizid
26 Suizid als Folge narzisstischer Kränkung
27 Suizidraten in Deutschland männlich weiblich gesamt Statistisches Bundesamt Wiesbaden, 2004
28 Werther-Effekt: Bahn-Suizide nach TV- 70 Sendung Tod eines Schülers Männer Jahre Frauen Jahre Männer Jahre nach Schmidtke
29 Nürnberger Bündnis gegen Depression N der Suizide ,4% -24,0% ,01% +7,7% Nürnberg Würzburg nach: Hegerl, 2005
30
31
32 Suizidraten in Europa: Verhältnis zu Deutschland Litauen Russische Förderation Estland Ukraine Ungarn Finland Schweiz Frankreich Österreich Kroatien Belgien Deutschland Polen Dänemark Schweden Luxemburg Tschechische Republik Bulgarien Norwegen Niederlande Großbritannien Malta Spanien Italien Portugal Griechenland Albanien Armenien
33 Gefährdende Lebensereignisse Verlust von Bindungen v.a. wenn der Partner sich suizidiert hat Existentielle Veränderungen Arbeitsplatzverlust Veränderung der Lebenssituation (Umzug, Berentung, Auszug der Kinder) positive Ereignisse (Hausbau, Geburt des Kindes, Heirat, Beförderung)
34 Erhöhtes Suizidrisiko bei körperlichen Erkrankungen 2-fach erhöhtes Suizidrisiko bei Patienten mit Krebserkrankungen (Allebeck et al., 1991) fach erhöhtes Suizidrisiko bei Dialysepatienten (Schmidtke und Schaller, 1991) 7-fach erhöhtes Suizidrisiko bei HIV- Patienten (Gottstein-Vetter und Stille, 1991; Cote et al., 1992; Starage, 1993)
35 genetische Faktoren Konkordanzraten für Zwillinge: 1,8% bei dizygoten, aber 11,3% bei monozygoten Familiäre Belastung mit Suizidhandlungen gesichert Mittenauer, 1990; Roy et al., 1991; Qin et al., 2002
36 Suizid im Alter Abnahme der Suizidversuche bei deutlichen Anstieg der vollendeten Suizide körperliche Erkrankungen und Vereinsamung forcieren die Einengung, Suizidmittel (Medikamente) sind leichter verfügbar, gleichzeitig ist die körperliche Belastbarkeit reduziert Die weit überwiegende Zahl der Suizide geschieht aus einer seelischen Notsituation heraus (Bilanzsuizid: extrem selten!) Reduzierte Kompensationsfähigkeit des serotonergen Systems?
37 Was ist therapeutisch zu tun?
38 Suizidversuche sind ernste Warnzeichen für spätere Suzide oder ernste seelische Erkrankungen diagnostische Abklärung und Begleitung der Betroffenen sind deshalb erforderlich!!!
39 Suizidalität erkennen heißt aktiv ansprechen indirekte Ankündigungen beachten Verschenken, Testament, Verabschiedungen ~ 50% der Suizidopfer konsultieren in der letzten Lebenswoche mögliche Helfer, oft den Hausarzt aktive, empathische Ansprache hilft den Betroffenen ihre Einengung zu durchbrechen
40 Einschätzung akuter Suizidalität: Einengung mit depressiver Verstimmung und Verlust Risikofaktoren der Zukunftsperspektive innere Suizidversuche Anspannung in: Anamnese und Unruhe vermeintliche Entspannung: Familie Ruhe vor dem Sturm sozialer Umgebung Alter und Geschlecht Psychische psychischer ErkrankungenBefund life events, soziales Netzwerk Verfügbarkeit möglicher Suizidmittel
41 Krisenintervention bei Suizidalität Suizidalität aktiv ansprechen Unbedingt verbindliche Kontakte Nahziel: Aufhebung der Einengung Arbeit am Konkreten mit fassbaren Lösungen Psychopharmakologische Einstellung veranlassen oder optimieren Gesetzliche Unterbringung bei Zuspitzung oft unvermeidlich
42 Suizidhandlungen stehen meist am Ende einer Entwicklung und haben Krankheitswert bilden ein heterogenes Phänomen mit zahlreichen neurobiologischen, psychopathologischen und sozialen Facetten kann durch psycho- und pharmakotherapeutische, aber auch präventive Maßnahmen wirksam begegnet werden
43 Entzug der bevorzugten Methode Dramatisches Absinken der Suizidrate in England und Wales zwischen 1963 und 1973 durch Umstellung auf Erdgas Rückgang der Kohlengasvergiftungen von 49,5% aller Suizide 1960 auf 10 Fälle 1980 Ablösung der Barbiturate zugunsten von Benzodiazepinen führte zur Abnahme von letalen Intoxikationen
44 Beobachtbare Verhaltensänderungen Rückzug, Beziehungsabbruch Verschenken persönlich bedeutsamer Dinge Ordnen der Verhältnisse Treffen von Vorsorge für Hinterbliebene Indirektes Verabschieden
45 Kriterien der Ernsthaftigkeit Suizidversuche in der Vorgeschichte Äußerungen von Hoffnungslosigkeit und Todeswünsche Ort und Methoden werden gewählt harte Methoden = Anzeichen erhöhter Gefahr Impulshaftes Auftreten von Suizidalität Psychische Störung/Krankheit
46 Soziotherapie des suizidalen Patienten Lösungsversuche des Patienten einbeziehen und wertschätzen Konkrete Lösungen mit überschaubarem Zeithorizont anstreben Verlässliche Hilfssysteme aktivieren Soziale Einbindungen aktivieren
47 Pharmakotherapie des suizidalen Patienten Ausreichend dosieren Compliance überprüfen Alle Symptome berücksichtigen Spezifische antisuizidale Wirkung nutzen Lithium bei schizoaffektiven und depressiven Störungen Clozapin bei schizophrenen Psychosen Antriebssteigernde Medikamente vermeiden Unspezifische Sedierung nutzen
48 Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Su S izidolog o i g e Philipp Thomann
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