Der säkulare Staat ein Modell für die ARABISCHE WELT? Oder: Demokratisierungshindernisse. In der mehrheitlich muslimischen Welt
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- Gerda Böhme
- vor 7 Jahren
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1 Der säkulare Staat ein Modell für die ARABISCHE WELT? Oder: Demokratisierungshindernisse In der mehrheitlich muslimischen Welt Dia al-shakerchi Der Untertitel stellt die Überschrift eines Artikels aus meinem Buch Religion kontra GOTT dar. Und was die Arabische Welt, die ich lieber Mehrheitlich arabischsprachige Welt nenne, gilt, gilt ebenfalls im Allgemeinen für die mehrheitlich muslimische Welt. Und wenn ich von den Demokratisierungshindernissen spreche, dann ist damit hauptsächlich die schwere Säkularisierungsempfänglichkeit in den betroffenen Gesellschaften gemeint. Religionsneutralisierung bzw. Entreligionisierung und speziell Entislamisierung des Staates stellen die unverzichtbaren Voraussetzungen des Vorantreibens des Demokratisierungsprozesses in diesem Teil der Welt. Dieses Plädieren für Säkularisierung der Politik, des politischen Denkens, der politischen Parteien, der Allgemeinanliegen, und des Staates, bedeutet nicht, dass wir das Abschaffen der Religion aus dem Leben zu unserem Ziel setzen, sondern vordergründlich sein Abschaffen aus der Politik, und womöglich aus dem öffentlichen Leben, was die Allgemeinanliegen angeht. Es bleibt geboten für die Säkularisten als Demokraten die religiöse Freiheit zu verteidigen. Aber parallel dazu wird dafür plädiert und geworben, dass Religion ausschließlich ein privates Anliegen bleibe, und das Prinzip Freiheit zu respektieren sei, was konsequenter Weise die Freiheit miteinschließt, die Religion zu kritisieren, sowie sich für die Abtrünnigkeit aus der Religion zu entscheiden. In vielen mehrheitlich muslimischen Ländern ist unter den Islamisten, ihren Sympathisanten und allgemein unter den strengreligiösen Muslimen das Missverständnis verbreitet, dass Säkularismus und Unglaube identisch seien. Daher finden wir kaum jemanden aus der säkulardemokratischen Kreisen, der es wagt, das Wort Säkularismus (arabisch: c Almāniyya) anzuwenden. Die meisten bezeichnen sich anstatt dessen lieber als liberal und plädieren für einen sogenannten zivilen Staat anstatt den 1
2 Säkularen Staat, und demnach werden die säkularen Kräfte als zivile und in manch einem Land als liberale Kräfte bezeichnet. Immer wieder müssen wir die säkulare Demokratie gegen diese Unterstellung und Verleumdung bzw. das Missverständnis, damit verteidigen, dass Säkularismus nicht Atheismus oder Unglaube bedeutet, und dass im Gegenteil die Säkularisten stärker als die Religionsgläubigen, und erst recht stärker als die Islamisten, die Religionsfreiheit verteidigen. Auf der anderen Seite habe ich aber manchmal die Unterstellung, Säkularismus bedeute Unglaube, aus einem bestimmten Gesichtspunkt bestätigt. Warum? Weil sich der demokratische Säkularismus nicht nur für die Freiheit von Religionsglauben und religiöser Praxis einsetzt, sondern gleichermaßen für die Freiheit der religiösen Minderheiten, der Religionsabtrünnigen, Religionskritiker und Atheisten. Denn Denk- und Glaubens- bzw. Andersglaubens- und Nichtglaubensfreiheit gehören zu den Hauptprinzipien der säkularliberalen Demokratie. Selbst als deutscher Bürger, der sich sehr deutsch und sehr europäisch, aber auch sehr irakisch fühlt, wünsche ich mir ein Deutschland, das noch säkularer, noch liberaler, noch sozialgerechter und weiterhin europäisch ist. Denn Deutschland, Europa und die genannten Werte liegen mir sehr am Herzen. Deswegen habe ich die Aussage Der Islam gehört zu Deutschland kritisiert. Genauso kritisiere ich die Aussage Das Christentum und das Judentum stellen die Grundzüge der deutschen Kultur. Das Problem in der mehrheitlich muslimischen Welt liegt darin, dass oft so gehandhabt, als seien Religiosität und Islamismus identisch. Selbst ein konservativ und nicht politisiert religiöser Muslim ist in den meisten Fällen, auch wenn ihm das nicht bewusst ist, bis zu einem gewissen Grad ein Islamist. Der Islam hat nämlich eine Unmenge von so geglaubten GOTTes Bestimmungen, die fast alle Lebensbereiche umfassen. Das heißt konsequenterweise, dass diese religiösen Rechtsbestimmungen auch Politik und Staat miteinschließen. In einer Dialogveranstaltung im Irak, deren Publikum beinahe ausschließlich aus säkular orientierten Personen war, sagte ich: Es ist zwar leicht zu sagen, dass wir nicht gegen Religion oder Religiosität sind, sondern wir plädieren lediglich für die Trennung zwischen Religion und Religiosität auf der einen, und Politik und Staat auf der anderen Seite. Wie können wir aber einen Islamgläubigen überzeugen, religiös zu 2
3 bleiben aber zwischen Religion und Politik zu trennen, wenn er glaubt, GOTT lasse nicht solch eine Trennung zu? Meint ihr, er hört dann auf uns anstatt auf GOTT, wie er sich bildet und wovon er fest überzeugt ist? In einer ähnlichen Veranstaltung hat ein Teilnehmer an der Podiumsdiskussion gesagt: Wir müssen dafür werben, dass die Trennung zwischen Politik und Religion der Religion selbst diene, damit ihre Heiligkeit nicht durch die Mischung in die Politik verunreinigt werde. Hier habe ich mich zu Wort gemeldet und gesagt, dass ich solche Aussagen für sehr falsch und schädlich halte, da dies die verbreitete irrtümliche Denkweise bestätigt, dass die Politik notwendigerweise ein schmutziges Geschäft sei, während ich Politik für eine hohe nationale sowie humanistische Mission halte. Sie wird vielmehr eher selbst und an erster Stelle durch die Mischung zwischen ihr und der Religion verunreinigt. Und einmal in einer Konferenz in London, die von irakischen Säkularisten veranstaltet war, hat ein religiöser, dennoch säkular orientierter Teilnehmer gesagt: Es ist richtig, dass wir für Säkularismus plädieren, wir streben aber einen gläubigen Säkularismus an ( c Almāniyya mu'mina). Auch hier erwiderte ich, indem ich sagte: Säkularismus kann weder gläubig (arabisch: mu'mina) noch ungläubig (arabisch: kāfira) sein, sondern religionsneutral. Er setzt sich für die Freiheit der Gläubigen, ihre Gläubigkeit und Religiosität zu leben, sowie gleichermaßen für die Freiheit der Nichtreligiösen oder gar Nichtgläubigen, sich von den religiösen Pflichten zu entbinden, oder gar sich kritisch gegenüber Religion zu äußern. Der Säkularismus hält nämlich jede Haltung bezüglich der metaphysischen Fragen als rein private Angelegenheit, deren Vertreter sich dennoch freiäußern können müssen. Gemeint mit den Eistellungen hinsichtlich der metaphysischen Fragen, ob man religionsgläubig, beispielsweise praktizierender oder nicht praktizierender Muslim, gläubiger Angehöriger einer anderen Religion, religionsloser Gottgläubiger, Atheist, Agnostiker oder sonst was, sei ein rein privates Anliegen, sodass jeder die volle Freiheit genießt, nach seiner Überzeugung zu leben, was sein privates Leben betrifft, und sich dementsprechend zu äußern. Ich meinte vorhin, dass wir nicht im Begriffe sind, die Religion aus dem Leben, sondern ausschließlich aus der Politik abzuschaffen. Nicht nur, weil wir nicht in der Lage wären, die Religion abzuschaffen, sondern weil dies unserem Prinzip Freiheit wider- 3
4 spräche. Außerdem gibt es doch mäßig religiöse Säkularisten. Es gehört aber zur Meinungsfreiheit, dass jemand seinen Wunsch äußert, eine religionslose dennoch humanistische Welt zu sehen, wohlgemerkt ausschließlich durch den freien Willen der Menschheit. Wir werden aber gegen jede Art Einsetzung von Zwang an Hand von antireligiösen Diktaturen kämpfen. Und durch allmähliche Popularisierung unserer Ideen möchten wir dieses Ziel ausschließlich durch demokratische und friedliche Mittel erreichen, auch wenn erst in einem oder mehreren Jahrhunderten. Wir warnen aber auch vor der Ausnutzung der Demokratie seitens der Islamisten, um es zu einem Staat zu gelangen, in dem zwar demokratische Instrumente angesetzt werden, der aber soweit wie möglich von den Islamisten mit theokratischen Inhalten gefüllt wird. Wir haben solche Versuche im Irak, aber auch ein Jahr lang in Ägypten und in früheren Zeiten in Algerien erlebt. Versuche der Säkularisierung des Staates und der Gesellschaft durch undemokratische Mittel sind immer gescheitert. (Beispiele: Iran von Reza Pahlavi und Tunesien von Bourguiba Būrqība). Tolerante Menschen, ob Atheisten, theistische Areligionisten, Religions- oder gar GOTT-agnostiker, Religionsspekulativgläubige, relativdenkende, vernünftig geprägte, wären eher in der Lage, eine friedliche und tolerante Koexistenz zu schaffen, und zwar die friedliche Koexistenz sowohl eines jeden Volkes unter sich, als auch weltweit unter allen Völkern, Kulturen und Staaten. Die mehrheitlich muslimische Welt wird leider Gottes sehr weit zurück im Demokratisierungsprozess bleiben, solange die Religion, gemeint speziell der Islam, einen Einfluss auf das öffentliche Leben, und demnach auf die Politik und den Staat hat. Wir erleben aber heute nicht nur den Islamismus, sondern es kamen noch dazu, wie es beispielsweise im Irak ab 2003 der Fall ist, der Schiismus und der Sunnismus. Ist es demnach nicht berechtigt, wenn manch einer meint, alle drei, Sunnismus, Schiismus und Islamismus seien nichts anders als Produkte des Islams selbst, und der Islam seinerseits nichts anders als ein Produkt des Religionismus im Allgemeinen? 4
5 Deswegen plädiere ich dafür, um die gesellschaftlich Grundlage für den Demokratisierungsprozess, dessen Voraussetzung der Säkularismus ist, zu ebnen, müssen wir nicht nur das verbreitete Missverständnis korrigieren sollen, Säkularismus sei islamfeindlich, sondern darauf bestehen, die Muslime zum Trainieren veranlassen, religionskritikempfänglich zu werden. Es bleibt ein sehr langer Kampf, den Demokratisierungs- und Säkularisierungsprozess in der mehrheitlich arabischsprachigen und mehrheitlich muslimischen Welt voranzutreiben. Wir dürfen nicht aufgeben, auch wenn sich Misserfolge häufen. Und es muss uns bewusst sein, dass der Erfolg des Demokratisierungsprozesses in diesem Teil der Welt ein Erfolg für den Frieden der ganzen Menschheit und für die europäischen Werte ist. Trotz all des von mir Vorgetragenen, das für manch einen eher pessimistisch erscheint, bin ich zuversichtlich, dass sich Vernunft und Humanismus immer mehr in der Welt durchsetzen werden. Die mehrheitlich arabischsprachige und mehrheitlich muslimische Welt werden sich früher oder später an diesen Prozess anschließen. Wir alle Vernünftigen und Humanisten dürfen wir das nicht dem Zufall überlassen, sondern allesmögliche tun, um den Prozess zu beschleunigen
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