Interkulturelle Öffnung ÖffentlIcher Verwaltungen fördern InformatIonen erfahrungen konzepte
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- Felix Dittmar
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1 Schriftenreihe Migration und Arbeitswelt Interkulturelle Öffnung ÖffentlIcher Verwaltungen fördern InformatIonen erfahrungen konzepte Düsseldorf, 10. Mai 2007; Netzwerktreffen öffentliche Verwaltungen und Betriebe Gefördert durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds.
2 Vorwort Dr. Alfred Reichwein, Leiter des Programmbereichs Lösungen, Kommunale Geschäftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) Erfolgreiche Integrationspolitik ist bereits heute und in der Zukunft noch mehr eines der größten Entwicklungspotenziale für Kommunen. Aber wann ist sie wirklich erfolgreich? Das wurde bisher nie systematisch erfasst. Jede Kommune entwickelte ihre eigene Strategie, um mit den Problemen vor Ort fertig zu werden. Der Programmbereich Lösungen der KGSt hat ein einheitliches Instrument geschaffen, um, wie von unseren Mitgliedsstädten gewünscht, die Wirkung der Integrationsarbeit zu messen. Anhand einer geringen Anzahl von Indikatoren, die von großen wie kleinen Kommunen verwendbar sind, ist damit die Voraussetzung für die Vergleichbarkeit der Zustände in der kommunalen Integrationspolitik gegeben. Es werden besonders die Handlungsfelder Wohnen und interkulturelle Öffnung durchleuchtet. Die gesamte alltägliche Daseinsfürsorge wird von den kommunalen Diensten erbracht, und es ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, dass diese Angebote wirklich alle Bürgerinnen und Bürger erreichen. Die interkulturelle Öffnung der Regelversorgung verfolgt das Ziel, eine Nutzung der Angebote ohne Einschränkungen durch die ethnische Herkunft oder den kulturellen Kontext möglich zu machen. Sie ist deshalb im ganz besonderen Maße ein Erfolgsfaktor für kommunales Integrationsmanagement. Dafür ist es notwendig, dass die gesamte Kommune sich auf einen ressortübergreifenden Handlungsansatz verpflichtet. Die interkulturelle Orientierung soll sowohl in der Organisation als auch als Haltung der Mitarbeiterschaft verankert werden. Die Verbesserung der individuellen Handlungskompetenz kann durch geeignete Fortbildungen in einem langfristigen Prozess vermittelt werden. Die Teilnahme daran beruht auf Freiwilligkeit. Der Ansatz wird durch die Beschäftigung von Mitarbeitern mit Migrationshintergrund auf allen hierarchischen Ebenen unterstützt. Die interkulturelle Öffnung ist auch eine Führungsaufgabe. Die neuen Steuerungsinstrumente wie Zielvereinbarungen, Produktbeschreibungen, Berichtswesen, Controlling usw. sollen für ihre Durchsetzung genutzt werden. Ferner kann die Verwaltung durch Kontraktmanagement im Rahmen von Leistungsverträgen beispielsweise freie Träger auf interkulturelle Ziele und integrationsfördernde Maßnahmen verpflichten. Noch ist die Zustandsbeschreibung für einzelne Handlungsfelder der Integrationsarbeit in den Kommunen wegen fehlender oder unzureichend differenzierender Daten nicht vollständig. Umso wichtiger ist der Erfahrungs- und Ideenaustausch, bei dem ich dem Beratungsnetzwerk Öffentliche Verwaltungen in Pro Qualifizierung viel Erfolg wünsche. Dr. Alfred Reichwein Pro Qualifizierung
3 Inhalt Inhaltsverzeichnis Einführung Hans Jürgen Schnaß, stellvertretender Leiter des Hauptamtes der Landeshauptstadt Düsseldorf 3 Vorträge Zuwanderungsland Deutschland Die Bedeutung der Verwaltung für die Integration der Migrantinnen und Migranten Jochen Guter, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Migrationsforschung und interkulturelle Studien (IMIS), Universität Osnabrück Integrationsstrategien und interkulturelle Ausrichtung der Verwaltung in den Niederlanden Paul Spoelstra, EQUAL-Entwicklungspartnerschaft Laat Zien Wat Je Kunt, Groningen, Niederlande 4-6 Forum Interkulturelle Öffnung im Bereich der Verwaltungsausbildung Prof. Dr. Katrin Möltgen, Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW, Abteilung Köln LPD Udo Weiss, Institut für Aus- und Fortbildung der Polizei NRW, Leiter des Fachbereichs 3/ Management und Führung, Münster -9 Podium Kommunale Integrationskonzepte Erfahrungen und tatsächlich erreichte Erfolge bei der beruflichen Integration von Migrantinnen und Migranten in öffentlichen Verwaltungen Dr. Helmuth Schweitzer, Leiter der RAA/ Büro für interkulturelle Arbeit in Essen, seit 1999 verantwortlich für den Umsetzungsprozess des Konzepts für interkulturelle Arbeit in der Stadt Essen Heinrich Korn, Leiter der Abteilung Verwaltung, Qualität und Qualifizierung, Jugendamt/ Jugendhilfeplanung der Landeshauptstadt Stuttgart Heike Krutoff, Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt), Köln Schlusswort Aktiv auf qualifzierte Migranten zugehen Robert Gereci, Leiter des Beratungsnetzwerkes Öffentliche Verwaltungen beim DGB Bildungswerk von der EQUAL-Entwicklungspartnerschaft Pro Qualifizierung 11 Impressum 12 Gesamtmoderation: Barbara Siemes, Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk e.v. (ZWH) einführung: erfahrungen Von zuwanderen schätzen lernen Hans Jürgen Schnaß, stellvertretender Leiter des Hauptamtes der Landeshauptstadt Düsseldorf Ich möchte Ihnen kurz mitteilen, welche Aktivitäten die Landeshauptstadt Düsseldorf zur interkulturellen Öffnung ergriffen hat: Am hat der Rat das Integrationskonzept beschlossen. Darin heißt es, Düsseldorf versteht sich als weltoffene, tolerante Stadt. Sie verpflichtet sich der Realisierung der Chancengleichheit aller in Düsseldorf lebenden Menschen, unabhängig von nationaler, kultureller und ethnischer Zugehörigkeit. Die Stadt Düsseldorf wird die interkulturelle Öffnung der Verwaltung unterstützen und die interkulturelle Kompetenz der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen fördern. Das Integrationskonzept benennt verschiedene Handlungsfelder, unter anderem das Handlungsfeld Personalmanagement. Entscheidender Bestandteil einer interkulturellen Personalpolitik ist die verstärkte Einstellung von Beschäftigten, die selber einen Zuwanderungshintergrund haben. Gehören Zugewanderte zum Personal, werden Beratungsangebote erfahrungsgemäß überdurchschnittlich oft wahrgenommen. Auch wenn keine Sprachbarrieren überbrückt werden müssen, werde das Anknüpfen an gemeinsame kulturelle Hintergründe, das Vertrauen in Landsleute, also die Verbindung durch die Zuwanderungserfahrung geschätzt. Im November 2006 waren von den insgesamt circa Beschäftigten der Landeshauptstadt 436 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Das sind 4,3 Prozent. Diesen Anteil wollen wir ausbauen. Als Handlungsansätze arbeiten wir in zwei Projekten mit Pro Qualifizierung zusammen: Erstens, bei der Erweiterung der interkulturellen Kompetenz der Führungskräfte in verschiedenen Ämtern sowie im Ausbildungsbereich. Zweitens, im Rahmen des verstärkten Ausbildungsmarketings werden Jugendliche mit Migrationshintergrund gezielt angesprochen, um sie als Auszubildende zu gewinnen. Pro Qualifizierung 3
4 Vorträge 01 zuwanderungsland deutschland die Bedeutung der Verwaltung für die IntegratIon der migrantinnen und migranten Jochen Guter, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Migrationsforschung und interkulturelle Studien (IMIS), Universität Osnabrück IntegratIonsstrategIen und Interkulturelle ausrichtung der Verwaltung In den niederlanden Paul Spoelstra, EQUAL-Entwicklungspartnerschaft Laat Zien Wat Je Kunt, Groningen, Niederlande Unter Integration wird in modernen Gesellschaften verstanden, dass den Migranten die Realisierung von Lebenschancen gelingt, so der Soziologe Jochen Guter. Dafür müssen sie einen Zugang zu den grundlegenden Ressourcen Arbeit, Bildung, Einkommen und Gesundheit bekommen. Es wird oft, beispielsweise auf dem Integrationsgipfel, betont, dass die Integration vor Ort geschieht. Diese Aussage sollte allerdings nicht zu dem Kurzschluss führen, dass Integration vor allem in den Aufgabenbereich der Kommunen und ihren Verwaltungen gehört. Der Kommune fällt die Rolle des Moderators der Integrationsprozesse zu, meint der Forscher. Sie kann die Migranten mobilisieren, aber nicht allein den Zugang zu Arbeit, Bildung und Gesundheit gewährleisten. Diese Ressourcen sind auch in überregionale Kontexte eingebettet. Idealerweise führt der Integrationsprozess auf Seiten der Migranten zu bestimmten sozialen Lebensverhältnissen und Kompetenzen. Sie lernen mit den spezifischen Lebensumständen im Einwanderungsland umzugehen. Auf Seiten der Sozialstrukturen, zu denen auch Verwaltungen gehören, kann er zur Bildung von neuen Strukturen und Potenzialen führen: internationalere Belegschaften, eine kulturelle Pluralisierung usw. Möglicherweise aber auch dazu, dass z. B. die Einkommensdiskrepanz noch gesteigert wird. Migration und damit einhergehende Integration kommt als Thema nur vor, wenn sie irgendwie als problematisch in den Blick gerät. Jochen Guter Verwaltungen sind starre Strukturen und sahen lange die Migration nur als ein Problem. Auch in den Niederlanden, wo Diversität also Beteiligung von Migrantinnen und Migranten in Stellen von Verwaltung und Öffentlichem Dienst seit langem erklärte Politik ist, haben die Einwanderer mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Verwaltungen wurschtelten sich lange durch Die Politik hat noch bis vor kurzem bestritten, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. So ist die Verwaltung mit den Auswirkungen der Zuwanderung lange allein gelassen worden. Infolgedessen haben sich regional unterschiedliche Strategien herausgebildet: Insellösungen, wo die Not am größten ist, wie eine Teilnehmerin bestätigt. Historische Untersuchungen am Beispiel zweier Städte haben gezeigt, dass sich die Verwaltungen durchwurschteln. Änderungen ergaben sich entweder unter dem Druck von Migrantenorganisationen oder dank des Einflusses von engagierten Schlüsselfiguren innerhalb der Verwaltung. Guter beschreibt die öffentliche Verwaltung als eine spezifische Organisationsform, die ihre aktuellen Entscheidungen gern auf frühere verbindliche Beschlüsse stütze und im Vergleich zur freien Wirtschaft ziemlich schwerfällig auf Veränderungen der Umwelt reagiere. Schließlich unterliege sie keinen ökonomischen Zwängen. Migration und Integration würden gerne als etwas Problematisches formuliert. Das Problem besteht aber gar nicht darin, dass jemand mit einer offensichtlich anderen Kultur in eine Kommune zieht und von einer Verwaltung verwaltet wird. Es hat viel mehr damit zu tun, dass die kommunale Verwaltungseinrichtung sich selbst auf diese Situation einstellen und dann dementsprechend damit umgehen muss. Mit Migranten wird verfahren Und zwar laut Guter folgendermaßen: a) die Migranten werden gar nicht als solche registriert; b) sie werden als solche registriert und die Verwaltung klärt intern, welche Leistungen ihnen zugestanden, welche verweigert werden; c) die Zugezogenen 4 Pro Qualifizierung
5 Vortrag werden zum Thema gemacht, neue Strukturen und Zuständigkeiten werden geschaffen. Gegenwärtig sei die Verwaltung beim dritten Punkt angekommen und interpretiere die Migration als ein Problem der interkulturellen Kommunikation. Deshalb entstehen allerorten Integrationsstellen, und Mitarbeiter werden in interkultureller Kommunikation fortgebildet. Die Verwaltung ist dabei, sich selbst umzubauen, so Guter. Sybille Haussmann, Migrationsbeauftragte der Kreisverwaltung Düren, steuert in der Diskussion Beispiele für neue Strukturen bei: Aus dem Ausländeramt ist ein Rechts-, Ordnungs- und Migrationsamt geworden. Eine Steuerungsgruppe, an der die publikumsfrequentierten Ämter und das Personalamt beteiligt sind, überlegt gemeinsame Strategien. Die Initialzündung dazu habe die Debatte zum Zuwanderungsgesetz gegeben und da vor allem die Pflicht, Integrationskurse zu organisieren. Elke Nellessen, Integrationsbeauftragte der übergeordneten Behörde, der Bezirksregierung Köln, gibt zu bedenken: Verwaltungen sind nach Fachzuständigkeiten aufgebaut. Bisher sind beispielsweise für die Sprachförderung der Kinder die Schulen zuständig, für die der Eltern ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verantwortlich. Effizient wäre, diese beiden Bereiche zusammenzuführen. Beim Versuch, auf die eigenen Aufgaben fixierte Spezialisten zu vernetzen, treffe man zunächst auf vorsichtige Distanz. Deshalb sei der Austausch so wichtig: Die Zuständigen sollen die Vorteile der Öffnung erkennen. Meine persönliche Meinung ist, dass man in Deutschland viel toleranter ist als in Holland. Wir können uns sehr gut selbst komplimentieren und die Fassade putzen. Im Inneren müssen wir noch viele Dinge ändern. Die Niederlande galten lange Zeit als eine vorbildliche Multi-Kulti-Gesellschaft. Paul Spoelstra von der EQUAL-Entwicklungspartnerschaft Laat Zien Wat Je Kunt in Groningen zeigt auf, dass auch dort noch vieles im Argen liegt. Von den 16 Mio. Einwohnern sind rund 3 Mio. Migranten, etwas mehr als die Hälfte nicht-westliche. Sie konzentrieren sich auf die Großstädte Rotterdam, Amsterdam und Den Haag, wo es auch die meisten Probleme gibt. Als Migrant gilt, wer selbst im Ausland geboren ist oder ein Elternteil hat, auf das dies zutrifft. Ein weiteres, weiches Kriterium: Migrant ist, wer Unterstützung braucht. Die Arbeitslosigkeit unter Migrantinnen und Migranten ist mit 16 Prozent mehr als dreimal so hoch wie bei Inländern (5 Prozent). Dies ist sogar bei Qualifizierten der Fall, wenn sie als Flüchtlinge aus Somalia, Iran, Irak oder Afghanistan in die Niederlande gekommen sind. Auch die Jugendkriminalität ist unter manchen nicht-westlichen Einwanderern beunruhigend hoch, weil die Jugend zwischen der Kultur der Eltern und der holländischen Gesellschaft keinen guten Weg finden konnte. Es gibt im Verhältnis mehr Probleme mit Jugendlichen aus der Kolonie Niederländische Antillen und Marokko. Die Organisation, bei der Spoelstra arbeitet, vermittelt Migranten in den Arbeitsmarkt. Unter anderem arbeitet sie mit Hochqualifizierten: 40 Prozent der Akademikerinnen und Akademiker sind arbeitslos, und der Arbeitsmarkt fragt nach hochgebildeten Leuten. Wir versuchen mit unserem Projekt eine Brücke zu schlagen, damit diese Menschen Kontakte zu den Betrieben herstellen. Es fehlt ihnen ein Netzwerk, es fehlt Sprachunterricht. Das versuchen wir aufzubauen. Auf diese Weise wird das Arbeitslosen- Paul Spoelstra Pro Qualifizierung 5
6 Vortrag Sybille Haußmann geld gespart, das die Gemeinde als Pauschale zugewiesen bekäme. Wenn wir damit sparsam umgehen, haben wir einen Vorteil. Wenn wir das nicht gut machen, dann haben wir ein Problem, schildert Spoelstra die Unterschiede zu deutschen Sozialsystemen. Allerdings werden die meisten Arbeitssuchenden außerhalb der Verwaltung vermittelt. Denn auch die Niederlande versuchten die Zahl der Beamten zu reduzieren. Die Regierung strebt jedoch nach dem Prinzip der Diversität eine Zusammenstellung der Reichsbeamten an, die die Zusammensetzung der Bevölkerung widerspiegelt sind 9,3 Prozent der Beschäftigten in den Ministerien Migranten (in den Niederlanden spricht man lieber von Alochtonen ). Deren Anteil bei den Neueinstellungen erreicht 16,9 Prozent. Dennoch findet man sie vor allem auf niedrigen Positionen. Auf 600 hohe Positionen gibt es nur drei Migranten, was Spoelstra eher auf mangelnde Sprachund Kulturkenntnisse zurückführt als auf Diskriminierung. Alochtonenpool in der Gemeinde Die Provinzen sowie die Gemeinden können ihre eigene Politik machen, das Reich gebe keine Hinweise dazu. Auf lokaler Ebene existierten einzelne Projekte, die höchstens Signalwirkung hätten. So sind in der Provinz Groningen gerade fünf Arbeitsplätze in der Verwaltung für hochqualifizierte Einwanderer geschaffen worden. In der Gemeinde Groningen wurde ein Alochtonenpool gebildet: Die dort registrierten Personen werden bei internen Stellenausschreibungen berücksichtigt. Sie erhalten auch Training und Unterstützung, um einfacher an einen Job zu kommen. Es handele sich um 200 bis 300 vakante Stellen pro Jahr. In den Pool sind rund 400 Namen aufgenommen. Bei der niederländischen Polizei ist Diversität Einstellung von Migranten in den Polizeidienst schon seit 30 Jahren erklärte Politik. Es gibt eine Abteilung, das Landelijk Expertisecentrum LECD, die jedes Jahr die Behörden nach bestimmten Kriterien beurteilt und einen Diversitätspreis vergibt. Außerdem macht sie verschiedene Projekte und berät Polizisten. Dies alles, so bemerkt Spoelstra, geschieht, nicht weil die Polizei so nett ist, Migranten Arbeit zu geben, sondern weil sie handfeste Vorteile davon hat. Es ist wichtig, dass die Polizisten Zugang und Kenntnisse zu verschiedenen ethnischen Gruppen hat. Trotz dieser Politik ist das Leben der Polizisten mit Einwanderungsgeschichte nicht immer leicht, so Spoelstra und bringt ein Beispiel: Von 26 Studenten der Polizeiakademie Jahrgang 1992 sind alle Einheimischen noch im Dienst und auf höheren Posten. Bei den acht Migranten hingegen gab es nur eine Beförderung, die Hälfte hatte die Polizei verlassen. Ein klarer Diskriminierungshinweis? Spoelstra ist sich nicht so sicher: Vielleicht seien die Migranten auch nur zu empfindlich? Der einzige Polizei- Korpsleiter im Nachbarland, der aus einer eingewanderten Familie stammt, erzählte in einem Interview: Er habe sich hochgearbeitet, weil er sich nicht wie ein Opfer fühlte und benahm. Diskriminierende Situationen versuchte er immer mit Witz zu meistern. Udo Weiss, dessen Institut oft mit den niederländischen Kollegen zusammenarbeitet, erinnert daran, dass es dort früher eine Quote gab. Diese Quote wurde zunächst nicht erfüllt. Dann hat man das Ganze verschärft, indem man gesagt hat: Wenn ihr diese Quote nicht erreicht, dann dürft Ihr auch keine anderen Bewerber einstellen. Das hat dazu geführt, dass der Nachwuchs in bestimmten Regionen immer geringer wurde. Letztendlich hatte dann die Polizei ihre Stärke nicht mehr. Um dies zu beheben, seien unterschiedliche Einstellungsvoraussetzungen eingeführt worden. Dadurch sei eine Zweiklassengesellschaft entstanden. Heute hat man daraus gelernt, sagt Weiss, und würde das nie wieder machen. 6 Pro Qualifizierung
7 Forum: 02 Interkulturelle Öffnung im Bereich der Verwaltungsausbildung Prof. Dr. Katrin Möltgen, Fachhochschule für öffentliche Verwaltung (FHöV) NRW, Abteilung Köln LPD Udo Weiss, Institut für Aus- und Fortbidung der Polizei NRW, Leiter des Fachbereichs 3/ Management und Führung, Münster Prof. Katrin Möltgen unterrichtet Anwärterinnen und Anwärter des gehobenen nicht-technischen Verwaltungsdienstes, der künftigen mittleren Managementstufe in Verwaltungen, in Politikwissenschaften und Soziologie. Die Studierenden wechseln alle drei Monate zwischen Theorie an der FHöV und Praxis in ihren jeweiligen Einstellungsbehörden. Es handelt sich daher um eine Duale Ausbildung, deren Erfolg und die erlangte interkulturelle Kompetenz gleichermaßen von beiden Seiten abhängen. Im Gegensatz zu anderen Hochschulen ist die FHöV NRW nicht dem Wissenschafts-, sondern dem Innenministerium zugeordnet. Es überwiegen immer noch die juristischen Fächer, sie wurden in den letzten Jahren jedoch zunehmend durch wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Inhalte ergänzt. Die FHöV hat ein Leitbild, in dem die interkulturelle Kompetenz jedoch nicht klar verankert ist. Die Wissenschaftlerin umschreibt die interkulturelle Öffnung als ein Konzept, das die Verwaltung in die Lage versetzen soll, ihre Angebote und Leistungen an eine durch Einwanderung veränderte soziale Umwelt anzupassen. Es ginge also nicht bloß darum, jemanden in die Ausländerbehörde zu setzen, der eine Fremdsprache spricht. Die Öffnung sei viel umfassender und verläuft auf drei Ebenen. Die erste ist die Strategie. Dafür muss sich die Verwaltung folgenden Fragen stellen: Wo wollen wir hin? Welche Zielgruppen wollen wir erreichen? Wie wichtig ist die Integration für uns?. Es sei eine klare Aussage der Verwaltungsführung notwendig. Integration als Querschnittsthema zu begreifen, hieße unter anderem, sie in die inhaltliche Arbeit aller Fachbereiche aufzunehmen und Ressourcen dafür zur Verfügung zu stellen. Dabei sei es auch sinnvoll, Schwerpunkte in Bezug auf bestimmte Stadtteile oder bestimmte Migrantengruppen zu setzen. Mein Eindruck ist, dass sehr viel Schwung in die Personalabteilungen kommt und dass die Notwendigkeit immer deutlicher gesehen wird. Man sieht sie nicht nur im Bereich der Ausbildung, sondern auch im Bereich der Fortbildung. Prof. Dr. Katrin Möltgen Die interkulturellen Inhalte sind zu einem festen Bestandteil der Aus- und Weiterbildung von Verwaltungsmitarbeitern und Polizisten geworden. Damit passen sie ihre Arbeit den veränderten Anforderungen der Umwelt an. Demografischer Wandel und Zuwanderung verschieben die Gesellschaftswerte. Wissen, Haltung und Können: Drei Ebenen der interkulturellen Kompetenz Die zweite Ebene ist die der Organisation, in der das Politikfeld Integration verankert werden muss. Auch wenn Netzwerke wichtig für den Erfolg sind, so ist die Verwaltung doch ein starres Gebilde, betont Möltgen, und ein Bereich darin soll als für die Integration zuständig gekennzeichnet werden. Damit werde deutlich, dass es einen Verantwortlichen gibt. Ob es die Stabstelle beim Oberbürgermeister oder der Beauftragte innerhalb des Sozialamts ist, ist aus Sicht der Forscherin zweitrangig. Die dritte Ebene ist die Personalgewinnung und -entwicklung. Dort soll die interkulturelle Kompetenz als Teil der Aus- und Fortbildung sowie als Kriterium bei der Rekrutierung aufgenommen werden. Damit würden auch mehr Migranten eingestellt werden. Es stellt sich die Frage, was das überhaupt ist, die interkulturelle Kompetenz? Prof. Möltgen sieht da wiederum drei Ebenen: zunächst das Wissen, dann die persönliche Haltung und zu guter Letzt das Können oder Umsetzen. Wissen sollten die Verwaltungsmitarbeiter etwa, wie Vertreter verschiedener Kulturen miteinander kommunizieren, welches Verhältnis unter den Geschlechtern üblich ist und welche ethnischen Gruppen aus welchen Gründen nach Deutschland gekommen sind ohne die Fakten zu bewerten. Empathie, Offenheit gegenüber anderen Kulturen, eine gewisse Distanz zu der eigenen Rolle sind Haltungen, die von Mitarbeitern einer Dienstleistungsorganisation heutzutage ohnehin erwartet würden. Die hohe Kunst der interkulturellen Kompetenz sei es schließlich, das erlangte Wissen in der täglichen Kommunikation umzusetzen und Empathie zu praktizieren. Die FHöV leistet bereits heute einen Bei- Pro Qualifizierung
8 Forum Wir müssen wissen, wie gehen wir in einer Moschee vor, wen sprechen wir bei einer Wohnungsdurchsuchung an? Ist das der älteste Sohn, die Mutter, der Vater...? Was mache ich mit dem Koran, der auf dem Tisch liegt? LPD Udo Weiss trag dazu, interkulturell kompetente Verwaltungsmitarbeiter auszubilden: Interkulturelle Inhalte sind in vielfältiger Weise in die Lehrpläne implementiert worden. Es gibt Vorlesungen und Seminare, z.b. über Globalisierung und Migration, über das Zuwanderungsgesetz, über die Lebenssituation ethnischer Minderheiten oder den Islam. Migration künftig ein Schwerpunkt für den Bachelor Auch in den Verhaltenstrainings, die an der FH angeboten werden, geht es nun verstärkt um interkulturelle Kommunikation und Konfliktlösungen, um Selbst- und Fremdwahrnehmung und um Stressresistenz, beschreibt die Professorin. Man wolle die Migranten nicht nur als Problem sehen, sondern auch als Kunden und Kollegen. Daher steht die interkulturelle Teamentwicklung auf dem Plan. Wir haben uns als Verhaltenstrainer selbst qualifizieren lassen, sagt Möltgen, irgendwann kommt das bei den Studierenden und dann bei den Verwaltungen an. Ein Teil des Curriculums sind die Projekte, für die sich die Studierenden oft von ihrem Behördenalltag inspirieren lassen. So sei das Projekt Interkulturelle Öffnung der Stadtverwaltung Aachen auf Initiative eines Studenten entstanden, der dort sein Praktikum machte. Bei der Bestandsaufnahme hätten die Teilnehmer etwas ganz Typisches vorgefunden: Es sei viel gemacht, aber nie systematisch zusammengeführt worden. Die Studierenden erarbeiteten daher ein Konzept zur interkulturellen Öffnung der Verwaltung und für interkulturelle Trainings. Im Zuge des Bologna-Prozesses will die FHöV ihre bisherigen Diplom-Abschlüsse auf den Bachelor umstellen. Damit geht eine inhaltliche Umstrukturierung des Studiums und die Chance einher, wesentliche Themen wie die Integration und Migration noch deutlicher hervorzuheben. Nicht nur Verwaltungsmitarbeiter, auch Polizisten sehen sich tagtäglich mit einer durch Zuwanderung und demografischen Wandel veränderten Gesellschaft konfrontiert, so Polizeidirektor Udo Weiss vom Institut für Aus- und Fortbildung der Polizei NRW. Aber zunächst die Zahlen: Rund Frauen und Männer kümmern sich im bevölkerungsreichsten Bundesland um Sicherheit und Ordnung. Seit es im Jahr 1993 möglich wurde, auch Nicht-Deutsche in den Dienst aufzunehmen, arbeiten in NRW 586 Polizisten aus 113 Nationen habe es rund 1000 Bewerber mit Migrationshintergrund gegeben, alle mit Abitur oder Fachhochschulreife. Spätestens bei der Verbeamtung müssen jedoch alle deutsche Staatsbürger werden: Auf diese Weise würden sie sich klar zu ihrer Rolle als Garant der Verfassung bekennen. Aber es sprechen auch praktische Gründe dafür: So bekämen Kollegen mit ausländischem Pass oft Probleme bei Auslandseinsätzen. Die Werte verschieben sich Polizeiliches Handeln ist werteorientiertes Handeln, betont Weiss, und Werte werden geprägt von der eigenen Kultur. Im Moment verschieben sich die gesellschaftlichen Werte: Die einheimische Bevölkerung altert und schrumpft, der Anteil der Zuwanderer und deren Nachkommen wächst insbesondere in den jüngeren Gruppen. Schon heute bildeten Deutsche in einigen Stadtteilen die Minderheit. In zehn Jahren wird die Hälfte der Unter-20jährigen in einigen Großstädten ausländischer Herkunft sein. Dies führt dazu, dass die gefühlte Zuwanderung auf über 70 Prozent geschätzt werde. Die Begegnung mit anderen Kulturen im eigenen Land wird alltäglich, so Weiss, und die Kulturdominanz verschiebt sich. Ein Beispiel für kulturbedingte Werteunterschiede ist das türkische Sprichwort: Die Ehre ist wichtiger als das eigene Leben. Interkulturelle Konfliktfelder ergeben sich aus unterschiedlichen Wahrnehmungsund Verhaltensmustern. Bei Befragungen und Vernehmungen ist es hierzulande üblich, die Gedanken direkt zu übermitteln. Auf eine konkrete Frage erwarten wir eine konkrete Antwort. Angehörige anderer Kulturen empfinden eine solche unverblümte Redeweise als unhöflich, was wiederum die Polizisten als Reden um den heißen Brei bzw. Ausweichversuche 8 Pro Qualifizierung
9 Forum interpretieren. Darauf müssen wir uns einstellen, sagt der Polizeidirektor. Fortbildungen über bestimmte Ethnien, je nach Bedarf, stehen auf der Tagesordnung. Während der PKK-Demonstrationen wurden die Kollegen von der Bereitschaftspolizei umgehend über die kurdische Kultur geschult. Dazu gehörte z.b. das Wissen, dass das Feuer bei den Kurden ein Symbol des Zusammenhalts und der Fruchtbarkeit ist. Wenn also kurdische Demonstranten ein Feuer an einer Kreuzung machten, habe das eine andere Bedeutung als wenn deutsche Radikale bei einer Demonstration etwas in Brand setzten. Weiss: Das muss ich wissen, um zu entscheiden, ob ich mit allen Mitteln räumen muss. Und wer käme dann für die Kosten des kurdischen Freudenfeuers auf, erkundigt sich ein Teilnehmer. Deeskalation ja, aber immer vorausgesetzt, dass nichts und niemand zu Schaden kommt, antwortet Weiss. An einem Beispiel aus Irak zeigt er, wie wichtig die Wahl der Mittel ist: Eine ganze Station britischer Militärpolizisten ist von der aufgebrachten Bevölkerung ermordet worden. Der Grund: Die Briten hatten Hunde bei den Hausdurchsuchungen eingesetzt. Sie gelten im Islam jedoch als unreine Tiere, dementsprechend fühlten sich die Iraker in ihren religiösen Gefühlen verletzt. Heikel sind aus Polizeisicht die möglicherweise anders gearteten Geschlechterrollen. So gilt es zu überlegen, wer der geeignete Ansprechpartner im Haushalt von Eingewanderten ist. Die Autorität von Polizistinnen sei oft nicht anerkannt worden. Auch sei die Bewertung von häuslicher Gewalt oft eine andere. Wenn z.b. die Frau Blessuren davon getragen hat, behandeln wir das wie eine richtige kriminelle Tat, sprechen einen Wohnungsverweis aus, befragen Zeugen usw. Aber manchmal würde selbst das Opfer die Gewaltausübung nicht als Vergehen sehen und keine Anzeige erstatten wollen. In manchen Kulturen hätten die Männer ein Züchtigungsrecht: Muss ich das verstehen und tolerieren oder reicht es, davon zu wissen? Was davon ist interkulturell kompetent?, fragt Weiss. eigene und fremde Kultur zu verstehen und zu interpretieren, um dabei immer Herr der Lage zu bleiben. Damit reagiert der Polizist, die Polizistin bei interkulturellen Begegnungen angemessen, reduziert den eigenen Stressfaktor und die Gefahr beim Einschreiten. Aus der sprachlichen und interkulturellen Kompetenz entsteht mit der Zeit ein gegenseitiges Vertrauen. Die Polizei ist darauf angewiesen, dass die Bevölkerung ihr Vertrauen entgegenbringe. Dank Hinweisen aus der nicht-deutschen Bevölkerung sind bereits Straftaten vereitelt worden, von denen wir ohne Vertrauen nie im Vorfeld Kenntnis bekommen würden. Ohne gegenseitiges Vertrauen gebe es auch weniger Informationen. Ein erhöhter Migrantenanteil unter den Beamten sei zwar wünschenswert, aber allein kein Allheilmittel. Die Beamten mit Zuwanderungshintergrund wollten keine Ghetto-Polizisten sein, die sich vor allem um die eigene Ethnie kümmerten. Um die interkulturelle Kompetenz aller Mitarbeiter zu erhöhen, hat es im vergangenen Jahr 210 Fortbildungsveranstaltungen mit insgesamt ca Teilnehmenden gegeben. Auch bei einem noch so guten Basisstudium änderten sich die Anforderungen an die Polizei ständig. Deshalb sei es wichtig, Grundwissen über den Islam, über junge Aussiedler oder den Rechtsextremismus zu vermitteln. Ein großer Erfolg auf beiden Seiten ist die Zusammenarbeit mit den Schulen, weil dort der Austausch ohne Konfliktlage erfolge. Damit werde Vertrauen frühzeitig aufgebaut. Eine weitere Chance dafür sind die Kontaktbeamten und -beamtinnen zu muslimischen Organisationen. In NRW gibt es 70 solcher Polizisten, die ähnlich den Bezirksdienstbeamten vor Ort arbeiten und gezielt den Kontakt suchen. Die Polizei ist auf Vertrauen angewiesen Interkulturelle Kompetenz ist in der Definition von Udo Weiss die Fähigkeit, die Pro Qualifizierung 9
10 Podiumsdiskussion Kommunale Integrationskonzepte03 Erfahrungen und tatsächlich erreichte Erfolge bei der beruflichen Integration von Migrantinnen und Migranten in öffentlichen Verwaltungen Teilnehmer der Podiumsdiskussion: Dr. Helmuth Schweitzer, Leiter der RAA/ Büro für interkulturelle Arbeit in Essen, seit 1999 verantwortlich für den Umsetzungsprozess des Konzepts für interkulturelle Arbeit in der Stadt Essen Heinrich Korn, Leiter der Abteilung Verwaltung, Qualität und Qualifizierung, Jugendamt/Jugendhilfeplanung der Landeshauptstadt Stuttgart Heike Krutoff, Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt), Köln Moderation: Elke Knabe, Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk (ZWH), Düsseldorf Dr. Helmuth Schweitzer Heinrich Korn Ob sich die Kommunen die Mühe machen, nicht-deutsche Bewerber anzusprechen, hängt vom lokalen Arbeitsmarkt ab. Das besondere Potenzial der Migranten muss erkannt und gepflegt werden. Weg von der Vorstellung, es gibt spezielle Stellen in der Verwaltung, die die Migranten versorgen, hin zur Ansicht, dass jede Institution, die mit öffentlichen Geldern arbeitet, die Bedürfnisse der gesamten Bevölkerung kompetent befriedigen muss: Dafür plädiert Dr. Helmuth Schweitzer. Wie es in seiner Stadt Essen aussieht? Durch gutes effektives Management von Ausgaben haben wir für unseren Fachbereich Soziales, trotz der Defizite, die wir in der Stadtverwaltung haben, ein Plus herausgewirtschaftet. Es gibt einen Extra-Topf für innovative Projekte mit 1,5 Mio. Euro jährlich. Die RAA/Büro für interkulturelle Arbeit sammelt die Ideen und bringt sie in die Steuerungsgruppe Integration ein, an der auch die Politik beteiligt ist. Hier würden Schwerpunkte der Förderung jedes Jahr empfohlen und dann zur Entscheidung dem Ausschuss für Zuwanderung und Integration zugeleitet. Das Modell verführe allerdings dazu, migrationsspezifische und interkulturell orientierte Projekte nur über diesen Topf zu finanzieren. Etablierte gute Initiativen bräuchten jedoch eine langfristige Perspektive. Ein Beispiel dafür ist das Rucksack-Projekt. Die Idee wurde aus Rotterdam importiert: Zweisprachige Migranten, deren Kinder in eine bestimmte Kindertagesstätte gehen, schulen das pädagogische Personal ihrer Kita sozusagen im Umgang mit ihnen selber. Das Modell hat sowohl mit interkultureller Kompetenz als auch mit frühkindlicher Sprachförderung durch die Kitas und die Eltern zu tun. Bisher wurden die Rucksack-Eltern aus dem Sondertopf finanziert. Wir würden gerne von Stuttgart lernen, wie wir das im regulären Etat des Jugendamtes in der Position Familienbildung nach & SGB VIII verankern können, zumal die Stadt Essen eine zweistellige Millionensumme einsparen muss. Wir betrachten Migranten nicht als Last, sondern als Gewinn, bekennt Heinrich Korn. 31 Prozent der Stuttgarter Familien mit Kindern unter 18 Jahren sind eingewandert. Muss also unser Personal nicht diese Bevölkerungsstruktur widerspiegeln und dementsprechend zu einem Drittel einen Migrationshintergrund haben? Soweit ist es noch nicht, aber ca. 15 Prozent der Mitarbeiter haben einen solchen Hintergrund und weitere 25 Prozent haben Auslandserfahrung. Schaut euch eure Teams an!, empfiehlt Korn. So könnten z.b. Migrantinnen, die in der Kindergartenküche arbeiten, bei entsprechender Fortbildung auch Kinder betreuen. Man soll die vorhandenen interkulturellen Kompetenzen ermitteln und nutzen. Das Jugendamt hat darum gekämpft, seinen Aus- und Fortbildungsetat zumindest auf dem gleichen Niveau zu halten. Außerdem gibt es die Möglichkeit, Geld von der EU für zukunftsorientierte Personalentwicklung zu bekommen. Mitarbeiter wollen sich nicht als Migranten outen Die KGSt hat in ihrem Handbuch Integration ebenfalls den Potential-, nicht den Problemansatz in den Vordergrund gestellt, betont Heike Krutoff. Die Spezialistin für die kommunalen Auswirkungen des demografischen Wandels weist darauf hin, dass sich das kommunale Personalmanagement auf die demografischen Entwicklungen einstellen muss. Dies bedeutet unter anderem, in bisher eher vernachlässigten Gesellschaftsgruppen Potenziale zu entdecken und Leistungsträger zu gewinnen. Ein Innovationszirkel aus Vertretern verschiedener Verwaltungen beschäftigt sich nun mit dem Thema Integration. Unter anderem soll er zehn Schritte zur interkulturellen Öffnung der Verwaltung beschreiben. Da insgesamt aber immer noch Personal abgebaut wird, sieht Krutoff derzeit kaum Chancen für Seiteneinsteiger. Die einzige Möglichkeit, den Migrantenanteil unter den Beschäftigten zu erhöhen, sei über die Ausbildung. Mehrere Großstädte haben dies schon als strategisches Ziel festgelegt und stehen nun vor der Aufgabe, sich als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren. Ein netter Flyer reiche jedenfalls nicht, so Krutoff. Um begabte junge Einwanderer zu 10 Pro Qualifizierung
11 Podiumsdiskussion gewinnen, müsse der Öffentliche Dienst den direkten Kontakt zu ihnen suchen und Vorbilder bieten. Hat man sie soweit, sich um eine Ausbildungsstelle zu bewerben, sollte ihnen durch faire Auswahlverfahren eine reale Chance gegeben werden. Duisburg oder auch München haben bereits die Kriterien geändert. Und sind die Leute einmal eingestellt, kommt die nächste Frage: Wo setze ich sie am sinnvollsten ein, wie erkenne, fördere und nutze ich ihre Potenziale? Heute wüssten die Personalämter nicht genau, wer eine Einwanderungsgeschichte habe. Einerseits gibt es keine Definition, andererseits geben es die Mitarbeiter selbst nicht preis, eben aus der Haltung heraus: Ich bin hier, weil ich gut bin und nicht, weil ich Migrant bin. Diese Zielgruppe müsse erkennen, sie habe ein zusätzliches Potenzial, und das auch von sich aus kommunizieren. Dann heißt es erstmal: Wow! Korn erlebt diese Haltung bereits an den Schulen: Die Einwanderer wollen gar nicht etwas Besonderes sein, keine besonderen Kompetenzen haben, sondern sehen sich als ganz normale Jugendliche. Wie soll ich sie dann ansprechen? Mirsada Hasanovic, Personalerin aus Bochum, kommentiert: Wir gehen in die Schulen. Ich selbst sehe mich da als ein klassisches Beispiel. Ich komme von der Realschule, habe kein Abitur, habe mit 16 Jahren angefangen, mit einem ausländischen Pass... und man arbeitet sich nach oben. Dann heißt es erstmal: Wow! Die Arbeitsmarktsituation vor Ort entscheidet laut Schweitzer darüber, ob sich Kommunen intensiv um zugewanderte Bewerber bemühen. Stuttgart, München und auch Duisburg haben einen sehr viel größeren Druck durch die Bevölkerung und durch den lokalen Arbeitsmarkt, Migranten einstellen zu müssen, weil sie gar nicht genügend Deutsche bekommen, die entsprechende Qualifikationen haben, sagt der Essener. Solange sie immer noch Deutsche finden, werden sie sich nicht die Mühe machen, Nichtdeutsche zu suchen. Damit keiner das Rad neu erfinden muss, will die KGSt die Integrationskonzepte und Best-Practice-Beispiele in die Datenbank für interkommunalen Wissensaustausch einspeisen. Wichtig sei, eine noch stärkere Sensibilisierung zu erreichen, nicht nur bei denen, die eh schon Integrationspolitik betreiben, sondern im Personalamt und auf der Führungsebene. Die KGSt hat ein Integrationsmonitoring entwickelt, das sich bundesweit als Standard etabliert: Instrumente, mit denen sich die Integrationserfolge der einzelnen Gemeinden messen und miteinander vergleichen lassen. Menschen mit Migrationshintergrund in Ausschreibungen ermuntern, sich bei uns zu bewerben, nützt überhaupt nichts. Wir müssen aktiv auf diese Zielgruppe zugehen und Werbung für uns machen. Heike Krutoff Schlusswort: Aktiv auf qualifizierte Migranten zugehen Robert Gereci, Leiter des Beratungsnetzwerkes Öffentliche Verwaltungen in der EQUAL-Entwicklungspartnerschaft Pro Qualifizierung, DGB Bildungswerk Unser Treffen dient dazu, Erfahrungen, Erfolge, Aktivitäten aus unserem Netzwerk auszutauschen. Es soll zeigen, dass überall Aktivitäten existieren und laufen. Nur weiß nicht jeder davon. Deswegen kommen wir in regelmäßigen Abständen zusammen. Viele Verwaltungen ziehen sich auf den Standpunkt zurück: `Wir behandeln alle gleich. Wenn die Migranten gut qualifiziert sind, werden sie schon in die Strukturen hineinkommen`. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Wir sehen, dass viele qualifizierte Einwanderer keinen Zugang zum öffentlichen Dienst bekommen. Wir müssen aktiv auf sie zugehen. Deshalb setzt sich das Netzwerk Öffentliche Verwaltungen zum Ziel, die vielen guten Projekte und Insellösungen bekannt zu machen und miteinander zu vernetzen, vielleicht auch gemeinsam Aktivitäten zu entwickeln. Anregungen kommen auch von den Partnern aus dem Ausland, z.b. der Alochtonenpool in Groningen, von dem Paul Spoelstra erzählt hat. Wir stellen immer wieder fest, dass über die eigene Region hinaus kaum bekannt ist, was öffentliche Verwaltungen in der interkulturellen Öffnung unternehmen. Im September 2007 wird es eine gemeinsame Veranstaltung mit dem Netzwerk Öffentliche Betriebe geben. Vielleicht wäre es möglich, ihre Erfahrungen für den Verwaltungsbereich zu adaptieren. Pro Qualifizierung 11
12 Pro Qualifizierung Koordination Leo Monz, Jens Martens Hans-Böckler-Straße 39, Düsseldorf Telefon +49 (0)2 11/ /-333, Fax +49 (0)2 11/ Mail: Internet : Netzwerk Öffentliche Verwaltungen Robert Gereci Telefon : +49 (0)2 11/ Mail : robert.gereci@dgb-bildungswerk.de Impressum Herausgeber: Pro Qualifizierung, Leo Monz (V.i.S.d.P.) Redaktion: Marlis Büsching und Elke Knabe, Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk e.v. (ZWH) Text: Matilda Jordanova-Duda Fotos: Manfred Vollmer, freier Fotograf Robert Gereci, DGB Bildungswerk Layout: Moana Brunow (ZWH) Druck: Siebel Druck & Grafik, Lindlar EQUAL Entwicklungspartnerschaft Pro Qualifizierung Menschen mit Migrationshintergrund sollen einen gleichberechtigten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt bekommen, das ist das Hauptziel der EQUAL Entwicklungspartnerschaft Pro Qualifizierung. Zielgruppe sind vor allem Migrantinnen und Migranten, die 25 Jahre oder älter sind. Dazu werden durch Beratungsnetzwerke und Qualifizierungsangebote Modelle entwickelt, um die vielfältigen Chancen einer interkulturellen Arbeitswelt nutzbar zu machen. Die verschiedenen Teilprojekte von Pro Qualifizierung wenden sich diesbezüglich insbesondere an Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen, Entscheidungsträger und Betriebsräte. Pro Qualifizierung kooperiert aber auch mit Beratungs- und Migrantenorganisationen und erreicht darüber direkt Menschen mit Migrationshintergrund, berät diese und initiiert Qualifizierungen. Schließlich arbeitet die Entwicklungspartnerschaft auch mit Partnern in Italien und Spanien zusammen, um Erfahrungen auszutauschen und europaweite Lösungen zu finden. Um diese Ziele zu erreichen, haben sich unter dem Dach von Pro Qualifizierung erstmals Gewerkschaftsvertreter, Arbeitgeberverbände und Migrantenorganisationen zusammengeschlossen. Gefördert durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds.
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