Klausuren. I. Namens- und Personenrecht. Der vietnamesische Name. 2. Teil. Fall 1. (Bearbeitungszeit: 5 Stunden)
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- Alfred Seidel
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1 2. Teil Klausuren I. Namens- und Personenrecht Fall 1 Der vietnamesische Name (Bearbeitungszeit: 5 Stunden) 21 Die vietnamesische Staatsangehörige Hu Thi Ying und der vietnamesische Staatsangehörige Thieu Phan John haben sich 1980 in Ho-Chi-Minh-Stadt (Saigon) kennengelernt. Da John in der ehemaligen Republik Vietnam (Süd-Vietnam) einer pro-amerikanischen Partei angehört hatte und nach dem Sieg der Viet Kong in der Volksrepublik Vietnam deshalb Verfolgungen ausgesetzt war, floh das Paar 1980 auf einem Fischkutter in das Südchinesische Meer. Dort wurden sie mit anderen Flüchtlingen von einem italienischen Handelsschiff aufgegriffen und gelangten nach Italien, wo sie um Asyl nachsuchten. Auf ihren Antrag wurde Ying am aus der vietnamesischen Staatsangehörigkeit entlassen. Am schlossen Ying und John vor dem Personenstandsbeamten der Stadt Bologna die Ehe. Aufgrund von Absprachen zwischen Italien und Deutschland über die Aufnahme von Flüchtlingen wurde den Ehegatten eine Aufnahme in Deutschland angeboten; hier leben sie seit Oktober Da der Untergang der kommunistischen Herrschaften in Osteuropa auch einen allmählichen Liberalisierungsprozess in Vietnam zur Folge hatte, bemühte sich John seit 1990 um Kontakte zu in Deutschland lebenden Vietnamesen. Im Jahr 1993 ließ er sich schließlich durch das vietnamesische Generalkonsulat in Bonn wieder einen vietnamesischen Pass ausstellen. Am wurde in Frankfurt/Main der gemeinsame Sohn Frank geboren. Aus diesem Anlass wurde beim Standesamt Frankfurt/Main ein Familienbuch angelegt. Der notariell beglaubigte Antrag der Ehegatten vom enthielt die Erklärung: Wir bestimmen als Ehenamen gemäß 1355 Abs. 1 S. 1 BGB den Namen des Ehemannes Thieu. Die Eintragung im Familienbuch erfolgte entsprechend erwarb Ying auf ihren Antrag die deutsche Staatsangehörigkeit. 10
2 Der vietnamesische Name Fall 1 Am wurde die Ehe von John und Ying durch das Amtsgericht Familiengericht Frankfurt/Main geschieden. Ying beantragt beim Standesamt Frankfurt/Main am , die ihrer Ansicht nach falsche Eintragung ihres Familiennamens im Familienbuch zu ändern. Außerdem erklärt sie am selben Tag in notariell beglaubigter Urkunde gegenüber dem Standesamt: Ich nehme meinen vor der Ehe geführten Namen Hu wieder an und erkläre gemäß Art. 47 EGBGB die Umwandelung meines Vornamens Ying in Yvonne und die Umwandelung meines Nachnamens Hu in Huber. 1. Ist der Antrag der Ying beim Standesbeamten erfolgreich? 2. Trifft die im Familienbuch eingetragene Namensführung zu? 3. Welchen Familien- und Vornamen führt Ying nunmehr? 4. Nach welchem Recht beurteilt sich der Familienname von Frank? Ist eine Rechtswahl zu deutschem Recht möglich? Materialien I. Intertemporale Hinweise zum deutschen Recht a) Vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des IPR v geltendes IPR: Für den Namen existierte keine gesetzliche Kollisionsnorm. Grundsätzlich wurde bereits angeknüpft wie nach Art. 10 Abs. 1 EGBGB geltender Fassung. Hinsichtlich des Erwerbs eines gemeinsamen Ehenamens war jedoch nach Wahl der Ehegatten das Ehewirkungsstatut anzuwenden. 22 Art. 14 Abs. 1 EGBGB in der bis geltenden Fassung (1) Die persönlichen Rechtsbeziehungen deutscher Ehegatten zueinander werden nach den deutschen Gesetzen beurteilt, auch wenn die Ehegatten ihren Wohnsitz im Auslande haben. (2) Die deutschen Gesetze finden auch Anwendung, wenn der Mann die Reichsangehörigkeit verloren, die Frau sie aber behalten hat. b) Sonstige intertemporale Geltung von Kollisionsnormen Art. 10 Abs. 2 S. 1 und 2 EGBGB gelten in der gegenwärtig geltenden Fassung seit Inkrafttreten des FamNamRG am Art. 10 Abs. 3 EGBGB gilt in der gegenwärtigen Fassung erst seit Inkrafttreten des KindRG am Vorher konnte das Namensstatut eines ehelichen Kindes nur gewählt werden, wenn kein Elternteil Deutscher war und die Wahl vor der Beurkundung der Geburt erfolgte (Art. 10 Abs. 5 af EGBGB). c) Im Übrigen ist davon auszugehen, dass weitere relevante kollisionsrechtliche Fragen vor Inkrafttreten der neuen Art. 3 ff EGBGB inhaltlich ebenso geregelt waren wie im geltenden Recht. II. Italienisches IPR vor Inkrafttreten des IPRG d) Die italienische Rechtsprechung unterstellte bis zum Inkrafttreten der Kollisionsnormen im italienischen IPR-Gesetz von 1995 am den Namen einer Person auch den Namenserwerb aufgrund familienrechtlicher Vorgänge dem Recht des Staates, dem die Person angehört. 1 RabelsZ 15 (1949) 116 ff. 11
3 Fall 1 Der vietnamesische Name e) Art. 17 Abs. 1 disposizioni sulla legge in generale (disp.s.l.in gen.) (codice civile Bestimmungen über das Recht im Allgemeinen) Der Personenstand, die Rechts- und Geschäftsfähigkeit der Personen und die Rechtsverhältnisse der Familie werden vom Recht des Staates geregelt, dem diese angehören. f) Art. 26 disp.s.l.in gen. (I) Die Form der Rechtsgeschäfte unter Lebenden und der letztwilligen Verfügungen wird vom Recht des Ortes geregelt, an dem das Rechtsgeschäft vorgenommen wurde, oder von dem Recht, das den Inhalt des Rechtsgeschäfts regelt, oder vom Heimatrecht des Verfügenden oder der Vertragschließenden, soweit es ihnen gemeinsam ist. (II) Die Formen der Öffentlichkeit von Rechtsgeschäften, die auf Begründung, Übertragung oder Aufhebung von Rechten an Sachen gerichtet sind, werden vom Recht des Ortes geregelt, an dem sich die Sachen befinden. [Hinweis: Art. 26 fand auch auf die Eheschließungsform Anwendung.] g) Art. 29 disp.s.l.in gen. Besitzt eine Person keine Staatsangehörigkeit, so ist in allen Fällen, in denen nach den vorstehenden Bestimmungen das Heimatrecht maßgebend wäre, das Recht des Residenzortes anzuwenden. III. Italienisches materielles Recht 2 h) Art. 106 codice civile (cc) Die Ehe muss öffentlich im Rathaus vor dem Zivilstandsbeamten, bei dem das Aufgebot bestellt worden ist, geschlossen werden. i) Art. 143 bis cc Die verheiratete Frau fügt ihrem eigenen Familiennamen den des Mannes hinzu und behält ihn auch als Witwe bis zur Wiederverheiratung. [Hinweis: Diese Bestimmung wird so verstanden, dass die Frau diese Namensführung wählen kann, aber nicht wählen muss.] k) Im Übrigen ist davon auszugehen, dass weitere relevante Bestimmungen des italienischen Rechts inhaltlich deutschem Recht entsprechen. IV. Vietnamesisches Staatsangehörigkeitsrecht 3 l) Gesetz über die Staatsbürgerschaft der sozialistischen Republik Vietnam vom (In Kraft bis ) Art.6 (1) Ein Kind, dessen Eltern beide vietnamesische Staatsbürger sind, erwirbt die vietnamesische Staatsbürgerschaft unabhängig davon, ob es innerhalb oder außerhalb des Hoheitsgebietes der Sozialistischen Republik Vietnam geboren ist. (2) Ist ein Elternteil vietnamesischer Staatsbürger und der andere eine staatenlose Person oder unbekannt, erwirbt das Kind die vietnamesische Staatsbürgerschaft unabhängig davon, ob es innerhalb des Hoheitsgebietes der Sozialistischen Republik Vietnam geboren ist. 2 Text: empfehlenswerte Kommentierung: Cian/Trabucchi Commentario Breve al Codice Civile Bergmann/Ferid/Henrich Vietnam (Stand 1991). 12
4 Der vietnamesische Name Fall 1 V. Vietnamesisches IPR m) Das vietnamesische IPR enthält keine ausdrückliche namensrechtliche Kollisionsnorm. Es folgt jedoch für personenstands- und namensrechtliche Fragen dem Staatsangehörigkeitsprinzip. Besitzt ein Anknüpfungssubjekt neben der vietnamesischen Staatsangehörigkeit auch eine andere, so geht die vietnamesische Staatsangehörigkeit vor. VI. Vietnamesisches materielles Recht n) Der Name einer Person besteht regelmäßig aus drei Teilen: dem Familiennamen, gefolgt von einem Mittelnamen (für Männer Phan [gesprochen van ]; für Frauen Thi), gefolgt von einem die Person individuell bezeichnenden Rufnamen. Der geschlechtsspezifische Mittelname wird in der Praxis auch gelegentlich weggelassen. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass der Bearbeiter die namensrechtlichen Bestimmungen des vietnamesischen Rechts bisher nicht ermitteln konnte. 13
5 Fall 1 Der vietnamesische Name Strukturierung des Falles 23 Wesentliche Themen: Intertemporales Recht, Personalstatut Staatenloser, Personalstatut Flüchtlinge, Namensstatut, Ehenamensstatut und dessen Wahl, Kindesnamensstatut und dessen Wahl, Vorfragen im Namensstatut, Namensbestimmung nach Art. 47 EGBGB. Ausgangsfälle: KG IPRspr 1997 Nr 11; BayObLGZ 1999, 27. Frage 1: Antrag der Ying 1. Zuständigkeit Standesamt Führung des Personenstandsregisters ( 3 PStG) Fortführung Familienbuch nach ( 77 Abs. 2 PStG) 2. Änderung 46 PStG ( ) 3. Berichtigung 47 PStG ( ) 4. Berichtigungen durch Gericht ( 48 PStG) (+) Zuständigkeit 50 PStG Ergebnis: Ying muss Antrag nach 48 PStG beim AG Frankfurt/Main stellen. Frage 2: Namensführung in der Ehe Ying - John I. Erwerb eines Ehenamens bei Eheschließung 1. Deutsches IPR a) Intertemporal ( , IPR-Neuregelung): Art. 220 Abs. 1 EGBGB (+) b) Anknüpfung an individuelles Heimatrecht Gemeinsame Namensführung: Kumulation oder Ehewirkungsstatut c) Ehewirkungsstatut Art. 14 af EGBGB, Verallseitigung: gemeinsames Personalstatut d) Staatsangehörigkeit/Personalstatut jedes Ehegatten John Art. 12 Genfer Flüchtlingskonvention (+): ital. Recht Ying Art. 12 Genfer Flüchtlingskonvention (-), kein abgeleiteter Flüchtlingsstatus Ying staatenlos durch Entlassung: ital. Recht (Art. 5 Abs. 2 EGBGB) e) Ehewirkungsstatut: ital. Recht f) Gesamtverweisung (Art. 27 af EGBGB, vgl Art. 4 Abs. 1 EGBGB) 2. Italienisches IPR a) Intertemporal ( , IPRG von 1995): Art. 72 IPRG b) Namensstatut John: Personalstatut Italien Mitglied Genfer Flüchtlingskonvention: ital. Recht c) Namensstatut Ying: Art. 29 disp.s.l.in gen., Wohnsitz: ital. Recht d) Ehewirkungsstatut: Art. 17 disp.s.l.in gen., gemeinsames Personalstatut: Italienisches Recht. 3. Materielles italienisches Recht a) Art.143-bis cc: Ehename (-), Begleitname (+) b) Deutscher ordre public (Art. 30 af EGBGB wie Art. 6 EGBGB): (-) Benachteiligung Ehemann nicht in concreto kein Inlandsbezug bei Eheschließung c) Vorfrage der wirksamen Ehe ausnahmsweise unselbständige Anknüpfung im Namensrecht Ital. IPR: materielle Voraussetzungen der Eheschließung Art. 17 disp.s.l.in gen.(+) Ital. IPR: formelle Vorausetzungen: Art. 26 disp.s.l.in gen., Ortsform genügt (+) Ergebnis: Name der Ying nach ital. Recht ist Hu oder Hu in Thieu II. Ehename durch Namenswahl 1. Erklärung vom a) Ehenamensstatut Art. 10 Abs. 1 EGBGB: individuelles Personalstatut Ying Staatenlose mit deutschem Personalstatut John Verlust des Status nach Art. 12 Genfer Flüchtlingskonvention Art. 1 Abschnitt C Nr 1 Genfer Flüchtlingskonvention: Antrag auf Erteilung eines Reisepasses (+) Gesamtverweisung in vietnamesisches Recht (Art. 4 Abs. 1 EGBGB) vietnamesisches Recht nimmt an Namenswahl in Kumulation deutschen und vietnamesischen Rechts fraglich 14
6 Der vietnamesische Name Fall 1 b) Deutsches Ehenamensstatut Art. 10 Abs. 2 EGBGB Art.10 Abs.2 EGBGB, in Kraft seit , intertemporal anwendbar Tatbestand Art. 10 Abs. 2 Nr 1 oder Nr 2 EGBGB: beides (+) Form des Art. 10 Abs. 2 S. 2 EGBGB: 129 BGB (+) Wahl eines deutschen Ehenamensstatuts also wirksam 2. Materiellrechtlich 1355 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB a) Vorfrage der Ehe Selbständige oder unselbständige Anknüpfung bei deutschem Namensstatut einerlei Materielle Wirksamkeit: Kumulativ beide Heimatrechte (Art. 13 Abs. 1 EGBGB) Form: Bei Eheschließung im Ausland genügt Ortsform, Art. 11 EGBGB b) Materielle Ehenamensbestimmung Geburtsname des Ehemannes Thieu wählbar ( 1355 Abs. 2 BGB) (+) auch nach der Eheschließung ( 1355 Abs. 3 S. 2 BGB, Art. 10 Abs. 2 S. 2 EGBGB) (+) Form des 1355 Abs. 3 S. 2 BGB geht in der Form des Art. 10 Abs. 2 S. 2 EGBGB auf (+). Ergebnis: Der Ehename Thieu ist also wirksam bestimmt, Familienbuch zutreffend. Frage 3: Namensführung der Ying 1. Wiederannahme des Geburtsnamens a) Aktuelles Namensstatut: Ying deutsche Staatsangehörige (Art. 10 Abs. 1 EGBGB) b) Form nicht speziell in Art. 10 Abs. 1 EGBGB, also Art. 11 Abs. 1 EGBGB c) also 1355Abs.5S.2BGB:Yingkann Geburtsname Hu wieder annehmen Form: Deutsches Recht als Geschäftsstatut ( 1355 Abs. 5 S. 2, Abs. 4 S. 5 BGB) (+) 2. Anpassung des Namens nach Erwerb eines deutschen Namensstatuts Recht zur Namensanpassung: Art. 47 EGBGB ausländisches Namensstatut, Erwerb deutschen Namensstatuts (+) Art.47 Abs.1 S.1 Nr 1, 2, 4 EGBGB: Keine Änderung der Namensbestandteile (-) Art.47 Abs.1 S.1 Nr 3 EGBGB: Ablegen Zwischenname Thi Art.47 Abs.1 S.1 Nr 5 Hs. 1 EGBGB: Keine deutschsprachigen Namensformen (-) Art.47 Abs.1 S.1 Nr 5 Hs. 2 EGBGB: Nur Annahme eines neuen Vornamens (insoweit +) Ergebnis: Ying heißt nunmehr Yvonne Hu. Frage 4: Namensstatut des Frank 1. Namensstatut, also Staatsangehörigkeit (Art.10 Abs.1 EGBGB) a) Deutsche Staatsangehörigkeit von Geburt 4 Abs. 3 StAG: erst seit (-) b) Abgeleiteter Flüchtlingsstatus: Vater John hatte Flüchtlingsstatus verloren (-) c) Deutsches Personalstatut bei Staatenlosigkeit: nur originär, nicht abgeleitet (-) d) Vietnamesische Staatsangehörigkeit: Art. 6 Abs. 2 vietnamesisches Staatsbürgerschaftsgesetz (+) 2. Wahl des Ehenamensstatuts durch Eltern: keine Erstreckung auf Kind 3. Wahl deutschen Rechts nach Art. 10 Abs. 3 Nr 1, Nr 2 EGBGB Art. 10 Abs. 3 EGBGB intertemporal anwendbar Art Abs. 1 S. 1 EGBGB (-) Sinn und Zweck gemessen an Art. 10 Abs. 5 af EGBGB (+) 1617c BGB analog (+) Ergebnis: Sorgeberechtigter kann für Frank deutsches Recht als Namensstatut wählen. 15
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