Makroökonomische Risiken der Schuldenbremse
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- Emil Heinz Blau
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1 Makroökonomische Risiken der Schuldenbremse Vortrag auf der Tagung des Kocheler Kreises für Wirtschaftspolitik Die Zukunft der Finanzpolitik zwischen Haushaltskonsolidierung, Schuldenbremse und Konjunktursteuerung 09.Januar 2010 Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf
2 Überblick 1. Die Schuldenbremse 2. Grundsätzliche Würdigung 3. Risiko 1: Zu geringe konjunkturelle Spielräume für die Finanzpolitik 4. Risiko 2: Übergang zum strukturell ausgeglichenen Haushalt problematisch 5. Alternativen?
3 1. Die Schuldenbremse eine Strukturkomponente: Eine strukturelle Verschuldung wird nur noch in sehr engen Grenzen zugelassen für Bund: 0,35% des BIP ab 2016 für Länder: 0,0% ab 2020 schrittweiser Übergang ab 2011 Konsolidierungshilfen für Notlagenländer (Bremen, Saarland, Berlin, SLH, Sachsen-Anhalt) eine Konjunkturkomponente: sie vergrößert oder beschränkt die Verschuldungsmöglichkeiten symmetrisch je nach Konjunkturlage über die strukturelle Komponente hinaus (Diagnose gemäß EU-Kommissionsverfahren bei der Haushaltsüberwachung für Bund; noch unklar für Länder);
4 1. Die Schuldenbremse eine Ausnahmeklausel: sie ermöglicht eine Überschreitung der zulässigen Verschuldung im Falle von Naturkatastrophen und anderen außergewöhnlichen und unvorhersehbaren Ereignissen mit KanzlerInnenmehrheit. ein Ausgleichskonto als Gedächtnis : es soll sicherstellen, dass die Schuldenbremse nicht nur bei Haushaltsaufstellung, sondern auch im Haushaltsvollzug wirkt (Schwellenwert 1,0 % des BIP). Überschreitungen des Schwellenwertes müssen pro Jahr um maximal 0,35% des BIP zurückgeführt werden, falls die Produktionslücke positiv ist.
5 1. Die Schuldenbremse Defizitobergrenzen unter der BMF-Schuldenregel in Mrd. Euro ( ex ante), Bund Quelle: BMF Strukturkomponente (0,35 % des BIP) Konjunkturkomponente ex ante Defizitobergrenze insgesamt
6 1. Die Schuldenbremse Defizitobergrenzen unter der BMF-Schuldenregel und geplante Defizite in Mrd. Euro ( ex ante), Bund Quelle: BMF Strukturkomponente (0,35 % des BIP) Konjunkturkomponente ex ante Defizitobergrenze insgesamt geplantes Defizit (Soll) geplantes Defizit (Soll) zzgl. Finanzierungserlöse
7 2. Grundsätzliche Würdigung Positiv: Regeln für die Staatsverschuldung zur Verhinderung einer langfristig ständig steigenden Schuldenstandsquote sind sinnvoll und notwendig Bemühen um konjunkturgerechte Ausgestaltung ist deutlich zu erkennen Die Finanzpolitik seit den 1980er Jahren ist dringend verbesserungsbedürftig, denn sie war weder stabilisierungs- noch konsolidierungspolitisch adäquat.
8 2. Grundsätzliche Würdigung Negativ: Beschränkung der strukturellen Nettokreditaufnahme auf 0,35 % ist ökonomisch völlig willkürlich bedeutet, dass die Schuldenstandsquote langfristig nahe 10% des BIP sinkt. es wäre eine Orientierung an den öffentlichen (Netto-)Investitionen, ggf. in adäquater Neudefinition angebracht. alte investitionsorientierte Regelung war gar nicht so schlecht wie immer behauptet lässt riesigen Interpretationsspielraum für technische Umsetzung
9 2. Grundsätzliche Würdigung Negativ: völlig unklar, ob die Schuldenbremse ab 2011 zur konjunkturellen und weltwirtschaftlichen Lage nach (?) der Weltwirtschaftskrise passen wird: Finanzpolitik muss ab 2011 auf Restriktionskurs umschalten, ohne dass klar ist, ob sich die Konjunktur bis dahin wirklich erholt hat Bisherige Konjunkturlokomotive USA wird die Rolle nicht mehr spielen können bisherige Überschussländer, gerade auch Deutschland, müssen in die Bresche springen. Das wird rein saldenmechanisch realistischerweise nur mit dauerhaft höheren Haushaltsdefiziten möglich sein, wenn eine kumulative Abwärtsspirale vermieden werden soll.
10 3. Risiko 1: Zu geringe konjunkturelle Spielräume 3 Teilprobleme: a) Diskretionäre Finanzpolitik nur noch sehr eingeschränkt möglich b) Verwendung von statistischen Filterverfahren bei der Bestimmung des Output Gap führt zu pro-zyklischer Finanzpolitik c) durchschnittliche Budgetsensitivitäten im konkreten Fall möglicherweise falsch d) Folgewirkungen von b) für das Ausgleichskonto
11 3. Risiko 1: Zu geringe konjunkturelle Spielräume b) Problem: Die konjunkturelle Normallage muss bestimmt werden. alle Verfahren sind problematisch und hängen letztlich mehr oder weniger von der aktuellen Konjunkturentwicklung selbst ab. Beispiel: In der Ausgangslage geht man von der Normallage aus. Dann zeigt sich im Laufe des Jahres, dass das BIP-Wachstum 2 % niedriger als erwartet war. Konjunkturelle Abweichung: - 2 % Entsprechend werden auch die Einnahmen niedriger und die Ausgaben höher liegen Aber: Die meisten Verfahren errechnen eine konjunkturelle Abweichung von kleiner als -2 %, z.b. -1 %. wenn auf dieser Grundlage zulässige Defizite errechnet werden, dann fallen sie gegenüber den tatsächlich entstehenden Defiziten zu gering aus: Die automatischen Stabilisatoren können nicht voll wirken (=Prozyklik)
12 3. Risiko 1: Zu geringe konjunkturelle Spielräume Defizitobergrenzen unter der BMF-Schuldenregel in Mrd. Euro ( ex ante), Bund Quelle: BMF Strukturkomponente (0,35 % des BIP) Konjunkturkomponente ex ante Defizitobergrenze insgesamt
13 3. Risiko 1: Zu geringe konjunkturelle Spielräume c) durchschnittliche Budgetsensitivitäten im konkreten Fall möglicherweise falsch gesamtstaatliche Budgetsensitivität von 0,51 ist vermutlich zu niedrig; im letzten Abschwung lag allein die Sensitivität der Steuern bei 0,51, insgesamt ist ein Wert von 0,77 für den letzten Abschwung plausibel. Für den Bund läge die Elastizität dann nicht, wie vom BMF angenommen, bei 0,26, sondern bei 0,37. Die Schuldenbremse hätte die tatsächliche Sensitivität damit um 30% unterschätzt. Die automatischen Stabilisatoren können nicht voll wirken (=Prozyklik)
14 3. Risiko 1: Zu geringe konjunkturelle Spielräume Abbildung 1: Das Problem zu geringer Konjunktursensitivitäten Mrd Jahr angenommene Produktionslücke realistisches konjunkturbedingtes Defizit laut BMF-Schuldenbremse zulässiges Defizit
15 3. Risiko 1: Zu geringe konjunkturelle Spielräume Abbildung 2: Unzuverlässige Diagnose der Konjunkturbew egung und zu geringe Konjunktursensitivität Mrd Jahr 1 2 angenommene tatsächliche Veränderung der Produktionslücke von der Schuldenbremse diagnostizierte Veränderung der Produktionslücke realistischerw eise zu erw artendes konjunkturbedingtes Defizit unter der Schuldenbremse zulässiges konjunkturbedingtes Defizit bei "richtiger Sensitivität" unter der Schuldenbremse zulässiges konjunkturbedingtes Defizit bei "zu niedriger Sensitivität"
16 4. Risiko 2: Übergang zum strukturell ausgeglichenen Haushalt bis 2016 Bund bzw (Länder) muss die im Jahr 2010 bestehende strukturelle Verschuldung zurückgeführt werden das bedeutet ohne Steuererhöhungen ein sehr geringes Ausgabenwachstum für Bund und Länder über den gesamten Zeitraum Bund laut Finanzplan (Mitte 2009) von 2011 bis 2013 nominal -1,4 % Länder nach IMK-Berechnungen Ausgabenwachstumsraten deutlich unter dem schwachen Durchschnittswert der letzten 15 Jahre. GD geht von nom. gesamtstaatlichen Ausgabenwachstum von 1 % von 2011 bis 2016 aus. Niemand weiß heute, ob dieser Restriktionskurs dann konjunkturell angemessen sein wird.
17 4. Risiko 2: Übergang zum strukturell ausgeglichenen Haushalt Source: EU-Commission (2009)
18 4. Risiko 2: Übergang zum strukturell ausgeglichenen Haushalt Zusätzliches Risiko Konjunktur: Wenn die Konjunktur sich nach 2011 nicht deutlich erholt und schwächer läuft als derzeit erwartet, dann werden aus den höheren konjunkturellen Defiziten mit der Zeit strukturelle Defizite und je näher man dem Endjahr 2016/2020 kommt umso drastischer muss gespart werden! Zusätzliches Risiko: Steuersenkungspläne: Die würden das Problem massiv verschärfen! Besonders problematisch: Senkungen auf der Zeitachse strecken. Es kann natürlich auch eine positive Überraschung geben und die Prozyklik wirkt in die andere Richtung: wenn die Konjunktur über mehrere Jahre überraschend gut läuft, dann wird die Schuldenbremse ziemlich locker eingehalten, weil die strukturellen Defizite konjunkturbedingt (!) sinken.
19 4. Risiko 2: Übergang zum strukturell ausgeglichenen Haushalt Finanzielle Auswirkungen der rot-grünen Steuerreformen auf die öffentlichen Haushalte (Einkommensteuer, Unternehmensbesteuerung und Familienförderung) gegenüber 1998 (von 1999 bis 2005) Tax cuts (in % of GDP) ,0 (+0,2) 1,3 ( 0,1) 23,2 ( 1,1) 25,3 ( 1,2) 22,9 ( 1,1) 38,0 ( 1,7) 44,6 ( 2,0) Child benefit 3,0 4,9 4,9 8,0 8,0 8,0 8,0 total (in % of GDP) 0,0 ( 0,0) 6,2 ( 0,3) 28,1 ( 1,4) 33,3 ( 1,6) 30,9 ( 1,5) 46,0 ( 2,1) 52,6 ( 2,4) relate to: Budget balance in % of GDP Quelle: div. Gemeinschaftsdiagnosen; eigene Berechnungen
20 4. Risiko 2: Übergang zum strukturell ausgeglichenen Haushalt Mindereinnahmen von 2009 bis 2012 in Mrd. Euro lt. Steuerschätzung Mai/Herbst 2008 im Vergleich zu Mai , ,4 Quelle: BMF; AK Steuerschätzungen ,6-28,1 Steueränderungen Konjunktur Gebietskörperschaften insgesamt
21 4. Risiko 2: Übergang zum strukturell ausgeglichenen Haushalt Revenue Effects of tax reforms from 1998 to 2008 ( ) in Mio Euro red-green Grand coalition balance
22 4. Risiko 2: Übergang zum strukturell ausgeglichenen Haushalt Revenue Effects of tax reforms from 1998 to 2009 ( ) in Mio Euro red-green Grand coalition Balance
23 4. Risiko 2: Übergang zum strukturell ausgeglichenen Haushalt
24 5. Alternativen? Hoffen auf Erfolg einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht? Hoffen auf gute Konjunktur? Hoffen auf kreative Umgehung durch Ausnahmeregelungen etc? technische Ausgestaltung so ändern, dass das Schlimmste verhindert wird: Filterverfahren anwenden, bei dem möglichst viel in die Konjunktur gebucht wird. Potenzialpfad konstant halten evtl. Budgetsensitivitäten vergrößern Schuldenbremse auf Länderebene positiv wenden: Antizyklische Zuweisungspolitik an die Gemeinden erzwingen
25 5. Alternativen? aber letztlich einzige Lösung: im Übergangsprozess weitere Entstaatlichung verhindern durch Verbesserungen auf der Einnahmenseite danach Sicherheitsabstand einhalten, damit die Schuldenbremse nicht greifen muss Es sollte bis 2016/2020 sogar überkonsolidiert werden Mix aus konjunkturpolitisch möglichst unschädlichen Steuererhöhungen, der gleichzeitig (partiell) durch Ausgabenerhöhungen kompensiert wird (balanced budget multiplier).
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