SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE. SWR2 Musikstunde. Sehnsucht des Glücklichen: Felix Mendelssohn (4) Von Wolfgang Sandberger

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1 1 SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde Sehnsucht des Glücklichen: Felix Mendelssohn (4) Von Wolfgang Sandberger Sendung: Donnerstag, Uhr Redaktion: Dr. Ulla Zierau Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/ Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/ oder swr2.de

2 2 Musikstunde mit Wolfgang Sandberger Sehnsucht des Glücklichen: Felix Mendelssohn, Folge 4 dazu begrüßt Sie Wolfgang Sandberger. Einen schönen guten Morgen. Sehnsucht des Glücklichen auch heute geht es wieder um Felix Mendelsohn Bartholdy. Felix Mendelssohn ist der Umgetriebene in einem furios explodierenden Musikbetrieb: Als Dirigent, Organisator und Komponist kommt er in Düsseldorf, dann in Leipzig kaum zur Ruhe, nach der er sich doch so sehnt. Im rastlosen Leben bleiben nur wenige Augenblicke der Besinnung, einer Besinnung, wie Mendelssohn sie in der Lyrik von Eichendorff findet. Das Morgengebet beleuchtet den Moment solcher Ruhe in der frühen Dämmerung, die einen bei einem Morgen-Spaziergang so sonderbar anwehen kann: O wunderbares, tiefes Schweigen, Wie einsam ist's noch auf der Welt! Die Wälder nur sich leise [neigen], Als ging' der Herr durchs stille Feld. (55)

3 3 Musik 1 Track Felix Mendelssohn Bartholdy Morgengebet, op. 48, Nr. 5 RIAS Kammerchor Ltg. Hans Christoph Rademann HMC LC 7045 Der Rias-Kammerchor unter Hans Christoph Rademann mit dem Morgengebet von Joseph von Eichendorff ein Gedicht vertont von Felix Mendelssohn Bartholdy im neuen, romantischen a-cappella- Chorklang, der die Sänger und das Publikum gleichermaßen fasziniert hat ein vokaler Klang, der damals ganz dem romantischen Musikgefühl entsprochen hat: Wilhelm Heinrich Wackenroder hat diesen a-cappella-klang denn auch empfunden als Sprache der Engel. In seinen geselligen Chorliedern sucht Mendelssohn ganz bewußt den Dialog mit dem Publikum, und er trifft den Nerv der Zeit: Mit seinen Liedern im Freien zu singen, drei große Sammlungen, geschrieben für chorische Landpartien wie das Morgengebet ohne Klavierbegleitung, da die doch gleich nach muffigem Zimmer und nach Notenschrank schmecke, wie Mendelssohn schreibt. Doch auch in den Salons hat er großen Erfolg. Die Mendelssohn- Verehrerin Elise Polko hat das in ihren Erinnerungen ganz treffend eingefangen: Da spricht sie von der großen Mendelssohn- Schwärmerei, von der ganz Leipzig erfüllt gewesen sei: Manches Glas leerten wir an jenen Abenden auf sein Wohl, mancher rosige Mund brachte einen Trinkspruch auf ihn aus, und schöne

4 4 Augen strahlten bei solchem Hoch. Und dabei eine Glückseeligkeit, so gemeinsam singen und spielen zu dürfen, diese harmlosen Vergnügen bei schwachem Thee, Heringssalat und Punsch, diese kleinen schuldlosen Interessen und Passionen und dazwischen Schubert und Beethoven, Mozart und Haydn, Vater Bach und Mendelssohn. (1.40) Musik 2 Track Felix Mendelssohn Bartoldy Auf Flügeln des Gesanges, op. 34/ Nr. 2 Daniel Müller-Schott, Cello Jonathan Gilad, Klavier Orfeo C A LC 8175 Felix Mendelssohn erobert die Herzen des Publikums im Sturm nicht nur in den Salons. Sein Einstandskonzert mit dem Gewandhausorchester in Leipzig ist eine kleine Sensation: Robert Schumann hat sie miterlebt und er schreibt über Mendelssohn, den er als Felix Meritis in den Kreis der fiktiven Davidsbündler aufgenommen hat: Felix Meritis trat vor. Es flogen ihm hundert Herzen zu im ersten Augenblick. Mendelssohn hat in diesem Einstandskonzert Beethovens Vierte dirigiert, vom Pult aus mit Dirigentenstab und das Leipziger Publikum habe nach jedem Satz gejubelt, wie Mendelssohn nicht ohne Stolz berichtet. Doch eröffnet hat er dieses erste Konzert mit dem

5 5 Leipziger Gewandhausorchester mit einer eigenen Komposition, mit der Ouvertüre zu Meeresstille und glückliche Fahrt. Auch dies ein kalkuliertes Erfolgskonzept. Felix, der Glückliche mit Goethe auf glücklicher Fahrt: Die Nebel zerreissen, Der Himmel ist helle, Und Äolus löset Das ängstliche Band. Es säuseln die Winde. Es rührt sich der Schiffer. Geschwinde! Gerschwinde! Es teilt sich die Welle, Es naht sich die Ferne; Schon seh ich das Land! (1.30) Musik 3 SWR M Felix Mendelssohn Bartholdy Ouvertüre zu Meeresstille und glückliche Fahrt, daraus Glückliche Fahrt Orchestra of the Eighteenth Century Frans Brüggen

6 6 Mendelssohn wird Mitte der 1830er Jahre zu einer der führenden Figuren des Musikbetriebs, der sich explosionsartig entwickelt in ganz Europa. Das bürgerliche Publikum, kulturinteressiert und mit dem nötigen Kleingeld ist die Basis dieses Erfolgs: Man strebt nach Öffentlichkeit, gibt sich politisch emanzipiert, schließt sich in neuen sozialen Netzwerken zusammen, die Menschen träumen von Bildung, Sozialprestige und Repräsentation und natürlich von einer gerade nichtalltäglichen Geselligkeit: dem musikalischen Event, dem bürgerlichen Musikfest, auf dem man nicht nur die großen Komponisten, sondern vor allem hübsch schön auch sich selbst feiern kann. Felix Mendelssohn ist die alles überstrahlende Figur etwa der Niederrheinischen Musikfeste unter seiner Leitung haben diese Feste in Düsseldorf, Köln und Aachen eine Glanzzeit erlebt: Insgesamt sieben Mal ist Mendelssohn für die künstlerische Konzeption verantwortlich und in diesen Jahren haben sich die Niederrheinischen Musikfeste stark gewandelt: man gibt sich internationaler, professioneller und kommerzieller. Ein Musterbeispiel für diese Entwicklung liefert die schwedische Nachtigall, die Sängerin Jenny Lind: die begehrte Künstlerin ist für das siebte und letzte Musikfest unter Mendelssohns Leitung verpflichtet worden. Der Starkult wird geboren, die Lind feiert Triumphe. In Aachen hat die Schwedin im sogenannten Künstlerkonzert alles in den Schatten gestellt, was sonst noch geboten worden ist: Selbst der Auftritt des seinerzeit berühmten Kölner Streichquartetts, das immerhin ein neues Mendelssohn-Quartett gespielt hat, ist neben der Sängerin

7 7 untergegangen in den Feuilletons wird allseits das unvergessliche Jenny-Lind-Fest bejubelt. Superlative ohne Ende lesen wir da in den Gazetten, begeisterte Lobeshymnen, in denen die Lind zur Königin des Festes stilisiert wird, sie sei die Reine, Hohe und Einfache ; geradezu pseudoreligiös wird die Diva so zu einer Art marianischen Jungfrau überhöht und doch sei sie zugleich so ein Kritiker - das wahre Weib mit all den unvergänglichen Reizen geschmückt, die unwiderstehlich zur Bewunderung hinreissen Ach ja, gesungen hat die schwedische Nachtigall damals natürlich auch, Lieder eben von Mendelssohn, der als künstlerischer Leiter selbst am Flügel begleitet hat (2.50) Musik 4 M Felix Mendelssohn Bartholdy Frühlingslied op.71 Nr. 2 Barbara Bonney, Sopran Geoffrey Parsons, Klavier Das Frühlingslied aus dem op. 71 von F MB, der auf dem letzten Niederrheinischen Musikfest unter seiner Leitung Jenny Lied am Flügel begleitet hat: Wir hörten eine Aufnahme mit Barbara Bonney und Geoffrey Parsons. Mendelssohn ist nun längst eine europäische Berühmtheit. Im September 1837 wird er beim Musikfest in Birmingham bejubelt ja sein Oratorium Paulus wird gefeiert wie kaum ein Werk zuvor. Macht ihn das glücklich? Wir wissen es nicht. Nur seinem Bruder Paul verrät er: ich sehne mich so oft nach einer Ruhe, über die Du

8 8 klagst und weiter schreibt er fast resignativ: Es bleibt gar so wenig übrig von den Aufführungen, Musikfesten, all dem Persönlichen die Leute klatschen und rufen wohl, aber das ist gleich wieder so spurlos verschwunden. Die Melancholie des Erfolgreichen. Mendelssohn sehnt sich nach Ruhe, doch er findet keine. Das Böse dabei ist, so klagt er, das Böse dabei ist, dass man eben nicht hinaus kann, wenn man einmal drin ist im Hamsterrad des Musikbetriebs, so ergänzen wir (1.10 ) Musik 5 CD 2 Track 6 ausblenden bei 5.07 Felix Mendelssohn Bartholdy Es ist genug Arie des Elias aus dem gleichnamigen Oratorium Theo Adam, Elias Gewandhausorchester Leipzig Wolfgang Sawallisch Philips Mendelssohn hat den Konzertbetrieb in Leipzig wie kein zweiter professionalisiert. Er erweitert das Repertoire des Gewandhausorchesters, dirigiert Werke von Luis Spohr, Franz Lachner, Nils Wilhelm Gade, Ferdinand Hiller und 1839 die legendäre Uraufführung der großen C-dur Sinfonie von Franz Schubert, die Robert Schumann wieder ausgegraben hatte. Die Musiker folgen ihrem Dirigenten begeistert. In diesem Jahr 1839 setzt sich Mendelssohn auch für eine längst fällige Gehaltserhöhung für das Orchester ein beim Rat der Stadt. Mendelssohn schildert die

9 9 Umstände und klagt, dass exzellente Musiker gezwungen seien, abends in Gasthäusern Walzer und Märsche zu spielen: dort nämlich verdienten sie das Doppelte von dem, was ein Konzert im Gewandhaus einbringen würde. Direkt an den König wendet sich Mendelssohn mit der Bitte um ein Konservatorium eine professionelle Ausbildungsstätte, die erste auf deutschem Boden. Das Leipziger Konservatorium sollte sich schnell zu einer der wichtigsten Institutionen für junge Musiker entwickeln, ein attraktiver Anziehungspunkt gerade auch für angehende Musiker aus Großbritannien und Skandinavien. Der erste Studierende dort aber ist ein junger Mann aus dem Schumann-Kreis gewesen: Theodor Fürchtegott Kirchner, mit der Matrikelnummer 1 an Mendelssohns Leipziger Konservatorium. Und Kirchner scheint einiges an dieser Lehranstalt gelernt zu haben, wie seine späteren Kompositionen verraten: hier zwei Novelleten aus seinem op. 59 für Klaviertrio: Cantabile und Mässig bewegt: (2.00) Musik 6 Track 2 und Theodor Fürchtegott Kirchner Novelletten op. 59, daraus Nummer 2 und 3 Reiner Gepp Klavier Gorjan Kosuta, Violine Milos Mlejnik, Cello Antes BM LC 07985

10 10 Der erste Student am Leipziger Konservatorium: Theodor Fürchtegott Kirchner, das sind zwei Novelletten gewesen aus der Sammlung op. 59 von Kirchner mit Die Gründung des Konservatoriums in Leipzig ist für Mendelssohn ein Kraftakt gewesen. Unglaublich was er hier organisatorisch zu leisten hatte. Studiert man die Schriftstücke an die preussischen und sächsischen Staatsbeamten, dann ist man von dem strategischen Geschick Mendelssohns überrascht: Ein heutiges ambitioniertes Drittmittelprojekt könnte nicht besser begründet werden: Mendelssohn bemüht sich um die Mittel, die der Herr Hofkriegsrath Blümner testamentarisch für ein Institut in Leipzig zur Verfügung gestellt hat. Immerhin Taler. Mendelssohns Argumente klingen heute modern: Sachsen sei ein wichtiges Musikland, Leipzig eine besondere Musikstadt diese große Tradition aber durch Privatunterricht nicht mehr zu gewährleisten, die Nachwuchsföderung nur noch durch eine Institution wie das Konservatorium zu sichern - so sind Politiker zu überzeugen. Das Zusammenspiel von Theorie und Praxis ist Mendelssohn wichtig gewesen, doch von einer akademischen Ausbildung hat er sich doch auch gegraust: Zuviel Musiktheorie ist seine Sache nicht gewesen, und der Traum vieler Studenten von der eigenen Komponistenlaufbahn hat Mendelssohn als wahre Krankheit bezeichnet. Die Schüler wollen alle componiren und theoretisieren so schreibt er an Moscheles, während ich glaube, dass ein tüchtiges practisches Wirken, tüchtig spielen und Tacthalten, tüchtige Kenntnis aller tüchtigen Werke die Hauptsache ist, die man lehren kann und muss.

11 11 Aus denen findet sich alle andere Lehre von selbst, und das weitere ist nicht Sache des Lernens, sondern der Gottesgabe (2.00) Musik 7 CD Track Felix Mendelsohn Bartholdy Ouvertüre zum Paulus Orchestre de Champs èlysées Philippe Herreweghe Hm Bei allem Engagement als Dirigent und als Organisator des Konservatoriums, bei aller reisenden Unrast: Mendelssohn ist noch Zeit geblieben zum eigenen Komponieren. Das Violinkonzert zum Beispiel gehört in diese späten Jahre, das auf uns Hörer heute wie ein Werk aus einem Guss wirkt, wie Musik, die Mendelssohn in einem Schaffensrausch niedergeschrieben haben muss - doch weit gefehlt: in seiner Vollendung verrät die Musik dem Publikum nicht, dass sie eben nicht in einem Zuge entstanden ist ist dieses Konzert im Leipziger Gewandhaus uraufgeführt worden - mit dem Konzertmeister des Gewandhausorchesters und Dozenten des Konservatoriums Ferdinand David als Solisten. Schon 7 Jahre zuvor hatte Mendelssohn dem befreundeten Geiger geschrieben, dass er ein Violin Concert machen möchte; eins in e- moll stecke ihm im Kopfe, ein Stück, dessen Anfang ihm, Mendelssohn keine Ruhe lasse. Bis zur Fertigstellung des Konzerts sollten aber noch Jahre verstreichen, was mehrere Ursachen hatte. Mendelssohn hatte

12 12 zunächst einfach zuviel um die Ohren. Doch die Schwierigkeiten, das angekündigte e-moll-konzert zu realisieren, lagen auch in der Komposition selbst begründet. Mendelssohn tat sich nämlich schwer, seinen hohen Ansprüchen gerecht zu werden. Zahlreiche Skizzen belegen jedenfalls auch für das Violinkonzert jene - von Freunden bezeugte - fast ängstliche Gewissenhaftigkeit Mendelssohns in Bezug auf die Vollendung seiner Werke. Felix, der Glückliche, hat es sich eben nicht leicht gemacht. Als er schließlich die Partitur vollendet hat, da hatte er ein fulminantes Konzert geschrieben, für viele vielleicht sogar das schönste Violinkonzert überhaupt: Der Geiger Joseph Joachim, auch so ein Wunderkind und einst von Mendelssohn gefördert, hat das so gesehen: Neben den Konzerten von Beethoven, Bruch und Brahms gehöre das Konzert von Mendelsohn zu einem vierblättrigen Kleeblatt, ja das Mendelssohn-Konzert sei sogar das innigste, das Herzensjuwel. Hier zum heutigen Finale der Musikstunde der Schlusssatz mit Pinckas Zuckerman als Solisten (2.30 ) Musik Felix Mendelssohn Bartholdy Violinkonzert e-moll op. 64 Leonidas Kavakos, Violine Camerata Salzburg M