Nutz: Kompetenzen und Arbeitsschritte beim interpretierenden Schreiben

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1 Schreibtraining Nutz: Kompetenzen und Arbeitsschritte beim interpretierenden Schreiben 1. Schriftliches Interpretieren heißt, das eigene Sinnverständnis eines Textes so darlegen und durch Beschreibung von Inhalt, Strukturen und Gestaltungselementen so begründen, dass der Leser den Verstehensprozess und die Deutung nachvollziehen kann 1.1 Das erfordert folgende Kompetenzen Einfühlungsvermögen in eine zunächst möglicherweise befremdende poetische Realität (Kernproblem bei der Lyrik: Bildlichkeit) Erschließungsfähigkeit: mit Hilfe von allgemeinen und gattungsspezifischen Wahrnehmungsaspekten und Analysekategorien den Text als Bedeutungsgefüge untersuchen und Ergebnisse festhalten Beschreibungsfähigkeit: Erschließungsergebnisse formulieren und in eine Gesamtdeutung integrieren können den Text historisch verorten (Autor-, Epochen-, Gattungs- u. Stilwissen aktivieren) einen Schreibplan entwerfen, der aus einer Integration von Erschließungsergebnissen in zentrale Deutungsaspekte hervorgeht gedanklich strukturiert und textbezogen die Deutung darlegen und begründen 1.2 Zusätzlich erfordert eine vergleichende Interpretation einen Blick für die Konstellation, d.h. für Beziehungen, Zusammenhänge, Differenzen das Erkennen ergiebiger Vergleichsaspekte 2. Struktur des Schreibprozesses in Arbeitsschritten spontaner, individuell geprägter Zugang (Erstverständnis, Deutungs- und Vergleichshypothesen) Fragen an den Text stellen (teilweise vom individuellen Verstehen ausgehend, teilweise bereits durch Aktivierung von Erschließungswissen/tools Auf der Grundlage der Fragen ergiebige Erschließungsaspekte auswählen den Text analysieren und die einzelnen Beobachtungen und Ergebnisse festhalten die Deutungshypothese auf der Grundlage der Analyseergebnisse überprüfen Untersuchungsergebnisse nach wichtigen (und ergiebigen) Aspekten ordnen und Schreibplan entwickeln

2 den Text durch Aktivieren von Wissen verorten und diese Kontextuierung mit der Deutung verzahnen die Deutung in zusammenhängender Form entfalten und darlegen den Text überarbeiten 3. Module, in denen wichtige Teilkompetenzen vermittelt bzw. vertieft werden, könnten sein individuelle Fragestellungen an den Text (keine schematische Anwendung von Rastern) und Auswahl ergiebiger Erschließungsaspekte Stoffordnung, Schreibplan gedankliche Möglichkeiten der Entfaltung und Begründung des eigenen Sinnverstehens und integrative Verzahnung der Beschreibung von Textelementen; Leserlenkung die Sprache des Interpretierens (zwischen Fachterminologie und Ausdruck subjektiven Verstehens Aspekte und Methoden des Überarbeitens ( Adressatenbezug/Leserlenkung; gedankliche Stringenz; Überzeugungskraft der Begründung durch Textbelege etc.; Stiladäquanz u.a.

3 Kontextuieren Dargestellte Wirklichkeit Wirklichkeitsbereiche: Liebe, Natur, Kunst, Gesellschaft,... Stoff: Mythos, Geschichte, Alltag Themen, Motive: Jahreszeiten, Glückserfahrung Situation: Abschied, Trennung,... Inneres und äußeres Geschehen, Raum- und Zeitverhältnisse Lyrisches Ich Sprechsituation: Abschied, Trennung, Erinnerung,... Sprecherrolle: erlebendes Ich, Rollenlyrik,... Themen, Motive: Jahreszeiten, Glückserfahrung,... Sprechhaltung: Preis, Klage, Reflexion,... Perspektive: unmittelbarer Gefühlsausdruck, reflexive Distanz Aufbau: reihend (Bildfolge) thematisch entfaltend steigernd (Pointe) antithetisch kreisförmig Lyrische Texte Intention, kommunikative Funktion Adressatenbezug: Du, Wir Wirkungsabsicht: Appell, Belehrung,... Monologisches Sprechen Formelemente der Lyrik Gedichtarten, Genres: Ode, Hymne, Volkslied, Sonett Strophenformen: Volksliedstrophe, Terzine, Odenstrophen,... Metrum: Jamben, Trochäen, Daktylen,... Reimschemata: Endreim, Binnenreim, Kreuzreim,... Klanggestalt: Lautmalerei, Lautsymbolik Sprachliche Gestaltung Bildlichkeit: Metapher, Chiffre, Symbol, Wortwahl: Sprach- und Stilebene, Wortarten, Fremdwörter,... Satzbau: Satzarten, Paraund Hypotaxe, Modalität Rhetorik: Wortfiguren, Satzfiguren, Gedankenfiguren Epochenstil: rhetorischemblematisch (Barock), Gefühlsausdruck (Sturm und Drang), Alltagslyrik,...

4 Strukturanalyse Vergänglichkeit der Schönheit Aufzählung der Elemente der Schönheit Verfall des Körpers als Gegenstand des Begehrens Unvergänglichk eit des Herzens Der Augen süßer Blitz, die Kräfte deiner Hand, Für welchen solches fällt, die werden zeitlich weichen. Das Haar, das izund kann des Goldes Glanz erreichen, Tilgt endlich Tag und Jahr als ein gemeines Band. Der wohlgesetzte Fuß, die lieblichen Gebärden, Die werden teils zu Staub, teils nichts und nichtig werden. Dann opfert keiner mehr der Gottheit deiner Pracht. Dies und noch mehr als dies muss endlich untergehen. Dein Herze kann allein zu aller Zeit bestehen, Dieweil es die Natur aus Diamant gemacht. Oppositionen: jetzige Schönheit, Vergänglichkeit in der Zukunft Wirkungen der Schönheit auf das lyrische Ich /die Männer Deutung der Metapher Diamant?

5 Kontextuierung von Vergänglichkeit der Schönheit historischer Kontext Dreißigjähriger Krieg (Westfälischer Friede 1648) als epochales Ereignis Religiös-kultureller Gegensatz zwischen katholischen (Gegenreformation) und protestantischen Territorien (z.b. Schlesien) Epochenspezifische Themen, Motive Vanitas: Vergänglichkeit alles Irdischen Memento mori: Jenseitsorientierung des Lebens Carpe diem: Lebensgenuss Literarisch-kultureller Kontext neben den Höfen gewinnen Städte als lit. Zentren Bedeutung Autoren sind keine Berufsschriftsteller, sondern Verwaltungsbeamte, Professoren, Schulmänner etc. Ideal einer gelehrten Poesie (prodesse und delectare) Vergänglichkeit der Schönheit Postum erschienen (1695) Vermutlich bereits Mitte des 17. Jahrhunderts entstanden Geistige Grundlagen Christliches Weltbild: Ausrichtung des Lebens am ewigen Seelenheil Aber: Anfänge eines neuzeitlichen, naturwissenschaftlichen Denkens (Astronomie, Medizin,...) Spannungen im Bewusstsein und in der Mentalität: Diesseits Jenseits Schein Sein Sinnenfreude Welt als Jammertal Literarische Formen Geistliche und weltliche Lyrik Emblematische Bildlichkeit Rhetorischer Stil Wichtiges lyrisches Genre: Sonett Vorbilder: Lyrik des Petrarkismus

6 Situation und Beziehungskonstellation in Brechts Entdeckung an einer jungen Frau Abschiedssituation am Morgen nach einer Liebesnacht nüchtern ; verabredet zwischen Tür und Angel kühle Wahrnehmung der Frau durch das lyrische Ich keine dauerhafte, emotional intensive Beziehung; verabredeter sinnlichsexueller Genuss Vergänglichkeit und Entpersonalisierung der Liebe Entdeckung Graue Haarsträhne als Zeichen des Älterwerden s Stimulation des männlichen Begehrens; Wiederholung der Nacht Geht nicht mehr, wie verabredet Griff nach der Brust Erläutert im Gespräch das erwachte Begehren: Frau an der Schwelle zwischen Jungsein und ersten Anzeichen des Älterwerdens erotischer Reiz Gemeinsames Bewusstsein der Schwellensituation soll den Genuss steigern Männliche, monologische Perspektive: Wissen um die Vergänglichkeit des Liebesgenusses, ja selbst der Erinnerung an die Frau; die neue, intensivere sexuelle Vereinigung schiebt den Prozess des Vergehens und Vergessens nur hinaus.

7 Vergleichende Interpretation von Hoffmannswaldaus Vergänglichkeit der Schönheit und Brechts Entdeckung an einer jungen Frau Einleitung: Erfahrung der Vergänglichkeit als Grunderfahrung des Menschen in verschiedenen Epochen Hauptteil: I. Vergänglichkeit der Schönheit als Argument für die Überredung zum erotischen Genuss bei Hofmannswaldau 1. Antithetische Grundstruktur: Schönheit und Tod a) Semantische Oppositionen in der Bildlichkeit b) Polarität des Alexandriners c) Komposition auf eine Pointe hin: Sonettform 2. Appellstruktur a) Adressatenbezug: die begehrte, aber spröde Schönheit b) Bewusstmachung der Vergänglichkeit der Schönheiten des Körpers c) Reihung von Exempla und Schlussfolgerung 3. Pointe und Intention a) Vorbereitung durch erotische Motive b) Ambivalenz der Metapher Diamant c) Aufforderung zum Carpe diem II. Vergänglichkeit und Flüchtigkeit der Liebe bei Brecht 1. Situation zwischen Tür und Angel a) Liebesnacht als verabredeter Genuss b) Entdeckung an einer jungen Frau c) Stimulanz des männlichen Begehrens 2. Geschlechterbeziehung in einer kalten modernen Gesellschaft a) Desillusionierende Kühle b) Abschied von der romantischen Liebesauffassung c) Liebe als Beziehung zwischen Körpern 3. Aufschub des Vergehens und Vergessens a) Steigerung des erotischen Moments durch das Bewusstsein des Vergehens b) Bewahrung des Erinnerns im Gedicht c) Strenge Form im sachlich kühlen Stil III. Liebe und Erotik im geschichtlichen Wandel 1. Spannungen und Polaritäten im Weltbild des Barock 2. Entpersonalisierung der Liebe in der modernen Gesellschaft Schluss: Verhältnis der beiden Gedichte zum Genre Liebeslyrik